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Fitna. Der Film

April 1, 2008

062

فتنة

Fitna!

Gemeinschaftszersetzender Streit,

spaltende Zwietracht.

Fitna

der Film

Der Film ist da. Fitna. Glückliches Aufatmen allüberall, der lang angekündigte Film war dann doch weniger skandalös als befürchtet. Ein paar niederländische Fahnen sind wohl in Südostasien schon verbrannt worden, damals allerdings war der Film noch nicht einmal veröffentlicht.

Bemerkenswert, wer sich eilig vom Kunstwerk des niederländischen Abgeordneten distanzieren zu müssen glaubte. Niederländische Politiker und Kirchenleute darunter, die den Islamkritikern, nicht zuletzt den muslimischen, wieder einmal gekonnt in den Rücken fallen. Naja, die moralisch ‘auf den Hund gekommenen’ alten Achtundsechziger.

Was geschieht in dem viertelstündigen Film?

Minutenweise hat Wilders, und zwar ’schweigend-kommentarlos’ genau das gemacht, was die hassvideoproduzierenden Milieus seit Jahren und nahezu täglich tun. Vergleichbare Filmsequenzen tragen marokkanische Studenten täglich und seit Jahren durch mir bestens bekannte westeuropäische Studentenwohnheime, allerdings mit ausführlicher dargestellten Enthauptungsszenen. Ein forsches islamistisches Video, könnte man sagen? ‘Nur’ hat der Produzent ganz einfach … die falsche Religionszugehörigkeit. Wilders als Kafir gehört nicht zu Mohammeds bzw. Allahs Bewunderern! Und damit sieht die Sache nun ganz anders aus.

Die genuin islamische Doppelmoral nämlich lautet: Wenn fromme Salafisten oder engagierte Milli-Görüş-Freunde die augenzwinkernd herumgereichten kurzen Filme von “Bali” oder “Nine-Eleven” verkonsumieren, dann stärkt dieses das ‘Wir-Gefühl mit Migrationshintergund’, dann ist diese ‘Nestwärme und Solidarität’ von Europas Kuffâr (كفّار Ungläubigen, Mehrzahl vonكافر Kâfir) und insbesondere von den sehr frevlerischen Anhängern des Demokratie-Kultes nickend zu dulden. Wobei die Demokraten ja ungeheuerlicherweise bereits unter den Muslimen missioniert haben, und das auch noch erfolgreich, wie Necla Keleks wichtige und passgenaue Analyse der bundesdeutschen Islamkonferenz von 2008 beweist. Auch Irshad Manji und vor allem Wafa Sultan geben mir etwas Hoffnung, dass es muslimische Demokraten geben kann. Wobei auch die Option, Ex-Muslim zu sein, für das Individuum jederzeit ohne Lebensgefahr gangbar sein muss, was die von Schäuble geführte bundesdeutche Islamkonferenz mit ihrem riskanten Streben nach flächendeckender Einführung von ‘Islamischem Religionsunterricht’ nicht zu verstehen scheint. Zurück zum Film Fitna.

Wenn ein Ungläubiger den Terror-Anschlag neu verfilmt, dann … bedroht er die ‘Eintracht’, was wiederum heißt: Dann schafft er Fitna, Aufspaltung, Uneinigkeit (der Muslime). Dann verursacht er Streit (unter Muslimen). Fitna ist nämlich so etwas wie ein höllischer islamischer Albtraum, der natürlich nur der brutalen Einordnung des Individuums ins totalitäre islamische Kollektiv dient und deshalb bereits in der und mit der traditionellen islamischen Kindererziehung kräftig geschürt wird, was übrigens die islamische familiäre Gewalt ausreichend erklärt. Ein Muslim hätte den Film ohne weiteres drehen können! Doch ein Nichtmuslim, der Dasselbe tut, ist ein Rassist, ein Volksverhetzer, mindestens ein Rechtspopulist, so die ersten Schmähungen gegen Wilders, die unsere entgrenzt toleranten Islamfreunde und Schariaversteher aus Kirche und Politik den Muslimen anscheinend gerne ein bisschen abnehmen möchten.

Spaltung ist der Ummah etwas Ablehnenswertes. Die Dschihad-Folge der Einschüchterung und des Entsetzens also mag die geringer wertigen Ungläubigen ’spalten’. Dafür ist korankonformer Horror nun einmal da. Das belegt Wilders Film endlich einmal ausführlich! Jetzt wirft ihm mancher Zeitgenosse Rechtspopulismus vor? Was ist denn bitte daran ‘links’, über die Ideologien von Terroristen zu schweigen? Und dass der Islam ein Terrorismusproblem hat, daran besteht ja wohl kein Zweifel. Sogar die aufrichtigeren Muslime geben uns gegenüber zu, dass der Islam ein Problem mit seinen Radikalen hat und – als Weltreligion – für Nichtmuslime durchaus so etwas wie eine Umweltbelastung ist.

Wilders hält den radikalen Muslimen ‘den Spiegel vor’: Hier sehr ihr euch, so seid ihr gelegentlich, das habt ihr gezielt und religiös begründet angestellt. Das ist eine Zumutung für … die Täter. Das macht keinen Spaß … den Tätern. Da wird der Täter traurig. Er könnte gar die Lust an der Demokratie verlieren, seien wir also vorsichtig.

