الإشتراكية
al-ischtirākiyyah,
Sozialismus
Mithra, Mani, Marx
Eine Sozialismuskritik von Jacques Auvergne
Mit Marx gegen Mohammed? Ein Austausch von »al-Koran« gegen »Das Kapital« scheint für einige Dynamiker oder Idealisten im Iran oder bei den im Exil lebenden Iranern eine Verlockung zu sein und ihren berechtigten Kampfgeist gegen das Unrechtsregime der Mullahs zu beflügeln. Wäre eine sozialistische Wende für den Iran ein nachhaltiger Gewinn?
Scharia bringt zwischen Somalia, Pakistan, Teheran und Kairo nichts anderes als Versklavung des Ungläubigen und der Frau hervor, installiertes islamisches Recht ist geheiligte Barbarei. So viel ist klar. Dazu kommt, dass der Großinquisitor Chāmene’ī und der oberste diensthabende Faschist Ahmadīnedschād mitsamt der gespenstischen Armee der Pāsdārān und den seit drei Wochen täglich überall im Iran sadistisch prügelnden Amateuren der Basīdsch (1) an ihrem verwerflichen Tun gehindert werden müssen, damit die überwiegende Mehrheit der Iraner den Weg in ein selbst bestimmtes Leben beschreiten kann. Auch das leuchtet also ein, das Mullah-Regime muss weg. Da könnte uns doch ein am 5. Mai 1818 in Trier an der Mosel geborener Gesellschaftskritiker und (damit) Religionskritiker den Weg frei machen? Meister Marx meinte:
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“
Dieses Wort von Karl Marx scheint doch zur seit islamischen Jahrhunderten selbstverständlich gewordenen, von Männern wie Frauen, Vätern wie Müttern gleichermaßen stumpfsinnig hingenommenen Beschreibung der schiitischen Eheschließung und Familienkonzeption bestens zu passen, und ebenso zur Tatsache der zum pervertierten Glauben an das märchenhafte Paradies verhetzten und zum Selbstmord verführten Tausenden von Jugendlichen, die, ab 1982, im iranisch-irakischen Krieg über Minenfelder zu laufen hatten. Die Systeme Sowjetunion oder China haben es halt verbockt, mit iranischem Idealismus aber lässt sich Gerechtigkeit samt realisierten gleichheitsfeministischen Frauenrechten auf Erden schaffen: Der Superstaat, die lügenfreie Zone, es werde Licht. Demokratie wird verblassen und als steinzeitlicher Zauber erkannt werden. Parlamentarismus als Verhinderung von Gerechtigkeit. Im Ernst: Bislang ist es so gewesen, dass jeder real existierende Sozialismus dem Individuum keine selbstbestimmte Biographie zugebilligt hat, keine Chance auf politische, sexuelle oder religiöse Selbstverwirklichung.
Zwar benennen auch die Parteien des Kalifats wie Muslimbruderschaft oder Milli Görüş jede freiheitliche Demokratie als Brutstätte der Rückständigkeit, doch das ficht die treuesten Gläubigen der Verwandlung von Islamischen Gesellschaften in sozialistische Gesellschaften nicht an.
Mit Marx gegen Mohammed! Überhaupt, dieser Atheismus, die zarteste Versuchung, seit es Schamanen gibt. Dass sich Mullah und Bischof über jeden Atheisten die Hände reiben und nun das Monopol auf Sinnstiftung (Religion) haben, leuchtet dem Atheisten nicht ein. Dass der Atheist nicht herrschen will, beispielsweise über mich, nehme ich ihm nicht ab. Religion will Herrschaft, das ist ärgerlich genug, doch meist ganz gut ersichtlich. Der Atheismus indes leugnet, ein politischer Kult zu sein. Es gilt dfer Grundsatz: Es gibt kein Machtvakuum.
Angemerkt sei hier, dass die Mohammed-Religion eine ärgerlich versteinerte, politische Kultgemeinschaft ist. Im Islam ist Gehorsamspflicht Sakrament und soziale Knechtschaft Spiritualität. Im Islam sind die höchsten Richter (Sg. al-qāḍī) und Rechtsgutachter (Sg. al-muftī) der Scharia verpflichtet sprich der Gewissensentscheidung entbunden. Wo nicht einmal die Richter frei denken, man vergleiche den revolutionär mittelalterlichen iranischen Wächterrat (shorā-ye negahbān-e qānun-e assāssi), wird der Nichtgelehrte, der muslimische Endverbraucher, ermuntert oder vielmehr unter Androhung von sozialer Ächtung und brutalen Strafen dazu verpflichtet, sein Zwangshandeln (sunna) als Selbstverwirklichung und seine soziale, sexuelle und spirituelle Unterwerfung als Befreiung schönzulügen (arab. taṣauwuf, pers. erfan, islamische Mystik). Du bist nichts, die umma ist alles.
