حجاب
hidschāb
Die Frau ist nackter als der Mann:
Verhüllt die Schamzone mit Tuch
Politische Instrumentalisierung eines Mordfalls
Zur Versachlichung der Debatte. Die Diskussion um den Mord an Marwa al-Sharbini (Marwa el-Sherbini, getötet am 1. Juli 2009). Über Kopftuchzwang und Kopftuchmärtyrerinnen, Ehrenmorde und Fremdenfeindlichkeit. Stichwort Kopftuchverbrechen, Klärung eines Begriffes. Von Ümmühan Karagözlü und Jacques Auvergne, 14. Juli 2009
Das Wort Kopftuchmörder (ZMD) ist gefallen. Die an der grundgesetzwidrigen Scharia ausgerichteten deutschen Islamverbände wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) nennen den Mörder Kopftuchmörder. Das ist eine neue Vokabel und allein deswegen unsere genaue Betrachtung wert, denn hinter einem mit Berechtigung geprägten Neologismus müsste schließlich eine irgendwie neuartige Situation und Intention stehen.
Kopftuchmörder könnte beispielsweise bedeuten, der Angreifer hätte eine Verschleierung getragen. Vielleicht verwendete der Mörder ja als Mordwerkzeug ein Kopftuch, dann wäre der mittels eines strangulierenden Tuches ausgeführte Mord wahrhaftig ein Kopftuchmord. Hat etwa ein notorischer Kopftuchhasser ganz allein auf ein irgendwo lose herum liegendes Kopftuch eingestochen? Mord in der männerfreien Zone des Harems, zwei Burka- oder Tschadorträgerinnen ermorden einander, typischer Kopftuchmord?
Oder droht jetzt einer jeden staatlich angestellten Lehrerin, die Wert darauf legt, ihr geheiligtes Kopftuch auch im Schuldienst zu tragen brutale Gewalt? Müssen Fereshta Ludin, Eva-Maria el-Shabassy oder Doris Graber befürchten, durch Europas Frauenrechtler, Gleichheitsfeministen oder Schariagegner schikaniert zu werden? Laufen, und das legen uns Ayyub Axel Köhler (ZMD) und der Koordinationsrat der Muslime (KRM) offensichtlich nahe, laufen Kopftuch oder Verschleierung tragende Frauen in Europa namentlich in Deutschland Gefahr, aufgrund ihre »islamischen Kleidung« verletzt und ermordet zu werden?
Es muss Mörder heißen, allenfalls Frauenmörder oder ‚Mörder an einer in Dresden lebenden Ägypterin‘, nicht jedoch Kopftuchmörder oder Kopftuchmord. Das Wort gleichwohl zu benutzen, wie es der ZMD dieser Tage unternimmt (1), ist sicherlich kein Fehler, sondern sorgsam kalkuliert. Wir dürfen uns fragen, welche Intention die so öffentlichkeitswirksam um »Schwester Marwa« Trauernden haben.
Mittlerweile ist das auf den Mord an Marwa aš-Šarbīnī gemünzte Wort ‘Kopftuchverbrechen’ als „Crime du foulard“ in Frankreich verwendet worden (2). Den Begriff crime du foulard (3), wörtlich, schillernd: Verbrechen des Schleiers oder Kopftuchverbrechen, halten wir für besonders heimtückisch. Denn crime du foulard ist weit mehr als lediglich eine bewusste Anspielung an den Begriff crime d`honneur, deutsch stubenrein ‚Mord aus falsch verstandener Ehre‘, kurz und brutal: Ehrenmord.
Sicherlich, französisch crime heißt auf Deutsch Verbrechen, nicht Mord. Statt Ehrenmord ist aber auch in Deutschland schon oft angemessen von Ehrverbrechen die Rede gewesen. Auf http://www.zentralrat.de und auf der dem ZMD nahe stehende Seite http://www.islam.de favorisiert man bewusst den Wortbestandteil Mord, und zwar als Teil des nebulösen Begriffes Kopftuchmörder (beide Homepages) beziehungsweise Kopftuchmord (islam.de).
In diesen Tagen erfolgt also durch den KRM eine geschickte Verschmelzung zweier Begriffe, der bewusst alogischen Wortschöpfung »Kopftuchmord, Kopftuchmörder« mit dem in Deutschland spätestens seit dem großfamilienseits geplanten Mord an der anti-schariatisch lebenden Hatun Sürücü allbekannten Begriff »Ehrenmord, Ehrenmörder (4)«.
Islamisierung ist Kopftuchpolitik, 2009 zwischen Bagdad, Teheran, Ankara, Paris und Berlin ein Politikum ersten Ranges. Kommt da den Parteigängern des Scharia-Islam der schreckliche Mord des fremdenfeindlichen Russlanddeutschen an einer Kopftuch tragenden Ägypterin gerade recht, um die Deutschen einzuschüchtern und die erwünschte Rechtsspaltung im Schulverwaltungsrecht und im Familienrecht namentlich Personenstandsrecht durchzusetzen?
Mit säkularen, gleichheitsfeministischen Frauenrechten haben die reaktionären Islamverbände nun wirklich nichts im Sinn. Mit hidschāb, Tschador und Burka doch wohl schon eher. 2009 ist Frankreich bereits durch die nordafrikanische al-Qaida dahingehend bedroht worden, die Burka (5) im öffentlichen Raum auch künftig nicht zu verbieten (6).
Unter „crime du foulard“ (mit “”) sind am 12. Juli lediglich vier, am 13. Juli fünf Einträge zu ergoogeln gewesen, darunter einer vom 10. Juli 2009 (7). Dort heißt es wörtlich: „Ermordet, weil sie das Kopftuch trug“, Rubrik: ‚Islamophobie‘.
Auch deutsche Medien wie die WELT (8) haben beim KRM denken lassen und folgende Erklärung abgedruckt:
»Am 01.07.09 (9. Rajab 1430) wurde unsere Schwester im Islam, Marwa El-Sherbini in Dresden aus Hass auf die Muslime und Fremden erstochen. Unser aller Gebete und Mitgefühl gilt nun den Angehörigen des Opfers. Die 28jährige schwangere Frau und Mutter hinterlässt einen Ehemann und einen Sohn. Wir Muslime werden Marwa ein dauerhaftes und nachhaltiges Andenken in Deutschland bereiten.
Marwa ist das bisher tragischste Opfer unserer muslimischen Schwestern, die unter Demütigungen, Verdächtigungen und Diskriminierungen zu leiden haben. Marwa ist auch Opfer der Hetze und Verleumdungen, die spätestens seit der Zeit der Entscheidung zum Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und auf einschlägigen Internetseiten betrieben wird. Die insbesondere an ihrer Bekleidung erkennbaren muslimischen Frauen sind unterdessen weitgehend gesellschaftlich und menschlich abgewertet.
Wir rufen jetzt alle Muslime auf, in ihren Schweigemärschen unserer ermordeten Schwester friedlich trauernd zu gedenken. Wir appellieren an das Gute und die Gerechten in unserem Land, dass jeder an seinem Platz für die Liebe unter den Menschen und die Achtung vor der Glaubensüberzeugung jedes Einzelnen werben möge. Marwas Tod hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Die Politik muss endlich die Islamphobie in unserem Land ernst nehmen.«
Aus der offiziellen Erklärung des KRM, 08.07.2009
Mehrere Printmedien haben diese Inspiration übernommen und Marwa el-Sherbini als „Märtyrerin“ einer irgendwie grassierenden „Islamphobie (Islamophobie)“ bezeichnet. Den schariafreundlichen Mythos namens Islamophobie kennen Fundamentalismus- und Korankritiker aus leidiger Erfahrung, doch ist das völlig unkritisch abgedruckte Wort Märtyrer dem Geist der Gegenmoderne und der Irrationalität verpflichtet. In Europa ist bereits seit eineinhalb Jahrhunderten verstanden worden, dass von Märtyrer zu sprechen einer journalistischen Berichterstattung unwürdig ist.
In Teheran gibt es eine theologische Politik, dort ist die Staatsführung geheiligt. In Europa und auch in Dresden sind keine Dämonen am Werk, sondern wurde schlicht versäumt, die Menschen im Gerichtssaal auf Waffen zu durchsuchen. Journalismus, Wissenschaft und brauchbare Politik sprechen nicht von Ehre oder Schande, sondern von Leistung oder Mangelhaftigkeit. Ein Mordopfer ist ein getöteter Mensch, kein Märtyrer.
Aus Sicht der kulturellen Vormoderne ist der Märtyrertod sinnvoll. Wir halten die Tatsache, dass eine Apothekerin erstochen wird, nicht für sinnvoll.
Anders als Mohammed und auch anders als die tausend Jahre alte, kulturrassistische und grundrechtswidrige Scharia, anders als ECFR-Scheich Yūsuf al-Qaraḍāwī oder auch anders als der iranische Präsident Mahmūd Ahmadī-Nežād hält die Bundesrepublik Deutschland die Tötung eines Menschen in keinem Falle für sinnvoll. Der Scharia-Islam kennt jene, die soziale (islamische) Ordnung wiederherstellende und einem Sakrament gleichkommende Todesstrafe, etwa für den Apostaten. Volksislam und Islamismus reden von islamrechtlich unrechtmäßig Getöteten als von Märtyrern, den geheiligten Selbstmordattentäter gibt es daneben auch.
Ausländerfeind Alex W. handelte nicht im Auftrag des Souveräns sprich des deutschen Volkes und ein weltanschaulich neutraler Staat wie die BRD lässt seine Organe bewusst keine Märtyrer ausrufen. Die quasi religiöse NSDAP allerdings meinte in den Jahren der untergehenden Weimarer Republik noch, das ganz anders sehen zu müssen und erklärte den getöteten Horst Wessel zum »Blutzeugen der Bewegung«, Blutzeuge ist die Übertragung des altgriechischen Wortes Märtyrer ins Deutsche. Das anhebende so genannte Dritte Reich wünschte den Kult einer totalen Opferbereitschaft und duldete dementsprechend auch das vermeintliche Märtyrertum wohlwollend. Es folgten zwölf Jahre, in denen auch getötete Soldaten als »Helden und Märtyrer« stilisiert wurden. Heute wollen die Deutschen, von ein paar fundamentalistischen Strömungen abgesehen, kein Märtyrertum, sondern Zivilcourage, und die mutigen Kritiker der repressiven Politreligion in Kabul, Teheran oder Kairo können uns freiheitlichen Demokraten ein gutes Beispiel sein.