Schließlich sollen die Muslime nach der in Koran und Hadithen vorgegebenen militärischen Logik ’solidarisch’ (Wagenburg, ein fundamentalistisches Gefängnis) zusammenrücken, die Ungläubigen aber sich (Fitna als Waffe, durchaus!) entsolidarisieren: Sich von Wilders distanzieren.

Zerteilung, Aufspaltung. Fitna. Für die Ungläubigen stets möglichst viel davon, für die Muslime immer möglichst wenig. Leute, das spart Energie. Und das garantiert Erfolg. Nur Nichtmuslim solltest du halt besser nicht sein, ist doch logisch. Islam ist eine sehr logische Religion.

Etwas anders gelagert ist die von Wilders filmisch zitierte, schreckliche, vormoderne, verachtenswerte und gleichwohl oder endlich einmal zu dokumentierende Mädchen-Genitalverstümmelung. Ein sehr ägyptisches Problem übrigens, eigentlich kann man angesichts der dort alltäglich praktizierten Klitoridektomie nicht nach Kairo in den Urlaub fahren. Die indonesische Assalaam-Foundation um Bandung im westlichen Java bietet jährlich Massen-Mädchenbeschneidung in medikalisierter und ’sozialarbeiterisch organisierter’ Form an. Der islamische Körper der Frau ist der ‘Awrah- (Aura)-Konzeption unterworfen, der islamische Frauenkörper ist halt nicht viel mehr als ein (sippenseits eingekauftes) Geschlechtsorgan. Ayaan Hirsi Ali nannte den (zwangs-)islamisierten weiblichen Körper treffend ‘zoontjesfabriek’, Söhnchenfabrik.

Ein eigenes Thema ist auch die Verwendung des ‘Mohammed B.’ betitelten fotografischen Portraits von Rap-Musiker Salah Edin, das man ob der äußerst großen Ähnlichkeit für eine Verwechslung seitens Wilders halten könnte. Zunächst zur äußerst großen Ähnlichkeit, die alles andere als ein Zufall ist. Der sich nach dem kurdischen General Saladin nennende niederländische Rapper posierte für sein Album “Der Niederlande größter Albtraum” (Originaltitel: Nederlands grootste nachtmerrie) ganz bewusst in der Weise des Polizeifotos des islamisch motivierten Mörders an Theo van Gogh: Bis auf die Drehung und Neigung des Kopfes, bis auf die Weise des Blickens imitierte Salah Edin das polizeiliche Bild des Attentäters, um junge Käufer anzusprechen, um eine letztlich menschenverachtende und demokratiefeindliche Gesinnung der Rebellion und Destruktion anzufeuern! Wilders hat uns damit auf ein wichtiges gesellschaftliches Problem aufmerksam gemacht, das in Deutschland durch den islamistischen Minnesänger der Bundesregierung Muhabbet hinlänglich bekannt ist: Im Bereich der gewaltverherrlichenden Rap-Musik mit ihrem Böse-Buben- und Ghetto-Image, mit ihrer Ästhetik des Kriminellen, gehört das Bekenntnis, ein Sympathisant des islamistischen Terrors zu sein, längst zum guten Ton. Allein für dieses Hinweisen auf gesellschaftlichen Sprengstoff gebührt dem niederländischen Parlamentarier Wilders unser Dank.

Attentate mit den Jubelrufen ‘Gott ist groß!’ zu untermalen ist nun wirklich keine Erfindung eines niederländischen Abgeordneten. Beim Filmen der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamyan etwa oder bei manch einem dschihadistenseits gefilmten Mord oder Terroranschlag ertönten die ‘frommen’ islamischen Jubelrufe nämlich bereits seitens der Filmcrew. Emotional, authentisch, leidenschaftlich. Islam begeistert.

Sollte es Muslimen peinlich sein, dass Nichtmuslime sich mit den Worten der Hassprediger beschäftigen? Verständlich wäre das. Mir wäre das jetzt auch peinlich. Die Schuld aber bei sich zu suchen, beim eigenen Kollektiv, nach dem Grundsatz Einsicht als Weg der Besserung, das mag stets ein steiniger Weg sein, doch ist er anscheinend für kein Kollektiv zu schwer zu gehen wie für den Islam. Jeder Marsmensch würde das bei einem Kurzbesuch auf unserem Planeten so sehen und so sagen. Wir (feigen) Demokraten empfehlen uns, politisch korrekt, den Maulkorb.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Wir MÜSSEN nicht in einer Demokratie leben. Und wenn die Europäer das mehrheitlich so wollen, dann WERDEN sie auch nicht in einer Demokratie leben.

Die islamreligiös verpflichtende feierliche Ausrufung der absoluten Scharia funktioniert in Europa nicht: Noch nicht. Unsere Islamverbände aber denken 2008 nicht im Traum daran, sich von der Umsetzung der ganzen Scharia zu distanzieren. Die alltägliche Erosion der Grundrechte gelingt indes über die, man nennt es: Legalistische Arbeit des Ironisierens der Demokratie, über die ‘kleinen Nadelstiche’ wie Lehrerinnenkopftuch, schulischer Gebetsraum, Raumteiler im Pausenzimmer, jugendamtsseits vertuschte Mädchenschwangerschaften, Badezeiten im Schwimmbad für muslimisch-fromme Frauen oder über Grabfelder multikulturell-toleranter Apartheid.

