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Kopftuch ./. freiheitlich demokratische Grundordnung

Dezember 14, 2007

حجاب

ḥiǧāb

Hidschab

Kein Kopftuch im öffentlichen Dienst

Von Ümmühan Karagözlü (2007)

Seit dem Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts ist auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, damit beschäftigt, eine Entscheidung zum Kopftuch bei Beschäftigten öffentlicher Institutionen zu fällen. Als Sozialpädagoginnen (verschiedenster Glaubensrichtungen), die berufsbedingt täglich auf muslimische Kommilitoninnen und Klientinnen treffen, können wir diesem Thema nicht gleichgültig gegenüber stehen.

Bezug nehmend auf unsere langjährigen Erfahrungen in der Kinder- und Jugend- und Schulsozialarbeit sowie in der außerschulischen Bildung möchten wir folgende Gedanken einbringen:

vor etwa vierzig Jahren kamen die ersten Muslime als Gastarbeiter in die BRD. Die damalige Bundesregierung lud diese Menschen nach Deutschland, zunächst meist türkischstämmig und fast immer männlich, da es unserem Land an (billigen) Arbeitskräften mangelte. Weil die Arbeitsmarktsituation noch recht entspannt war und ausländische Arbeitnehmer selbst als Ungelernte hierzulande mehr verdienten als zu hause, holten sie nach einigen Jahren ihre Familienangehörigen nach und bauten gemeinsam mit ihnen eine neue Existenz auf. Der Wunsch in die Heimat zurück zu kehren wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, zumal das Wirtschaftswachstum weiter anhielt und für die teilweise bereits in der Bundesrepublik geborenen Töchter und Söhne qualifizierte Schulabschlüsse, interessante Ausbildungsmöglichleiten und attraktive berufliche Chancen lockten.

Bis etwa Ende der 90er Jahre war die Zugehörigkeit zum Islam für die in Deutschland arbeitenden, lernenden, studierenden und lebenden Muslime anscheinend so selbstverständlich, dass es ihnen nicht wichtig war, diese etwa durch Einhaltung strenger Bekleidungsvorschriften gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft zu dokumentieren. Dies galt auch für die Anhängerinnen dieser Weltreligion, die als Studentinnen in die BRD kamen oder als Flüchtlinge und Asylbewerberinnen Zuflucht vor Verfolgung und Tyrannei suchten. Auch ist uns nicht bekannt, dass zu dieser Zeit die laïzistische Haltung des türkischen Staates kritisiert wurde.

Die hier ansässigen muslimischen Menschen lebten wie die südeuropäischen Gastarbeiter so unauffällig, dass zu Zeiten wirtschaftlicher Blüte und Vollbeschäftigung die bundesdeutsche Politik der Lebenslage dieser Mitmenschen keine Aufmerksamkeit widmete. Obschon selbst während der etwa Mitte der 80er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise und deren desintegrierenden Folgen längst nicht mehr mit einer Rückkehr dieser Bevölkerungsgruppe in ihre Heimat zu rechnen war, ignorierte die damalige Bundesregierung gleichermaßen den aufkommenden Unmut der Mehrheitsgesellschaft wie die sich verschlechternde Lebenslage der nicht europäischstämmigen (kleinasiatischen) Migrantinnen.

Viel zu spät bemühten sich beispielsweise Migrationsbeauftragte oder Fachausschüsse um eine erfolgreiche Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe. Vor allem die in vielfältigen Bereichen des Alltags, besonders aber bei der Arbeitsplatzsuche exkludierenden Folgen mangelnder Sprachkompetenz (zunehmend auch in der Muttersprache) wurde lange Zeit nicht beachtet. Zwar haben wir mittlerweile Politikerinnen mit Migrationshintergrund sowie Ausländerbeiräte. Viele von uns haben türkische Kolleginnen, marokkanische Kommilitoninnen und albanische Nachbarinnen. Doch ist es bisher nur in Ausnahmefällen gelungen, die aus islamisch geprägten Kulturen stammenden Familien wirklich in unsere offene Gesellschaft zu integrieren.

Ein deutlicher Beleg für diese These lässt sich am Beispiel der schlechten sprachlichen und sozialen Integration der zweiten und der dritten Generation türkischer Mitbürgerinnen festmachen, die eher Hauptschulabschluss oder auch gar keinen Schulabschluss erlangen. Diese zahlenmäßig große Gruppe lebt nicht selten in fast ausschließlich türkischen Straßenzügen, versorgt sich mit allen Artikeln des täglichen Lebens in den Geschäften ihrer Landsleute und konsumiert dank Satellitenfernsehen Information wie Unterhaltung in türkischer Sprache. Gerade für Frauen und Kinder bleibt die deutsche Sprache zunehmend Terra incognita. Auch trägt die erst seit wenigen Jahren wahrnehmbare Angst der Musliminnen vor Assimilation gewollt oder ungewollt zu einer Ghettoisierung bei, da wirklich tragfähige soziale Bindungen nur zu Landsleuten bestehen. Gespräche mit Deutschen werden auf ein Mindestmaß reduziert, offener Gedankenaustausch gar ist sehr selten.

Die halbherzig betriebene Integrationspolitik führte dazu, dass ein besonders hoher prozentualer Anteil der Migrantinnen und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund arbeitslos war und ist. Die beiden zuletzt geborenen Generationen stehen zudem vor dem Dilemma, von uns als Ausländerinnen gesehen und behandelt zu werden, während sie im Herkunftsland als ’Deutschländerinnen’ gelten. Es sollte uns daher eigentlich nicht überraschen, dass besonders für die dritte Generation einer Migrationswelle angesichts derartig verschlechterter Lebensbedingungen die Frage nach der eigenen Identität immens wichtig wird.

Derart durch düstere Zukunftsaussichten und tiefe Identitätskrisen verunsichert ist es nicht verwunderlich, dass es nach der Islamischen Revolution, Iran 1979, zu einer (vermeintlich) Gemeinschaft stiftenden Fundamentalisierung und Islamisierung insbesondere der unter 40jährigen Musliminnen überall in den Industriestaaten Europa gekommen ist. So ist zu beobachten, dass die Kopftuch tragenden Frauen, viele von ihnen hier geboren, im Straßenbild immer häufiger werden. Die Tatsache, dass nicht selten junge Musliminnen streng verhüllt mit Tuch und langem Mantel das Haus verlassen, während ihre Mütter in der Kleiderfrage die westliche Variante bevorzugen, ist ein unfreiwilliges Ergebnis derartig verfehlter Integrationspolitik und der gesamtgesellschaftlichen Kultur des Wegschauens.

Besonders betroffen macht uns allerdings die Beobachtung, dass seit etwa 2004 bereits sehr junge Mädchen nur noch mit der streng gebundenen Variante des Kopftuchs, welche Nacken, Hals und Dekolletee bedeckt und nur noch das Gesichtsoval frei lässt, aus dem Haus ihrer Familie heraus gehen. Selbst Zehnjährige mit Hidschab, wir meinen damit die Haube, die, aus einem Stück Stoff genäht Haare, Schultern und Oberkörper vollkommen einhüllt, erscheinen im westdeutschen Stadtbild. Dazu tragen sie nicht selten den oben bereits erwähnten, vor wenigen Jahren eigens entworfenen knöchellangen grauen oder schwarzen Mantel.

Dieses streng islamistische Outfit ist, wie wir meinen, für kleine Mädchen, die auch noch spielen und herumtoben sollten, unpraktisch und bewegungsfeindlich. Auch erwachsenen Frauen können mit diesem kaftanähnlichen Gewand ‚keine großen Schritte‘ machen. Zudem behindern diese Formen des Kopftuchs zweifellos Hör- wie Sehsinn der Trägerinnen und schränken das (Um-)Weltwahrnehmen der Mädchen und Frauen nicht unerheblich ein, besonders wenn auch der Blick züchtig gesenkt werden muss. Diese Kleidungsgewohnheiten erhöhen nicht nur die Unfallgefahren im Straßenverkehr (eingeschränktes Blickfeld), nein, jeder einigermaßen aufmerksame Mensch wird bestätigen dass Körpersprache und Auftreten sowie Denk- und Lebensgewohnheiten beeinflusst werden.

Schon diese oben beschriebenen Alltagsszenen deuten an, dass es bei der bevorstehenden Entscheidung des Landtages von Nordrhein-Westfalen um weit mehr geht als um die rechtliche Gewichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität einerseits und das Diskriminierungsverbot eines nach Meinung der Anhängerinnen religiös zu interpretierenden Symbols einer monotheistischen Weltreligion andererseits. Hier steht wesentlich mehr als die Klärung dieser Streitfrage zur Entscheidung an!

Wie viele Politikerinnen und Bürgerinnen in der BRD sind wir der Meinung, dass Kleidungsstücke wie Hidschab und Türban (dazu gehören nach unserer Ansicht auch Kippa, Sikh-Turban oder Frömmler-Strickmütze der Islamisten) keine religiös zu interpretierenden Insignien sind, die unter das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 GG fallen. Diese Ansicht lässt sich wie folgt begründen:

Nach wie vor sehen weltweit viele Musliminnen das Tragen des Kopftuchs nicht als religiöse Pflicht an. So schreibt Prof. Bassam Tibi in seinem Buch Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland, dass er viele afrikanische und südostasiatische Gebiete islamischer Bevölkerung bereist habe, in denen Frauen mehrheitlich nicht Kopftuch tragen.