Nach dem völlig islamverträglichen, dabei ebenso mittelalterlichen wie bereits vorislamischen Ehrbegriff des nāmūs, der Ehre des patriarchalischen orientalischen Menschenbildes, ist (vgl. Gülşen Çelebi unter http://www.ehrenmord.de) vielleicht ja auch im Deutschen der ein vormodernes Denken darstellbar machende Begriff Ehrenmord beziehungsweise Ehre angemessen, wenn auch säkulare Demokraten dieses Ehrverständnis nicht haben dürfen, sondern ein anderes, ein mit der Aufklärung und den allgemeinen Menschenrechten verträgliches Bild von Ehre (Achtungswürdigkeit).
Der alte orientalische Ehrbegriff des nāmūs beinhaltet neben der Blutrache und dem Blutgeld immense Nachteile für die Frau: Zwangsverlobung, Tochtertausch arrangierter Ehe, Kinderheirat, Kultur gewordene Frauenverachtung, Frauenüberwachung, Mitgiftmord, Genitalverstümmelung, Verschleierung (nachträglich genannt pardā, hidschāb), Wegsperren der Frauen, Geschlechtertrennung (ebenfalls pardā, hidschāb), öffentliche Attentate wie Nase-Abschneiden, öffentliche, familiäre und eheliche Vergewaltigungen. Derartige kulturell verankerte Frauenentwürdigung und Frauenentrechtung ist im Gebiet zwischen Kaukasus, Indus und Nil beileibe kein islamisches Monopol, doch wurde der nāmūs vom Islam wie von einem Schwamm seit 1.400 Jahren aufgesogen und der Islam ist heute Weltreligion (walī mudschbir, schafiitische FGM).
Auch Koran, Scharia-Islam und Islamisches Recht haben einen vormodernen Ehrbegriff konserviert, der in Deutschland nicht gelebt werden kann, ohne das Grundgesetz zu verletzen. Im Islamischen Recht (Sa’īd Ramaḍān, Āyatollāh Chomeinī, Yūsuf al-Qaraḍāwī, Hānī Ramaḍān) haben der männliche oder weibliche Ehebrecher, der Polytheist oder Atheist und der Islam-Apostat keine Achtungswürdigkeit. Es sei denn, man würde den Eingegrabenen zu steinigen oder auch das Abtrennen des Kopfes als angemessene und sozialverträgliche Form der Ehrerbietung betrachten. Die Menschen der kulturelle Moderne, die es auf der ganzen Welt gibt und unter denen es auch säkulare Muslime und Ex-Muslime gibt, brauchen den šarī’a-Islam und den fiqh-Islam nicht als achtungswürdig zu bezeichnen. Und genau das ist das Problem. Herr Ayyub Axel Köhler, Sie wollen die Scharia!
Es sollte uns säkularen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern darum gehen, den Begriff Kopftuchverbrechen (crime du foulard) sozusagen zurückzuerobern beziehungsweise vom Kopf auf die Füße zu stellen: Nicht die Kritik am Kopftuch ist ein Verbrechen! Das aufgezwungene Kopftuch ist ein Verbrechen!
Und genau diesen Zusammenhang zwischen dem repressiven Kult des politischen (orthodoxen) Islam und dem nach der Doktrin der Freiwilligkeit (Kein Zwang im Glauben, dem Unwilligen droht das Höllenfeuer) getragenen Schleier möchte der im Juli 2009 vermarktete Neologismus »Kopftuchmörder, Kopftuchmord« umkehren.
Ohne Frage, Alex W. ist als der Mörder der Täter, die getötete Marwa al-Sharbini das Opfer. Dem orthodoxen Islam ist andererseits das auf Machtverfestigung zielende Austauschen von Täter und Opfer nicht fremd, und hier ist zu sagen, dass der Islam nicht das Opfer Deutschlands ist und Kritik am aggressiven islamischen Fundamentalismus selbstverständlich auch künftig möglich sein muss. Darum aber geht es den Salafisten um Pierre Vogel sowie den vier im KRM zusammengeschlossenen deutschen Islamverbänden im Juli 2009 nach dem schrecklichen Mord an einer ägyptischen Pharmazeutin: Künftige Islamkritik und Kopftuchkritik zu erschweren, am besten zu verhindern.
Einmal, vor eineinhalb Jahrzehnten ist der Begriff ‚crime du foulard‘ doch aufgetaucht, 1994. In jenen Jahren konnte unter einer prekären Mehrheit von Europas Pädagogen und Sozialarbeitern noch die politreligiöse Exklusion, die schariatische Segregation oder die repressive Erziehung zur Abschottung … als ‚crime‘, als Verbrechen gelten (9).
Wer als muslimisch angepasste Frau im Alltag in Deutschland wie auch im Falle des eigenen Ablebens alle Angehörigen und Freunde um das Grab versammelt wissen will und eine islam-offizielle Grabrede verlesen wissen will, der muss doch wohl besser ein Kopftuch getragen haben. Die Kopftuchverweigerin gilt unter Muslimen leider nach wie vor als Schlampe, der die Verschleierung lobpreisende Mann als berufener Sittenwächter.
Noch gibt es zwischen Senegal und Malaysia Zehntausende von Mädchen und Frauen, die ohne Kopftuch leben oder wenigstens ohne hidschāb zur Schule gehen dürfen und beispielsweise eine Schuluniform englischen Stils tragen können. Aber der fundamentalistische Islam und mit ihm die Verschleierung der Frau scheint seit zehn oder zwanzig Jahren anzusteigen.
Zwei islamische Strömungen arbeiten im Juli 2009 beim Verwenden oder Nutzbarmachen des grausamen Dresdner Mordfalles zusammen, einerseits die reichen, schariatreuen Funktionäre des etablierten Verbandsislam wie Ayyub Axel Köhler, mit dem unsere Regierung drei Jahre lang in einem Hinterzimmer zu diskutieren beliebte. Auf der anderen Seite arbeiten ihnen die armen Schwärmer und Wanderprediger zu, die auf den deutschlandweiten Trauerzug aufgesprungenen bärtigen Salafisten, Tschador-Händler und Niqāb-Tolerierer um die frommen Fundamentalisten Yusuf Estes, Bilal Philips (derzeit Einreiseverbot in die USA), Abdul Adhim und Pierre Vogel. Zu ihrem Umfeld gehören das Aufklärung und kulturelle Moderne standhaft verweigernde Islamische Bildungs- und Kulturzentrum Braunschweig (IBKB; http://www.furkan-semi.de, http://www.einladungzumparadies.de) und die Berliner al-Nur-Moschee.
Lautstarke Trauerkultur um eine ermordete Ägypterin, der gewiefte Kommunal- und Verbandspolitiker trifft auf den charismatischen Kumpel. Wenig scheinen der akademische Nadelstreifenkalif aus Köln-Nippes (FDP, im Stadtrat) und der aus Bonn und Frechen stammende einstige Profi-Boxer (Kreationist, warnt vor dem Teufel, will Geschlechtersegragation und fordert den hidschāb) gemeinsam zu haben. Von der Scharia einmal abgesehen. Beide sind zum Islam übergetreten, beide reden von Marwa.
Konvertit Vogel unternimmt dieser Tage eine Deutschlandtournee, viele andere Gruppen organisieren vergleichbare Gedenkstunden in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Heidelberg. Da feiert man sich ein wenig selbst, lässt Dutzende von langbärtigen, Kittel tragenden und damit fraglos frommen „Brüdern“ antreten und garniert die Sache mit mehreren Handvoll wahhabitisch anmutender Tschador-Wesen oder gar mit gesichtslosen Niqab-Gestalten (10). Die mutmaßlich femininen Gespenster lässt man Flugblätter verteilen, den ganzkörperverhüllten Wesen sind tappende Zwei- oder Dreijährige und belebte Kinderwagen zugehörig, die Kinder zeigen, über ihre eigenen Muttergespenster so etwas wie serielle Verwunderung.
Die deutsche Salafiyya umfasst eher weniger türkeistämmige als vielmehr aus Marokko stammende Einwanderer und ist durch Konvertiten ergänzt worden. Auch Deutschlands Salafiyya will die komplette weibliche Leibesbedeckung und den ach-so-femininen Gesichtsschleier möglichst weit verbreiten. Dafür ist die getötete Apothekerin aus Ägypten ja vielleicht günstig einzusetzen. Ungerührt bis wütend wird gerufen: „Schwester Marwa, Märtyrerin Marwa, unsere geliebte Kopftuchmärtyrerin!“ Dann wird fünf Minuten lang heftig über das Lehrinnenkopftuchverbot hergezogen und Deutschlands angebliches Klima der Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit lautstark angeprangert. Nun hält der Redner ein großes Photo von Marwa, ihrem Mann und dem gemeinsamen Kind hoch, sehr anrührend. Der Redner schreit: „Was muss erst noch alles passieren, müssen noch mehr Muslime sterben? Wehret den Anfängen!“ Er legt das Marwa-Plakat wieder weg und bringt Burka- und Kopftuchverbote im Staatsdienst, betroffen machend aber wenig plausibel, mit der Lage der Nonkonformisten im Nationalsozialismus in Verbindung. „Unsere Schwester Marwa ist Deutschlands erste Märtyrerin für die islamische Bedeckung! Wird sie die letzte sein?“ Scharia macht nutzbar, islamische Nutzbarmachung.