Ein ähnliches bewegendes Foto wie das weltbekannte und von der UNICEF gewürdigte Bild der elfjährigen afghanischen Ghulam hätte ich 2007 in Nordrhein-Westfalen machen können. Zehn Jahre, viertes Schuljahr, Monat für Monat dickerer Bauch: Nur Ghulam hieß das schwangere türkische Mädchen nicht. Unser Dank an die wirklich hilfreiche Polizei der Region, die es bedauerte, nicht wirksam eingreifen zu können, da das Jugendamt den Fall verwaltete. Möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang familienseits ein ärztliches Attest gefälscht, damit das städtische Jugendamt die Akte zuklappen konnte. Auch die Grundschule vertuschte den Fall nach besten Kräften. Jeder provinzielle Akteur konnte hier jeden erpressen: Die Grundschule das Jugendamt, das Jugendamt die Grundschule. Nur die Familie sagte keine einzige Silbe. Den sippenseits islamisch angetrauten Kinderschänder trafen wir 2007 noch runde 200 Mal, ein dreißigjähriger Cousin. Das Kind des Kindes ist bei den Großeltern in der Türkei oder es ist auch hier und wird als kleine Schwester ausgegeben. Cousinenehen-Milieu 2007: wie Sunna und Scharia unsere Administration erodieren. Fitna! Den Ungläubigen möglichst viel, der muslimischen Sippe möglichst wenig. Zurück zu Wilders Film.

Die durchaus vorhandenen weniger radikalen Muslime oder bereits dezidiert säkularen Muslime werden einfach mit vereinnahmt, eingesperrt in die ebenso statische wie fiebrige Ummah. Irgendwo, andernorts gab es Renaissance, Aufklärung, Psychoanalyse, Totalitarismuskritik. Aber doch bitte nicht im Islam.

Der anti-individualistische Islam verändert sich nicht. Islamisches Umweltverändern zwingt jede ’Dynamik’ den Ungläubigen, den Anderen auf. Uns.

Die Ummah selbst ist unbeweglich. Seit 1.400 Jahren.

Wilders Film kommt zur rechten Zeit.

Jacques Auvergne

Noch ein Leserbrief

Februar 25, 2008

Aus einem evangelischen Gemeindebrief

aus dem Januar 2008, nicht signiert

Zur Diskussion

Natürlich tut es weh, wenn ein „Christian“ oder eine geborene „Lüdenscheid“ sich neuerdings zum islamischen Glauben bekennt. So wie es immer weh tut, wenn jemand sich vom christlichen Glauben abwendet, der oder die einmal mitgemacht und mitgebetet hat. Und natürlich müssen wir ganz genau nachfragen, wie das eigentlich bewertet wird, wenn ein ehemaliger Muslim Christ werden will. Ob es ebenso bedauert wird, wie wir eine Konversion zum Islam vielleicht bedauern, oder ob darin ein eigentlich todeswürdiges Verbrechen gesehen wird. Wir müssen darauf bestehen, dass Christen sich in islamischen Ländern auch ungestört und öffentlich zum Gottesdienst versammeln dürfen, auch in Kirchen. Das ist übrigens in vielen islamischen Ländern auch der Fall.

Aber solange der Westen eines der reaktionärsten islamischen Regime im Nahen Osten als engsten Verbündeten pflegt, ist die Glaubwürdigkeit des westlichen Engagements für Demokratie etwas angeschlagen. Und die Toleranz, die wir fordern, muss in unserem Land auch gelebt werden. Für ein antiislamisches Ressentiment sollte es in einer christlichen Gemeinde genauso wenig Platz geben wie für ein antijüdisches.

Antwort auf „Zur Diskussion“ (anonym)

Von einem Gemeindemitglied (auch anonym)

Ressentiment ist ein elastischer Begriff, der in philosophischen, psychologischen, soziologischen und nicht zuletzt umgangssprachlichen Kontexten durchaus unterschiedlich ausgedeutet worden ist. Mein Fremdwortlexikon übersetzt ihn mit „Abneigung (einer Person oder Sache) gegenüber“.

„Ressentiment“ mag bedeuten: Abneigung oder Ablehnung trotz relativ hoher Informiertheit. „Ressentiment“ kann ebenso bedeuten: Unbehagen oder Vorurteil bei fehlender oder unzulänglicher Information.

Solche Haltungen können sicherlich anerzogen, vermittelt oder auf andere Weise „betreten“ werden, wie sie auch wieder „verlassen“ werden können. Selbst grobe Fehlurteile und Vorurteile können vom Individuum vorübergehend verwendet werden und, bei förderlichem Umfeld, als unzulänglich und unreif durchschaut und wieder abgelegt werden.

„Man gibt sich immer die Gesetze, die man braucht“, so lautet ein bemerkenswerter Spruch eines Psychologen. Ein weiterer: „Vorurteile sind etwas Nützliches. Wenn wir keine Vorurteile gegen Schmutz hätten, würden wir uns nicht waschen.“

Was für eine „christliche“ Gemeinschaft wären wir, von jedem Kirchenbesucher zu verlangen: „Alle Fehl- und Vorurteile ablegen, sonst kommst du nicht hier `rein!“ oder „Menschen mit Ressentiments sind hier unerwünscht!“

So einer „christlichen“ Gemeinde möchte ich nicht angehören: Das schmeckt mir dann doch zu sehr nach Frömmelei oder gar Tugendterror, nach Manipulation und Gesinnungsschnüffelei.