Auch in Europa und in der BRD ist die Gruppe derjenigen Muslimas, die sich nicht mit islamistischen Kleidungsvorschriften identifiziert, deren Mitglieder sich gleichwohl als gläubige Musliminnen bezeichnen, recht groß. Selbst im Koran wird man nach einem ausdrücklichen Kopftuchgebot vergeblich suchen (und nur im Hadith fündig), eher findet man dort Textstellen, die besagen, dass die Frauen keine auffällige Kleidung tragen sollten. Das Kopftuch selbst wird nicht erwähnt; Ralph Ghadban (Das Kopftuch in Koran und Sunna) hingegen weist auf die islamische Überlieferung hin. Wie aber kann es dann sein, dass gerade unter den jungen Muslimas der Anteil derjenigen, die zwar ihr Haar unter einem fundamentalistisch streng gebundenen Kopftuch verbergen, ansonsten aber bewusst erotische und den Körper in Szene setzende, hautenge Kleidung bevorzugen, so sehr groß ist (klappernde Stöckelschuhe, Top mit transparenter Spitze an Taille und Oberarm, Rock mit langen Seitenschlitzen)? Religiöse Motive scheinen diese Anhängerinnen des vermeintlich einzig wahren Glaubens wohl nicht gerade umzutreiben.

Unter Berücksichtigung solcher Beobachtungen und angesichts der Tatsache, dass sich selbst aus dem heiligen Buch der Muslime eine religiös begründete Verpflichtung jeder muslimischen Frau zum Tragen des Kopftuches nicht ableiten lässt, kann dieses ‚Stück Stoff‘ nicht als ein ‚eindeutig religiöses Symbol‘ interpretiert werden.

Im Konsens mit vielen Bürgerinnen und Politikerinnen in NRW und auch mit Blick auf die Bundesländer, in denen schon eine Entscheidung zum Kopftuch getroffen wurde, sind wir vielmehr der Ansicht, dass mit dem ‚Kleidungskodex der islamischen Renaissance‘ auch Haltungen einhergehen, die nicht schützenswert ist. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich bei ihrer Meinungsbildung keineswegs darauf zu beschränken, dass allein die Möglichkeit, dass ein Tragen des Kopftuches religiös begründet sein könnte, ausreicht, um eine verfassungsrechtlich nicht tragbare Beteiligung von kopftuchtragenden Lehrerinnen in staatlichen Schulen im Falle eines Kopftuchverbots abzuleiten.

Wir halten es für unverzichtbar, angesichts der Grundrechte der Kopftuchgegnerinnen wie auch der in dieser Frage Unentschiedenen abzuklären, für welche Strömungen (Politislam sprich Schariagesetz-Lobby; Traum vom erneuerten Kalifat), Lebenspraxen (Gewalt in der Erziehung, Zwangsverheiratung) und Geisteshaltungen (Verachtung von Andersgläubigen, Verbot der Apostasie bei Todesdrohung) das Symbol Kopftuch, das Prinzip Kopftuch eben auch gesehen werden kann. Sieht man sich im Straßenbild um, informiert sich oder spricht mit Vertreterinnen der beiden Meinungsfraktionen, spricht vieles dafür, dass ’dieses Stückchen Stoff’ für verschiedene Haltungen und Ansichten in Anspruch genommen werden kann. Doch sicherlich nicht für die Emanzipation der Frau.

Die demonstrative Unterwerfung unter eine Kleidungsvorschrift, die den äußerlich von Weitem erkennbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern zementiert, als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Gleichberechtigung zu werten hält nicht nur Frau Dr. Lale Akgün, MdB und langjährige Islambeauftragte der SPD Bundestagsfraktion für grotesk. Wer die Weiterentwicklung der Gleichberechtigung und Gleichstellung als wesentliches Ziel der Mitgliedsstaaten des Europarates anerkennt, kann eine solche Verunglimpfung und Verachtung der Frauen Iran, Afghanistan, Saudi Arabien und Algerien, die das Kopftuch eben nicht freiwillig gewählt haben, nur als zynisch ansehen.

Frauen, die behaupten, ohne Kopftuch würden sie sich nackt fühlen, geht es nicht alleine um Schutz. Nein, unausgesprochen unterteilen sie gleichzeitig ihre Geschlechtsgenossinnen in die Gruppe der Ehrenhaften und die der Unreinen, egal ob die Betroffenen Muslimas sind oder gar so genannte Ungläubige. Das Kopftuch, einschließlich der damit einhergehenden ‚Software‘, ist somit Symbol für die Spaltung der halben Menschheit in Sittsame, Tugendhafte sowie in verachtenswerte Sünderinnen. Die zunehmende Gewohnheit dieser Musliminnen, Männern prinzipiell nicht mehr die Hand zu geben (prominente Vertreterin: Fereshta Ludin), zielt in die gleiche Richtung: sie manifestiert für alle Umstehenden sichtbar der minderwertigere Stellung der Frau, die grundsätzlich als unrein gilt. Dieses (deutsche, europäische) Begrüßungs- und Verabschiedungsritual ist streng gläubigen Muslimas außerdem untersagt, weil selbst dieser harmlose Hautkontakt sexualisiert wird und Mädchen und Frauen unterstellt, wie eine Hure Männer zu verführen. Eine unserer Meinung nach kompromittierende Unterstellung.

Das Verhüllen der Haare kann also auch als Symbol für die Diskriminierung aller Menschen (also der muslimischen Männer) gesehen werden, die nicht bereit sind, sich dieser Frauen verachtenden Bekleidungsethik zu unterwerfen. Während eine große Gruppe von ‚Ungläubigen‘ Religionsfreiheit und das Recht zur freien Meinungsäußerung, d.h. auch Kritik an den religiösen Weltanschauungen, als demokratische Tugend (bekannte Persönlichkeiten erachtet (bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Prof. Bassam Tibi, der Dalai Lama, Hans Jonas und Willigis Jäger gehören dazu), droht Schriftstellerinnen und künstlerischen Freigeistern wie Sir Salman Rushdie die Todes Fatwa. Für eine solche Geisteshaltung, für die das Kopftuch eben auch stehen kann, religiöse Toleranz einzufordern, halten wir für eine dreiste Provokation.

Wir alle wissen um die lebenslang prägende Beispielfunktion jeder Kindergärtnerin und Lehrerin, vor allem in Grundschulklassen. Daher müssen wir damit rechnen, dass nicht nur auf muslimische Kinder und Schülerinnen einer neben den Eltern und später der Peergroup so wichtigen Identifikationsfigur vorbehaltlos nacheifern. Eine Art textilen Ausweis der Reinheit und Rechtgläubigkeit (dazu gehören auch das islamische maskuline Gebetskäppchen und die jüdische Kippa) tragende Islamistinnen hätten dann in staatlichen Institutionen wesentlichen Anteil an der Interpretationshoheit ‚wahrer Religion‘. Sie würden jungen Muslimas verdeutlichen, wie sich ehrbare Mädchen und Frauen nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber kleiden und zu verhalten hätten. Damit würden wir ausgerechnet Fundamentalistinnen einen so wesentlichen Bereich wie die Deutung des (Um )Welt- und Menschenbildes in demokratischen Erziehungs- und Bildungsräumen überlassen.

Die gesunde, selbst bestimmte Entwicklung von Töchtern und Söhnen zu gesellschaftskritischen und demokratischen Persönlichkeiten, die ein auf dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz §) fußendes Frauenbild bejahen, sollte uns sehr am Herzen liegen. Nicht nur wir Pädagoginnen sollten uns verpflichtet wissen, jeder diesem Erziehungs- und Bildungsauftrag zuwiderlaufenden Entwicklung entschieden entgegenzutreten. Die seit wenigen Jahren von Islamisten propagierte Abmeldung vom Sport- und Schwimmunterricht sowie das Verbot an Klassenfahrten teilzunehmen, verhindert ein wesentliches Erziehungsziel: die gelingende Integration in die Klassengemeinschaft.

Der Gewissenskonflikt, dem junge Musliminnen, die ihre nicht verhüllten Mütter und Schwestern verachten müssten ausgesetzt sind, dürfte niemanden kalt lassen, schon gar nicht Abgeordnete einer demokratischen Landesregierung. Solch vorgeblich religiöse Kleidungs- und damit einhergehende Verhaltensvorschriften und Einstellungen sorgen für die Instrumentalisierung unserer Schulhöfe, Lehrerzimmer und Klassenräume durch die hart agitierende Minderheit der Fundamentalistinnen und verstoßen gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Beides kann nicht im Interesse der Landespolitik sein und sollte durch ein entsprechendes Gesetz verhindert werden.

Das Verbot von Kopftuch und anderen aufdringlichen Symbolen sollte sich jedoch keinesfalls auf staatliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen beschränken, sondern auch im Gerichtssaal Anwendung finden. Dies halten z.B. für eine verfassungskonforme Verteidigung und Urteilsfindung für unumgänglich. Wir hätten Zweifel, dass ein Gebetskappe oder Turban tragender Anwalt beziehungsweise eine streng verhüllte Richterin aufgrund ihrer schon äußerlich sichtbaren fundamentalistisch religiösen Wertehierarchie zu einem Vergewaltigungsopfer oder zu einem homosexuellen Verdächtigen mit der gebotenen Objektivität Stellung nehmen kann.

Ümmühan Karagözlü

Diese Abhandlung wird von einer Autorin verfasst. Sie beschreibt und reflektiert insbesondere Lebenslage und Perspektiven von Frauen mit und ohne Migrantionshintergrund in der BRD. Zur besseren Lesbarkeit des Textes verwendet die Autorin generell die weibliche Sprachform (geschrieben: Sozialpädagoginnen, Bürgerinnen etc.), Männer sind ganz selbstverständlich mit gemeint.

Manifest der Zwölf

Oktober 17, 2007

Manifest der Zwölf:

Manifest

der Zwölf

Gemeinsam gegen den

neuen Totalitarismus

1. März 2006

Nachdem die Menschheit Faschismus, Nazismus und Stalinismus glücklich überwunden hat, sieht sie sich nun einer neuen globalen Bedrohung des gleichen totalitären Typus gegenüber, dem Islamismus.

Wir als Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle rufen zum Widerstand gegen diesen religiösen Totalitarismus auf und zum Kampf für Freiheit, Chancengleichheit und säkulare Werte für jeden und überall.

Die jüngsten Ereignisse, die sich in den Monaten nach der Veröffentlichung der so genannten dänischen Mohammed-Karikaturen zutrugen, sie haben uns Bedeutsamkeit und Notwendigkeit des Kampfes für jene universellen Werte wieder einmal deutlich gemacht.