Der Vorsitzende des ZMD Ayub Axel Köhler, Kuratoriumsmitglied der „Christlich-islamischen Gesellschaft“ und dadurch bekannt geworden, dass es ihm im Frühjahr 2007 gelang, den in Ägypten als Muslimbruder gehandelten und mit einer Frau Erbakan verheirateten Ibrahim el-Zayat in die Deutsche Islamkonferenz einzuschmuggeln. Das seltsam ungleiche Doppel Köhler und Vogel sendet die gleiche Botschaft an alle muslimischen Frauen, einen Appell, den wir ja vielleicht so verstehen dürfen:
„Für nicht linientreue Töchter islamisch sozialisierter Eltern und Straßenzüge machen Allahs Missionare keinen Finger krumm, islamkritische Ägypterinnen oder auch ’nur‘ bekennende Kopftuch-Gegnerinnen (Ägypterinnen oder Türkinnen oder türkeistämmige Deutsche) sind uns Salafisten oder uns vom Koordinierungsrat der Muslime recht egal und von ermordeten Koptinnen oder christlichen Irakerinnen möchten wir in Deutschland nicht gesprochen wissen, das wäre Hetze gegen den Islam. Vielmehr müssen wir das geradezu rassistische Lehrerinnenkopftuchverbot kippen, das einem Berufsverbot gleichkommt und das ein Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ist.“
Ein Mordfall findet Verwendung. Die Deutschen sollen sich schuldig fühlen, das Denken einstellen und die Verschleierung nebst Zweitfrau und arrangierter Ehe dulden. Kopftuchpflichtige Töchter sind fortan eine eigene Sorte Schüler: Die »Spezies: Muslimisches Mädchen«, diese Schülerinnen dürfen gesonderte Rechte in Anspruch nehmen wie verweigerten Biologie- und Aufklärungs-, Sport und Schwimmunterricht. In Politik und Pädagogik, bei den deutschen Linken, Atheisten, Säkularen, Calvinisten und Freikirchlern scheint der unlogische Appell der Schariafreunde gleichermaßen zu wirken: „Islamkritik ist Fremdenhass und Frauenmord! Ihr Fremdenfeinde, ihr Frauenmörder! Wendet euch mit uns gegen jedes Kopftuchverbot!“
Die Konvertiten Köhler und Vogel reden von einer »Märtyrerin Marwa«. Die rührigen Organisatoren der aktuellen Trauerkundgebungen für die am ersten Juli 2009 im Dresdner Gerichtssaal mit achtzehn Messerstichen ermordete Marwa aš-Šarbīnī haben Anspruch, Forderung und Absicht.
Sie beanspruchen, im Sinne der von einem Deutschen getöteten Ägypterin Marwa tätig zu sein, sie fordern die unbegrenzte Duldung von Kopftuch und Burka und sie beabsichtigen die Implementierung der Scharia ins europäische und deutsche Recht. Das dürfen wir engagierte Lobbyarbeit nennen oder moralische Erpressung.
Ümmühan Karagözlü, Jacques Auvergne
(1) “Kopftuchmörder”
(2) Crime du foulard. In: Jeune Afrique
(3) frz. Wiki Ehrenmord
http://fr.wikipedia.org/wiki/Crime_d%27honneur
(4) Wiki Ehrenmord
http://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenmord
(5) Burka, Ganzkörperverschleierung
http://cache.jalopnik.com/assets/resources/2008/03/Burka.jpg
(6) Befehl der Qaida an Frankreich: Duldet die Burka!
http://www.welt.de/politik/ausland/article4037093/Sarkozys-Burka-Verbot-erzuernt-al-Qaida.html
(7) À propos „crime du foulard“
(8) Die WELT publiziert Ayyub Axel Köhlers Erklärung. Bemerkenswert sind die Kommentare, nicht alle Menschen fallen auf die seitens des KRM implizierte Gleichung »Kopftuchverbot = Frauenmord« herein. Erster Kommentar 09.14 Uhr, letzter Kommentar 09.57 Uhr, dann wurde, nach 43 Minuten, der Kommentarbereich wegen Verstößen gegen den guten Ton geschlossen. Drei kluge Meinungen:
»Solche deutlichen Worte des Koordinierungsrates der Muslime würde man sich auch einmal zur Situation der christlichen Kopten in Ägypten, den Christen in der Türkei, im Irak und Iran, Saudi-Arabien etc. wünschen. Oder zum Beispiel nach einem so genannten „Ehren“-Mord. Diejenigen, die weltweit unzählige „muslimische Schwestern“ demütigen und diskriminieren und ihnen selbst die grundlegendsten Rechte vorenthalten, sind in erster Linie deren Väter, Onkel und Brüder. Aber das ist ja kulturell und religiös bedingt und deswegen ok.«
»Was in aller Welt hat denn dieser durchgeknallte Messerstecher mit dem Kopftuchverbot zu tun?«
»Doch einige Millionen Muslime leben ganz normal als unsere Mitbürger hier. Sie können ihre Religion ausüben und in einer Freiheit leben, welche so weltweit nicht selbstverständlich ist. Es ist der Mehrheit der hier in Freiheit lebenden Menschen gegenüber nicht gerecht, wenn hier pauschal für Muslime eine Opferrolle vergeben wird. Die überwiegende Mehrheit ist nicht Opfer von Diskriminierung, Demütigung und Verleumdung.«
(9) 1994 kannte auch die kulturelle Moderne einen ‚crime du foulard‘. “l’idéal de laïcité, la nécessité d’interdire les signes “si ostentatoires … Le crime du foulard est d’être facteur d’exclusion. … ” (Jean-Jacques Delfour 1994)
http://membres.lycos.fr/disclord/philo/foulard.htm
(10) Nikab, Gesichtsschleier. Öffentlicher Raum ist männlicher Raum, menschliches Gesicht ist männliches Gesicht
http://operationitch.files.wordpress.com/2009/06/burka.jpg
Schlagwörter: Abu Hamza Pierre Vogel, Berufsverbot, Kopftuch-Maertyrerin, Kopftuchmord, Marwa el-Sherbini, Salafiyya, Symbolfigur fuer das Kopftuch, Trauer um Marwa
Juli 16, 2009 um 6:22 pm
Aus der Presse, zum Mordfall Marwa
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Ex-Muslime warnen vor Instrumentalisierung
„Der Mord an der jungen Ägypterin ist schrecklich. Aber die Bluttat gibt keiner islamischen Organisation das Recht, daraus politischen Nutzen zu ziehen und Islamkritikern einen Maulkorb zu verpassen“, sagte Zentralratsvorsitzende Mina Ahadi der „Leipziger Volkszeitung“ vom Montag.
http://www.focus.de/politik/deutschland/bluttat-in-dresden-ex-muslime-warnen-vor-instrumentalisierung_aid_416160.html
“Der Mann, der die Ägypterin Marwa S. im Dresdner Landgericht tötete, war offensichtlich Rassist. Nach FOCUS-Informationen bereitete er sich auf die Tat gezielt vor.”
http://www.focus.de/panorama/welt/dresden-mord-an-aegypterin-war-geplant_aid_415996.html
Irans Präsident benutzt den Mord an Marwa S. für seine Propaganda gegen den Westen.
Laut Ahmadinedschad benehme sich Deutschland wie ein „Sklaventreiber“ und unterstütze seit 60 Jahren die Interessen der Zionisten (Israel).
http://www.focus.de/politik/ausland/dresden-mord-ahmadinedschad-fordert-verurteilung-deutschlands_aid_416237.html
“Some 1,500 Iranian women gathered in front of the German Embassy in Tehran on Tuesday chanting “Death to the enemy of hijab” — a reference to the hijab, or Islamic headscarf that al-Sherbini wore, Iran’s state news agency reported.”
http://www.washingtonexaminer.com/world/ap/50759847.html
… 1500 Iranerinnen haben nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA vor der deutschen Botschaft in Teheran demonstriert. “Tod den Feinden des Hidschab”, riefen die Frauen …
http://www.n24.de/news/newsitem_5230612.html
August 23, 2009 um 9:51 pm
Tobias Kaufmann: „Gerade deshalb sollte der Mord von Dresden nicht für eine Debatte missbraucht werden, deren Ausgangsthese den Falschen nützen kann. Kritik am Islam, auch Kritik am Kopftuch, wird nicht dadurch „islamophob“, dass ein Mordopfer ein Kopftuch trug. Darauf hat der „Zentralrat der Ex-Muslime“ zurecht hingewiesen.“
http://www.ksta.de/html/artikel/1246883661148.shtml
Juni 30, 2012 um 4:42 pm
IGMG zum Kopftuch nämlich Hidschab:
Abû Dâwûd, einer der bekanntesten Hadîthüberlieferer beschreibt das Ereignis im Kapitel „Libas“ bezüglich Asmâ binti abû Bakr (ra) auf folgende Weise: Aischa berichtet: „Asmâ binti abû Bakr (ra) erschien in freizügiger Kleidung vor dem Propheten (saw). Dieser wendete sich von ihr ab und sprach: „O Asma! Wenn die Frau ihre Geschlechtsreife erlangt hat, dann sollte nichts von ihr zu sehen sein außer diesem!“ Und er zeigte auf seine Gesicht und seine Hände.“
Theologen, die die These vertreten, dass das Kopftuch kein Gebot sei, begründen ihre These folgendermaßen: Sie stellen die Behauptung auf, dass die Aussage „So werden sie eher erkannt und (daher) nicht belästigt” an eine Bedingung gebunden sei, wodurch das Tragen eines Kopftuchs nicht verpflichtend sei, sobald diese Bedingung nicht gegeben ist. Um diese Behauptung zu verifizieren, müsste der Prophet, der eine Vorbildfunktion erfüllt, auch dementsprechend gehandelt haben. Weder der Prophet noch seine Anhänger haben jedoch auf diese Weise gehandelt, sondern haben ganz im Gegenteil die Wichtigkeit der Kleidungsvorschriften betont.
Auf der anderen Seite, geht aus dem 1. Vers der Sure Nûr hervor, dass die Vorschriften keine Empfehlungen, sondern Gebote sind. Sie sind von universellem Charakter, d.h., sie sind nicht bloß für eine bestimmte Zeit und einer bestimmte Gruppe als Pflicht auferlegt.
