Posts Tagged ‘Emanzipation’

Risiko Monotheismus

Dezember 23, 2008

Monotheismus: Chancen und Risiken

Himmlischer Personalabbau

Jacques Auvergne

Mathias Schreiber vermutet, ein monotheismus-gereifter Mono-Ethos sei die absolut notwendige Bedingung für soziales, ziviles Zusammenleben und die Weltgemeinschaft „würde am nackten Wolfsverhalten zugrunde gehen“ (DER SPIEGEL 16/2006: Mose Superstar). Nanu, anders als die Menschen, zumal die Monotheisten, leben die Wölfe doch ökonomisch, sozial und ökologisch ausgesprochen ‘nachhaltig‘, und das seit Jahrhunderttausenden – mehr als nur ein fehlerhaftes Gleichnis?

Ähnlich unbesorgt bewertet Mathias Schreiber im selben Essay den sozialen Alltag der alten Stämme, der Naturvölker der vorangegangenen Jahrtausende, „in denen nichts als das Recht des Stärkeren galt“. Hm, einerseits scheint das Faustrecht in Bronx und Rütli-Schule auch zu gelten, und zum anderen durchweht diese Aussage eine Brise von kolonialistischer Arroganz, denn ob Jakuten, Buschmänner, Haida oder Hopi, sie alle lebten (und leben, gerade noch) vermutlich deutlich angst- und gewaltfreier als etwa die abendländischen, monotheistisch begeisterten Calvinisten und Hussiten. Der wesensgemäß kulturrassistische Islam verbreitete sich wohl auch weniger durch logisches Argumentieren über das himmlische Personal als vielmehr durch die Zwangsbesteuerung der folgerichtig (mindestens religionskulturell, wenn nicht gleich physisch) aussterbenden Nichtmuslime in nahezu jedem Gebiet islamisierter Mittelschicht und meist innerhalb von wenigen Jahrhunderten oder gar wenigen Generationen. Zudem ist der Glaubenswechsel eines Muslims etwa zum Buddhismus durch sozialen Druck bzw. persönliche Feigheit nahezu unmöglich, das ist in Kairo nicht anders als in Köln. Auch die im Zusammenhang mit dem legendären Abraham stets irgendwie verklemmt erwähnte männliche Genitalverstümmelung trauen sich erst ganz wenige Jüdinnen, an ihren Söhnen nachhaltig zu unterlassen – der Gott des Macho-Gehirns will offensichtlich Blut sehen. Wie schon bei den Papua und Aborigines, die ja ebenfalls ohne absolute medizinische Indikation kultisch-religiöse Amputationen, verharmlosend Beschneidung genannt, am symbolisch ’männlichsten aller Körperteile’ vornehmen. Sinnvolles zum Thema Islam und Jungenbeschneidung ist bislang kaum jemals geschrieben worden, löbliche Ausnahme ist Necla Kelek: Die verlorenen Söhne – Plädoyer zur Befreiung des muslimischen Mannes.

Der Weg in den Monotheismus, der Weg zum eifersüchtigen himmlischen Griesgram war eine Subtraktion, ein himmlischer Personalabbau – nicht zuletzt flogen ja die Göttinnen vom Thron. Getreu dem alten Grundsatz ‘wie auf Erden, so im Himmel‘ ging der Aufstieg des männlichen Bosses (Stammesführer, König, Cäsar / Papst) einher mit der Karriere von Zeus, Jupiter, Mithras, Ahura-Mazda oder Allah: eine Art Sollbruchstelle in der patriarchalen Stadtkultur und der sie weiträumig umgebenden Slums bzw. strukturschwachen Gebiete. Galiläa war, wie Arabien, Stadtumland der ökonomisch unendlich reichen Metropolen an Nil und Euphrat, und die neidischen Habenichtse bzw. deren Tugend-Tyrannen wie Nehemia und Mani mussten sich den Wohlstand der Ungläubigen doch irgendwie schönlügen. Gefährliche Analogie: das World-Trade-Center ist der Turmbau von Babel, und beiderlei Einsturz gleich gottgefällig.

Ein emanzipatorisches Potential hat der Monotheismus, den wir unfreiwillig erbten, nun aber auch. Den zweiten Gott sollten die meisten der angeblichen Monotheisten allerdings besser rasch über Bord werfen: den Teufel.

Fraglos hatte unser ’zaghaft zivilisierendes‘ Europa mehr Angst vorm Teufel als Vertrauen zum Gott, und einen geradezu manichäischen Dualismus vermag man bis heute bei jedem radikalen Lichtkrieger auszumachen, von den Inquisitoren bis zu al-Qaida. Mathias Schreiber jedenfalls hat uns in seiner Abhandlung Mose Superstar die kollektiv ’gespürte’ himmlisch-höllische Doppelspitze völlig unterschlagen, das helldunkle Götter-Pärchen aus Vatergott und Satan.

Wobei für ‘Satan‘ seit über einem Jahrtausend und für Christen wie Muslime immer wieder ‘Frau‘ und ‘Jude‘ stand: Das Verführende, die Quelle des Unheils, die ‘Büchse der Pandora‘.

Qualitätskriterien für Religiosität zu entwickeln jedenfalls scheint für bundesdeutsche Mehrheiten an der Zeit, damit wir dem autodidaktischen Flugzeugführer Atta, dem marokkanisch-niederländischen und koranisch inspirierten Mörder an Theo van Gogh und auch den ‘Ehrenmord‘-begehenden Familienangehörigen der vom eigenen Bruder erschossenen Berlinerin Hatun das Prädikat ‘religiös‘ ohne Gewissensbisse absprechen.

Denn Monotheismus ist keine Krankheit und Fundamentalismus heilbar. Seien wir nun atheistisch oder säkular-religiös, es wird sich unsere Islamkritik immer wieder einmal auch gegen die (beispielsweise evangelikalen) Höllenfurchterwecker in den nichtislamischen Religionen richten müssen. Es ist eben gerade kein Zeichen von Gott-, Selbst- und Weltvertrauen, wenn jemand ebenso ängstlich wie wörtlich daran glaubt, die Welt sei in sechs Arbeitstagen von einer unsichtbaren Gottheit geschaffen.

Es gilt, die jeder theokratischen Herrschaftsordnung zugrunde liegenden Muster aufzudecken. Denn ob Marduk die Tiamat erschlägt oder Allah die al-’Uzzā: Das dem Himmel nähere Männliche unterwirft das dämonische kosmische Weibliche und leitet aus dieser Bezwingung seine politischen Ansprüche ab, neuerdings auch im UN-Menschenrechtsrat. Der irdische Machthaber mag dann Muslimbruderschaft heißen oder Milli Görüş, entscheidender ist, dass er deinen vielleicht ja säkular gedachten Bürgermeister oder Innenminister rechtleiten möchte.

Jacques Auvergne

Zum Weiterlesen:

Afrikanische Kosmogonie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Afrikanische_Kosmogonie

Kosmogonie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kosmogonie

Mohammed tötet seine innere al-’Uzzā

http://de.wikipedia.org/wiki/Al-%27Uzza

Strafgesetz der Islamischen Republik Iran, bei IGFM:

http://www.igfm.de/index.php?id=894

Nein zum Eva-Prinzip

November 30, 2007

NDR kündigt Eva Herman

Pop-Stars, SportlerInnen, bekannte SchauspielerInnen und sicherlich auch durchs Fernsehen bekannte NachrichtensprecherInnen, Moderatorinnen und TalkmasterInnen sind Personen des öffentlichen Interesses. Sie sind in aller Munde, sie werden von Fans umjubelt, sie verdienen gut. Aber sie geraten auch besonders schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Und die ist meist nicht zimperlich mit ihnen.