Dieser Kampf wird nicht mit Waffengewalt entschieden werden können, sondern auf geistig‑kultureller Ebene gewonnen oder verloren. Wir erleben in diesen Jahren weder den viel beschworenen ’Zusammenprall der Kulturen’ noch einen etwaigen Gegensatz zwischen ’Orient und Okzident’. Vielmehr erleben wir einen weltweiten Kampf zwischen Rechtsstaat und Gottesstaat: zwischen Demokratie und Theokratie.

Wie alle Totalitarismen, so wird auch der Islamismus von Ängsten und Frustrationen genährt. Dabei stützen sich die Hassprediger gekonnt auf eben diese Emotionen, um ihre halbmilitärischen Gefolgschaften zu ordnen, welchen kaum verhohlen die Zielrichtung vorgegeben wird, die mancherorts bereits errungene Freiheit zu vernichten und die Ungleichheit zu erzwingen. Und wir sagen es laut und deutlich: nichts, nicht einmal die Verzweiflung rechtfertigt die Wahl von Obskurantismus, Totalitarismus und Hass.

Islamismus ist eine reaktionäre Weltanschauung, die Gleichheit, Freiheit und Säkularität tötet, wo immer sie den Ton angeben darf. Ihr Erfolg würde zu einer Gesellschaft der prinzipiellen Ungleichheit und der brutalen Ausbeutung führen, zu einer Gesellschaft, in der die Frauen durch die Männer unterdrückt werden und die Nicht‑Islamisten durch die Islamisten. Um das zu verhindern, kommt es darauf an, unterdrückten oder diskriminierten Menschen weltweit den Weg zu ihren universellen Rechten zugänglich zu machen.

Wir weisen einen jeglichen Kulturrelativismus zurück, der gerne darin besteht, es hinzunehmen, dass Männern oder Frauen aus der muslimischen Kultur im Namen einer ’Rücksichtnahme auf Kulturen und Traditionen’ ihr persönliches Recht auf Gleichheit, auf Freiheit und auf echte Religionsfreiheit vorenthalten wird.

Wir weigern uns, unseren kritischen Geist aus der modischen Sorge heraus zu verleugnen, der so genannten Islamophobie bezichtigt zu werden. Islamophobie, jenes fragwürdige Konzept, das die Kritik des Islams als rückständiges Glaubensgebäude mit der Ausgrenzung seiner gläubigen Individuen bewusst zu verwechseln trachtet.

Wir setzen uns vernehmlich für die weltweite Zugänglichkeit des Rechts auf Meinungsfreiheit ein, damit der Geist kritischen Denkens auf allen Kontinenten wehen kann, um bald jeden Missbrauch und alle Dogmen als solche erkennbar und benennbar zu machen.

Wir richten diesen Aufruf an die Demokraten aller Länder, auf dass das angebrochene Jahrhundert ein Zeitalter der Aufklärung sein möge und keine Epoche des Obskurantismus.

Mittwoch, den 1. März 2006

Erstunterzeichnende:

Ayaan Hirsi Ali

Chahla Chafiq

Caroline Fourest

Bernard-Henri Lévy

Irshad Manji

Mehdi Mozaffari

Maryam Namazie

Taslima Nasreen

Salman Rushdie

Antoine Sfeir

Philippe Val

Ibn Warraq

dt. v. gruppe pik, 17.10.2007

Was sind uns unsere Grundrechte wert?

Oktober 1, 2007

In dem Stadtteil Neukölln/Berlin drohte eine Mitarbeiterin des dortigen Jobcenters einer 25-jährigen Muslimin in einem Streitgespräch um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit einer Leistungskürzung, wenn die junge Deutsche palästinensischer Herkunft nicht bereit sei, sich endlich ernsthaft um eine Tätigkeit zu bemühen. Dazu sei es unumgänglich, das Kopftuch abzulegen, mit dem ihre Chancen auf einen Job stark sinken würden. Auf die Frage der selbstbewussten “Hilfebedürftigen“ in welchem Gesetz dies denn stehe, war die äußerst unsachliche Antwort der „Beraterin“ …“das steht bestimmt im nächsten Jahr im Gesetz!“, worauf sich die Muslimin diskriminiert fühlte und sich mit ihrem Erlebnis an die taz wandte.

Kommentar:

Nach §2 SGBII muss jede(r) erwerbsfähige Hilfebedürftige aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer/seiner Eingliederung in Arbeit mitwirken. Ebenso ist sie/er verpflichtet, sich an die Eingliederungsvereinbarungen zu halten. Ist eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Leistungsempfängerin/den Leistungsempfänger nicht möglich, muss die/der erwerbsfähige Hilfebedürftige jede ihr/ihm zumutbare Arbeitsgelegenheit annehmen.

Leistungskürzungen können demnach also nur auf Grund von Verstößen seitens des Leistungsempfängers gegen diese Verpflichtungen vorgenommen werden. Jetzt wäre es doch sehr interessant, weswegen es zum Streitgespräch zwischen der Beraterin des Jobcenters und der Muslimin kam und warum die Mitarbeiterin des Jobcenters offensichtlich den Eindruck haben musste, die Leistungsempfängerin bemühe sich nicht ernsthaft um eine Beschäftigung. Dazu schweigt die taz jedoch. Das mag politically correct sein, dient aber nicht der Objektivität.

Wie auch immer, nach § 15 SGB II heißt es im Umkehrschluss, dass jede Beschäftigung als zumutbar gilt, wenn das tarifliche oder ortsübliche Entgelt gezahlt wird und die Kinderbetreuung sichergestellt ist. Sollte die junge Frau gegen diese Pflichten von LeistungsempfängerInnen verstoßen haben, hätte die Beraterin einen juristisch einwandfreien Grund, Leistungen zu kürzen.

Ich meine zu diesem bedauerlichen Vorfall:

es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass MitarbeiterInnen von Jobcentern die einschlägigen Gesetze bestens kennen, ihnen sollten ebenfalls Arbeitsrichtlinien und Gerichtsurteile zur Umsetzung der Vorschriften zur Verfügung stehen, sie sollten auf das gelingende Durchführen von konfliktreichen Klientengesprächen geschult werden. Eine Szene wie die eben beschriebene darf sich nirgendwo wiederholen.

Andererseits kann ich den Missmut der Sachbearbeiterin auch nachvollziehen. Sie beruft sich wohl auf in der Geschäfts- und Arbeitswelt der Bundesrepublik seit langem praktizierte Dress-Codes, die nicht per Gesetz oder Erlass festgeschrieben sind, sondern aus einem Bedürfnis nach Konformität, auf Grund einer stillschweigenden Übereinkunft oder einer Erwartungshaltung eines Arbeitgebers eingehalten werden. So kann der Inhaber eines westlichen Kaufhauses durchaus von seinen Angestellten erwarten, jede KundIn gleich zuvorkommend zu behandeln, weltoffen und politisch wie religiös neutral aufzutreten und dies auch durch ihre/seine Kleidung zu dokumentieren.

Im Arbeitsleben wird die Kleidung der MitarbeiterInnen oft dem vom Arbeitgeber angestrebten Image (Unternehmenskultur, Corporate Identity) angepasst und kann eine gewünschte Farbwahl bis hin zur Standard Uniform umfassen (Wikipedia.org/wiki/Kleiderordnung / 9.11.07).

Jeder hier sozialisierten Bewerberin / jedem hier sozialisierten Bewerber ist bekannt, dass bei beruflichen Vorstellungsgesprächen unangebrachte Kleidung die Entscheidung für oder gegen eine Kandidatin/einen Kandidaten ungünstig beeinflussen kann. (Wikipedia.org/wiki/Kleiderordnung / 9.11.07).

Das Tragen eines Kopftuches in diesem Zusammenhang könnte in der Bundesrepublik Deutschland durchaus als unpassend erachtet werden, besonders in Bereichen, in denen KundInnenkontakte zum Arbeitsalltag gehören. Dies ist sicherlich auch der jungen Frau aus Neukölln bekannt.

Da es sich bei dem fraglichen Ereignis um einen Routinetermin handelt (s. Spiegel, auch die heftige Reaktion der Beraterin lässt auf eine Vorgeschichte schließen), hat die Mitarbeiterin des Jobcenters genügend Gelegenheit gehabt, sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Ich kann ihren Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen ihrer Klientin verstehen, wenn auch das Gespräch niemals hätte verbal derartig entgleisen dürfen.

Die junge in Deutschland geborene Frau palästinensischer Abstammung genießt hier verfassungsrechtlich garantierte Grund- und Menschenrechte, die sie vor Diskriminierung schützen und die ihr viele Handlungs- und Gestaltungsmuster der persönlichen Lebensführung zur Verfügung stellen. Die Demokratie ist jedoch kein Selbstbedienungsladen, in dem man Grundrechte nach Gutdünken in Anspruch nimmt oder für sich als nicht zutreffend erklärt. Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einem sozialen Rechtsstaat, aber auch in einer kulturellen Moderne, in der Säkularität und Religionsfreiheit, auch der negativen, wesentliche Kennzeichen des Geschäfts- und Berufslebens sind. Hier wird keine Frau gezwungen, Haare mit einem Kopftuch oder Haare und Körper mit Hijab, Niqab oder Burqa zu bedecken.

Die Frau, die sich trotzdem verschleiert, wohl wissend, dass sie damit ihre Einstellungschancen womöglich minimiert, handelt freiwillig und bewusst. Ich halte es daher für vertretbar, an der aktiven Mitarbeit, die Grundlage jeder Eingliederungsvereinbarung ist, zu zweifeln. Die Neuköllnerin missachtet meiner Meinung nach außerdem das Recht der negativen Religionsfreiheit im nicht kirchlichen Arbeits- und Berufsleben. Ein Grundrecht, für dessen Verwirklichung Menschen ihre Existenz und ihr Leben eingesetzt haben, um dessen Willen sie gezwungenermaßen aus der Heimat geflohen sind, alles auf eine Karte setzend, in der Hoffnung auf Freiheit. Was ist uns dieses Menschenrecht wert?