Ich bestehe auf meine gehörige Portion an facettenreichen antiislamischen Ressentiments und kritisiere sogar das ultraorthodoxe Judentum sehr. Es mag ja sein, dass es mir an Information mangelt, lese ich ja auch erst seit fünfzehn Jahren Koran und Hadithen: Sehr, sehr vieles am Fiqh‑Islam und Scharia‑Islam behagt mir gar nicht und findet meine Missbilligung. Glücklicherweise weiß ich mich dabei mit vielen Muslimas und Muslimen auch dieser Stadt einig, denen sowohl der traditionalistische Islam als auch der Polit‑Islam als äußerst unbehaglich und sogar ablehnenswert erscheint.

Der Beitrag „zur Diskussion“ fällt christlichen, muslimischen und ex‑muslimischen Menschenrechtlern und Frauenrechtlern ebenso elegant wie tragisch in den Rücken. Sicherlich aus Uninformiertheit.

NN

Sunna: Im Gefängnis der Gewohnheit

Februar 5, 2008

049

سنة

Sunna:

Brauchtum, Überlieferung.

Stumpfsinn und Trott

geben Verlässlichkeit

Die Leute guter Tradition:

Ahl al-Sunna

Sunna: Heiliges Gefängnis

bewährter Wiederholung

Von Cees van der Duin (2008)

„Aus Gastarbeitern wurden Türken, aus Türken wurden Muslime“, so nennt Necla Kelek (Die fremde Braut) den Wandel in Fremd- wie Selbstbild „der“ Türken in Deutschland innerhalb der letzten vier Jahrzehnte.

Die von jedem Auswanderer weltweit zu leistende schwierige Lebensaufgabe des Schaffens einer neuen Identität im Pendelschlag zwischen Heimatsuche und Herkunftskulturpflege, sie wurde im Falle der kleinasiatischen Gastarbeiter und im Fortschreiten über die drei Stufen „Gastarbeiter – Türke – Muslim“ bald von den bürgerkriegsartigen kurdisch-türkischen Konflikten ersetzt und zuletzt, seit zwei Jahrzehnten, von einer bis heute andauernden und überwiegend ohne Murren hingenommenen Theokratisierung und Islamisierung (ab 1979, Iran) überlagert.

Gastarbeiter neben und mit staunenden Wirtschaftswunderdeutschen. Vorbei. Türken neben und mit wohlstandsverwöhnten Deutschen. Auch vorbei. Heute heißt es: Muslime neben und mit Nichtmuslimen. Nunja, Wohlstand vorbei.

Auf mancherlei Art ist dem Muslim sein Muslimsein nach 1979 und erst recht nach 2001 (nine‑eleven) etwas „Neues“, jedenfalls eine etwas anders betrachtete wie zu betrachtende Aufgabe als vor Ayatollah und al‑Qaida. Dieser Aufgabe der Entwicklung eines sprachfähigen Selbstbildes wie eines zugelassenen Fremdbildes werden sich unsere muslimischen Kollegen, muslimischen Nachbarn und muslimischen Mitbürger in baldmöglicher Zukunft offen stellen müssen, um Glaubwürdigkeit zu bewahren oder wiederzuerlangen.

Denn in diesen Jahren bauen radikale islamische Gemeinschaften überall in Europa ihre fanatischen und gewaltbereiten Gegenkulturen auf, die die einstige „zweite Stadt“ (Kelek) der Hinterzimmerkoranschulen und Hinterhofmoscheen, der Dönerbuden und der dörflich geprägten Importbräute der achtziger und frühen neuziger Jahre künftig womöglich in ebenso salafistische wie dschihadistische Zonen der Gottesherrschaft, in Siedlungen antidemokratischen Separatistentums umzuprägen trachten. Dann werden die Deutschen beziehungsweise Alteuropäer oder jedenfalls Nichtmuslime dort „zweite Stadt“ sein; ortsweise sind sie es schon.

Von Hasspredigern eifrig unterstützt, bremst das fromme alte Brauchtum der agrarischen Bronzezeit oder der mittelalterlichen extrempatriarchalen Stadtkultur des Islams die Moderne und ihre Menschenrechte aus. Ob missbraucht oder einfach nur gebraucht: Sunna bewirkt Separatismus.

Die nichtmuslimischen Europäer, die europäischen Ex-Muslime und längst auch eine kleine aufgeklärte muslimische Minderheit, sie alle erwarten von „den“ Muslimen Europas zu dem in einer schweren Krise des Gesellschaftlichen und Politischen, der Theokratie wie Theologie sowie einer Krise der Glaubwürdigkeit befindlichen weltweiten Islam endlich einmal kritisch Stellung zu beziehen. Die damit derzeit offensichtlich überforderten „geborenen Muslime“ können nichts anderes tun als zu schweigen. Sie kennen den Koran meist nicht und Islam ist für sie das Arrangieren von Ehen und das Abrichten der Kinder hinein in die (Scharia- und) Sunna‑konforme und übersteigert‑männliche oder unterwürfig‑weibliche Geschlechterrolle. Konvertiten zum Islam verstecken sich meist gleich im radikalsten erreichbaren Lager und mauern sich mit Hadithen und Fatwas regelrecht ein. Das Wortgefängnis der deutschen Neo-Muslime, dieser erbärmliche Kerker aus heiligen Schriften.