Dieser Sachverhalt gehört ebenso zu den Schattenseiten des Dasein einer/s VIPs wie die Tatsache, nur in seltenen Ausnahmefällen Privatmensch zu sein. Das ist sicherlich hart und auch für die Familie schwierig. Wer sich jedoch für ein solches Leben entscheidet, muss sich damit abfinden, dass sie / er zunächst VertreterIn der BRD, Vorbild für die Jugend, sowie als durchs Fernsehen bekannte Moderatorin und Talk-Gastgeberinerin eben auch Repräsentantin der Sendeanstalt in der Öffentlichkeit ist, dann erst Lieschen Müller. Bekanntermaßen werden diese bekannten Persönlichkeiten viel genauer beobachtet als Privatleute, sie stehen unter besonders scharfem Beschuss der KritikerInnen und jedes ihrer Worte wird auf die Goldwaage gelegt. Wer sich also trotz der dünnen Luft oben halten will, muss tatsächlich ’sauber formulieren‘, und darf keine ‚Aussagen in einer Verbindung bringen, die nicht sonderlich intelligent‘ ist.

Auch nicht, wenn man Eva Herman heißt.

Nachdem es zum Zerwürfnis mit der Redaktion der Tagesschau wegen des ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Frauen- und Familienbildes ihres im August 2006 erschienen Buches (dessen Titel die Autorin bewusst nicht nennt) gekommen war, hatte Herman schon auf Insistieren der Verantwortlichen ihren Job als Nachrichtensprecherin des allabendlichen ausgestrahlten Zugpferdes und Quotenbringers der ARD niedergelegt. Jetzt kündigte auch der NDR seiner freien Mitarbeiterin die Zusammenarbeit auf.

Damit beendete ein weiterer öffentlich-rechtlicher Sender das hier fast 20 Jahre lang bestehende Arbeitsverhältnis der 48-jährigen Männerversteherin mit sofortiger Wirkung. Wie der Programmdirektor Volker Herres bekannt gab, sei nach Ansicht des Senders eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit nicht vertretbar, weil die Tätigkeit als Publizistin nicht länger mit ihrer Funktion als Fernsehmoderatorin und Talk-Gastgeberin zu vereinbaren sei. Grund für die harsche Reaktion des Rundfunksenders sind gleich mehrere grobe Schnitzer. So hat die selbst ernannte Schutzpatronin längst überholt geglaubter Frauen- und Mütterbilder einen geplanten Auftritt bei einer Unterorganisation der rechtspopulistischen FPÖ erst nach Intervention abgesagt.

Daraufhin hat der Sender der ehemaligen Moderatorin unmissverständlich zu verstehen gegeben, zukünftig alles zu unterlassen, das geeignet sei ihr Ansehen als Moderatorin und Talk-Gastgeberin in der Öffentlichkeit zu schädigen und damit eben auch die Einstellung der Zuschauer und Hörer zum NDR negativ zu beeinflussen. Dabei ist die PR-Managerin des nur Hausfrau und Mutter Prinzips darauf hingewiesen worden, dass eine deutliche Trennung zwischen ihrer Tätigkeit als Publizisten und der Aufgabe beim Sender unumgänglich ist.

Gegen diese unmissverständlichen Vereinbarungen hat Herman immer wieder verstoßen. Das endgültige Aus kam dann für die Befürworterin des Heimchen am Herd Prinzips als sie anlässlich eines PR-Termins ihres zweiten Buches das Mutterbild der Nazis glorifizierte und die Achtundsechziger für den Werteverfall und das Versagen der Familienpolitik verantwortlich machte. Selbstverständlich hat die Bild am Sonntag diese Steilvorlage zur Verkaufsbelebung ihres Blattes genutzt und einen Eye-Catcher aus diesen Aussagen gemacht. Nachdem Herman dem Sender gegenüber die Richtigkeit der Darstellungen in dem bekannten Printmedium bestätigte, zog der NDR die Notbremse und beendete die Zusammenarbeit. Wie schön für Frau Herman, kann sie doch endlich nachdem sie uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden und über unser wahres Wesen aufgeklärt hat, endlich ihrer wahren Bestimmung nachgehen und für ihren Mann Weibchen und Heimchen am Herd sein und ihrem Sohn eine gute, nicht berufstätige Mutter.

Wenn diese ‚Femme Fatale‘ für die Emanzipation von Frauen und Männern nicht in die rechte Ecke gestellt werden will, dann fühlt sie sich in der Nähe der Scharia-AnhängerInnen vielleicht wohler. Der im frühen Mittelalter stecken gebliebene Islam sieht ebenfalls die Berufstätigkeit der Frauen nicht vor, schließt sie damit aus einem großen Teil des öffentlichen Lebens aus und fördert Frauen- und Männerbilder, die mit einer kulturellen Moderne nicht vereinbar sind und Handlungsmöglichkeiten einschränken, anstatt Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern.

Männer, welcher sexuellen Ausrichtung auch immer, die den Verstand ausschalten wollen, weil sie eine attraktive, vorteilhaft gekleidete Frau sehen, bleiben genau die gleichen unentwickelten Persönlichkeiten wie Frauen, welcher sexuellen Ausrichtung auch immer, die nur Heilige oder nur Hure sein wollen. Beide, Männer wie Frauen sind dann psychisch deformierte, halbierte Persönlichkeiten, die sich auf pathologische Weise ergänzen und bestätigen. Diese verhängnisvolle Kooperation nennt sich kulturelle Vormoderne oder Patriarchat.

Ümmühan Karagözlü

Der Ehrenmord von Mönchengladbach

November 29, 2007

Islamische Männer- und Frauenrollen.

Mord aus gekränkter Ehre? März 2007

Rukiye und Derya

Leben am Niederrhein

Ganz ungern besprochen:

ein rheinischer Doppelmord

Von Jacques Auvergne

Mehrere Fälle von islamisch-patriarchalischem so genanntem ’Ehrenmord’ sind uns wohl allen gut im Gedächtnis geblieben, vor allen Dingen der ’Ehrenmord’ an der kurdischen Berlinerin Hatun Sürücü, zu dem Ümmühan Karagözlü vom Netzwerk Schariagegner in den nächsten Tagen noch ein paar Zeilen schreiben wird. Doch ist über einen Ehrenmord bislang nicht so viel zu erfahren gewesen, nämlich über den Mönchengladbacher Doppelmord vom 09. März 2007. An diesem Tag erschoss Erol Peşter seine seit vier Jahren um Trennung bemühte Ex‑Ehefrau Rukiye und die gemeinsame Tochter Derya vor den Augen der zwei anderen gemeinsamen Kinder.

Die Behörden, Beratungsstellen, Verbände, Kirchen und Parteien der Stadt und der Region bemühten sich um Stillschweigen. Die Schaufensterveranstaltung Integration indes wird eifrig gepflegt

Mönchengladbach‑Rheydt 2007, Ortsteil Bonnenbroich, Frankenstraße 8. Die vergessene westdeutsche Großstadt ist durch demographischen Wandel, den katastrophalen Niedergang der Textilindustrie und eine unverstandene Zuwanderung gekennzeichnet.