Der muslimische Iraner Ibrahim Batmani schätzt diese Freiheit sehr. Er kennt die Schrecken der iranischen Theokratie und war wegen regierungskritischer Äußerungen inhaftiert worden. Es gelang ihm die Flucht nach Norwegen, wo er ein Leben in Freiheit und nach seinen eigenen Vorstellungen führen wollte. Der 47‑Jährige war überzeugt, in einem westlichen, demokratischen und säkularen Land zu leben, in dem Männer und Frauen im Privatleben frei in der Wahl ihrer Kleidung seien und jede/jeder ihre/seine Meinung frei äußern dürfe. Er war sicher in dem schwedischen Möbelhaus IKEA einen Arbeitgeber gefunden zu haben, der ähnliche Grundsätze hatte wie er selbst. Dies stellte sich jedoch nach fast 10-jähriger Betriebszugehörigkeit als Irrtum heraus.

Der Iraner wollte eine neue muslimische Kollegin, die am Mittagstisch Platz nahm, mit Handschlag begrüßen. Als die verschleierte Frau diesem bei EuropäerInnen als höflich geltenden Begrüßungsritual aus religiösen Gründen ausweichen wollte, sagte der Iraner, dass es doch keine Notwendigkeit gäbe, Hijab bei Ikea in Norwegen zu tragen, sie befinde sich doch in einem freien Land. Die Angesprochene reagierte brüsk und wies den Iraner zurecht, dass dies doch absolut nicht seine Angelegenheit sei, beschwerte sich bei ihren Vorgesetzten über das ihrer Ansicht nach anstößige und belästigende Verhalten des Kollegen und nahm sich völlig verzweifelt den Rest des Tages frei (so Pax Europa und Gates of Vienna sinngemäß).

Dieser Vorfall endete mit einer Abmahnung des Arbeitgebers IKEA an Batmani, des Inhalts, dass man dem Regimekritiker einer Theokratie Rassismus vorwarf, weil er in einem demokratischen Staat sich die Freiheit nahm, eine neue Kollegin darauf aufmerksam zu machen, dass sie im Job nicht gezwungen sei Hijab zu tragen. “This is in conflict wirh IKEA´s policy and values and it is not acceptable for our employees to behave like this,”(“dies widerspricht der Firmenphilosophie und den Leitlinien von IKEA und es ist nicht akzeptabel, dass unsere MitarbeiterInnen sich so verhalten,“… . Quelle: Gates of Vienna, frei übersetzt ins Deutsche von ük.).

Bei einer anderen Gelegenheit brachte sich der couragierte Iraner in eine Diskussion mit seinem Arbeitgeber ein und trug erneut seine Meinung vor, dass MitarbeiterInnen während der Arbeit nicht Hijab tragen sollten. Bei dem anschließend an seinem Arbeitsplatz stattfindenden Treffen versicherte Batmani, dass er die Meinung der Hijab tragenden Frauen respektiere, dass er es jedoch für angebracht halte, dass IKEA diese Angelegenheit entscheide und nicht die Muslime.

Das kostete Batmani endgültig den Job, Begründung des Kündigungsschreibens: Rassismus und Missachtung schriftlicher Abmahnungen. Der Iraner ließ sich nicht entmutigen und sagte der Aftenposten “Norway is a fine country and I just want to say that in Norway you´re not forced to wear the hijab if you don´t want to. I don´t care if you wear the hijab privately. My mother wears the hijab,“ (Norwegen ist ein wunderbares Land und ich wollte nur sagen, dass in Norwegen keine Frau gezwungen ist Hijab zu tragen, wenn sie es nicht will. Ich kümmere mich nicht darum, wenn Frauen privat Hijab tragen. Meine Mutter trägt Hijab,…“ übersetzt ins Deutsche: ük; Quelle: Gates of Vienna / Aftenposten).

Der langjährig als Tellerwäscher beschäftigte Mitarbeiter des schwedischen Möbelhauses klagte gegen die Kündigung vor einem Osloer Gericht. Schon während des Prozesses milderte IKEA den Vorwurf Batmani sei ein Rassist dahingehend ab, dass der Konzern befürchte, der Iraner würde mit seinem in ihren Augen unpassenden Verhalten gegenüber Kolleginnen, die Hijab tragen fortfahren und damit den Betriebsfrieden gefährden. Das angerufene Gericht wies die Befürchtungen des Möbelkonzerns mit der Begründung zurück, dass kaum vorstellbar sei, dass der Kläger nicht verstanden habe, dass IKEA eine solche Handlungsweise nicht erlaubt. Außerdem rehabilitierte das Gericht den obrigkeitskritischen Batmani und erklärte die Kündigung für ungerechtfertigt und unhaltbar. Nach allgemeingültiger Rechtsauffassung sei eine erhebliche Beleidigung einer Person notwendig, um eine Kündigung aus diesem Grunde zu rechtfertigen.

Der Pressesprecher des Unternehmens, Christen Roehnebaek, erklärte, dass IKEA das Gerichtsurteil zu Kenntnis nehme, sich aber vorbehalte, es gründlich zu prüfen, bevor der Konzern eine Entscheidung treffen will, wie es weiter gehen soll. Für das Großunternehmen sei die Kleidungsangelegenheit Privatsache der MitarbeiterInnen, die aus Respekt vor den Betroffenen nicht öffentlich besprochen werden sollte.

Ümmühan Karagözlü

Quellen: Pax Europa, Gates of Vienna, Aftenposten

Die vier Säulen des künftigen Schulwesens in NRW

Oktober 1, 2007

Sommernebel.

Ein Stück weiter gedacht

Frau Schulministerin Barbara Sommer möchte die Schule in NRW grundlegend reformieren, um die Sitzenbleiberinnen Quote bis 2009 um 50% zu reduzieren. Eine Klasse zu wiederholen sei nur dann sinnvoll, wenn tatsächlich der gesamte Lernstoff des Schuljahrs nicht verstanden worden ist, so Sommer sinngemäß. Die 60.000 Wiederholer seien außerdem sehr teuer und würden 3000 Lehrer binden, die in anderen Aufgabenbereichen wesentlich effektiver und effizienter eingesetzt werden könnten, so die Ministerin.

Um noch in dieser Legislaturperiode ihr Ziel zu erreichen, soll dem beunruhigend hohen Unterrichtsausfall entgegengewirkt werden. Zu diesem Zweck stellt die Ministerin 4000 Lehrerinnen zusätzlich ein, mit weiteren 500 Stellen will sie im gleichen Zeitraum den Ganztagsbetrieb an den Hauptschulen ausbauen. Die dazu erforderlichen Geldmittel sollen durch Einsparungen in anderen Ressorts rückfinanziert werden. Diese personellen Verbesserungen seien jedoch nur flankierende Maßnahmen, welche die folgenden, auf vier Säulen ruhenden grundlegenden Reformen rahmen sollen:

· Individuelle Förderung aller Schülerinnen

Jede Schulleiterin trägt die Verantwortung dafür, dass leistungsschwache Schülerinnen so gefördert und unterstützt werden, dass Sitzenbleiben nur noch in begründeten Ausnahmefällen nötig und möglich ist. Schulen, die das Sitzenbleiben aus ihrem Profil streichen, werden honoriert werden.

· Durchlässigkeit der Schulformen

In der 5. und 6. Klasse soll am Ende jedes Schulhalbjahres geprüft werden, ob die schulischen Leistungen einer Schülerin sich auf einem Niveau stabilisiert haben, dass ein Aufsteigen in eine höhere Schulform sinnvoll macht.

· Die Eigenverantwortung der Schulen soll gestärkt werden.

Jede Schule ist für ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit selbst verantwortlich. Keine Schülerin soll mehr in der Masse verloren gehen.

· Wettbewerb um pädagogische Konzepte.

Schulen werden künftig ihr eigenes Profil entwerfen und um die Gunst der Eltern konkurrieren. Damit Erziehungsberechtigte die neuen Wahlmöglichkeiten voll ausschöpfen können, sollen folgerichtig die Grundschulbezirke aufgelöst werden. Das Kind kann dann künftig angemeldet werden, wo es nach Auffassung der Anmeldenden am besten betreut ist. Pendlern wäre es dann auch möglich, ihren Nachwuchs in der Nähe ihres Arbeitsplatzes beschulen zu lassen. Sollten Lehranstalten künftig nicht mehr frequentiert werden, sollen sie geschlossen werden, um die Haushaltskasse der Städte und Kommunen zu entlasten.

Kommentar:

Pünktlich zum Ende der Sommerferien stellt die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer ihre Reformpläne für die verbleibende Legislaturperiode vor. Wer die Geduld aufbringt und bienenfleißig die über viele Nachrichtenkanäle verstreuten Informationskrümel zusammensammelt (WZ, RP, WDR, Bildungsserver) muss sich fragen, was Sommer eigentlich will. Geht es um reinen Aktionismus oder will sie sich, wie sie es selbst ausdrückt, daran prüfen lassen, wie man jungen Menschen am besten gerecht wird? Dann wäre sie bei mir aber durchgefallen. Das möchte ich wie folgt begründen.

Bravo, die Lehrerinnenkollegien werden verstärkt, Kopfnoten für Arbeits- und Sozialverhalten werden eingeführt, unentschuldigte Fehlstunden aber auch außerschulisches Engagement werden im Zeugnis vermerkt, kein Kind soll mehr in der Masse verloren gehen, jede Schülerin soll individuell gefördert werden, Schulleiterinnen übernehmen einen Großteil Verantwortung für gelingendes Lernen an der Schule. Heile neue (Schul)Welt?

Oberflächlich betrachtet ist es natürlich wünschenswert, dass Mädchen und Jungen nicht ein ganzes Jahr verlieren, wenn es effektive und effiziente Alternativen gibt. Doch die kennt die Frau Ministerin wohl auch nicht, jedenfalls suchen Leserinnen in den Artikeln vergebens danach. Ebenfalls erklärt die Schulministerin nicht, was überhaupt unter dem Begriff individuelle Förderung verstanden werden soll. So macht sich jede ihr eigenes Bild – und alle sind zufrieden?