Wenn wir uns den ersten Vers anschauen, so werden wir wiederholt mit dieser Wahrheit konfrontiert: „Eine Sure, die Wir herabsandten und verbindlich machten! Und Wir sandten in ihr eine eindeutige Botschaft herab, auf dass ihr euch ermahnen lasst.“ [24:1]
Es scheint so, als ob der erste Vers der Sure Nûr darauf abziele, die aktuellen Diskussionen mit der Ermahnung, dass die in der Sure erwähnten Vorschriften verpflichtend sind und die Bedeutung der Verse offen aus dem Text hervorgehen, verstummen zu lassen.
Obwohl die Verse einige Wörter beinhalten, über die in den Korankommentaren keine einheitliche Meinung herrscht, hat man nichtsdestotrotz einheitliche Vorgaben bzgl. der Kleidung der Frau. Dabei wurde weder eine Form noch eine Farbe vorgeschrieben, sondern je nach Einkommen und Geschmack, jedem selbst überlassen. Begriffe aus den Verse, die Diskussionen auslösten sind „Zîna“ (Reize), „Chimâr“ und „Dschilbâb“. Jedoch entstehen diese Diskussionen nicht aus Uneinigkeit, vielmehr werden die verschiedenen Bedeutungen diskutiert.
Beispielsweise geht es beim Begriff Zîna um die Frage, ob es sich bei dem Wort um den ganzen weiblichen Körper handelt, bestimmte Körperpartien, oder um Teile des Körpers, an denen Schmuck getragen werden kann, wie z. B. das Dekolleté, der Hals und die Ohren. Auch der Begriff Dschilbâb wird unterschiedlich gedeutet und umgesetzt. Daher gibt es im türkischen Raum den zweiteiligen Überwurf, in Afghanistan die Burka und in manch arabischen Ländern den Nikâb, der nur die Augen sichtbar werden lässt. Trotz der unterschiedlichen Auffassung, vertreten alle die Ansicht, dass der Kopf, der Hals, das Dekolleté und der gesamte Körper bedeckt sein müssen, mit Ausnahme der Hände, der Füße und dem Gesicht. In Bezug auf den Begriff Chimâr, der ebenfalls für Diskussionen sorgt, einigte man sich insoweit, als dass es sich dabei um ein Tuch handle, dass den Kopf, den Hals und das Dekolleté bedeckt und das Gesicht frei lässt.
Wie bereits erwähnt, wurden keine genaueren Vorgaben für die Art und Weise der Bedeckung festgelegt, sondern lediglich darauf hingewiesen, worauf man bei der Kleidung Acht geben muss. Hierbei orientiert man sich an die Ausübung des Propheten (saw). Demzufolge muss die Kleidung folgende Bedingungen erfüllen: Sie muss dick genug sein, so dass Hautfarbe und Körperform nicht erkennbar sind. Sie muss den ganzen Körper samt Kopf umhüllen, mit Ausnahme von Händen, Füßen und dem Gesicht. Es ist unerheblich, ob das Kleidungsstück aus einem Teil, aus zwei oder mehreren Teilen besteht.
Jeder, der die oben ausgeführten Bedingungen erfüllt und somit dem Koran und der Sunna des Propheten folgt, wird das Wohlgefallen Allahs erlangen. Wichtig ist, dass wir nicht versuchen die Gebote des Korans und des Propheten unserem Leben anzupassen, sondern unser Verhalten und unser Leben dem Koran und dem Propheten anzugleichen.
aus: İlhan Bilgü: Das Kopftuch im Islam
bei: das islamische Portal. Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) 15.05.2008
http://www.igmg.de/nachrichten/artikel/2008/05/15/das-kopftuch-im-islam?L=%20%2Fphprojekt%2Flib%2Fconfig.inc.php.html..html
http://www.igmg.de/islam/newsdetails-islam.html?tx_ttnews%5Btt_news%5D=7793&tx_ttnews%5BbackPid%5D=28&type=98
Januar 1, 2014 um 12:57 pm
Kopftuchtragen kein Hindernis für die Einstellung als Beamtin in den allgemeinen Verwaltungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen
8. November 2013
Mit dem heute in öffentlicher Sitzung verkündeten Urteil hat die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf den Kreis Mettmann verpflichtet, über den Antrag einer Muslimin, welche aus religiösen Gründen auch während der Dienstausübung ein Kopftuch tragen möchte, auf Einstellung als Beamtin auf Probe in den allgemeinen Verwaltungsdienst neu zu entscheiden. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende dargelegt, dass anders als bei einer Lehrerin im Schuldienst das Tragen eines Kopftuches kein Hindernis für die Einstellung als Beamtin in den allgemeinen Verwaltungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen sei. Auch die Einschätzung des Kreises, der Klägerin fehle die charakterliche Eignung, und aufgrund wechselnder und widersprüchlicher Aussagen im Hinblick auf ihre Bereitschaft, auf das Tragen des Kopftuches ggf. zu verzichten, sei ein irreparabler Vertrauensverlust eingetreten, bestätigte sich für das Gericht sowohl nach Aktenlage als auch nach einer eingehenden persönlichen Befragung der Klägerin nicht.
Gegen das Urteil ist ein Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster möglich.
Aktenzeichen: 26 K 5907/12
http://www.vg-duesseldorf.nrw.de/presse/pressemitteilungen/18_131108/index.php
Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
… Sie wurde am 00.0.1988 in I geboren, ist deutsche Staatsangehörige und bewarb sich unter dem 1. März 2007 beim Beklagten um eine Ausbildungsstelle als Inspektoranwärterin für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst. Ihre Bewerbungsunterlagen enthielten einen Lebenslauf mit einem Foto, welches sie ohne Kopftuch zeigt. Nach erfolgreichem Absolvieren eines Einstellungstestverfahrens fand am 18. April 2007 ein ca. 20minütiges Vorstellungsgespräch der Klägerin vor einer Personalauswahlkommission des Beklagten statt, welcher der Leiter des Haupt- und Personalamtes (Amt X) L, der stellvertretende Leiter des Haupt- und Personalamtes und zugleich Leiter der Abteilung Personalwesen (Abteilung XX) M, die Ausbildungsleiterin S und das Personalratsmitglied Q angehörten.
Laut einem Gedächtnisprotokoll des Leiters der Abteilung XX, bestätigt durch den Leiter des Amtes X, vom 4. Juni 2012 verlief das Vorstellungsgespräch vom 18. April 2007 wie folgt: Die Klägerin sei mit einem Kopftuch erschienen. Das Gespräch sei zunächst nach einem für alle Bewerber vorgegebenen Fragenraster geführt worden, ohne dass eines der Kommissionsmitglieder die Klägerin auf das Tragen ihres Kopftuchs angesprochen habe. Auf die Schlussfrage des Leiters des Amtes X, ob die Klägerin noch Fragen an die Kommissionsmitglieder habe, habe die Klägerin diese gefragt, ob sie mit dem Tragen des Kopftuchs Probleme hätten. Der Leiter des Amtes X und der Leiter der Abteilung XX hätten dargelegt, ein Beamter habe durch sein äußeres Erscheinungsbild Neutralität und Unbefangenheit zu wahren, womit das Tragen eines Kopftuchs nicht vereinbar sei. Sie hätten Situationen der täglichen Arbeit beschrieben, in denen mangels ausreichender Neutralität und Unbefangenheit Schwierigkeiten im Umgang mit den Bürgern auftreten könnten. Das Tragen eines Kopftuchs führe auch möglicherweise zu betrieblichen Störungen, indem sich z.B. Mitarbeiter von dieser Lebensäußerung negativ angesprochen fühlten. Aus der Verpflichtung der Verwaltung zu politischer, religiöser und weltanschaulicher Neutralität ergebe sich das Erfordernis eines neutralen Auftretens im Publikumsverkehr. Daraufhin habe die Klägerin erklärt, wenn das Kopftuchtragen für sie – gemeint waren offensichtlich die Gesprächspartner im Vorstellungsgespräch bzw. im übertragenen Sinne die Personalverantwortlichen des Beklagten – ein Problem darstelle, verzichte sie darauf.
Auf eine von Personalrat und Gleichstellungsbeauftragter gebilligte Einstellungsempfehlung der Abteilung XX hin und nach Feststellung ihrer gesundheitlichen Eignung durch amtsärztliches Gesundheitszeugnis vom 4. Juli 2007 wurde die Klägerin mit Wirkung vom 1. September 2007 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Kreisinspektoranwärterin ernannt.
Im Rahmen ihrer dreijährigen Ausbildung beim Beklagten absolvierte die Klägerin Ausbildungsstationen im Amt für Schulen und Kultur, Abteilung Schulamt als untere staatliche Schulaufsichtsbehörde, im Rechts- und Ordnungsamt, Abteilung Ordnungsangelegenheiten, Wahlen, im Büro des Landrats, Abteilung Pressearbeit und Kommunikation, und im Sozialamt, Abteilung Integration und Soziale Planung. In den diesbezüglichen dienstlichen Beurteilungen erhielt sie Gesamtnoten zwischen gut und sehr gut.
Zum Ende der Widerrufsbeamtenverhältnisse der Klägerin und der mit ihr zusammen ernannten Kreisinspektoranwärter hin fand am 29. Juni 2010 ein Gespräch dieser sog. Nachwuchskräfte mit dem Leiter des Amtes X und dem Leiter der Abteilung XX statt. Zu diesem heißt es in einer Gesprächsnotiz des Leiters der Abteilung XX vom selben Tag: Die Klägerin habe ihn am Mittag nach der Runde mit den Nachwuchskräften angesprochen und sich auf die Ansprache des Leiters des Amtes X an die gesamte Runde bezogen, wonach dieser mit einem Mitglied der Runde noch ein weitergehendes Gespräch führen wolle. Die Klägerin habe gemutmaßt, der Leiter des Amtes X wolle sie sicher wegen des Tragens ihres Kopftuchs ansprechen, was er – der Leiter der Abteilung XX – bejaht habe. Er habe deutlich gemacht, wie die Verwaltung ihr Auftreten mit dem Kopftuch bewerte. Ein Beamter habe in seinem Auftreten und auch im äußeren Erscheinungsbild auf absolute Neutralität zu achten. Diese könne mit dem Tragen eines Kopftuchs nicht sichergestellt werden. Die Klägerin habe erklärt, sie könne und wolle nicht auf das Tragen verzichten. Ihr sei bewusst, dass die Verwaltung sie dann nicht in das Beamtenverhältnis übernehme. Sie habe sich lange damit auseinandergesetzt, sich eine abschließende Meinung gebildet und die Konsequenz sei ihr bewusst. Sie habe erklärt, dass sie sich nicht unter Druck gesetzt fühle, sondern dass es ihre freie Entscheidung sei, ein Kopftuch zu tragen und damit die Übernahme in das Beamtenverhältnis zu verhindern. Er – der Leiter der Abteilung XX – habe hierüber den Leiter des Amtes X unterrichtet. …
Am 23. August 2010 bestand die Klägerin die Laufbahnprüfung mit der Gesamtnote befriedigend (acht Punkte).