Die Gruppe armseliger Mietskasernen in der Merowingerstraße, Salierstraße und Frankenstraße wird im Volksmund auch Papageienviertel genannt, doch weiß längst niemand mehr, ob es den papageienbunten Balkonverkleidungen liegt oder an der ethnisch bunt gemischten Zusammensetzung der Bewohner. Russlanddeutsche, Somalier, Kurden, Senegalesen und ärmliche Ureinwohner leben in ihren untereinander ebenso scharf abgegrenzten Milieus wie auch der gesamte Komplex in Richtung der alten aussterbenden Dorfkerne von Bonnenbroich‑Geneicken oder gar zum mittelständischen, reichen Viertel Hardterbroich‑Volksgarten bei aller räumlichen Nähe sozial abgekoppelt ist.

Eineinhalb Kilometer nur, doch vermutlich geht monatelang kein Mensch jemals den Weg von Volksgarten zum Papageienviertel.

In diesen Tagen im November 2007 lief in der Großstadt Mönchengladbach der Prozess gegen den Ehrenmörder Erol Peşter an und einige Zeitungen berichteten kurz, im Wesentlichen aber soll der Ehrenmord sogar im Mönchengladbach‑Rheydt des Jahres 2007 selbst unbemerkt geblieben sein, so gut sind die Alteingesessenen ganz offensichtlich in der hohen Kunst des Wegsehens und Schweigens eingeübt.

Erol Peşter wurde zwangsverheiratet, seine Frau Rukiye freilich ebenso. Man musste also zusammenleben, so, wie es die türkischstämmige muslimische Großfamilie so arrangiert hatte, zumal, wie in Zwangsheiratskreisen üblich, viel Geld geflossen sein wird. Erol Peşter indes misshandelte und vergewaltigte seine Frau ebenso wie seine Cousine über viele Jahre hinweg.

Für den 09. März 2007, war die Gerichtsverhandlung zum Sorgerecht für die drei Kinder anberaumt. Einen Tag also nach dem Weltfrauentag. Der als Misshandler und Vergewaltiger polizeilich gesuchte und in die benachbarten Niederlande geflüchtete Erol Peşter betrat seelenruhig und zum Schrecken von der Ex‑Ehefrau und ihrer Anwältin Gülsen Celebi den Gerichtssaal. Zwei Stunden später und drei Kilometer entfernt erschoss er Frau und Tochter, richtete beide kaltblütig und sorgsam geplant hin. Zwei Stunden oder 3.000 Jahre, drei Kilometer oder 3.000? In Nordrhein‑Westfalens Einwandererghettos herrscht eine andere Zeitrechnung, doch das hat die Mönchengladbacher Justiz im März 2007 übersehen.

November 2007. In Handschellen wird der glatzköpfig rasierte Erol Peşter in den Saal des polizeilich gesicherten Landgerichts geführt. Alle Besucher mussten durch zwei Ausweiskontrollen. Die Schwester der ermordeten Rukiye stellt sich diesen Minuten mit Entschiedenheit und Zivilcourage, sie, schwarzer Hosenanzug und hochgesteckte blonde Haare, nimmt die verspiegelte Brille ab und zeigt dem Mörder ihrer Schwester mutig ihr Gesicht. Zeigt damit also auch ihrem Schwager ihr Gesicht.

Der Schwager als der Mörder, der ehrenmordende Schwager. In der Türkei, in der nahezu täglich ein Ehrenmord geschieht, nun wirklich nichts Ungewöhnliches. Für Westeuropäer jedoch etwas irritierend.

Offenes Haar, solch eine Frau hat womöglich ein eigenes Bankkonto und eine selbst bestimmte Sexualität. Schwarzer Hosenanzug, so könnte eine Karrierefrau gekleidet sein, die einer Arbeit nachgehen darf oder gar beruflich erfolgreicher ist als mancher Mann. Die anderen Frauen im Publikum indes tragen fromme lange Mäntel und fromme strenge Kopftücher. Der Islam spielt für sie also eine Rolle. Mantel und Kopftuch, womöglich sind diese Frauen traditionellen oder islamistischen Milieus zugehörig, die auf eine Berufstätigkeit oder sexuelle Selbstbestimmung ihrer Töchter und Frauen keinen großen Wert legen.

Und Erol Peşter gehörte wohl solch einem Milieu ebenso an wie er es zu verewigen trachtete, jedenfalls erschoss er seine trennungswillige Frau in den Stunden nach der Sorgerechts‑Verhandlung des Familiengerichts, das zu betreten der polizeilich Gesuchte die Dreistheit hatte. Dann fuhr Erol Peşter zu dem ärmlichen Mönchengladbacher Mietshaus, der Wohnung seiner Ex‑Frau und wartete auf ihr Erscheinen.

In den letzten fünfzehn Monaten hat er oftmals an dieser Stelle auf sie gelauert, um sie einzuschüchtern. Das war Polizei und Jugendamt bekannt. Viele Nächte des Jahres 2006 verbrachte der Ex‑Ehemann im Auto vor dem Haus. Er konnte sich wohl mit dem auch mit der Scharia kaum in Übereinstimmung zu bringenden Trennungswunsch Rukiyes nicht abfinden, er fürchtete soziale Ächtung in seinem ebenso traditionalistischen wie fundamentalistischen Milieu. Oder mag im Vordergrund gestanden haben, dass er die Frau als Eigentum betrachtet? Es mag auch sein, dass Peşter sein Tun koranisch legitimiert hätte. Peşter schweigt dazu. Vielleicht hält er das deutsche Gericht für wenig zuständig. Die türkische Wagenburg Familie ist nicht säkular, nicht zu verstaatlichen. Das Gefängnis Familie ist Ehrensache.

Peşter schweigt zur Demokratie. Haben wir Demokraten ihm überhaupt erklärt, wie er hier in Deutschland leben kann, leben soll?

März 2007. Der Mann wartet vor dem Haus, die Pistole unter der Jacke. Und richtig, da kam sie, seine Ex‑Ehefrau. Sein Besitz. Die Verhinderin seiner wiederherzustellenden muslimisch‑machistischen Ehre.

November 2007. Der 39jährige Erol Peşter blickt nur selten zu seinen Verwandten hinüber. Er ist des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes angeklagt.

März 2007. Denn Erol Peşter hätte seinen damals zwölfjährigen Sohn Orkan ebenfalls erfolgreich getötet, wäre der Junge nicht in Todesfurcht und im Zickzack hinter geparkte Autos springend vor seinem Vater geflohen, weshalb der Schuss Orkan nicht traf. Peşter also schoss zuerst auf seine 38jährige Ex‑Frau Rukiye und soll, wie Augenzeugen berichten, einen Fuß auf die am Boden Liegende gesetzt haben und Rukiye noch zwei Mal in den Kopf geschossen haben. Mit einem Mobiltelephon versuchte die achtzehnjährige Tochter Derya die Polizei anzurufen. Die Ziffern 1, 1 und 0 konnte Derya noch tippen. 110, das wäre die deutsche Polizei gewesen. Da aber schoss der 39jährige dann auch auf seine Tochter, die allerdings noch ein paar Minuten lebte. Der neunjährigen Tochter gelang es, sich im Hausflur zu verstecken. Peşter flüchtete vom Tatort und Polizei und Notarzt kamen rasch, jedoch starb die achtzehnjährige Derya im Rettungshubschrauber auf dem Weg in die Notaufnahme. Eine Stunde nach der Tat stellte sich Peşter in 15 km Entfernung bei der Polzei der Stadt Viersen.