Muslime müssen lernen, in persönlichen Worten über ihre Religiosität zu reden: Ohne sich hinter irgendeinem Vordenker von der al‑Azhar zu verstecken oder einen Hadith oder Koranvers hervorzukramen. Das allerdings wird noch mindestens einige wenige Jahrzehnte dauern, und vorher ist die Einsicht zu gewinnen und das Bekenntnis zu leisten, dass „der“ Islam der Gegenwart für die kulturelle Moderne nicht gerüstet ist und dass Scharia- wie Fiqh-Islam die Demokratie bedrohlich angreifen. In der Zwischenzeit werden wir Demokraten aller Religion mit dschihadistischen, sprich militärischen paramilitärischen Angriffen auf unsere Lebensweise zu rechnen haben, was ein jedes aufrichtige Gespräch zwischen Christen und Muslimen, zwischen Säkularen und Orientalen spürbar irritiert.

Hinter diesen Irritationen liegt durchaus eine Absicht der terrorbefürwortenden islamistischen Radikalen wie auch der nicht gewalttätigen islamistischen Legalisten: Die Kluft zwischen Alteuropäern und zugewanderten oder konvertierten Muslimen um jeden Preis zu vertiefen. Diese Strategie aller Extremisten, auch der alteingesessenen nationalistischen Fremdenfeinde, sie gilt es zu durchschauen, ohne darauf zu verzichten, die grundsätzliche Demokratiefeindlichkeit des politischen Islams bei ihrem namen zu nennen. Ein politischer Islam der Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Säkularität weltweit und total vernichten will.

Kann der Islam die Demokratie wollen?

Wir Demokraten gleich welcher Religion oder Ex‑Religion müssen von „den“ Muslimen erwarten, den islamischen Apostatenhass und Antisemitismus, die quasi rassistische sakrale Abwertung der Andersgläubigen (Dhimma, Dhimmitude) und die islamimmanente Frauenunterdrückung zum Thema zu machen. Auch die Unart, ein „koranisch rechtfertigbares“ Leben in permanenter neurotische Höllenangst oder ebenso überspannter Paradieserwartung zu leben, passt weder in die Moderne noch in die Demokratie, passt aber sehr wohl zum Polit-Islam und Jihadismus, passt zur Gegengesellschaft theokratischen Tugendterrors.

Zu solchen Forderungen wussten 2007 gute 90 % der mir persönlich bekannten Muslime nichts zu sagen, vielmehr spielten sie erschrocken oder waren dieses auch wirklich, zogen Strickmütze oder Kopftuch tiefer ins Gesicht und entzogen sich auf Wochen oder Monate jedem Gespräch (dabei war ich noch nicht mal beim geleugneten Völkermord an den Armeniern angekommen). Die radikalen Kräfte, inspiriert von Muslimbruderschaft, Salafiyya oder Milli Görüş, sie halten die absolute Mehrheit der Muslime an den vier Marionettenfäden von Sunna, Scharia, Kalifat und Paradies.

So wird für nichtmuslimische Demokraten die Zeit für einen echten Dialog mit Muslimen „auf gleicher Augenhöhe“ an vielen Stellen in Europa noch nicht gekommen sein und bleiben die meisten der heutigen christlich‑islamischen Begegnungen Beschwörungs- und Beschwichtigungsprojekte „geisterhafter Wirklichkeitsverdünnung“ (Schwanitz). Es sieht ja so putzig aus: Imam und Pfarrer gemeinsam auf dem Bild in der Provinzzeitung. Differenz, Dialog, Diversity. Der künftige Dhimmi in klerikaler Soutane lächelt allerdings schon etwas gequält? Klare Worte, um Sunna und Scharia zu kritisieren oder die „Ehrenmorde“ und arrangierten Ehen der Stadt oder Region anzusprechen wird unser Pfarrer nicht finden. Er will ja nicht beleidigen, und Muslime sind ja sehr schnell beleidigt. Das ist interkulturell bekannt.

Fromme Muslime müssen dulden, dass die islamische Alltagskultur der Gewalt in der Kindererziehung und der Ehe, ihre Praxis der arrangierten Ehen sowie ihre grundsätzlich und in problematischer Größe vorhandene islamische Demokratiefeindlichkeit kritisiert wird. Sie werden dulden müssen, dass ihre Folklore der „religiösen“ Kriecherei (bei jahrhundertelang eingeübter sofortiger und blutiger Verfolgung jedes Kritikers von Koran, Scharia, Fiqh oder Sunna) endlich weltweit thematisiert wird. Oder auch, wie im Falle der erfrischenden dänischen Karikaturen, künstlerisch bearbeitet oder auch verspottet wird.

Die ersten nichtmuslimischen Europäer, so ärgern sich die verschiedenen, um Deutungshoheit rangelnden Kartelle islamischer Wortführer, sie maßen sich denn auch an, völlig unautorisiert über die Schönheiten der Dhimma, die Gerechtigkeit schaffendenden Todesfatwen und die frommen Apostatenmorde zu denken und zu schreiben. Indes wohl weit mehr als 90 % der europäischen Muslime nach wie vor auf der kulturell vormodernen und seelisch unreifen Haltung beharren, den Koran wörtlich nehmen zu dürfen und für letztlich jede persönliche Entscheidung im Hier und Heute, soll sie wirklich gottgefällig sein, sklavisch irgendeinen wiederholenden “Wissenden” nach einer rechtleitenden Fatwa zu fragen.