Am 5. November 2010 schloss die Klägerin die Ehe und nahm ihren jetzigen Familiennamen an.
Mit Wirkung vom 24. November 2010 wurde der zwischen der Klägerin und dem Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag dahin geändert, dass die bisherige Teilzeit in eine vollzeitige wöchentliche Arbeitszeit umgewandelt wurde. …
Anlässlich des ab dem 2. Dezember 2010 geplanten Einsatzes der Klägerin in der Abteilung Ausländerwesen (Abteilung XXXX) des Rechts- und Ordnungsamtes (Amt XXX) des Beklagten führte der Amtsleiter des Amtes XXX K in einem internen Schreiben vom 23. November 2010 an den Leiter des Amtes X aus: Zur Vorbereitung des Einsatzes der Klägerin, die u.a. im Rahmen des Projekts „Neuausrichtung der Ausländerbehörde“ nach entsprechender (mit Landesmitteln geförderter) Qualifizierung als Anlaufstelle für Migranten fungieren solle, habe er der gesamten Abteilung seine Erwartungen mündlich und schriftlich mitgeteilt und mit den Personen, die eine kritische Einstellung bezüglich des Einsatzes gezeigt hätten, Einzelgespräche geführt. Dabei sei ihm signalisiert worden, dass es keine Probleme mit der Person der Klägerin geben werde. Formuliert worden seien lediglich Bedenken im Hinblick auf das Kopftuch. Insofern könnten Probleme im Publikumsverkehr entstehen. Er – der Amtsleiter – gehe davon aus, dass die Signale wahrheitsgemäß seien, könne dies aber nicht gewährleisten. Um die Klägerin nach ihren ersten negativen Erfahrungen in der Abteilung nicht allein zu lassen, wolle er ihr nach vorheriger Absprache Ansprechpartner zur Verfügung stellen, zu denen sie ein besonderes Vertrauensverhältnis habe. Ferner schlage er, um auch den von ihm – dem Leiter des Amtes X – genannten Problemen in der Frage des Kopftuchs zu begegnen, nach Rücksprache mit der Klägerin folgende Vereinbarung vor: „Für den Fall, dass aufgrund des Tragens des Kopftuchs Probleme bei der Dienstausübung entstehen, sichert Frau F zu, diese Probleme durch entsprechendes Verhalten zu lösen. Werden solche Probleme vorgetragen, findet – falls ein Beteiligter das Erfordernis erkennt – eine Gesprächsrunde bestehend aus Frau F, einem Vorgesetzten, einem Vertreter des Personalrats und einem Vertreter des Amtes X statt. In dieser Gesprächsrunde wird festgestellt, ob die Dienstausübung tatsächlich durch das Tragen des Kopftuchs beeinträchtigt wird; ggf. werden Frau F vertretbare Lösungswege aufgezeigt. Ist ein einvernehmliches Vorgehen in diesem Zusammenhang nicht möglich, trifft das Amt X unter Beachtung des Personalvertretungsrechts eine abschließende Entscheidung.“ Sofern dies für das Amt X ein gangbarer Weg sei, rege er an, das weitere Vorgehen gemeinsam unter Beteiligung des Personalrats und der Klägerin zu besprechen. Ggf. könne in diesem Kontext auch der weitere berufliche Werdegang der Klägerin erörtert werden.
Am 2. Dezember 2010 wurde die Klägerin daraufhin auf eine Planstelle in der Abteilung XXXX umgesetzt.
Laut einem Ereignisvermerk des Leiters der Abteilung XX des Beklagten soll am 14. Februar 2012 ein Gespräch zwischen ihm selbst, dem Leiter des Amtes X und Herrn B, interkultureller Berater der Stadt I, mit der Klägerin stattgefunden haben. In dem Vermerk heißt es: „Herr B hat danach mit Frau F gesprochen. Das Gespräch zeigte keine Wirkung auf ihr Verhalten.“
Mit Schreiben vom 29. Mai 2012 beantragte die Klägerin beim Beklagten – offensichtlich mit Blick auf das am 22. August 2012 anstehende Ende des Zeitarbeitsverhältnisses – ihre Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. In dem Schreiben wies sie darauf hin, dass sämtliche Kollegen desselben Ausbildungsjahrgangs, die mit ihr zusammen in befristete Arbeitsverhältnisse übernommen worden seien, mittlerweile in Beamtenverhältnisse übernommen worden seien, während dies bei ihr aufgrund des Tragens eines Kopftuchs nicht geschehen sei.
Am 31. Juli 2012 fand ein Gespräch zwischen der Klägerin, dem Leiter des Amtes X und dem Leiter der Abteilung XX statt. Zu diesem heißt es in einem Vermerk des Leiters der Abteilung XX vom selben Tag: Gegenstand des Gesprächs sei der auslaufende Zeitarbeitsvertrag gewesen. Aufgrund der nicht eingehaltenen Vereinbarungen zum Kopftuchtragen in der Dienstzeit und der seinerzeitigen Zusage, es bei dienstlichen Tätigkeiten auch abzunehmen, beabsichtige die Verwaltung keine Verlängerung des Vertrages bzw. Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Die Klägerin habe deutlich herausgestellt, dass es eine persönliche Entwicklung in ihrem Leben gegeben habe, die dazu geführt habe, dass sie das Kopftuch dauerhaft ohne Einschränkungen tragen werde. Dies habe sich bei ihr so entwickelt und sie sei sich dessen sicher. Das wolle sie heute klarstellen. Diese Entwicklung – das wisse sie – sei völlig anders gelaufen als das, was von ihr im Vorstellungsgespräch am 18. April 2007 den Verwaltungsvertretern zugesagt worden sei. Alle bisherigen Zusagen, nämlich die Abnahme des Kopftuchs bei dienstlichen Tätigkeiten, seien obsolet. Daraufhin sei der Klägerin gesagt worden, dass nicht beabsichtigt sei, sie in das Beamtenverhältnis zu übernehmen.
Mit E-Mail vom selben Tag bat die Klägerin den Beklagten um Übersendung einer schriftlichen Begründung seiner Entscheidung.
Am 3. August 2012 machte der Beklagte der Klägerin nach Intervention seines Personalrats noch ein Angebot für einen neuen Zeitarbeitsvertrag mit Beschäftigung im in seiner Mitträgerschaft stehenden Jobcenter, welches die Klägerin jedoch am 9. August 2012 ablehnte und um Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses bat.
Am 22. August 2012 – dem Tag der Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten – hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel der Übernahme als Beamtin auf Probe durch den Beklagten.
Zu den tatsächlichen Hintergründen bringt sie vor: Als Muslima trage sie aus religiösen Gründen ein Kopftuch. Sie bekenne sich freiwillig und aus Überzeugung zum Islam. Sie bete regelmäßig und faste im Monat Ramadan. Im Sinne ihrer Religionsausübung fühle sie sich als Frau mit Kopftuch wohler. Ihr sei dabei bewusst, dass der „Wohlfühlfaktor“ bei der Bekleidung eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht von Bedeutung sein könne. Jedoch trage sie das Kopftuch nicht aus modischen, sondern aus religiösen Gründen.
Im Vorstellungsgespräch vom 18. April 2007, zu dem sie mit Kopftuch erschienen sei, habe sie von sich aus nachgefragt, ob das Tragen des Kopftuchs ein Problem sei. Sie habe die Bereitschaft bekundet, lediglich bei dienstlichen Problemen ihr Kopftuch abzunehmen. Schriftliche Zusagen in diesem Zusammenhang habe sie nicht erteilt. Man habe ihr mitgeteilt, dass das Tragen des Kopftuchs in bestimmten, insbesondere publikumsintensiven Bereichen Schwierigkeiten mit sich bringen könne, dass dies jedoch nicht sein müsse.
Während der dreijährigen Ausbildung habe sie sodann während der Dienstzeit ein Kopftuch getragen. Aufgrund dessen sei es in keiner der mehreren Abteilungen, in der sie tätig gewesen sei, zu Schwierigkeiten gekommen. Da das Kopftuchtragen während der gesamten Ausbildung und auch darüber hinaus nicht problematisch diskutiert worden sei, sei sie davon ausgegangen, dass ihre Dienstausübung mit dem Tragen eines Kopftuchs vereinbar sei. …
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2013/26_K_5907_12_Urteil_20131108.html
März 13, 2015 um 8:07 pm
NRW: Kopftuchverbot franst aus:
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DER SPIEGEL 12.03.2015
Bundesverfassungsgericht: Karlsruher Richter schränken Kopftuchverbot ein
… Laut „taz“ haben die Karlsruher Richter nun entschieden, dass das Verbot in NRW „verfassungskonform einzuschränken“ sei. Künftig soll keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden mehr genügen, vielmehr muss eine „hinreichend konkrete Gefahr“ von den jeweiligen Kopftüchern ausgehen. Eine Kopftucherlaubnis ist das nicht.
… die Karlsruher Richter … kippen eine Klausel im NRW-Schulgesetz, die für die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte und Traditionen“ eine privilegierte Behandlung vorsieht. Diese Privilegierung sei eine Benachteiligung aus religiösen Gründen, zitiert die „taz“ aus dem Richterspruch.
Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht vor zwölf Jahren in der Kopftuch-Frage geurteilt. Damals gestatteten die Richter einer muslimischen Lehrerin das Kopftuch, solange die Länder das nicht per Gesetz verbieten. Dabei seien auch „gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit“ möglich, urteilten die Richter 2003. Wenig später erließen mehrere Bundesländer teils rigide Kopftuchverbote. Zumindest an den Gesetzgeber in NRW ergeht nun der Auftrag, sein Gesetz neu und entsprechend des aktuellen Kopftuch-Urteils aus Karlsruhe weniger drastisch zu formulieren.
Eigentlich sollte das Urteil erst am Freitag veröffentlicht werden. Durch eine Panne in der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts („aufgrund eines internen Versehens“) war die Pressemitteilung bereits am Donnerstag bekannt geworden.
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/kopftuchverbot-wird-vom-bundesverfassungsgericht-eingeschraenkt-a-1023263.html
März 13, 2015 um 9:23 pm
Kein pauschales Kopftuchverbot
von: Christian Rath, in: taz: 12.03.2015
FREIBURG taz | Ein pauschales Kopftuchverbot bei Lehrkräften ist nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar. Das hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden. Eine entsprechende Grundsatzentscheidung wird an diesem Freitag veröffentlicht. Aufgrund einer Computerpanne des Gerichts wurde der Kern des Beschlusses allerdings schon am Donnerstag bekannt.
Geklagt hatten zwei muslimische Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen, die in der Schule aufgrund ihres Glaubens eine Kopfbedeckung tragen wollten. Eine trug ein klassisches Kopftuch, die andere eine Art Mütze. Damit verstießen sie aber nach Ansicht der Behörden gegen das nordrhein-westfälische Schulgesetz. Dort werden den Lehrkräften religiöse „Bekundungen“ verboten, die geeignet sind, die Neutralität des Landes und den Schulfrieden zu gefährden. Eine Klägern wurde gekündigt, die andere abgemahnt.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass dieses Verbot „verfassungskonform einzuschränken“ ist. Künftig soll keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden mehr genügen, vielmehr muss eine „hinreichend konkrete Gefahr“ von den jeweiligen Kopftüchern ausgehen.
Eine generelle Kopftucherlaubnis ist das allerdings nicht. Sollten … Eltern gegen eine erkennbar muslimische Lehrerin Proteste organisieren, könnte darin eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden gesehen werden, die ein Kopftuchverbot im konkreten Fall doch erlaubt. (…)
http://www.taz.de/!156328/
März 13, 2015 um 10:14 pm
Bundesverfassungsgericht
Pressemitteilung Nr. 14/2015 vom 13. März 2015
Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen ist mit der Verfassung nicht vereinbar
Beschluss vom 27. Januar 2015
1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist. § 57 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes sind daher verfassungskonform dahingehend einzuschränken, dass von einer äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen muss, um ein Verbot zu rechtfertigen. § 57 Abs. 4 Satz 3 des Schulgesetzes, der als Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen konzipiert ist, verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG) und ist daher nichtig. Die Entscheidungen der Arbeitsgerichte in den Ausgangsverfahren genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht; der Senat hat sie aufgehoben und die Verfahren an die Landesarbeitsgerichte zurückverwiesen. Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen; Richter Schluckebier und Richterin Hermanns haben ein Sondervotum abgegeben. Vizepräsident Kirchhof hat an dem Verfahren nicht mitgewirkt (vgl. Pressemitteilung Nr. 22/14 vom 13. März 2014). Richterin Hermanns ist durch Los als Vertreterin bestimmt worden. Den Vorsitz hat Richter Gaier als dienstältester Richter geführt.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen von den Arbeitsgerichten bestätigte Sanktionen wegen der Weigerung der Beschwerdeführerinnen, im Schuldienst ein aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch beziehungsweise eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze abzulegen. Sie richten sich zugleich mittelbar gegen § 57 Abs. 4 und § 58 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 13. Juni 2006 (SchulG NW).
Nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW dürfen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Nach Satz 2 ist insbesondere ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Gemäß Satz 3 widerspricht die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach der Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Diese Regelungen gelten nach § 58 Satz 2 SchulG NW entsprechend für sonstige im Landesdienst stehende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Beide Beschwerdeführerinnen sind Musliminnen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 471/10 ist seit 1997 als Sozialpädagogin in einer öffentlichen Gesamtschule des Landes Nordrhein-Westfalen angestellt. Einer Aufforderung der Schulbehörde, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen, kam sie nach, ersetzte es aber durch eine rosafarbene handelsübliche Baskenmütze mit Strickbund und einen gleichfarbigen Rollkragenpullover als Halsabdeckung. Die Schulbehörde erteilte ihr daraufhin eine Abmahnung. Die arbeitsgerichtliche Klage hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1181/10 trat 2001 als angestellte Lehrerin in ein Arbeitsverhältnis mit dem Land Nordrhein-Westfalen ein. An mehreren Schulen erteilte sie muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache. Nachdem sich die Beschwerdeführerin weigerte, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen, sprach das Land zunächst eine Abmahnung und dann die Kündigung aus. Die dagegen gerichteten Klagen der Beschwerdeführerin blieben vor den Arbeitsgerichten ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind im Wesentlichen begründet.
1. § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 und § 58 Satz 2 SchulG NW sind in den Fällen religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen nur nach Maßgabe einer einschränkenden Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.
a) Das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die staatlichen Organe dürfen jedoch prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt. Dies ist bei den Beschwerdeführerinnen der Fall. Es kommt dabei nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist und andere Richtungen des Islam ein als verpflichtend geltendes Bedeckungsgebot nicht kennen. Es genügt, dass diese Betrachtung unter den verschiedenen Richtungen des Islam verbreitet ist und insbesondere auf zwei Stellen im Koran zurückgeführt wird.
b) Der Eingriff in die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerinnen wiegt schwer. Sie berufen sich nicht nur auf eine religiöse Empfehlung. Vielmehr haben sie plausibel dargelegt, dass es sich für sie – entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam – um ein imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG), so dass ein Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstellen kann (Art. 12 Abs. 1 GG). Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG).
c) Dieser Eingriff ist unverhältnismäßig, wenn die Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW durch die Arbeitsgerichte zugrunde gelegt wird, nach der eine bloß abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität für die Untersagung genügt.
aa) Der nordrhein-westfälische Landesschulgesetzgeber verfolgt mit dem Verbot äußerer religiöser Bekundungen in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW legitime Ziele. Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit Konflikten von vornherein vorzubeugen.
bb) Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen verfügt der Gesetzgeber zwar über eine Einschätzungsprärogative. Allerdings muss er ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts des pädagogischen Personals auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wahren wie er bei einer Gesamtabwägung die Grenze der Zumutbarkeit beachten muss.
(1) Das Tragen einer religiös konnotierten Bekleidung ist nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zu beeinträchtigen. Solange die Lehrkräfte nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, werden diese lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird. Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider.
(2) Aus dem Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) ergibt sich nichts anderes. Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich hieraus nicht herleiten.
(3) Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Ausübung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen. Er vermag ein Verbot solchen äußeren Verhaltens, das auf ein nachvollziehbar als imperativ verstandenes Glaubensgebot zurückgeht, erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist.
(a) Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule.Die bloße Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte wird durch die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates nicht ohne Weiteres ausgeschlossen.
(b) Das strikte und landesweite Verbot einer äußeren religiösen Bekundung, das bloß an eine ab-
strakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität anknüpft, ist jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgerinnen nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Denn mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen ist – anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerinnen einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leisten. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung ein erheblich größeres Gewicht als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre.
Anders verhält es sich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt. Dann wäre es ihnen zumutbar, von der Befolgung eines nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots Abstand zu nehmen. Darüber hinaus kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht wird. Zunächst wird dann jedoch eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit der Betroffenen in Betracht zu ziehen sein.
Solange der Gesetzgeber dazu aber keine differenziertere Regelung trifft, kann eine Verdrängung der Glaubensfreiheit von Lehrkräften nur dann als angemessener Ausgleich der in Rede stehenden Verfassungsgüter in Betracht kommen, wenn wenigstens eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden belegbar ist. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, dass es gerade die Aufgabe namentlich der als „bekenntnisoffen“ bezeichneten Gemeinschaftsschule ist, den Schülerinnen und Schülern Toleranz auch gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln. Dieses Ideal muss gelebt werden dürfen, auch durch das Tragen von Bekleidung, die mit Religionen in Verbindung gebracht wird, wie neben dem Kopftuch etwa die jüdische Kippa, das Nonnen-Habit oder auch Symbole, wie das sichtbar getragene Kreuz. Allein das Tragen eines islamischen Kopftuchs begründet eine solche hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht. Vom Tragen eines islamischen Kopftuchs geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Auch wenn es von der Mehrheit muslimischer Frauen nicht getragen wird, ist ein islamisches Kopftuch in Deutschland nicht unüblich. Seine bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in der Schule als Folge individueller Grundrechtswahrnehmung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben.
d) Diese Auslegungsmaßgaben gelten entsprechend für § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW. Mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist die Annahme verfehlt, schon das Tragen eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen, auf eine Glaubenszugehörigkeit hindeutenden Kopfbedeckung sei schon für sich genommen ein Verhalten, das gemäß § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW bei den Schülern oder den Eltern ohne Weiteres den Eindruck hervorrufen könne, dass die Person, die es trägt, gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete. Diese pauschale Schlussfolgerung verbietet sich. Wenn das Tragen des Kopftuchs etwa als Ausdruck einer individuellen Kleidungsentscheidung, von Tradition oder Identität erscheint, oder die Trägerin als Muslimin ausweist, die die Regeln ihres Glaubens, insbesondere das von ihr als verpflichtend verstandene Bedeckungsgebot, strikt beachtet, lässt sich das ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Distanzierung von den in § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW genannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen interpretieren. Auch den Glaubensrichtungen des Islam, die das Tragen des Kopftuchs zur Erfüllung des Bedeckungsgebots verlangen, aber auch genügen lassen, kann nicht unterstellt werden, dass sie von den Gläubigen ein Auftreten gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung fordern, erwarten oder auch nur erhoffen.