Der Mörder Peşter selbst sagt, er habe die Tat aus Wut begangen, weil „keine Einigung erzielt worden war“, worüber auch immer, und weil er „die Kinder nicht der Frau überlassen“ wollte“, so jedenfalls konnte uns die Staatsanwaltschaft am 29.10.2007 erklären, die neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld eine zusätzliche Sicherungsverwahrung anstrebt.

Rechtsanwältin Gülsen Celebi nennt die Tat einen „Mord aus falsch verstandener Ehre“: Erol Peşter, so Celebi weiter: „nahm die Scheidung und den Streit ums Sorgerecht sehr persönlich und fühlte sich aufgrund seiner traditionell geprägten Moral- und Ehrvorstellungen (…) und des Verhaltens seiner Frau verletzt und gedemütigt“.

Die Auslöschung der, so ließe sich sagen, ebenso antitürkischen wie antiislamischen Familie, war sie die letzte Möglichkeit, Erol Peşters Ehrbegriff beziehungsweise Gottesbegriff zu retten?

Allah dient eben nicht der Selbstverwirklichung sinnsuchender westeuropäischer Wohlstandsgören. Allah ist der Gott des Gefängnisses Familie.

Im Jahre 2003 wollte sich Rukiye von ihrem Mann endgültig trennen, was ihr aber nicht gelang: ihr Ex‑Ehemann zwang sie mit Gewalt dazu, mit ihm zusammenzuleben. Erst fünfzehn Monate vor dem Mord konnte sie ihn vor die Türe setzen, woraufhin Erol regelmäßig im Auto vor der Haustür übernachtete, was dem ebenso elenden wie dicht bevölkerten Häuserblock unmöglich entgangen sein kann. Erol bedrohte und schlug seine Ex‑Frau, die mehrfach in ein Frauenhaus flüchten musste. Der Psychoterror wurde also vom Straßenviertel des Mönchengladbacher ’Papageienviertels’ gedeckt, aus welchen Hoffnungen oder Ängsten auch immer. Obschon ja jede Beratungsstelle und Behörde längst Bescheid wusste.

Wir Demokratinnen und Demokraten können die Demokratie halt straßenzugweise nicht durchsetzen. Da wird sich wohl etwas ändern müssen.

Rainer Pohlen und Gerd Meister, die beiden Verteidiger des ’ehrbaren Mörders’, verweisen auf den chronisch angeschlagenen seelischen Gesundheitszustand des Mandanten, der zeitweilig in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und im Jahre 2000 einen Suizidversuch begangen habe. Dass sich Peşter über viele Wochen oder sogar wenige Monate hinweg vor dem Haus lauernd im Auto aufgehalten habe, möchten Pohlen und Meister als Indiz seelischer Überforderung oder sogar als Anzeichen einer Neurose verstanden wissen. Im Übrigen sei die Tat selbst im Affekt begangen worden. Doch einer psychologisch‑medizinischen Begutachtung in seiner Haftzeit hat sich der ’ängstliche’ Wohnungsbewacher und Todesschütze seit acht Monaten erfolgreich verweigert.

Auch ein Geständnis legte der 39jährige bislang nicht ab. Lothar Beckers, der Vorsitzender Richter, empfiehlt Peşter beides zu überdenken, gerade auch um seinen Kindern eine Aussage vor Gericht zu ersparen.

Der in den Niederlanden gemeldete Peşter war seit dem 15. Februar polizeilich gesucht worden, seit drei Wochen vor der Tat also. Warum er in den Stunden vor dem Doppelmord vom 9. März nicht festgenommen wurde, namentlich in der einstündigen Gerichtsverhandlung, das ist offensichtlich auf ein Versagen von Justiz und Polizei zurückzuführen. Die türkischen Zeitungen verhöhnten dementsprechend auch die tapsige deutsche Justiz, ohne freilich eigene Mitverantwortung zu bekennen am immer noch oder schon wieder tonangebenden Ehrenmordmilieu des kleinasiatischen Islams, sei er nun kurdisch oder türkisch, dörflich oder AKP‑nah.

In der Türkei kommen vermutlich 25 Ehrenmorde pro Monat vor, es findet also nahezu jeden Tag ein ’Ehrenmord’ irgendwo in dem 70 Millionen Bewohner zählenden riesigen Land mit seiner rasant wachsenden Bevölkerung statt. Die deutschen Touristen werden davon nicht viel mitbekommen, interessieren sich aber auch eher für Sonne, Strand und blauen Himmel an der türkischen Südküste.

Die ehtnischen Spannungen zwischen Kurden und Türken sind nicht bewältigt. Die regierende AKP benutzt die Vokabel Demokratie womöglich nur, um einen Gottesstaat auszurufen. Grund genug, so findet jedenfalls der SPD‑Politiker Günter Verheugen, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. Verheugen wohnt auch nicht im Papageienviertel.

Deutschland 2007. Durchaus im Sinne des aus der Psychologie bekannten Just‑World‑Prinzips also befinden die oberflächlich empörten Politiker und Medien nun: „dieser Mord in Mönchengladbach hätte verhindert werden können“. Auch Nordrhein‑Westfalens Justizministerin Roswitha Müller‑Piepenkötter schließt sich dieser ebenso unumgänglichen wie wohlfeilen Dosis an Zerknirschtheit an.

Wir islamkritischen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die wir täglich in und mit Familien aller Einwanderermilieus zu tun haben sind da zwar mindestens ebenso zweckoptimistisch, doch teilweise zu etwas mehr Mühsal bereit. Und zum Eingeständnis, schmerzlich festzustellen, dass inzwischen wohl zehntausende türkisch‑muslimische Familien in Deutschland leben, in denen die Moral des anatolischen Dorfes gilt, nicht die der demokratischen und modernen Emanzipation, in denen die Werber für Scharia und Kalifat erfolgreich sind, nicht diejenigen der säkularen Demokratie.

Es tickt eine Zeitbombe, die mit der Polarität ’hier der Eurozentriker, da der edle Wilde. Hier das kapitalistische Schuldigwerden, da der geheimnisvolle Orient’ nun wahrlich nicht zu erfolgreich bewältigen sein wird.

Doch, erfolgreich im Sinne von Milli Görüş und Muslimbruderschaft.

Europas und Deutschlands Demokratinnen und Demokraten haben auch gar nicht erst geworben. Professor Bassam Tibi wagte es, die Europäer aufzufordern, von sich selbst ebenso wie von den Einwandernden das Bekenntnis zur säkularen und demokratischen Leitkultur zu einfordern. Tibi jedoch brachte die Gutmenschen aus der Kinder- und Enkelgeneration der Achtundsechziger mit dem Begriff Leitkultur derartig aus der Fassung, dass sie ihn einfach totschwiegen.

Vielleicht haben wir uns geschämt, für die Demokratie und damit gegen den vormodernen Scharia‑Islam zu werben. Die Kolonialzeit, Hitler, allemal Grund genug für eine geheuchelte Bescheidenheit, hinter der sich wohl nicht viel Anderes als Gleichgültigkeit versteckte. Grenzen überwindend, multikulturell. Für alles offen war man längst nicht mehr ganz dicht. Da kam der eine oder andere Wolf im Schafspelz gerade recht, der uns die Möglichkeit bot, im warmen masochistischen Schlamm der europäischen Schuld zu baden. Ach, was fühlt man sich gut, wenn man fremdenfreundlich Buße tut. Und, schwuppdiwupp, durfte die Islamische Föderation an Berliner Schulen Religionsunterricht erteilen.