Aus sozialpädagogischer Sicht versteht man unter individueller Förderung eine ganzheitliche, genau auf die Person zugeschnittene Unterstützung, die immer auch die Persönlichkeitsbildung mit einschließt. Dann sind ‘Verhaltensnoten‘ für die Erstellung einer Sozialprognose ein wertvolles Werkzeug um maßgeschneiderte Förderkonzepte zu erstellen.

Gerade deshalb sollten gemeinsam entworfene, für alle Schulen gleichermaßen gültige Richtlinien für diese ‘Kopfnoten‘ entwickelt werden, die traditionelle Rollenbilder bewusst aufweichen. Nur so können schon Grundschülerinnen lernen, Gestaltungsgrenzen zu erkennen und zu akzeptieren, andererseits Handlungsspielräume zu schaffen und voll aus zu schöpfen. Dies ist sicher lohnenswertes Förderziel.

Was immer die Schulministerin mit 4500 zusätzlichen Arbeitsstellen erreichen will, die Sitzenbleiberinnenquote lässt sich bei den Lern- und Arbeitsbedingungen an vielen unserer Schulen in NRW kaum verwirklichen. Alltagsbeispiel:

In einer Grundschulklasse sind 23 Mädchen und Jungen, 15 SchülerInnen haben Migrationshintergrund, sie stammen aus 10 verschiedenen Herkunftsländern und wachsen in Familien mit sehr unterschiedlicher Lebensbiographie und verschiedenem sprachlich-kulturellem Hintergrund auf. Die Mehrzahl ist muslimisch, die Schule ist für all diese Kinder aus Zuwandererinnenfamilien der einzige Übungsort der deutschen Sprache, weil zu Hause nicht deutsch gesprochen wird und von den Kindern, aus welchen Gründen auch immer, kaum Kontakt zu deutschen Klassenkamaradinnen gesucht wird. Integrations- und Orientierungskurse haben die Eltern nicht besucht oder sie wenden die erworbenen Kenntnisse trotz der dringenden Empfehlungen der Klassenlehrerinnen nicht an. Besonders die Mädchen mit fundamentalistisch-muslimischer Sozialisation sind in ihrer Lernentwicklung stark eingeschränkt.

Die oben beschriebene Situation ist an Grund- und Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen keine Seltenheit. Diese Tatsache dürfte auch an der Frau Ministerin nicht vorbei gegangen sein. 4000 zusätzliche Lehrerinnen ändern daran nichts. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass auch leistungsstarke Schülerinnen ein Recht auf an ihren Fähigkeiten und Neigungen orientierte Förderung haben. So lässt sich das weit auseinander klaffende Leistungsniveau in Klassen nicht beheben.

Bei einer solchen ‘Eliteförderung‘ bestünde die Gefahr, dass Leistungsschwache glauben den Anschluss nun endgültig verloren zu haben, noch mehr entmutigt werden und aufgeben oder jene ‚Streberinnen‘ nicht akzeptieren und mobben. Ebenfalls befürchte ich, dass manche ‚Besserwissies‘ leistungsschwächere SchülerInnen verachten. Wäre es daher auch vor dem Hintergrund des miteinander Konkurrierens der Schulen nicht sinnvoller, zunächst die Schülerinnen mit schlechten Noten zu fördern und dann bei ausgeglichenem Leistungsstand die anderen mit einzubeziehen?

Natürlich wird beim Unterrichtsinhalt das in der Regel geringe Leistungsniveau der Klasse berücksichtigt, zugleich aber ist ein Lehrplan einzuhalten. Ein großer Anteil des Förderunterrichts wird also in den Nachmittagsbereich verlegt werden müssen. Die Ausdehnung des Ganztagsbetriebs auf Hauptschulen ist daher unbedingt notwendig. 500 zusätzliche Stellen sind da sicherlich hilfreich, aber gemessen am tatsächlichen Bedarf, da die Mädchen und Jungen auch spielen und herumtoben sollen, leider nicht mehr als ein schlechter PR-Gag.

Nach meiner Erfahrung sind Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung bisher höchstens dafür geeignet, Kinder und Jugendliche ‘von der Straße’ zu holen und damit dem Blick der kritischen Öffentlichkeit zu entziehen. Eine reine ‘Kasernierung‘ der Kinder und Jugendlichen ist jedoch nicht dazu geeignet, die Sitzenbleiberinnenquote zu reduzieren. Diesen Eindruck muss ich jedenfalls haben, wenn ich die Bedingungen betrachte, unter der so genannte Hausaufgaben- und Nachmittagsbetreuung sowie Lernförderung in der Regel stattfindet.

Viel zu große Gruppen werden meist von nicht eigens geschulten ehrenamtlich Tätigen, von 400‑€‑Kräften oder von Klientinnen der ARGE, die schlechtestenfalls nie mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollten, betreut. Bei einem Personalschlüssel von 1/12, günstigstenfalls 1/10 ist es unmöglich, die nötige Ruhe und lernförderliche Atmosphäre herzustellen, auch weil nicht selten Lern- und Spielbereich nicht weit genug voneinander entfernt sind.

Oft reicht die Qualifikation der Betreuungskräfte nur aus, das Silentium zu beaufsichtigen, kontrolliert und korrigiert werden die Aufgaben nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zusammensetzung der Lerngruppen wie oben beschrieben sehr heterogen ist. Das größte Problem sind die geringen Sprachkenntnisse. Einfache Arbeitsaufträge werden oft nicht verstanden und müssen erst einmal in für die Kinder und Jugendlichen verständliche Sprache umgesetzt werden (Schulbuch: ‘Überprüfe das Ergebnis mit der Überschlagprobe‘, darauf das zehnjährige türkische Mädchen: “Was ist ein Ergebnis?“). Manche Schülerinnen sind wenig motiviert und brauchen Ermutigung und Zuwendung.

Unter solch sowohl extremen wie zugleich alltäglichen Arbeitsbedingungen kann Schule bereits heute ihrem Förder- und Betreuungsauftrag nicht gerecht werden, sie wird zur reinen Verwahranstalt. Auch hier fehlen gemeinsam entwickelte, genderbezogene Richtlinien, die zur Sicherung und Verbesserung der Qualitätsstandards dienen und die von unabhängig zertifizierten Gremien permanent überprüft werden.

Schulen sollen künftig mit eigenen pädagogischen Konzepten um die Gunst der Eltern wetteifern. Wie dieser Wettbewerb aussehen soll, das überlässt die Ministerin offensichtlich der Innovation der Schulen. Außerdem vertraut sie da ganz auf die Entscheidungskompetenz der Eltern, die wohl schon wissen werden, wo ihr Nachwuchs am besten gefördert werden wird.

Prima, und was ist, wenn die sich nicht sicher sind? Wenn größere Entscheidungsfreiheit bei der Schulauswahl nicht zur Tyrannei der Wahlmöglichkeiten werden soll, dann müssen Schulen ihr Profil in der Öffentlichkeit ausführlich darstellen und pädagogische Konzepte erklären. Um jedoch ‘Schönfärberei‘ zu vermeiden, sollte jegliches Werbematerial allgemein gültige Qualitätsstandards erfüllen, die von externen, unabhängigen Kontrollinstanzen überprüft werden.

Wenn die Auflösung der Grundschulbezirke auch Handlungsoptionen zu erweitern scheint, sollten die Argumente nicht übersehen werden, die vor einer Ghettoisierung von Schülerinnen mit Migrationshintergrund warnen.

Nachdem es bisher den Lehrerinnen aus den beschriebenen Gründen nicht gelungen ist, das Leistungsniveau in ihren Klassen anzugleichen und zu bessern (s. einschlägige Testergebnisse) ist es mir völlig unklar, wie sie pünktlich zum Schuljahresbeginn 2007/2008 quasi aus dem Nichts in der Lage sein sollen, auf das einzigartige Lernprofil jeder Schülerin genau zugeschnittene Förderpläne zu entwerfen und vor allem umzusetzen (fehlende zeitliche und personelle Ressourcen).

Ebenfalls würde mich interessieren, nach welchen Kriterien Schulaufsichtsämter Schulen mit hohen Sitzenbleiberinnenquoten andere Schulen, wie von Frau Sommer, vorgesehen ‘beraten‘ und auf welchen plötzlichen Erkenntnissen eben diese Tipps und Lösungskonzepte beruhen. Schön, wenn Kompetenzteams für Fortbildung sich jetzt der individuellen Förderung und der Reduzierung der Sitzenbleiberinnenquote als Schwerpunktthemen widmen, nur: woher sollen die Erkenntnisse denn so plötzlich herkommen? Wie wird sich das kollegiale Verhältnis zwischen Förderschwerpunktschulen und ‘Restschulen‘ entwickeln? Werden diese Schwerpunkte auch in den Lehrplan an Hochschulen einbezogen?

Ich befürchte, dass Wettbewerbssituation und Zertifizierungskriterien dazu verleiten könnten, mittels ‘kreativer Buchführung‘ Zahlen zu ‘frisieren‘, man setzt einfach die Leistungsstandards und Beurteilungskriterien herunter (die Schülerin wird nicht sitzenbleiben, weil ihr das nicht hilft: “wir werden sie einfach mit durchziehen“, so eine Grundschullehrerin bereits heute). Deshalb sollten allgemeingültige Qualitätsstandards für die Bewertung von Klassenarbeiten und die Beurteilung des allgemeinen Leistungsstandes von unabhängigen Gremien bindend vereinbart werden, deren Standards ihrerseits offengelegt werden müssen. Das allerdings würde die Sitzenbleiberinnenquote eher erhöhen.

Anders als die Ministerin glaube ich, dass Schulen angesichts des bevorstehenden Wettbewerbs die Durchlässigkeit der Schulformen dafür benutzen werden, schlechte Schülerinnen abzuschieben. Dieses Verhalten wird besonders attraktiv, wenn Schulen ohne Klassen-Wiederholerinnen mit begehrten Qualitätssiegeln und 50% Stellen belohnt werden.