e) Die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte, namentlich die des Bundesarbeitsgerichts, werden der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht. Sie verletzen die Beschwerdeführerinnen daher in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
2. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW, der vom Gesetzgeber als Privilegierungsbestimmung zu Gunsten der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen gewollt ist, stellt eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Angehörigen anderer Religionen aus Gründen des Glaubens und der religiösen Anschauungen dar (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG).
a) Die Gesamtkonzeption des § 57 Abs. 4 SchulG NW sollte nach den Vorstellungen, die im Gesetzgebungsverfahren hervorgetreten sind, in Satz 3 der Regelung eine Freistellung vom Verbot äußerer religiöser Bekundungen des Satzes 1 und damit eine unmittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion bewirken. Eine solche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Werden äußere religiöse Bekundungen durch das pädagogische Personal in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen.
b) Tragfähige Gründe für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Wenn vereinzelt geltend gemacht wird, im Tragen eines islamischen Kopftuchs sei vom objektiven Betrachterhorizont her ein Zeichen für die Befürwortung einer umfassenden auch rechtlichen Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu sehen und deshalb stelle es auch die Eignung der Trägerin für pädagogische Berufe infrage, so verbietet sich eine derart pauschale Schlussfolgerung. Ein solcher vermeintlicher Rechtfertigungsgrund muss darüber hinaus schon daran scheitern, dass er bei generalisierender Betrachtung keineswegs für alle nicht-christlich-abendländischen Kulturwerte und Traditionen einen Differenzierungsgrund anbieten kann.
c) Ebenso wenig ergeben sich für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrages rechtfertigt es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit bei der Statuierung von Dienstpflichten zu bevorzugen. Soweit den landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen ein christlicher Bezug des staatlichen Schulwesens entnommen werden kann, soll sich dies auf säkularisierte Werte des Christentums beziehen.
d) Eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW, wie sie das Bundesarbeitsgericht seinen Entscheidungen zu Grunde gelegt hat, ist nicht möglich. Das Bundesarbeitsgericht hat unter anderem darauf abgestellt, dass die „Darstellung“ christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte im Sinne des Satzes 3 nicht gleichzusetzen sei mit der „Bekundung“ eines individuellen Bekenntnisses im Sinne des Satzes 1. Zudem bezeichne der Begriff des „Christlichen“ eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt. Eine solche Auslegung überschreitet jedoch die Grenzen verfassungskonformer Norminterpretation und ist mit der richterlichen Gesetzesbindung nicht vereinbar (Art. 20 Abs. 3 GG). Ihr steht der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen. Dieser Wille hat sich nicht durch die vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Erörterung der Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung verändert; diese lässt lediglich erkennen, dass der Landtag sich des verfassungsrechtlichen Risikos bewusst war.
In der vom Bundesarbeitsgericht gewählten Auslegung kommt der Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW allenfalls noch klarstellende Funktion zu. Dessen ungeachtet bleibt bei dieser Auslegung aber eine Norm in Kraft, die bei einem ihrem Wortlaut nach möglichen weiteren Verständnis als Öffnung für eine diskriminierende Verwaltungspraxis verstanden werden könnte und deren diesbezügliche Unschärfe im Gesetzgebungsverfahren bewusst hingenommen wurde. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW, auf dem die angegriffenen Entscheidungen ebenfalls beruhen, ist hiernach für mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG unvereinbar und nichtig zu erklären.
Abweichende Meinung des Richters Schluckebier und der Richterin Hermanns
1. Die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie misst der Bedeutung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie dem Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler im Verhältnis zur Glaubensfreiheit der Pädagogen zu geringes Gewicht bei. Der Senat beschneidet in nicht akzeptabler Weise den Spielraum des Landesschulgesetzgebers bei der Ausgestaltung des multipolaren Grundrechtsverhältnisses, das gerade die bekenntnisoffene öffentliche Schule besonders kennzeichnet.
a) Der Senat entfernt sich von den Maßgaben und Hinweisen der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Landesschulgesetzgeber gerade für den Bereich der öffentlichen Schule die Aufgabe zuschreibt, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält. Die Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers schließt die Möglichkeit ein, auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden. Diese Maßgaben, die der Schulgesetzgeber in Nordrhein-Westfalen wie auch in anderen Ländern zum Anlass für eine entsprechende gesetzliche Regelung genommen hat, wären der verfassungsrechtlichen Beurteilung auch im Interesse einer berechenbaren Verfassungsrechtsprechung zugrunde zu legen gewesen.
b) Der Landesschulgesetzgeber kann gute und tragfähige Gründe für sich in Anspruch nehmen, die schon die abstrakte Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität für das in Rede stehende generelle Verbot religiöser Bekundungen auch durch das äußere Erscheinungsbild genügen lassen. Auch eine solche Lösung für die Umsetzung des vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Ziels ist als angemessen und zumutbar zu beurteilen.
aa) Die Bewertung des Senats, das Tragen religiös konnotierter Bekleidung durch Pädagoginnen und Pädagogen beeinträchtige die negative Glaubensfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie das Elterngrundrecht nicht, halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Aufgabe der Lehrpersonen ist es unter anderem, die Schüler zu erziehen und zu beurteilen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Dies bedingt ein weitaus stärkeres Ausgesetztsein gegenüber religiösen Bekundungen als es bei Begegnungen im gesellschaftlichen Alltag der Fall ist. Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Deren Verhalten, auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln, trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind. Eine wirklich offene Diskussion über die Befolgung religiöser Bekleidungsregeln wird, wenn Lehrpersonen persönlich betroffen sind, in dem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis der Schule allenfalls begrenzt möglich sein. Schließlich kann das Tragen religiös konnotierter Kleidung durch Pädagogen zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen und sie befördern.
bb) Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität.
cc) Der Gesetzgeber konnte sich bei seiner Entschließung für ein weitgehend schon vorbeugendes Verbot auch auf die Einschätzung sachkundiger Pädagogen bei den Anhörungen in verschiedenen Landtagen stützen. Die Stellungnahmen verdeutlichen die Bedeutung eines generellen, etwa auch landesweiten und -einheitlichen Verbots religiöser Bekundungen schon bei abstrakter Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität. Zudem liegt auf der Hand, dass mit einer Einschränkung auf eine hinreichend konkrete Gefahr in der Schulpraxis in stärkerem Maße Befund-
erhebungs- und Beweisführungsprobleme erwachsen. Diese sind von der Schulverwaltung notwendig unter Beteiligung der Schüler und Eltern auszutragen und verstärken eine dem Erziehungsauftrag eher abträgliche Personalisierung des etwaigen Konflikts.
dd) Eine Bewertung, die allein darauf abstellt, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurück gehe, greift zu kurz. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blendet die Wirkung aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schüler haben kann.
c) Zusammengefasst ist nach unserem Dafürhalten die Untersagung religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen schon bei einer abstrakten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist einschränkend allerdings zu verlangen, dass es sich um eine religiös konnotierte Kleidung von starker Ausdruckskraft handeln muss. Es steht dem Landesschulgesetzgeber von Verfassungs wegen jedoch auch offen, religiöse Bezüge in weitem Maße zuzulassen, etwa wenn er dies im Interesse einer Erziehung zu Toleranz und Verständnis für angemessen erachtet. Verpflichtet ist er dazu von Verfassungs wegen indessen nicht.
2. Das vom Bundesarbeitsgericht zugrunde gelegte Normverständnis des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW, wonach die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags der Schule nach der nordrhein-westfälischen Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Verhaltensgebot nach Satz 1 nicht widerspricht, wahrt die Grenzen richterlicher Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Senat ist darin zuzustimmen, dass ein Verständnis des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW im Sinne einer echten Freistellungs- und Privilegierungsklausel zum Bekundungsverbot des Satzes 1 wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot verfassungswidrig wäre. Die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung vermeidet ein solches Ergebnis jedoch. Sie steht mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang, widerspricht keineswegs dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und bestimmt auch den normativen Gehalt der Regelung nicht grundlegend neu. Es trifft zwar zu, dass die Gesetzesinitiatoren mit Satz 3 der Vorschrift zunächst die Vorstellung verbanden, anders als das islamische Kopftuch etwa könnten bestimmte traditionelle, im christlichen oder jüdischen Glauben wurzelnde Bekleidungsformen zugelassen werden. Diese Ursprungsvorstellungen haben im weiteren Verlauf des von vielfältigen Einflüssen bestimmten Gesetzgebungsverfahrens jedoch einen Wandel erfahren. Zudem hat der Landtag das Gesetz in Ansehung der einschränkenden Auslegung beschlossen, die das Bundesverwaltungsgericht schon damals zu einer identischen Regelung vorgenommen hatte und der sich das Bundesarbeitsgericht in den angegriffenen Entscheidungen angeschlossen hat.
3. Auch nach unserer Auffassung wäre die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 471/10 im Ergebnis für begründet zu erachten gewesen. Die von ihr getragene Bedeckung, eine Wollmütze und ein gleichfarbiger Rollkragenpullover, ist nicht aus sich heraus religiös konnotiert und wird auch im gegebenen Umfeld der Schule nicht ohne Weiteres als religiöse Bekundung von starker Ausdruckskraft deutbar sein. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1181/10 erscheint dagegen nach den vorgenannten Maßstäben unbegründet.
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/bvg15-014.html
März 13, 2015 um 11:05 pm
Thema
Pressemeldung
GEW Nordrhein-Westfalen
KOPFTUCHURTEIL
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„GEW erwartet zügige Änderung des Schulgesetzes
Essen, 13.03.2015 – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen ist nicht mit der Verfassung vereinbar, erklärte heute GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer:
Wir erwarten eine zügige Änderung des Schulgesetzes, mit dem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt wird. Der Konflikt darf dabei nicht in die Schulen verlagert werden. Die Schule ist kein religionsfreier Raum. Es darf aber auch keine Privilegierung christlicher oder abendländischer religiöser Symbole geben.
Die GEW hat allerdings durchaus die Sorge, dass der Druck auf muslimische Schülerinnen, die sich selber gegen ein Kopftuch entscheiden, durch Lehrerinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, erhöht wird.“
http://bildungsklick.de/pm/93404/gew-erwartet-zuegige-aenderung-des-schulgesetzes/
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Aha, es gibt also einen erheblichen Gruppenzwang zum Kopftuchtragen – und die GEW will trotzdem sehr rasch das NRW-Kopftucherlaubnisgesetz und sagt auch gar nichts gegen den Hidschab (islamische verpflichtende Bedeckung der Frau).