Kann der Islam die Demokratie wollen?

Es darf keine Neuerung geben. Novophobie sozusagen. Strenge Muslime berufen sich dabei etwa auf Imam Malik (Malik ibn Anas, Medinah), der jede Neuerung zum Verrat am Propheten erklärte, mehr noch: Der dem Neuerer vorwirft, gleichsam zu sagen, der Prophet habe den Glauben verraten. Frevel, Blasphemie, Ungeheuerlichkeit. Also keinerlei frevlerische Neuerung bitte sondern bei Brauchtum und Überlieferungen bleiben. Beharrlich bei der Sunna bleiben.

Besser geht es nicht. Der wahre Islam ist die vollkommenste Lebensweise für alle Menschen, er allein stellt Gerechtigkeit her. Du bist doch nicht gegen Gerechtigkeit?

Am Nervengeflecht der Theokratie eine Ergänzung oder Abwandlung vorzunehmen wäre frevlerische „Neuerung“, wäre Bida’a (geschrieben auch Bida oder Bidaah). Da sei die Sunna vor.

Rätselhafterweise stehen rückwärtsgewandte oder sonstige fundamentalistische Milieus des radikalen Islams dem technologischen Fortschritt aufgeschlossen gegenüber. Ganz anders als etwa die jede moderne Technik eher ablehnenden christlichen Hutterer oder Amish. Die sich ergebende merkwürdig anmutende Gespaltenheit der Islamisten: Technische Neuzeit, spätantik-manichäisches Gottesbild und mittelalterliche Geschlechterrollen, sie lassen sich passend mit dem Begriff „halbierte Moderne“ (des meist überschätzten Ulrich Beck) beschreiben.

Keine Neuerung, keine Bida’a. Der Hadith oder die Fatwa erspart das Nachdenken. Sehr energiesparend.

Andere Denker wie as‑Schafi’i (Muhammad ibn Ildris as‑Schafi’i) unterschieden zwischen guten und schlechten Neuerungen, wobei gut nur das war, was nicht gegen Scharia und Sunna stand. Nicht eben flexibel. Für Autofahren, Moscheelautsprecher und Handy-Klingeltöne gab es flugs die passende Fatwa. Damit das Textgefängnis wasserdicht ist. Damit keiner ausbricht. Nebenan schnurrt die Nähmaschine und näht sich die exdemokratische Neomuslima ihre rabenschwarze Burqa. Mit Niqab.

Eine türkische Frau irgendwo in Deutschland besucht die nichtmuslimische Nachbarin durchaus, wenn es sich denn nicht vermeiden lässt, nimmt aber dazu einen Beutel Zwiebeln mit, um ein Alibi zu haben. Als Müßiggängerin, die ihren Haushalt vernachlässigt, darf sie ja nicht dastehen, bei den im Vergleich zu Muslimen und aus der Sicht der Scharia rechtlich wie moralisch minderwertigen Dhimmis hat sie nichts zu suchen: Sie könnte ins Gerede kommen. Was für sie nicht ungefährlich ist und was vor allem den Wert ihrer Tochter mindert. Und das wäre etwa so wie der Börseneinbruch für den Aktienbesitzer. Eine muslimische Frau hat andere Frauen zum „sinnlosen“ Plausch oder Kaffeeklatsch nicht zu besuchen. „Ur-deutsche“ (Seyran Ateş) Frauen mögen eine gemeinsame Fahrradtour unternehmen oder sich in der städtischen Öffentlichkeit in ein Straßencafé setzen. Das ist für Türkinnen in Deutschland leider und skandalöserweise immer noch nicht möglich, sie würden von den vor Teestuben oder an Straßenecken wachenden Männern verraten und werden dann üblicherweise von ihren eigenen Mahrams (Männern der der Familie) brutal verprügelt. Natürlich halten diese Frauen die von ihnen erwarteten Rollen völlig freiwillig ein: Nur aus Liebe zu Allah, werden sie stets betonen, befolgen sie die strengen Lebensregeln der Kultur der Scharia. Nur um Hassanat zu sammeln.

Hassanat sammeln

Hassanat sind die himmlischen Bonuspunkte. Hast du genug Hassanat, brutzelst du nicht im koranisch festgelegten Höllenfeuer. Hast du nicht genug Hassanat, kommst du nicht ins Paradies. Kurzum: Ob unter dem Niqab, dem Gesichtsschleier, gleich auch blaue Flecken verborgen bleiben: Die fromme muslimische Frau muss einen Glaubenseifer völliger Freiwilligkeit beweisen, denn auf die aufrichtige Niyya (geschrieben auch Niya), das ist die Absicht oder Intention, auf sie kommt es nun einmal an, damit die Hassanat, die Zahl der Pluspunkte, stimmt. Für Mutter oder Ehemann ist das praktisch, sie können ihre Tochter oder Frau verprügeln, wie sie es für angemessen halten, wenn es etwa um bedrohte Sittlichkeit, nicht eingehaltene Gebete oder fehlende Kopftücher geht: Es gibt ja keinen Zwang im Glauben.