Wird es unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich sein, offen und ehrlich die eigene Schule zu kritisieren oder werden Lehrerinnen sich zukünftig wie diplomierte ‘unter den Teppich Kehrerinnen‘ fühlen?

Mir ist schleierhaft, wie eine im Schulwesen so beheimatete Frau, mit theoretischen und praktischen Erfahrungen als Mutter, im Studium, als Sonderschullehrerin, Grundschullehrerin, Rektorin, Schulrätin sowie Schulamtsdirektorin so wirklichkeitsfremd argumentieren kann.

Wozu dieser Vernebelungsversuch? Die Bürgerinnen mit halben Informationen hinzuhalten, um sie anschließend mit Unschuldsmine vor vollendete Tatsachen zu stellen?

Wenn die Ehefrau des IHK-Präsidenten von Ost-Westfalen die Privatisierung der Schulen forcieren möchte, soll sie das doch sagen. Die Bürgerinnen hätten dann die Chance, nach guter demokratischer Sitte diesen Sachverhalt zu diskutieren.

Ümmühan Karagözlü

[1] Diese Abhandlung wird von einer Autorin verfasst. Sie beschreibt und reflektiert insbesondere Lebenslage und Perspektiven von Migrantinnen in der BRD. Daher verwendet die Autorin generell die weibliche Sprachform (geschrieben: Sozialpädagoginnen, Bürgerinnen etc.), Männer sind ganz selbstverständlich mit gemeint

Kein Kopftuch an öffentlichen Schulen

Oktober 1, 2007

Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigt Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen

An Nordrhein-Westfalens öffentlichen Schulen ist es muslimischen Lehrerinnen auch weiterhin nicht erlaubt, ein schariakonformes Kopftuch zu tragen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies die Klage der 52jährigen vom Christentum zum Islam konvertierten Hauptschullehrerin Brigitte Weiß ab. Das Gericht vertrat die Auffassung, das Kopftuch sei, egal welche Variante die Trägerinnen auch favorisieren, eine religiöse Bekundung und so ein Verstoß gegen die gebotene staatliche Neutralität an den öffentlichen Schulen. Die Klägerin will, gegen diese richterliche Entscheidung Berufung einlegen.

Die Düsseldorfer Richter schlossen sich der bisherigen vier Entscheidungen Nordrhein-westfälischer Gerichte an. Neu ist allerdings, dass diesmal einer langjährig im Schuldienst tätigen Beamtin das Tragen des Kopftuches während des Dienstes gerichtlich untersagt wurde, drei der vorherigen fundamentalistisch-islamisch orientierten Klägerinnen waren Angestellte, eine vierte Muslima wollte als Beamtin auf Probe eingestellt werden.

Ein Sprecher des Schulministeriums äußerte sich „sehr zufrieden“ über die Bestätigung des Verbotes. Auch dieses Weblog, das sich auch an Lehrende und Lernende der Sozialarbeit und Sozialpädagogik richtet, begrüßen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf, wenn es für uns auch interessante verfassungsrelevante Aspekte außer Acht lässt und es sich auf den gesamten öffentlichen Dienst beziehen sollte (s. Kopftucht ./. freiheitliche Grundordnung, Ümmühan Karagözlü).

Weiß steht seit 1980 als Lehrerin im Schuldienst und trägt seit ihrem Übertritt zum Islam 1994 den Vornamen M. Sie ist Funktionärin des permanent die Demokratie angreifenden, legalistisch-fundamentalistisch orientierten ’Zentralrates der Muslime in Deutschland’ (ZDM), dessen prominentester Vertreter der unter Demokraten umstrittene langjährige Vorsitzende Frauenarzt Nadeem Elias ist.

Nach eigenen Angaben bemühte sich Weiß seit ihrem Übertritt um die Erlaubnis, das Kopftuch auch im Schulunterricht tragen zu dürfen. Nach ihrer Darstellung hatte sie zunächst mit Rücksicht auf die Schulleitung auf das Kopftuch verzichtet und es nur außerhalb des Gebäudes getragen – zum Beispiel bei Klassenfahrten. Vor den Sommerferien 2006 jedoch entschied sie sich, auch im Schulgebäude ihre Haare zu bedecken.

Wenn der Lehrerin ein Leben nach den Gesetzen des Islams und somit der Scharia so am Herzen liegt, gibt ihr die Demokratie, deren Rechtsweg sie nun so intensiv in Anspruch nimmt, die Freiheit, an einer muslimischen Privatschule zu unterrichten oder aber gleich in einen Staat auszuwandern, in dem die patriarchale Großfamilie, der Koran und die Scharia den Alltag regieren und die Maßstäbe des Weltverstehens setzen. Darüber sollten wir alle nachdenken.

In Nordrhein-Westfalen tragen 22 Lehrerinnen das Kopftuch. Beispielhaft möchten wir der geneigten islamkritischen Leserschaft zwei Pädagoginnen vorstellen.

Frau Eva el‑Shabassy ist Lehrerin an der Grundschule Aachen‑Richterich und trägt seit 30 Jahren permanent Kopftuch, seit einer Zeit, in der ihre Altersgenossen sexuelle Befreiung und ’Mini-Mode’ ausprobierten, sie selbst jedoch die moralischen Vorzüge und die Frauenrechte des Islams zu erkennen glaubte und sich Ganzkörperbadeanzüge und lange Blusen nähte.

Seit zwei Jahrzehnten ist die mit einem demokratiekritischen Ägypter verheiratete el—Shabassy in islamistischen Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft hoch aktiv, etwa für das ’Islamische Zentrum München’ und das ’Islamische Zentrum Aachen’.

“Der Ehebruch“, so el‑Shabassy, “ist ein Verbrechen wie der Mord“. “Etwas, was mit Steinigung geahndet werden muss?“, fragte der auf einmal sehr interessierte Journalist der ZEIT die Hauptschullehrerin. “Die Strafe steht in der Scharia“, so war ihre sachliche Antwort. Die fromme Lehrerin leidet nicht am postmodernen Werteverfall und fügte lächelnd hinzu: “Wenn einmal in hundert Jahren eine Frau gesteinigt wird, vielleicht werden dann ganz viele Ehen gerettet?“ Diese Frau will also, inch`Allah, die Steinigung für Ehebrecherinnen ins Strafrecht der BRD einführen.

Frau Renate Karaoglan ist ebenfalls zum Islam übergetreten und unterrichtet an der Max-Wittmann-Sonderschule in Dortmund. Seit ihrer Eheschließung mit einem Türken ist die Lehrerin ganzkörperverhüllt, verborgen unter einem strengen Kopftuch und in einen mausgrauen, knöchellangen Mantel gewandet: “Ich muss meine Scham bedecken“, so Karaoglan, die uns Ungläubigen mit einem “Ein Moslem kann unmöglich gegen die Scharia sein“ seelsorgerisch auf die Sprünge hilft. Auch ihre Tochter musste im Alter von elf Jahren ’ihre Scham bedecken’.

Wir Islamkritiker empfinden solche Verstöße gegen in der Verfassung garantierte Grundrechte als gravierendes Unrecht, als eine sexualisierte, dämonisierte Gender‑Apartheid, die Frauen qua Religionsgesetz zu minderwertigen, unreinen, die Männer verführenden Brutöfen erklärt. Das aber hat Europa seit der Aufklärung hinter sich, seit dem eingeführten Frauenwahlrecht im schweizerischen Kanton Appenzell sind hier Männer und Frauen gleich.

Gegen beide islamistischen Beamtinnen liefen disziplinarische Verfahren, doch durften sie in dieser Zeit weiter unterrichten. (ob das unter der Scharia auch möglich gewesen wäre?). Ohne die Arbeit der frauenrechtlerisch orientierten Zeitschrift EMMA jedoch hätten die offensichtlich großzügigen Schulaufsichtsbehörden Nordrhein‑Westfalens wohl noch nicht einmal wegen Verdachts auf Dienstpflichtsverletzung gegen die beiden Scharia‑Freundinnen ermittelt.

Zum Glück für die Demokratien in aller Welt gibt es auch unzählige Kopftuchgegnerinnen und Kopftuchgegner, gerade auch unter den Muslimas und Muslimen. Eine von ihnen ist die Rechtsanwältin Serap Cileli, für die jede Frau mit Kopftuch nach außen hin die fundamentalistische Rechtsordnung der Scharia symbolisiert und für die das Kopftuch ein Zeichen der vormodernen Unterordnung der Frau unter den Mann ist. Für Cileli ist das Kopftuch kein Zeichen des Glaubens, sondern ein mit dem demokratischen Rechtsstaat nicht zu vereinbarendes Symbol der Frauenunterdrückung und darüber hinaus Symbol der bewussten Ablehnung der Werte der Aufklärung, der Säkularität, der freiheitlichen Grundordnung

Selbst der deutsche Verfassungsrechtler Professor Josef Isensee von der Universität Bonn hält das Kopftuch für einen “Kulturimport, der den Frieden mit dem Verfassungsstaat nicht geschlossen hat“ und zur Argumentation von Deutschlands berühmtester Kopftuchlehrerin Fereshta Ludin meinte Isensee nur: “Amt ist Dienst, nicht Selbstverwirklichung“.

Auch wir haben große Zweifel, dass Fundamentalisten wie diese Lehrerinnen für die Aufgabe geeignet sind, junge Menschen auf ein emanzipiertes Leben in der säkularen, kulturellen Moderne eines demokratischen Rechtsstaates vorzubereiten und daher nicht an staatlichen Schulen unterrichten sollten.

Jacques Auvergne
Céleste de la Rivière

Demokratie erhalten, Scharia verhindern

September 30, 2007

حجاب

ḥiǧāb

Hidschab

Kein Kopftuch im öffentlichen Dienst

Von Ümmühan Karagözlü (2007)

Seit dem Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts ist auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, damit beschäftigt, eine Entscheidung zum Kopftuch bei Beschäftigten öffentlicher Institutionen zu fällen. Als Sozialpädagoginnen (verschiedenster Glaubensrichtungen), die berufsbedingt täglich auf muslimische Kommilitoninnen und Klientinnen treffen, können wir diesem Thema nicht gleichgültig gegenüber stehen.