[*Sarkasmus ein*] Wenn alles schariakonform kuscht, ist Harmionie, ist der Schulfriede hergestellt: „Der Konflikt darf dabei nicht in die Schulen verlagert werden.“
Genau. man merke sich doch:
100 % Kalifat = 0 % Konflikt
[*Sarkasmus aus*]
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Schulministerin Sylvia Löhrmann begrüßte das Urteil: „Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die im Jahr 2006 auf Initiative der Vorgängerregierung ins Schulgesetz eingefügte Regelung zum Kopftuchverbot gegen das Grundgesetz verstößt. Damit besteht nun in einer seit Jahren streitigen Frage Rechtssicherheit: Ein generelles gesetzliches Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist mit der von unserer Verfassung gewährleisteten Religionsfreiheit nicht vereinbar. Wir werden nun unverzüglich prüfen, welche Konsequenzen aus den Entscheidungen im Einzelnen zu ziehen sind. Hierzu müssen die differenzierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig ausgewertet werden. Dann werden wir alle erforderlichen rechtlichen Schritte zügig einleiten.“
Löhrmann abschließend: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist auch ein wichtiges Signal für die Lehrerinnen, die derzeit für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet werden. Sie haben jetzt für die Arbeit in unseren Schulen eine klare Perspektive. Ich freue mich sehr über das Urteil, schließlich gehört für uns in Nordrhein-Westfalen der Islam zu einer multireligiösen Gesellschaft dazu.“
http://bildungsklick.de/pm/93392/nrw-wird-entscheidung-unmittelbar-umsetzen/
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[Schlimm. Deutschland springt energisch in Richtung Allahkratie]
März 14, 2015 um 12:44 am
(aus: DIE WELT 13.03.2015)
Buschkowsky sieht Kopftuch-Urteil als „Katastrophe“
Heinz Buschkowsky, der scheidende Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, hat das Urteil zum Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen als groben Fehler kritisiert. „Ich empfinde das Urteil als Katastrophe“, sagte der SPD-Politiker im RBB-Inforadio.
Das Bundesverfassungsgericht stelle die Religionsfreiheit Einzelner über das staatliche Gebot wertneutralen Handelns. „Ich halte das für ein Zurückweichen, für die Preisgabe eines elementaren Bausteins unserer Gesellschaft“, sagte Buschkowsky. Das Urteil erschwere den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus.
Seine designierte Nachfolgerin, Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD), betonte, in Neukölln gebe es schon jetzt „Ethnienhierarchien zwischen einzelnen Schülergruppen“ und Konflikte bei der Frage, wie sich Mädchen religiös korrekt zu verhalten hätten. In dieser Situation sei es von großer Bedeutung, dass Lehrer sich weltanschaulich neutral verhielten. …
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zeigte sich ebenfalls kritisch. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte der innenpolitische Experte, das Tragen eines Kopftuches von einer Lehrerin sei „nicht nur Ausdruck der persönlichen religiösen Überzeugung, sondern ein bewusstes Zeichen der Abgrenzung zur kulturellen Tradition Deutschlands“.
Bosbach befürchtet durch das Verbot pauschaler Regelungen in Landesgesetzen zudem, dass das Problem in den Schulalltag und hin zu den Schulleitern verlagert werde. Es stelle sich die Frage, wie rechtssicher festgestellt werden kann, ob der Schulfrieden gestört ist. Auch der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, fürchtet Belastungen für das Personal an Schulen, weil nun jeder Einzelfall geprüft werden müsse. …
http://www.welt.de/politik/deutschland/article138399587/Buschkowsky-sieht-Kopftuch-Urteil-als-Katastrophe.html
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(aus: FOCUS 13.03.2015)
„Halte das für ein Zurückweichen“, „Katastrophe“: Buschkowsy wettert gegen Kopftuch-Urteil
„Ich halte das für ein Zurückweichen, für die Preisgabe eines elementaren Bausteins unserer Gesellschaft“, sagte Buschkowsky. Religionsfreiheit habe da ihr Ende, wo sie in allgemein anerkannte Lebensregeln eingreife, betonte er. Dies gelte insbesondere für die staatliche Schule. Das Urteil erschwere den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus. …
http://www.focus.de/politik/deutschland/urteil-ist-eine-katastrophe-buschkowsy-kritisiert-kopftuchurteil-scharf_id_4543958.html
März 14, 2015 um 7:51 am
Abweichende Meinung des Richters Schluckebier und der Richterin Hermanns zur Beschwerde 1 BvR 1181/10
1. Die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie misst der Bedeutung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie dem Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler im Verhältnis zur Glaubensfreiheit der Pädagogen zu geringes Gewicht bei. Der Senat beschneidet in nicht akzeptabler Weise den Spielraum des Landesschulgesetzgebers bei der Ausgestaltung des multipolaren Grundrechtsverhältnisses, das gerade die bekenntnisoffene öffentliche Schule besonders kennzeichnet.
a) Der Senat entfernt sich von den Maßgaben und Hinweisen der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Landesschulgesetzgeber gerade für den Bereich der öffentlichen Schule die Aufgabe zuschreibt, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält. Die Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers schließt die Möglichkeit ein, auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden. Diese Maßgaben, die der Schulgesetzgeber in Nordrhein-Westfalen wie auch in anderen Ländern zum Anlass für eine entsprechende gesetzliche Regelung genommen hat, wären der verfassungsrechtlichen Beurteilung auch im Interesse einer berechenbaren Verfassungsrechtsprechung zugrunde zu legen gewesen.
b) Der Landesschulgesetzgeber kann gute und tragfähige Gründe für sich in Anspruch nehmen, die schon die abstrakte Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität für das in Rede stehende generelle Verbot religiöser Bekundungen auch durch das äußere Erscheinungsbild genügen lassen. Auch eine solche Lösung für die Umsetzung des vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Ziels ist als angemessen und zumutbar zu beurteilen.
aa) Die Bewertung des Senats, das Tragen religiös konnotierter Bekleidung durch Pädagoginnen und Pädagogen beeinträchtige die negative Glaubensfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie das Elterngrundrecht nicht, halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Aufgabe der Lehrpersonen ist es unter anderem, die Schüler zu erziehen und zu beurteilen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Dies bedingt ein weitaus stärkeres Ausgesetztsein gegenüber religiösen Bekundungen als es bei Begegnungen im gesellschaftlichen Alltag der Fall ist. Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Deren Verhalten, auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln, trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind. Eine wirklich offene Diskussion über die Befolgung religiöser Bekleidungsregeln wird, wenn Lehrpersonen persönlich betroffen sind, in dem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis der Schule allenfalls begrenzt möglich sein. Schließlich kann das Tragen religiös konnotierter Kleidung durch Pädagogen zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen und sie befördern.
bb) Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität.
cc) Der Gesetzgeber konnte sich bei seiner Entschließung für ein weitgehend schon vorbeugendes Verbot auch auf die Einschätzung sachkundiger Pädagogen bei den Anhörungen in verschiedenen Landtagen stützen. Die Stellungnahmen verdeutlichen die Bedeutung eines generellen, etwa auch landesweiten und -einheitlichen Verbots religiöser Bekundungen schon bei abstrakter Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität. Zudem liegt auf der Hand, dass mit einer Einschränkung auf eine hinreichend konkrete Gefahr in der Schulpraxis in stärkerem Maße Befund-
erhebungs- und Beweisführungsprobleme erwachsen. Diese sind von der Schulverwaltung notwendig unter Beteiligung der Schüler und Eltern auszutragen und verstärken eine dem Erziehungsauftrag eher abträgliche Personalisierung des etwaigen Konflikts.
dd) Eine Bewertung, die allein darauf abstellt, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurück gehe, greift zu kurz. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blendet die Wirkung aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schüler haben kann.
c) Zusammengefasst ist nach unserem Dafürhalten die Untersagung religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen schon bei einer abstrakten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist einschränkend allerdings zu verlangen, dass es sich um eine religiös konnotierte Kleidung von starker Ausdruckskraft handeln muss. Es steht dem Landesschulgesetzgeber von Verfassungs wegen jedoch auch offen, religiöse Bezüge in weitem Maße zuzulassen, etwa wenn er dies im Interesse einer Erziehung zu Toleranz und Verständnis für angemessen erachtet. Verpflichtet ist er dazu von Verfassungs wegen indessen nicht.
2. Das vom Bundesarbeitsgericht zugrunde gelegte Normverständnis des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW, wonach die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags der Schule nach der nordrhein-westfälischen Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Verhaltensgebot nach Satz 1 nicht widerspricht, wahrt die Grenzen richterlicher Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Senat ist darin zuzustimmen, dass ein Verständnis des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW im Sinne einer echten Freistellungs- und Privilegierungsklausel zum Bekundungsverbot des Satzes 1 wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot verfassungswidrig wäre. Die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung vermeidet ein solches Ergebnis jedoch. Sie steht mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang, widerspricht keineswegs dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und bestimmt auch den normativen Gehalt der Regelung nicht grundlegend neu. Es trifft zwar zu, dass die Gesetzesinitiatoren mit Satz 3 der Vorschrift zunächst die Vorstellung verbanden, anders als das islamische Kopftuch etwa könnten bestimmte traditionelle, im christlichen oder jüdischen Glauben wurzelnde Bekleidungsformen zugelassen werden. Diese Ursprungsvorstellungen haben im weiteren Verlauf des von vielfältigen Einflüssen bestimmten Gesetzgebungsverfahrens jedoch einen Wandel erfahren. Zudem hat der Landtag das Gesetz in Ansehung der einschränkenden Auslegung beschlossen, die das Bundesverwaltungsgericht schon damals zu einer identischen Regelung vorgenommen hatte und der sich das Bundesarbeitsgericht in den angegriffenen Entscheidungen angeschlossen hat.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1181/10 erscheint … nach den vorgenannten Maßstäben unbegründet.