Kultur der Sunna. Ist sie nicht längst eine Gegenkultur geworden, ein islamistisch-antidemokratisches Milieu, in dem Schritt für Schritt und Straßenblock für Straßenblock die Selbstverständlichkeiten der Demokratie außer Kraft gesetzt werden, soweit letztere überhaupt jemals in den ungebildeten Einwandererfamilien wirksam gewesen sind? Auf gewisse Weise nämlich scheint es falsch, überhaupt von Einwanderern zu reden: Mental sind zwei Drittel der Türken niemals ausgewandert. Das sind keine Einwanderer nach Deutschland oder Europa, weder die gekauften „fremden Bräute“ (Necla Kelek) aus Anatolien oder aus dem Istanbuler Elendsviertel noch die neuerdings importierten bärtigen Salafisten aus Nordafrika oder die kitteltragenden radikalen Pakistanis: Die wollen nicht nach Europa! Die wollen ins Paradies. Dazu brauchen sie das Kalifat. Und dazu wiederum die islamische Pflichtenlehre, die Scharia.

Gegenkultur Sunna. Bida’a-frei versteht sich. Für Konvertitinnen zum Islam mögen sich Scharia (gottgegebene Richtlinien) und Fiqh (menschliche Rechtsfindung) mit marxistischer Kapitalismuskritik, romantischer Zivilisationskritik und deutscher wie demokratischer Identitätsschwäche mischen, mit Schuldkult, Altruismus oder blinder Fremdenliebe. Sie tragen in diesen Jahren ihren nicht unerheblichen Teil zu Aufbau und Verfestigung von Strukturen der Scharia in Alltagsleben und Bewusstsein der Bewohnerschaft ganzer Straßenzüge bei, sie waren und sind beispielsweise Vorkämpferinnen an der Kopftuchfront.

Von wenigen Muslimas und Muslimen abgesehen ironisieren und untergraben die derzeitig verbreiteten Interpretationen von Sunna die Demokratie. Die Pakistanis in England, die Marokkaner in Holland, die Algerier und Frankreich und die Türken in Deutschland: Man schottet sich mit „Sunna, Brauchtum“ ab, wobei diese „Sunna halbierter Moderne“ attraktiv mit gegenkulturellem Charme kokettiert: Man ist antibürgerlich, antiwestlich, fremdenfreundlich, globalisierungskritisch, gemeinschaftsorientiert.

Goldziher (1850-1921) übersetzt einen Hadith wie folgt:

„Fürwahr, die wahrhafteste Mittheilung (adaq al-adith) ist das Buch Allah’s, die beste Leitung ist die Leitung Muhammed’s, das schlechteste der Dinge sind die Neuerungen, jede Neuerung ist Ketzerei und jede Ketzerei ist Irrthum und jeder Irrthum führt in die Hölle.“

Hadithe und Fatwen sind die Ketten, die jedes freie Denken fesseln. Die derzeitig mögliche Sunna aber ist der Beton der europäischen Parallelkultur oder vielmehr Gegenkultur, des werdenden Gefängnisses einer separatistischen islamischen Gesellschaft. Sie würde eine nachdemokratische Gesellschaft sein, jedenfalls eine außerdemokratische.

Der Gegenbegriff zu frommem Brauch ist frevlerische Neuerung. Das Antonym zu Sunna ist Bida’a.

Bleiben für Deutschlands und Europas Muslime die Rechtsgleichheit für Mann und Frau, die sexuelle und religiöse Selbstbestimmung, die Meinungsfreiheit oder die säkulare Demokratie nichts als ketzerische Bida’a? Wie kann und wie darf die Sunna aussehen, die Europas Muslime sich – und uns – aufbauen möchten?

Die Differenzialisten (jene Schariafreunde, jene mit der Diversity) werden argumentieren, wir Islamkritiker würden uns in „fremde Angelegenheiten“ einmischen und die „Souveränität“ einer Religion einschränken. Bei Missmut folgt eine Prise an Rassismusvorwurf.

Wir sehen durch den sakralen Stumpfsinn einer seit vierzehn Jahrhunderten versteinerten Sunna die universellen Menschenrechte gefährdet. In der bedrohlichen Vision von halbautonomen islamisierten Zonen, in theokratisch befreiten schariatischen Inseln innerhalb einer rechtlich wie territorial reichlich durchlöcherten Rumpfrepublik erscheint uns für Europa durchaus ein islamisches Umweltrisiko zu bestehen.

Die erwähnte türkische Nachbarin mit den Zwiebeln, die mit den aus islamischer Sicht minderwertigen und überwiegend fürs Höllenfeuer bestimmten Deutschen ohne triftigen Grund nicht reden darf? Sie, in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist um 1990 als sechzehnjährige Schülerin in den Sommerferien in der Türkei verheiratet worden, mit einem Mann, den sie gar nicht gekannt hat und der im folgenden Jahrzehnt Behörden durch körperliches Misshandeln seiner Frau und mancherlei Straftaten auffiel. Auch solche Zwangsehen und die ihnen zugrundeliegenden Leitbilder von sozialem Geschlecht (englisch: Gender) sind selbstverständliches und unhinterfragbares Sunna-Brauchtum. Ob ihre Tochter etwas mehr Freiheiten haben wird als sie selbst? Noch geht die Tochter zur deutschen Schule.