Es gibt kein Machtvakuum. Wir haben es der faschistischen Muslimbruderschaft bei der Erosion Europas so leicht gemacht, dass sie es bis haute kaum fassen kann. Europa franst aus. Da kommt es auf die Mitgliedschaft der Türkei auch nicht mehr an.

Jetzt reden wir uns ein, dass auch der Doppelmord von Mönchengladbach nur ein Einzelfall gewesen sei. Ob das falsch ist, können wir eigentlich nur herausfinden, wenn wir die europäische Außengrenze in das Quellgebiet von Tigris und Euphrat hinein verschieben.

Erol und Rukiye Peşter wurden von ihren beiden Großfamilien verheiratet als Rukiye 15 Jahre alt war. Im Südosten der Türkei werden immer noch zwei Drittel aller Ehen abgesprochen, der Wille eines Menschen, wen er oder sie heiraten will oder ob er oder sie überhaupt heiraten will, zählt da nicht viel. Und wir in Europa, nicht in Moskau oder Minsk, wir in Westeuropa, die wir das persönliche Glück gehabt haben, halbwegs selbstbestimmt aufzuwachsen, haben wir den Einwanderern aus dem Geltungsbereich von Shari’a und Dhimma nichts anderes zu sagen als ’Der Intelligente passt sich an’? Ein Salman Rushdie musste nach London flüchten, kein Günther Grass nach Teheran.

Allein in Berlin wurden im Namen der ’verletzten Ehre’ zwischen November 2004 und März 2005 sechs Mädchen ermordet. Viele Europäerinnen und Europäer irritiert dabei auch die Frage, ob eine derartige Grausamkeit aus dem Islam an sich resultiert, aus dessen dörflicher Rückständigkeit oder aus seiner extremistischen Variante. Die wegweisenden Antworten auf diese Frage finden zu helfen, dazu haben couragierte Frauen wie Necla Kelek, Seyran Ateş oder Serap Çileli viel beigetragen. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, zwischen Traditionalismus, Islamismus und Islam nicht zu unterscheiden. Die Scharia hat auch niemand je in Frage gestellt, und der Hauptbestandteil der Scharia ist gerade das Ehestandsrecht. Allerdings ist es auch sinnvoll zu sagen, dass die Scharia dem Koran nicht Unrecht tut.

Ebenfalls ist es wohl richtig, dass die althergebrachte frauenverachtende Scharia mit Erol Peşters Mönchengladbacher Doppelmord ganz gut harmoniert. Traditioneller Islam heißt Frauenunterdrückung, Islamismus heißt das Selbe – und zwischen beidem bleibt derzeit leider kaum Spielraum. Jedenfalls sitzen den enigen demokratiebejahenden Muslimas und Muslimen die Hinterwäldler nicht weniger im Nacken als die Kalifatsfreunde aus dem politischen Islam.

Dass es einmal hoffnungsvolle Modernisierungen des Islams gegeben hat, beispielsweise mit der eine Demokratie theoretisch ermöglichenden konzeptionellen Trennung von Din und Daula, Religion und Staat durch den Theoretiker Abd al‑Raziq und seinen Lehrer Mohammad Abduh, die dann von der islamofaschistischen Bewegung der Muslimbruderschaft um ihren theokratischen Vordenker Sayyid Qutb überrollt wurden soll nicht vergessen sein.

Doch heute erinnere man sich an den Integrationsgipfel, zu dem die Bundesregierung am 12. Juli 2007 eingeladen hat und an die Begründung für die Absage der türkischen Islamverbände in buchstäblich letzter Minute? Diskriminierung, Diskriminierung, so schimpften die Ferngebliebenen. Der Grund: Die Bundesrepublik wollte das Nachzugsalter für Ehefrauen heraufsetzen.

Einstweilen ist die Religion der Muslime sakraler Machismus. Ob in Anatolien oder in der AKP, ob hinterwäldlerisch oder islamverbandlich organisiert: Islam ist heiliger Frauenhass. Ayaan Hirsi Ali dokumentierte das mit ihrem Film Submission, woraufhin es Regisseur Theo van Gogh leider für übertrieben hielt, sich innerhalb seiner niederländischen Heimat zu verstecken. Auf offener Straße wurde Querkopf van Gogh von einem in Holland aufgewachsenen fanatisch religiösen Marokkaner hingerichtet, sorgsam vorbereitet und mit einem koranisch inspirierten Bekennerschreiben bedacht.

Zurück nach Mönchengladbach: zwischen den Familien von Rukiye und Erol, so ist inzwischen bekannt geworden, gibt es seit Generationen immer neue Gewalttätigkeiten, gleichwohl werden immer wieder untereinander Verheiratungen beschlossen. Eine geopferte Tochter verändert die Höhe der nächsten paar Brautgelder, mehr steht nicht auf dem Spiel.

Islam sind 1,5 Milliarden Menschen. Islam kann recht Vieles sein. Doch auch die Ehe von Rukiye und Erol ist ein echtes Stück Islam. Erol der türkische Muslim ist genau so Opfer einer Zwangsverheiratung wie Rukiye, die allerdings sich aus ihrem scharia‑konformen Sklavinnendasein befreien wollte.

Für den in diesen Wochen auf seine Verurteilung wartenden Ehrenmörder Erol Peşter war es offenbar nicht attraktiv, den Weg in einen gleichberechtigten Umgang mit dem anderen Geschlecht und in eine Sexualität jenseits des Vergewaltigens zu beschreiten.

Zur Pistole jedoch konnte er greifen.

Jacques Auvergne

Prinzipientreue und Dummheit. Zwei Seiten einer Medaille

Oktober 4, 2007

Prinzipienreiter nennt man die Menschen, die trotz besseren Wissens an Meinungen Forschungsergebnissen und Ideologien kleben. Es ist menschlich Fehler zu machen. Sollte sich herausstellen, etwa durch neue Erkenntnisse oder präzisere Untersuchungsmethoden, einen Sachverhalt falsch bewertet zu haben, ist es einfach dumm, auf dieser Irrlehre zu bestehen und sie weiter zu verbreiten. Wir würden dann beispielsweise noch heute an den Schwachsinn des Weibes glauben. Schon Konrad Adenauer meinte einmal: „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern.“ Man kann über diesen bekannten deutschen Politiker durchaus geteilter Meinung sein, aber Grips hatte der.

Um uns zu orientieren und zu recht zu finden, bilden wir uns Urteile über Menschen und Umwelt. Doch können wir uns irren. In Abwandlung des Spruchs der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann, erinnere ich meine SchülerInnen öfters daran, dass wir einen kritischen Verstand haben, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Ein für mich sehr wichtiger Lehrer war als Kind begeisterter Hitlerjunge, bis die damals ca. Zehnjährigen dazu aufgefordert wurden, ihr soziales Umfeld zu bespitzeln und RegierungskritikerInnen zu denunzieren. Seitdem kam er nur noch widerwillig zu den Treffen und versuchte sich zu drücken, wo er nur konnte.