Und wieder scheint Karl Marx ins Schwarze zu treffen: Genau wie angesichts der tugendhaften katholischen Inquisition oder angesichts des frommen Servet-Mörders Calvin: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen!“
Wie Servet, in Genf im Jahr 1553 auf dem reformierten Scheiterhaufen verbrannt, war Calvin ebenso Theologe wie auch Jurist. Es scheint um universelle Menschenrechte nicht gut zu stehen, wenn auf der Tastatur der Schreibmaschine die Tasten Paragraph und Kirchenkreuz nicht zwei verschiedene Tasten sind, sondern eine einzige. Geistige, seelische wie politische Freiheit können nur bei Trennung von Staat und Religionskult erreicht werden.
„Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“ orakelte Marx, er sollte die Selbstkritik dabei besser nicht völlig vergessen haben, doch dürfte der begabte Gesellschaftstheoretiker auch hier unsere islamkritische Zustimmung finden. Denn wenn Deutschland seinen § 166 StGB (Gotteslästerung) nicht gegen den fiqh-Islam und šarī’a-Islam absichert sprich 166 abschafft, werden wir Marx noch hinterher weinen. Soweit Marx überhaupt Menschen zu Marxisten abrichten wollte und nicht doch zu braven skeptischen Bürgern ausbilden, hätte er hier allerdings eine automatische Bremse einbauen müssen. Eine Fahrbahn- oder Geschwindigkeitsbegrenzung, die verhindert, dass sich sein ethisch-ganzheitliches Weltbild zu einem manichäischen, totalitären Kult auswachsen würde mit „wissenschaftlichen“ Hütern der reinen Lehre, nachbarschaftlichen Sittenwächtern (Informeller Mitarbeiter, IM) und moralischen Erziehungsgefängnissen (GULag; Bautzen).
In dem einem alten, dem afropazifisch-orientalischen Menschenbild entstammenden und Hochreligion gewordenen Dualismus zwischen Reinheit und Ekel ist die Funktion der Obrigkeit als Priesterschaft mit ebenso perfekter Tödlichkeit (ridda-Logik, Ehrenmord aus Religion) angelegt wie im mit dem Erstgenannten verwandten, extremen Patriarchalismus etlicher orientalischer Stammes- und Stadtkulturen (nāmūs-Konzept, Ehrenmord aus Tradition).
Der doktrinäre Hass auf den „Bourgois“, „Konterrevolutionär“ oder „Kulak“ ist eine Art geheiligtes Kastensystem. Stammes- und Staatswerdung wird zur kosmischen Dreckbeseitigung, sei es mit Stalinschen Säuberungswellen an hinderlichen Prominenten, Ethnien oder Klassen oder nähme diese irdische Reinigung im Tugendterror der berüchtigten Schönheit des Islam (hisba, dschihād) Gestalt an. Das „Unser Dorf soll schöner werden“ ist ebenso plausibel wie der Traum von der Gleichheit aller Menschen nachvollziehbar ist. Jedoch müssen wir nach den neuen politisch Inkorrekten, nach den im Anschluss an den revolutionären Putsch erneut Ausgegrenzten fragen, nach den künftigen Opfern unseres Tuns.
Politische Doktrin gewordene, totale Gleichheit wird den totalen Terror bedeuten, der Mensch ist eben grundsätzlich machtbesessen und aggressiv.
Das Kristallgefüge der entsubjektivierten Einzelnen ist weder sozialdemokratische Multikultur noch ernst gemeinter interreligiöser Dialog, sondern Kulturrassismus und Theokratie, in der zwischen Rechtssprechung und Gotteslob jede verlässliche Grenze verschwimmt. Der Satan (iblīs, Islamkritiker) muss aus Sicht der Rechtgläubigen sprich Rechthandelnden schließlich eingeschüchtert werden. Dabei ist es einerlei, ob sich dieser Tugendstaat im Kalifat unsichtbaren Himmelsgottes oder als Volksrepublik unsichtbarer Religion inkarniert, ob er im frühmittelalterlichen oder antiken Kastensystem der Jesiden oder Hindus Realität wird oder im theologischen Faschismus (Dschomhūrī-ye Eslāmī) des Iran.
Nichts anderes als eine veritable islamische Theokratie (politischer Islam) ist, trotz Exzentrik, Maskenball, Drogenexzess und Flugzeugsprengung, die so genannte „arabisch-sozialistische“ Dschamahiriyya (ǧamāhīriyya, wörtlich etwa Volksmassenwesen) Libyens. Die Dschamahiriyya ist eine Wortschöpfung und heiligt einen Staat, welcher der rund tausend Jahre alten šarī’a (Scharia) verpflichtet ist, dabei nach Ausweitung strebt und eine panafrikanische khilāfah bzw. khilāfat (Kalifat) anstrebt, so jedenfalls sieht es der Statthalter Allahs in Afrika, Brother Leader, sozialistisch genannt Mu’ammar al-Qaḏḏāfī.