Bezug nehmend auf unsere langjährigen Erfahrungen in der Kinder- und Jugend- und Schulsozialarbeit sowie in der außerschulischen Bildung möchten wir folgende Gedanken einbringen:

vor etwa vierzig Jahren kamen die ersten Muslime als Gastarbeiter in die BRD. Die damalige Bundesregierung lud diese Menschen nach Deutschland, zunächst meist türkischstämmig und fast immer männlich, da es unserem Land an (billigen) Arbeitskräften mangelte. Weil die Arbeitsmarktsituation noch recht entspannt war und ausländische Arbeitnehmer selbst als Ungelernte hierzulande mehr verdienten als zu hause, holten sie nach einigen Jahren ihre Familienangehörigen nach und bauten gemeinsam mit ihnen eine neue Existenz auf. Der Wunsch in die Heimat zurück zu kehren wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, zumal das Wirtschaftswachstum weiter anhielt und für die teilweise bereits in der Bundesrepublik geborenen Töchter und Söhne qualifizierte Schulabschlüsse, interessante Ausbildungsmöglichleiten und attraktive berufliche Chancen lockten.

Bis etwa Ende der 90er Jahre war die Zugehörigkeit zum Islam für die in Deutschland arbeitenden, lernenden, studierenden und lebenden Muslime anscheinend so selbstverständlich, dass es ihnen nicht wichtig war, diese etwa durch Einhaltung strenger Bekleidungsvorschriften gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft zu dokumentieren. Dies galt auch für die Anhängerinnen dieser Weltreligion, die als Studentinnen in die BRD kamen oder als Flüchtlinge und Asylbewerberinnen Zuflucht vor Verfolgung und Tyrannei suchten. Auch ist uns nicht bekannt, dass zu dieser Zeit die laïzistische Haltung des türkischen Staates kritisiert wurde.

Die hier ansässigen muslimischen Menschen lebten wie die südeuropäischen Gastarbeiter so unauffällig, dass zu Zeiten wirtschaftlicher Blüte und Vollbeschäftigung die bundesdeutsche Politik der Lebenslage dieser Mitmenschen keine Aufmerksamkeit widmete. Obschon selbst während der etwa Mitte der 80er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise und deren desintegrierenden Folgen längst nicht mehr mit einer Rückkehr dieser Bevölkerungsgruppe in ihre Heimat zu rechnen war, ignorierte die damalige Bundesregierung gleichermaßen den aufkommenden Unmut der Mehrheitsgesellschaft wie die sich verschlechternde Lebenslage der nicht europäischstämmigen (kleinasiatischen) Migrantinnen.

Viel zu spät bemühten sich beispielsweise Migrationsbeauftragte oder Fachausschüsse um eine erfolgreiche Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe. Vor allem die in vielfältigen Bereichen des Alltags, besonders aber bei der Arbeitsplatzsuche exkludierenden Folgen mangelnder Sprachkompetenz (zunehmend auch in der Muttersprache) wurde lange Zeit nicht beachtet. Zwar haben wir mittlerweile Politikerinnen mit Migrationshintergrund sowie Ausländerbeiräte. Viele von uns haben türkische Kolleginnen, marokkanische Kommilitoninnen und albanische Nachbarinnen. Doch ist es bisher nur in Ausnahmefällen gelungen, die aus islamisch geprägten Kulturen stammenden Familien wirklich in unsere offene Gesellschaft zu integrieren.

Ein deutlicher Beleg für diese These lässt sich am Beispiel der schlechten sprachlichen und sozialen Integration der zweiten und der dritten Generation türkischer Mitbürgerinnen festmachen, die eher Hauptschulabschluss oder auch gar keinen Schulabschluss erlangen. Diese zahlenmäßig große Gruppe lebt nicht selten in fast ausschließlich türkischen Straßenzügen, versorgt sich mit allen Artikeln des täglichen Lebens in den Geschäften ihrer Landsleute und konsumiert dank Satellitenfernsehen Information wie Unterhaltung in türkischer Sprache. Gerade für Frauen und Kinder bleibt die deutsche Sprache zunehmend Terra incognita. Auch trägt die erst seit wenigen Jahren wahrnehmbare Angst der Musliminnen vor Assimilation gewollt oder ungewollt zu einer Ghettoisierung bei, da wirklich tragfähige soziale Bindungen nur zu Landsleuten bestehen. Gespräche mit Deutschen werden auf ein Mindestmaß reduziert, offener Gedankenaustausch gar ist sehr selten.

Die halbherzig betriebene Integrationspolitik führte dazu, dass ein besonders hoher prozentualer Anteil der Migrantinnen und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund arbeitslos war und ist. Die beiden zuletzt geborenen Generationen stehen zudem vor dem Dilemma, von uns als Ausländerinnen gesehen und behandelt zu werden, während sie im Herkunftsland als ’Deutschländerinnen’ gelten. Es sollte uns daher eigentlich nicht überraschen, dass besonders für die dritte Generation einer Migrationswelle angesichts derartig verschlechterter Lebensbedingungen die Frage nach der eigenen Identität immens wichtig wird.

Derart durch düstere Zukunftsaussichten und tiefe Identitätskrisen verunsichert ist es nicht verwunderlich, dass es nach der Islamischen Revolution, Iran 1979, zu einer (vermeintlich) Gemeinschaft stiftenden Fundamentalisierung und Islamisierung insbesondere der unter 40jährigen Musliminnen überall in den Industriestaaten Europa gekommen ist. So ist zu beobachten, dass die Kopftuch tragenden Frauen, viele von ihnen hier geboren, im Straßenbild immer häufiger werden. Die Tatsache, dass nicht selten junge Musliminnen streng verhüllt mit Tuch und langem Mantel das Haus verlassen, während ihre Mütter in der Kleiderfrage die westliche Variante bevorzugen, ist ein unfreiwilliges Ergebnis derartig verfehlter Integrationspolitik und der gesamtgesellschaftlichen Kultur des Wegschauens.

Besonders betroffen macht uns allerdings die Beobachtung, dass seit etwa 2004 bereits sehr junge Mädchen nur noch mit der streng gebundenen Variante des Kopftuchs, welche Nacken, Hals und Dekolletee bedeckt und nur noch das Gesichtsoval frei lässt, aus dem Haus ihrer Familie heraus gehen. Selbst Zehnjährige mit Hidschab, wir meinen damit die Haube, die, aus einem Stück Stoff genäht Haare, Schultern und Oberkörper vollkommen einhüllt, erscheinen im westdeutschen Stadtbild. Dazu tragen sie nicht selten den oben bereits erwähnten, vor wenigen Jahren eigens entworfenen knöchellangen grauen oder schwarzen Mantel.

Dieses streng islamistische Outfit ist, wie wir meinen, für kleine Mädchen, die auch noch spielen und herumtoben sollten, unpraktisch und bewegungsfeindlich. Auch erwachsenen Frauen können mit diesem kaftanähnlichen Gewand ‚keine großen Schritte‘ machen. Zudem behindern diese Formen des Kopftuchs zweifellos Hör- wie Sehsinn der Trägerinnen und schränken das (Um-)Weltwahrnehmen der Mädchen und Frauen nicht unerheblich ein, besonders wenn auch der Blick züchtig gesenkt werden muss. Diese Kleidungsgewohnheiten erhöhen nicht nur die Unfallgefahren im Straßenverkehr (eingeschränktes Blickfeld), nein, jeder einigermaßen aufmerksame Mensch wird bestätigen dass Körpersprache und Auftreten sowie Denk- und Lebensgewohnheiten beeinflusst werden.

Schon diese oben beschriebenen Alltagsszenen deuten an, dass es bei der bevorstehenden Entscheidung des Landtages von Nordrhein-Westfalen um weit mehr geht als um die rechtliche Gewichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität einerseits und das Diskriminierungsverbot eines nach Meinung der Anhängerinnen religiös zu interpretierenden Symbols einer monotheistischen Weltreligion andererseits. Hier steht wesentlich mehr als die Klärung dieser Streitfrage zur Entscheidung an!

Wie viele Politikerinnen und Bürgerinnen in der BRD sind wir der Meinung, dass Kleidungsstücke wie Hidschab und Türban (dazu gehören nach unserer Ansicht auch Kippa, Sikh-Turban oder Frömmler-Strickmütze der Islamisten) keine religiös zu interpretierenden Insignien sind, die unter das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 GG fallen. Diese Ansicht lässt sich wie folgt begründen:

Nach wie vor sehen weltweit viele Musliminnen das Tragen des Kopftuchs nicht als religiöse Pflicht an. So schreibt Prof. Bassam Tibi in seinem Buch Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland, dass er viele afrikanische und südostasiatische Gebiete islamischer Bevölkerung bereist habe, in denen Frauen mehrheitlich nicht Kopftuch tragen.

Auch in Europa und in der BRD ist die Gruppe derjenigen Muslimas, die sich nicht mit islamistischen Kleidungsvorschriften identifiziert, deren Mitglieder sich gleichwohl als gläubige Musliminnen bezeichnen, recht groß. Selbst im Koran wird man nach einem ausdrücklichen Kopftuchgebot vergeblich suchen (und nur im Hadith fündig), eher findet man dort Textstellen, die besagen, dass die Frauen keine auffällige Kleidung tragen sollten. Das Kopftuch selbst wird nicht erwähnt; Ralph Ghadban (Das Kopftuch in Koran und Sunna) hingegen weist auf die islamische Überlieferung hin. Wie aber kann es dann sein, dass gerade unter den jungen Muslimas der Anteil derjenigen, die zwar ihr Haar unter einem fundamentalistisch streng gebundenen Kopftuch verbergen, ansonsten aber bewusst erotische und den Körper in Szene setzende, hautenge Kleidung bevorzugen, so sehr groß ist (klappernde Stöckelschuhe, Top mit transparenter Spitze an Taille und Oberarm, Rock mit langen Seitenschlitzen)? Religiöse Motive scheinen diese Anhängerinnen des vermeintlich einzig wahren Glaubens wohl nicht gerade umzutreiben.