Dieses Beispiel zeigt, auch Idole müssen überprüfbar, kritisierbar bleiben. Es beweist aber auch, dass jede/jeder die/der ihren/seinen klaren Verstand gebraucht, totalitäre Zwänge durchschauen und versuchen kann, sich aus totalitären Zwängen zu befreien, wenn sie/er nur genug Rückrad, Zivilcourage und Unterstützer/ Unterstützerinnen hat. Diese Eigenschaften werden zugegebenermaßen wesentlich durch Erziehung und Sozialisation stark beeinflusst, jedoch lernen wir außer am Modell auch durch Einsicht. Auch da ist unser Verstand gefragt, den wir lebenslang schulen können, durch gute Bücher, durch diskutieren mit vielen Menschen, die durchaus anderer Meinung sein können, durch gute Beispiele, durch eigene Erfahrung aber nie ohne Reflexion.

Koran und Scharia sind nach geltender Auffassung der wichtigsten sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen und politisch-islamischen Strömungen nicht kritisierbar, weil der Inhalt von Allah selbst durch den Erzengel Gabriel an Mohamed übermittelt sein soll. Somit ist der fundamentalistische Islam prinzipientreu aber nicht reformierbar.

Pazifismus aus Prinzip ist im Extremfall Selbstmord. Ich denke es war Henryk M. Broder der es auf den Punkt brachte: ’Wenn die militanten Palästinenser ihre Waffen niederlegen, gibt es Frieden, wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es Kein Israel mehr.

Ümmühan Karagözlü

’Sapere aude’. Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen[1].

Demokratie erhalten, Scharia verhindern

September 30, 2007

حجاب

ḥiǧāb

Hidschab

Kein Kopftuch im öffentlichen Dienst

Von Ümmühan Karagözlü (2007)

Seit dem Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts ist auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, damit beschäftigt, eine Entscheidung zum Kopftuch bei Beschäftigten öffentlicher Institutionen zu fällen. Als Sozialpädagoginnen (verschiedenster Glaubensrichtungen), die berufsbedingt täglich auf muslimische Kommilitoninnen und Klientinnen treffen, können wir diesem Thema nicht gleichgültig gegenüber stehen.

Bezug nehmend auf unsere langjährigen Erfahrungen in der Kinder- und Jugend- und Schulsozialarbeit sowie in der außerschulischen Bildung möchten wir folgende Gedanken einbringen:

vor etwa vierzig Jahren kamen die ersten Muslime als Gastarbeiter in die BRD. Die damalige Bundesregierung lud diese Menschen nach Deutschland, zunächst meist türkischstämmig und fast immer männlich, da es unserem Land an (billigen) Arbeitskräften mangelte. Weil die Arbeitsmarktsituation noch recht entspannt war und ausländische Arbeitnehmer selbst als Ungelernte hierzulande mehr verdienten als zu hause, holten sie nach einigen Jahren ihre Familienangehörigen nach und bauten gemeinsam mit ihnen eine neue Existenz auf. Der Wunsch in die Heimat zurück zu kehren wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, zumal das Wirtschaftswachstum weiter anhielt und für die teilweise bereits in der Bundesrepublik geborenen Töchter und Söhne qualifizierte Schulabschlüsse, interessante Ausbildungsmöglichleiten und attraktive berufliche Chancen lockten.

Bis etwa Ende der 90er Jahre war die Zugehörigkeit zum Islam für die in Deutschland arbeitenden, lernenden, studierenden und lebenden Muslime anscheinend so selbstverständlich, dass es ihnen nicht wichtig war, diese etwa durch Einhaltung strenger Bekleidungsvorschriften gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft zu dokumentieren. Dies galt auch für die Anhängerinnen dieser Weltreligion, die als Studentinnen in die BRD kamen oder als Flüchtlinge und Asylbewerberinnen Zuflucht vor Verfolgung und Tyrannei suchten. Auch ist uns nicht bekannt, dass zu dieser Zeit die laïzistische Haltung des türkischen Staates kritisiert wurde.

Die hier ansässigen muslimischen Menschen lebten wie die südeuropäischen Gastarbeiter so unauffällig, dass zu Zeiten wirtschaftlicher Blüte und Vollbeschäftigung die bundesdeutsche Politik der Lebenslage dieser Mitmenschen keine Aufmerksamkeit widmete. Obschon selbst während der etwa Mitte der 80er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise und deren desintegrierenden Folgen längst nicht mehr mit einer Rückkehr dieser Bevölkerungsgruppe in ihre Heimat zu rechnen war, ignorierte die damalige Bundesregierung gleichermaßen den aufkommenden Unmut der Mehrheitsgesellschaft wie die sich verschlechternde Lebenslage der nicht europäischstämmigen (kleinasiatischen) Migrantinnen.

Viel zu spät bemühten sich beispielsweise Migrationsbeauftragte oder Fachausschüsse um eine erfolgreiche Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe. Vor allem die in vielfältigen Bereichen des Alltags, besonders aber bei der Arbeitsplatzsuche exkludierenden Folgen mangelnder Sprachkompetenz (zunehmend auch in der Muttersprache) wurde lange Zeit nicht beachtet. Zwar haben wir mittlerweile Politikerinnen mit Migrationshintergrund sowie Ausländerbeiräte. Viele von uns haben türkische Kolleginnen, marokkanische Kommilitoninnen und albanische Nachbarinnen. Doch ist es bisher nur in Ausnahmefällen gelungen, die aus islamisch geprägten Kulturen stammenden Familien wirklich in unsere offene Gesellschaft zu integrieren.

Ein deutlicher Beleg für diese These lässt sich am Beispiel der schlechten sprachlichen und sozialen Integration der zweiten und der dritten Generation türkischer Mitbürgerinnen festmachen, die eher Hauptschulabschluss oder auch gar keinen Schulabschluss erlangen. Diese zahlenmäßig große Gruppe lebt nicht selten in fast ausschließlich türkischen Straßenzügen, versorgt sich mit allen Artikeln des täglichen Lebens in den Geschäften ihrer Landsleute und konsumiert dank Satellitenfernsehen Information wie Unterhaltung in türkischer Sprache. Gerade für Frauen und Kinder bleibt die deutsche Sprache zunehmend Terra incognita. Auch trägt die erst seit wenigen Jahren wahrnehmbare Angst der Musliminnen vor Assimilation gewollt oder ungewollt zu einer Ghettoisierung bei, da wirklich tragfähige soziale Bindungen nur zu Landsleuten bestehen. Gespräche mit Deutschen werden auf ein Mindestmaß reduziert, offener Gedankenaustausch gar ist sehr selten.

Die halbherzig betriebene Integrationspolitik führte dazu, dass ein besonders hoher prozentualer Anteil der Migrantinnen und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund arbeitslos war und ist. Die beiden zuletzt geborenen Generationen stehen zudem vor dem Dilemma, von uns als Ausländerinnen gesehen und behandelt zu werden, während sie im Herkunftsland als ’Deutschländerinnen’ gelten. Es sollte uns daher eigentlich nicht überraschen, dass besonders für die dritte Generation einer Migrationswelle angesichts derartig verschlechterter Lebensbedingungen die Frage nach der eigenen Identität immens wichtig wird.