„Demokratie ist auch eine Herrschaftsform!“ rief 2008 eine Exil-Iranerin aus. Allerdings, das stimmt, und deshalb hat selbst der westeuropäische Polizist eine Dienstwaffe und hat die vom perfekten Staat träumende Dame die Hände frei und das Recht auf ihre sämtliche Götter lästernde Rede, ohne gesteinigt oder auf andere Weise der schönen staatlichen Gerechtigkeit zum Opfer zu werden. Und überhaupt, Demokratie ist eine Herrschaftsform und Sozialismus eine Religion.
Die Märtyrerbereitschaft des Dschihadismus, der sich in sozialistischen (al-ištarākī, Substantiv al-ištirākiyyah) Parteien wie der Ba’th (ḥizb al-ba’ṯ al-‚arabī al-ištarākī, Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung) oder in Mahdi-Faschismen auskristallisierende politische Islam und sicherlich auch der radikale Sunna-Fundamentalismus mit seinem fatwā-Gehorsam leitet junge Menschen seit einigen Generationen ungefähr derartig fehl, wie das Licht einer Kerze die nächtliche Motte verführt. Das Selbstzerstören des idealistischen Menschen im kultischen Kollektiv funktioniert bei linken Extremismen sehr ähnlich wie bei den islamischen, und die im Untergrund von Islam, Sozialismus wie Nationalsozialismus schlummernde Lichtreligion des Mithra und Mani ist mit einem revolutionären Trommelwirbel nun wirklich nicht aufzulösen.
Mit Marx gegen Mohammed? Misstraue, Menschlein, deiner Gestaltungskraft, Erleuchtung bringt dir nur das Dienen am Kollektiv? Es werde Licht, und dein Staat werde Kult?
Auf die Welt oder auf das eigene Weltbegreifen ist für Manichäer oder Muslime kein Verlass. Manichäismus oder Islam ist, wie das arabische hamam-Badezimmer oder die islamisierte Küche, Duschkabine oder Toilette, der Raum Entmischung von Dämonie und guten Engeln, Finsternis und Paradies, Dreck und Licht. Menschen dürfen da schon mal verstümmelt oder geopfert werden, sofern die Welt nur sauber wird. Mohammed und Mao waren in diesem manichäischen Sinne große asiatische Saubermacher.
„Wir brauchen die kommunistische Revolution. Erst nach der Revolution sind alle Menschen gleich“, sagte mir eine Exil-Iranerin. Mich säkularen Skeptiker schaute sie dabei so wütend an, wie ein Gottesfreund einen vom Teufel Besessenen nur anschauen könnte, sie wollte mich also nicht gleichbehandeln, sondern strebt nach sozialer Sauberkeit.
Freiheitliche Demokratie jedoch ist wie jede Politik nie ganz sauber. Den alltäglichen Dreck der Korruption, der schwarzen Kassen, der Schliche und des Mobbing nicht vertuschen, sondern bekennen soll der Bürgersinn (Zivilcourage) und die freie Presse. Beides, Zivilcourage oder Pressefreiheit hat es in einer irdisch etablierten Polit-Glaubensbewegung namens Sozialismus noch nicht gegeben.
Europa und Deutschland verdankt Feuerbach und Nietzsche viel und auch der sozialdemokratischen oder auch sozialistischen Strömung von eineinhalb Jahrhunderten, nennen wir Max Horkheimer oder Hannah Arendt. Die aggressive Islambeschönigung, wie sie von einer SPD und einer Partei DIE LINKE in diesen Jahren vielfach betrieben wird, welche die das Individuum total unterdrückende arrangierte Ehe und das geheiligt obszöne Kopftuch verbissen verteidigen, wird dem freiheitlich demokratischen Teil der politischen Ansprüche der europäischen deutschen Linken in keiner Weise gerecht. Selbstverständlich sind viele Exil-Iraner und viele im Iran derzeit bedrohte und oft im Untergrund lebende oder bereits inhaftierte Intellektuelle von den europäischen Vordenkern linker Gesellschaftskritik, nennen wir Feuerbach und Marx, begeistert, mithin von europäischen Denkern und sogar von Denkern aus dem deutschen Sprachraum.
Es dürfte für dreiundsiebzig Millionen Iraner jeder Religion oder Ex-Religion ein Mehr an Glück bringen, dem Iran, der jetzt im Juli 2009 von Verhaftungswellen und Folter, staatsterroristischen Heckenschützen und angeordneten Hinrichtungen erschüttert ist, Säkularität und Parlamentarismus zu wünschen, als von einem „sündlos reinen“ sozialistischen Iran zu träumen.
Jacques Auvergne
(1) Prügeltruppen der Bassidschi. Von Mathias Küntzel: Die Kunst des Märtyrertods. Küntzel ist Politikwissenschaftler und Publizist in Hamburg. Er ist Autor des Buches „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg“, erschienen im Verlag Ça Ira.
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