Unter Berücksichtigung solcher Beobachtungen und angesichts der Tatsache, dass sich selbst aus dem heiligen Buch der Muslime eine religiös begründete Verpflichtung jeder muslimischen Frau zum Tragen des Kopftuches nicht ableiten lässt, kann dieses ‚Stück Stoff‘ nicht als ein ‚eindeutig religiöses Symbol‘ interpretiert werden.

Im Konsens mit vielen Bürgerinnen und Politikerinnen in NRW und auch mit Blick auf die Bundesländer, in denen schon eine Entscheidung zum Kopftuch getroffen wurde, sind wir vielmehr der Ansicht, dass mit dem ‚Kleidungskodex der islamischen Renaissance‘ auch Haltungen einhergehen, die nicht schützenswert ist. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich bei ihrer Meinungsbildung keineswegs darauf zu beschränken, dass allein die Möglichkeit, dass ein Tragen des Kopftuches religiös begründet sein könnte, ausreicht, um eine verfassungsrechtlich nicht tragbare Beteiligung von kopftuchtragenden Lehrerinnen in staatlichen Schulen im Falle eines Kopftuchverbots abzuleiten.

Wir halten es für unverzichtbar, angesichts der Grundrechte der Kopftuchgegnerinnen wie auch der in dieser Frage Unentschiedenen abzuklären, für welche Strömungen (Politislam sprich Schariagesetz-Lobby; Traum vom erneuerten Kalifat), Lebenspraxen (Gewalt in der Erziehung, Zwangsverheiratung) und Geisteshaltungen (Verachtung von Andersgläubigen, Verbot der Apostasie bei Todesdrohung) das Symbol Kopftuch, das Prinzip Kopftuch eben auch gesehen werden kann. Sieht man sich im Straßenbild um, informiert sich oder spricht mit Vertreterinnen der beiden Meinungsfraktionen, spricht vieles dafür, dass ’dieses Stückchen Stoff’ für verschiedene Haltungen und Ansichten in Anspruch genommen werden kann. Doch sicherlich nicht für die Emanzipation der Frau.

Die demonstrative Unterwerfung unter eine Kleidungsvorschrift, die den äußerlich von Weitem erkennbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern zementiert, als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Gleichberechtigung zu werten hält nicht nur Frau Dr. Lale Akgün, MdB und langjährige Islambeauftragte der SPD Bundestagsfraktion für grotesk. Wer die Weiterentwicklung der Gleichberechtigung und Gleichstellung als wesentliches Ziel der Mitgliedsstaaten des Europarates anerkennt, kann eine solche Verunglimpfung und Verachtung der Frauen Iran, Afghanistan, Saudi Arabien und Algerien, die das Kopftuch eben nicht freiwillig gewählt haben, nur als zynisch ansehen.

Frauen, die behaupten, ohne Kopftuch würden sie sich nackt fühlen, geht es nicht alleine um Schutz. Nein, unausgesprochen unterteilen sie gleichzeitig ihre Geschlechtsgenossinnen in die Gruppe der Ehrenhaften und die der Unreinen, egal ob die Betroffenen Muslimas sind oder gar so genannte Ungläubige. Das Kopftuch, einschließlich der damit einhergehenden ‚Software‘, ist somit Symbol für die Spaltung der halben Menschheit in Sittsame, Tugendhafte sowie in verachtenswerte Sünderinnen. Die zunehmende Gewohnheit dieser Musliminnen, Männern prinzipiell nicht mehr die Hand zu geben (prominente Vertreterin: Fereshta Ludin), zielt in die gleiche Richtung: sie manifestiert für alle Umstehenden sichtbar der minderwertigere Stellung der Frau, die grundsätzlich als unrein gilt. Dieses (deutsche, europäische) Begrüßungs- und Verabschiedungsritual ist streng gläubigen Muslimas außerdem untersagt, weil selbst dieser harmlose Hautkontakt sexualisiert wird und Mädchen und Frauen unterstellt, wie eine Hure Männer zu verführen. Eine unserer Meinung nach kompromittierende Unterstellung.

Das Verhüllen der Haare kann also auch als Symbol für die Diskriminierung aller Menschen (also der muslimischen Männer) gesehen werden, die nicht bereit sind, sich dieser Frauen verachtenden Bekleidungsethik zu unterwerfen. Während eine große Gruppe von ‚Ungläubigen‘ Religionsfreiheit und das Recht zur freien Meinungsäußerung, d.h. auch Kritik an den religiösen Weltanschauungen, als demokratische Tugend (bekannte Persönlichkeiten erachtet (bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Prof. Bassam Tibi, der Dalai Lama, Hans Jonas und Willigis Jäger gehören dazu), droht Schriftstellerinnen und künstlerischen Freigeistern wie Sir Salman Rushdie die Todes Fatwa. Für eine solche Geisteshaltung, für die das Kopftuch eben auch stehen kann, religiöse Toleranz einzufordern, halten wir für eine dreiste Provokation.

Wir alle wissen um die lebenslang prägende Beispielfunktion jeder Kindergärtnerin und Lehrerin, vor allem in Grundschulklassen. Daher müssen wir damit rechnen, dass nicht nur auf muslimische Kinder und Schülerinnen einer neben den Eltern und später der Peergroup so wichtigen Identifikationsfigur vorbehaltlos nacheifern. Eine Art textilen Ausweis der Reinheit und Rechtgläubigkeit (dazu gehören auch das islamische maskuline Gebetskäppchen und die jüdische Kippa) tragende Islamistinnen hätten dann in staatlichen Institutionen wesentlichen Anteil an der Interpretationshoheit ‚wahrer Religion‘. Sie würden jungen Muslimas verdeutlichen, wie sich ehrbare Mädchen und Frauen nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber kleiden und zu verhalten hätten. Damit würden wir ausgerechnet Fundamentalistinnen einen so wesentlichen Bereich wie die Deutung des (Um )Welt- und Menschenbildes in demokratischen Erziehungs- und Bildungsräumen überlassen.

Die gesunde, selbst bestimmte Entwicklung von Töchtern und Söhnen zu gesellschaftskritischen und demokratischen Persönlichkeiten, die ein auf dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz §) fußendes Frauenbild bejahen, sollte uns sehr am Herzen liegen. Nicht nur wir Pädagoginnen sollten uns verpflichtet wissen, jeder diesem Erziehungs- und Bildungsauftrag zuwiderlaufenden Entwicklung entschieden entgegenzutreten. Die seit wenigen Jahren von Islamisten propagierte Abmeldung vom Sport- und Schwimmunterricht sowie das Verbot an Klassenfahrten teilzunehmen, verhindert ein wesentliches Erziehungsziel: die gelingende Integration in die Klassengemeinschaft.

Der Gewissenskonflikt, dem junge Musliminnen, die ihre nicht verhüllten Mütter und Schwestern verachten müssten ausgesetzt sind, dürfte niemanden kalt lassen, schon gar nicht Abgeordnete einer demokratischen Landesregierung. Solch vorgeblich religiöse Kleidungs- und damit einhergehende Verhaltensvorschriften und Einstellungen sorgen für die Instrumentalisierung unserer Schulhöfe, Lehrerzimmer und Klassenräume durch die hart agitierende Minderheit der Fundamentalistinnen und verstoßen gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Beides kann nicht im Interesse der Landespolitik sein und sollte durch ein entsprechendes Gesetz verhindert werden.

Das Verbot von Kopftuch und anderen aufdringlichen Symbolen sollte sich jedoch keinesfalls auf staatliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen beschränken, sondern auch im Gerichtssaal Anwendung finden. Dies halten z.B. für eine verfassungskonforme Verteidigung und Urteilsfindung für unumgänglich. Wir hätten Zweifel, dass ein Gebetskappe oder Turban tragender Anwalt beziehungsweise eine streng verhüllte Richterin aufgrund ihrer schon äußerlich sichtbaren fundamentalistisch religiösen Wertehierarchie zu einem Vergewaltigungsopfer oder zu einem homosexuellen Verdächtigen mit der gebotenen Objektivität Stellung nehmen kann.

Ümmühan Karagözlü

Diese Abhandlung wird von einer Autorin verfasst. Sie beschreibt und reflektiert insbesondere Lebenslage und Perspektiven von Frauen mit und ohne Migrantionshintergrund in der BRD. Zur besseren Lesbarkeit des Textes verwendet die Autorin generell die weibliche Sprachform (geschrieben: Sozialpädagoginnen, Bürgerinnen etc.), Männer sind ganz selbstverständlich mit gemeint.

Freie Berufswahl auch für Frauen

September 24, 2007

Zivilcourage

Wieder wurden in Afghanistan zwei Frauen ermordet, die sich nicht mit der Rolle als ‚Nur Hausfrau‘ und Mutter zufrieden geben wollten. Beide waren als Journalistinnen tätig, Sakia Saki war Chefin des teilweise mit westlicher Hilfe finanzierten Friedensradios, ihre Kollegin Schakiba Sanga Amaj arbeitete als Fernsehansagerin. Von unbekannten waren sie aufgefordert worden, ihre Arbeit aufzugeben, mehrere Morddrohungen sind gegen sie ergangen, jetzt beide wurden erschossen.

Es ist unglaublich, in der dritten Welt verteidigen mutige Frauen ihr Menschenrecht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Berufstätigkeit und zahlen für ihre Zivilcourage mit dem Leben. In unserem demokratischen Rechtsstaat, der allen BewohnerInnen ein einklagbares Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und eine individuelle Biographie einräumt, propagieren wir mit Büchern wie ‚Das Eva-Prinzip‘. Denk- und Verhaltensmuster die alle Frauen qua Natur an Haus, Kinder und Herd fesseln will.

Was sind uns unsere Grundrechte wert?

Ümmühan Karagözlü

Quelle: Journalist Das Deutsche Medienmagazin 7/2007