Derart durch düstere Zukunftsaussichten und tiefe Identitätskrisen verunsichert ist es nicht verwunderlich, dass es nach der Islamischen Revolution, Iran 1979, zu einer (vermeintlich) Gemeinschaft stiftenden Fundamentalisierung und Islamisierung insbesondere der unter 40jährigen Musliminnen überall in den Industriestaaten Europa gekommen ist. So ist zu beobachten, dass die Kopftuch tragenden Frauen, viele von ihnen hier geboren, im Straßenbild immer häufiger werden. Die Tatsache, dass nicht selten junge Musliminnen streng verhüllt mit Tuch und langem Mantel das Haus verlassen, während ihre Mütter in der Kleiderfrage die westliche Variante bevorzugen, ist ein unfreiwilliges Ergebnis derartig verfehlter Integrationspolitik und der gesamtgesellschaftlichen Kultur des Wegschauens.

Besonders betroffen macht uns allerdings die Beobachtung, dass seit etwa 2004 bereits sehr junge Mädchen nur noch mit der streng gebundenen Variante des Kopftuchs, welche Nacken, Hals und Dekolletee bedeckt und nur noch das Gesichtsoval frei lässt, aus dem Haus ihrer Familie heraus gehen. Selbst Zehnjährige mit Hidschab, wir meinen damit die Haube, die, aus einem Stück Stoff genäht Haare, Schultern und Oberkörper vollkommen einhüllt, erscheinen im westdeutschen Stadtbild. Dazu tragen sie nicht selten den oben bereits erwähnten, vor wenigen Jahren eigens entworfenen knöchellangen grauen oder schwarzen Mantel.

Dieses streng islamistische Outfit ist, wie wir meinen, für kleine Mädchen, die auch noch spielen und herumtoben sollten, unpraktisch und bewegungsfeindlich. Auch erwachsenen Frauen können mit diesem kaftanähnlichen Gewand ‚keine großen Schritte‘ machen. Zudem behindern diese Formen des Kopftuchs zweifellos Hör- wie Sehsinn der Trägerinnen und schränken das (Um-)Weltwahrnehmen der Mädchen und Frauen nicht unerheblich ein, besonders wenn auch der Blick züchtig gesenkt werden muss. Diese Kleidungsgewohnheiten erhöhen nicht nur die Unfallgefahren im Straßenverkehr (eingeschränktes Blickfeld), nein, jeder einigermaßen aufmerksame Mensch wird bestätigen dass Körpersprache und Auftreten sowie Denk- und Lebensgewohnheiten beeinflusst werden.

Schon diese oben beschriebenen Alltagsszenen deuten an, dass es bei der bevorstehenden Entscheidung des Landtages von Nordrhein-Westfalen um weit mehr geht als um die rechtliche Gewichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität einerseits und das Diskriminierungsverbot eines nach Meinung der Anhängerinnen religiös zu interpretierenden Symbols einer monotheistischen Weltreligion andererseits. Hier steht wesentlich mehr als die Klärung dieser Streitfrage zur Entscheidung an!

Wie viele Politikerinnen und Bürgerinnen in der BRD sind wir der Meinung, dass Kleidungsstücke wie Hidschab und Türban (dazu gehören nach unserer Ansicht auch Kippa, Sikh-Turban oder Frömmler-Strickmütze der Islamisten) keine religiös zu interpretierenden Insignien sind, die unter das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 GG fallen. Diese Ansicht lässt sich wie folgt begründen:

Nach wie vor sehen weltweit viele Musliminnen das Tragen des Kopftuchs nicht als religiöse Pflicht an. So schreibt Prof. Bassam Tibi in seinem Buch Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland, dass er viele afrikanische und südostasiatische Gebiete islamischer Bevölkerung bereist habe, in denen Frauen mehrheitlich nicht Kopftuch tragen.

Auch in Europa und in der BRD ist die Gruppe derjenigen Muslimas, die sich nicht mit islamistischen Kleidungsvorschriften identifiziert, deren Mitglieder sich gleichwohl als gläubige Musliminnen bezeichnen, recht groß. Selbst im Koran wird man nach einem ausdrücklichen Kopftuchgebot vergeblich suchen (und nur im Hadith fündig), eher findet man dort Textstellen, die besagen, dass die Frauen keine auffällige Kleidung tragen sollten. Das Kopftuch selbst wird nicht erwähnt; Ralph Ghadban (Das Kopftuch in Koran und Sunna) hingegen weist auf die islamische Überlieferung hin. Wie aber kann es dann sein, dass gerade unter den jungen Muslimas der Anteil derjenigen, die zwar ihr Haar unter einem fundamentalistisch streng gebundenen Kopftuch verbergen, ansonsten aber bewusst erotische und den Körper in Szene setzende, hautenge Kleidung bevorzugen, so sehr groß ist (klappernde Stöckelschuhe, Top mit transparenter Spitze an Taille und Oberarm, Rock mit langen Seitenschlitzen)? Religiöse Motive scheinen diese Anhängerinnen des vermeintlich einzig wahren Glaubens wohl nicht gerade umzutreiben.

Unter Berücksichtigung solcher Beobachtungen und angesichts der Tatsache, dass sich selbst aus dem heiligen Buch der Muslime eine religiös begründete Verpflichtung jeder muslimischen Frau zum Tragen des Kopftuches nicht ableiten lässt, kann dieses ‚Stück Stoff‘ nicht als ein ‚eindeutig religiöses Symbol‘ interpretiert werden.

Im Konsens mit vielen Bürgerinnen und Politikerinnen in NRW und auch mit Blick auf die Bundesländer, in denen schon eine Entscheidung zum Kopftuch getroffen wurde, sind wir vielmehr der Ansicht, dass mit dem ‚Kleidungskodex der islamischen Renaissance‘ auch Haltungen einhergehen, die nicht schützenswert ist. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich bei ihrer Meinungsbildung keineswegs darauf zu beschränken, dass allein die Möglichkeit, dass ein Tragen des Kopftuches religiös begründet sein könnte, ausreicht, um eine verfassungsrechtlich nicht tragbare Beteiligung von kopftuchtragenden Lehrerinnen in staatlichen Schulen im Falle eines Kopftuchverbots abzuleiten.

Wir halten es für unverzichtbar, angesichts der Grundrechte der Kopftuchgegnerinnen wie auch der in dieser Frage Unentschiedenen abzuklären, für welche Strömungen (Politislam sprich Schariagesetz-Lobby; Traum vom erneuerten Kalifat), Lebenspraxen (Gewalt in der Erziehung, Zwangsverheiratung) und Geisteshaltungen (Verachtung von Andersgläubigen, Verbot der Apostasie bei Todesdrohung) das Symbol Kopftuch, das Prinzip Kopftuch eben auch gesehen werden kann. Sieht man sich im Straßenbild um, informiert sich oder spricht mit Vertreterinnen der beiden Meinungsfraktionen, spricht vieles dafür, dass ’dieses Stückchen Stoff’ für verschiedene Haltungen und Ansichten in Anspruch genommen werden kann. Doch sicherlich nicht für die Emanzipation der Frau.

Die demonstrative Unterwerfung unter eine Kleidungsvorschrift, die den äußerlich von Weitem erkennbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern zementiert, als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Gleichberechtigung zu werten hält nicht nur Frau Dr. Lale Akgün, MdB und langjährige Islambeauftragte der SPD Bundestagsfraktion für grotesk. Wer die Weiterentwicklung der Gleichberechtigung und Gleichstellung als wesentliches Ziel der Mitgliedsstaaten des Europarates anerkennt, kann eine solche Verunglimpfung und Verachtung der Frauen Iran, Afghanistan, Saudi Arabien und Algerien, die das Kopftuch eben nicht freiwillig gewählt haben, nur als zynisch ansehen.

Frauen, die behaupten, ohne Kopftuch würden sie sich nackt fühlen, geht es nicht alleine um Schutz. Nein, unausgesprochen unterteilen sie gleichzeitig ihre Geschlechtsgenossinnen in die Gruppe der Ehrenhaften und die der Unreinen, egal ob die Betroffenen Muslimas sind oder gar so genannte Ungläubige. Das Kopftuch, einschließlich der damit einhergehenden ‚Software‘, ist somit Symbol für die Spaltung der halben Menschheit in Sittsame, Tugendhafte sowie in verachtenswerte Sünderinnen. Die zunehmende Gewohnheit dieser Musliminnen, Männern prinzipiell nicht mehr die Hand zu geben (prominente Vertreterin: Fereshta Ludin), zielt in die gleiche Richtung: sie manifestiert für alle Umstehenden sichtbar der minderwertigere Stellung der Frau, die grundsätzlich als unrein gilt. Dieses (deutsche, europäische) Begrüßungs- und Verabschiedungsritual ist streng gläubigen Muslimas außerdem untersagt, weil selbst dieser harmlose Hautkontakt sexualisiert wird und Mädchen und Frauen unterstellt, wie eine Hure Männer zu verführen. Eine unserer Meinung nach kompromittierende Unterstellung.

Das Verhüllen der Haare kann also auch als Symbol für die Diskriminierung aller Menschen (also der muslimischen Männer) gesehen werden, die nicht bereit sind, sich dieser Frauen verachtenden Bekleidungsethik zu unterwerfen. Während eine große Gruppe von ‚Ungläubigen‘ Religionsfreiheit und das Recht zur freien Meinungsäußerung, d.h. auch Kritik an den religiösen Weltanschauungen, als demokratische Tugend (bekannte Persönlichkeiten erachtet (bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Prof. Bassam Tibi, der Dalai Lama, Hans Jonas und Willigis Jäger gehören dazu), droht Schriftstellerinnen und künstlerischen Freigeistern wie Sir Salman Rushdie die Todes Fatwa. Für eine solche Geisteshaltung, für die das Kopftuch eben auch stehen kann, religiöse Toleranz einzufordern, halten wir für eine dreiste Provokation.

Wir alle wissen um die lebenslang prägende Beispielfunktion jeder Kindergärtnerin und Lehrerin, vor allem in Grundschulklassen. Daher müssen wir damit rechnen, dass nicht nur auf muslimische Kinder und Schülerinnen einer neben den Eltern und später der Peergroup so wichtigen Identifikationsfigur vorbehaltlos nacheifern. Eine Art textilen Ausweis der Reinheit und Rechtgläubigkeit (dazu gehören auch das islamische maskuline Gebetskäppchen und die jüdische Kippa) tragende Islamistinnen hätten dann in staatlichen Institutionen wesentlichen Anteil an der Interpretationshoheit ‚wahrer Religion‘. Sie würden jungen Muslimas verdeutlichen, wie sich ehrbare Mädchen und Frauen nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber kleiden und zu verhalten hätten. Damit würden wir ausgerechnet Fundamentalistinnen einen so wesentlichen Bereich wie die Deutung des (Um )Welt- und Menschenbildes in demokratischen Erziehungs- und Bildungsräumen überlassen.

Die gesunde, selbst bestimmte Entwicklung von Töchtern und Söhnen zu gesellschaftskritischen und demokratischen Persönlichkeiten, die ein auf dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz §) fußendes Frauenbild bejahen, sollte uns sehr am Herzen liegen. Nicht nur wir Pädagoginnen sollten uns verpflichtet wissen, jeder diesem Erziehungs- und Bildungsauftrag zuwiderlaufenden Entwicklung entschieden entgegenzutreten. Die seit wenigen Jahren von Islamisten propagierte Abmeldung vom Sport- und Schwimmunterricht sowie das Verbot an Klassenfahrten teilzunehmen, verhindert ein wesentliches Erziehungsziel: die gelingende Integration in die Klassengemeinschaft.

Der Gewissenskonflikt, dem junge Musliminnen, die ihre nicht verhüllten Mütter und Schwestern verachten müssten ausgesetzt sind, dürfte niemanden kalt lassen, schon gar nicht Abgeordnete einer demokratischen Landesregierung. Solch vorgeblich religiöse Kleidungs- und damit einhergehende Verhaltensvorschriften und Einstellungen sorgen für die Instrumentalisierung unserer Schulhöfe, Lehrerzimmer und Klassenräume durch die hart agitierende Minderheit der Fundamentalistinnen und verstoßen gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Beides kann nicht im Interesse der Landespolitik sein und sollte durch ein entsprechendes Gesetz verhindert werden.

Das Verbot von Kopftuch und anderen aufdringlichen Symbolen sollte sich jedoch keinesfalls auf staatliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen beschränken, sondern auch im Gerichtssaal Anwendung finden. Dies halten z.B. für eine verfassungskonforme Verteidigung und Urteilsfindung für unumgänglich. Wir hätten Zweifel, dass ein Gebetskappe oder Turban tragender Anwalt beziehungsweise eine streng verhüllte Richterin aufgrund ihrer schon äußerlich sichtbaren fundamentalistisch religiösen Wertehierarchie zu einem Vergewaltigungsopfer oder zu einem homosexuellen Verdächtigen mit der gebotenen Objektivität Stellung nehmen kann.

Ümmühan Karagözlü

Diese Abhandlung wird von einer Autorin verfasst. Sie beschreibt und reflektiert insbesondere Lebenslage und Perspektiven von Frauen mit und ohne Migrantionshintergrund in der BRD. Zur besseren Lesbarkeit des Textes verwendet die Autorin generell die weibliche Sprachform (geschrieben: Sozialpädagoginnen, Bürgerinnen etc.), Männer sind ganz selbstverständlich mit gemeint.

Freie Berufswahl auch für Frauen

September 24, 2007

Zivilcourage

Wieder wurden in Afghanistan zwei Frauen ermordet, die sich nicht mit der Rolle als ‚Nur Hausfrau‘ und Mutter zufrieden geben wollten. Beide waren als Journalistinnen tätig, Sakia Saki war Chefin des teilweise mit westlicher Hilfe finanzierten Friedensradios, ihre Kollegin Schakiba Sanga Amaj arbeitete als Fernsehansagerin. Von unbekannten waren sie aufgefordert worden, ihre Arbeit aufzugeben, mehrere Morddrohungen sind gegen sie ergangen, jetzt beide wurden erschossen.

Es ist unglaublich, in der dritten Welt verteidigen mutige Frauen ihr Menschenrecht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Berufstätigkeit und zahlen für ihre Zivilcourage mit dem Leben. In unserem demokratischen Rechtsstaat, der allen BewohnerInnen ein einklagbares Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und eine individuelle Biographie einräumt, propagieren wir mit Büchern wie ‚Das Eva-Prinzip‘. Denk- und Verhaltensmuster die alle Frauen qua Natur an Haus, Kinder und Herd fesseln will.

Was sind uns unsere Grundrechte wert?

Ümmühan Karagözlü

Quelle: Journalist Das Deutsche Medienmagazin 7/2007