Nein, auch das Kind wird sich ihren Lebenspartner vermutlich nicht aussuchen dürfen. Unverheiratet zu leben oder gar gleichgeschlechtlich, das verstößt gegen Allahs Sunna, da gibt es ohne Frage entsprechende Hadithen von „beweiskräftigem Isnad“, das heißt von gesicherter Überlieferung. Wir werden erwarten müssen, dass sexuelle Selbstbestimmung einschließlich homosexueller Lebensweise als gottgefällige Sunna akzeptiert wird, mit oder ohne Hadithen. Weil sich dazu aber, sei es aus Kriecherei, Verbohrtheit oder aus Feigheit, kein islamischer Geistlicher durchringen kann, bleibt uns die Sunna als ein katastrophaler Abgrund erhalten, der die islamischen Gesellschaften von der kulturellen Moderne trennt.

Im türkischen heißt Sunna „sünnet“ und es ist alles andere als Zufall, dass nicht nur Prophetenbiographie oder Hadithe Sünnet sind, sondern dass auch die im Islam leider immer noch obligatorische, auf sexualmagischen Gebärneid steinzeitlicher Jägerbünde (Bruno Bettelheim) zurück gehende Jungenbeschneidung mit dem Wort Sünnet bezeichnet wird. Die durch die Assalaam-Foundation im indonesischen West-Java organisierten Massenbeschneidungen an (Jungen und) Mädchen werden dort auch ganz selbstverständlich unter Brauchtum, Sunna eben, verbucht.

Sunna oder Sünnet wird innerseelisch unweigerlich mit dem Alltag von Dorf und Großfamilie verschmelzen: Mit der persönlichen Erinnerung an die eigene Kindheit, die wir Menschen in unserem Bewusstsein lebenslang und ungefähr so mit uns herum tragen, wie die Schnecke die kleinsten, ältesten Windungen ihres Schneckenhauses mit sich trägt. Für Muslime wird damit die Schwierigkeit, sich von der vormodernen derzeitigen Sunna zu emanzipieren mit darin liegen, Großeltern und Eltern als fehlbare Menschen zu erkennen, als Menschen, die aus Angst vor der Hölle, vor sozialer Ausgrenzung oder einfach aus Sorge vor Prügelstrafe nicht in der Lage waren und sind, Erziehungsstil und Lebensweise an die kulturelle Moderne anzupassen. Wie jeder sich über mehrere Generationen erstreckende Fundamentalismus „vergoldet“, verklärt das Dogma der Sunna Kindheit und Kinderstube und lässt irgendwelche ersten Zweifel in Bezug auf die oft mehr als fragwürdige „gute Absicht“ der Großeltern und Eltern, für den jungen muslimischen Menschen doch „stets nur das Beste“ gewollt zu haben, zumeist gar nicht erst aufkommen.

Sunna beziehungsweise Sünnet heißt: Weiterdenken verboten. Sunna ist die im weltweiten islamischen Fahrzeug eingebaute Fortschrittsblockade oder Entwicklungsbremse. Die es argumentativ wie strukturell anzugreifen gilt (etwa: Stundenweises Kopftuchverbot, Stunden koedukativen Lebens), für innerislamische Reformkräfte wie für islamkritische Nichtmuslime. Wir müssen das Brauchtumsgefängnis sprengen: Den Kerker der anti-individualistischen und antidemokratischen Sunna. Das sollte ich eigentlich dem örtlichen Imam mitteilen. Vielleicht liest er ja diese Zeilen und beginnt, nachzudenken.

Cees van der Duin

Kopftuch ./. freiheitlich demokratische Grundordnung

Dezember 14, 2007

حجاب

ḥiǧāb

Hidschab

Kein Kopftuch im öffentlichen Dienst

Von Ümmühan Karagözlü (2007)

Seit dem Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts ist auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, damit beschäftigt, eine Entscheidung zum Kopftuch bei Beschäftigten öffentlicher Institutionen zu fällen. Als Sozialpädagoginnen (verschiedenster Glaubensrichtungen), die berufsbedingt täglich auf muslimische Kommilitoninnen und Klientinnen treffen, können wir diesem Thema nicht gleichgültig gegenüber stehen.

Bezug nehmend auf unsere langjährigen Erfahrungen in der Kinder- und Jugend- und Schulsozialarbeit sowie in der außerschulischen Bildung möchten wir folgende Gedanken einbringen:

vor etwa vierzig Jahren kamen die ersten Muslime als Gastarbeiter in die BRD. Die damalige Bundesregierung lud diese Menschen nach Deutschland, zunächst meist türkischstämmig und fast immer männlich, da es unserem Land an (billigen) Arbeitskräften mangelte. Weil die Arbeitsmarktsituation noch recht entspannt war und ausländische Arbeitnehmer selbst als Ungelernte hierzulande mehr verdienten als zu hause, holten sie nach einigen Jahren ihre Familienangehörigen nach und bauten gemeinsam mit ihnen eine neue Existenz auf. Der Wunsch in die Heimat zurück zu kehren wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, zumal das Wirtschaftswachstum weiter anhielt und für die teilweise bereits in der Bundesrepublik geborenen Töchter und Söhne qualifizierte Schulabschlüsse, interessante Ausbildungsmöglichleiten und attraktive berufliche Chancen lockten.

Bis etwa Ende der 90er Jahre war die Zugehörigkeit zum Islam für die in Deutschland arbeitenden, lernenden, studierenden und lebenden Muslime anscheinend so selbstverständlich, dass es ihnen nicht wichtig war, diese etwa durch Einhaltung strenger Bekleidungsvorschriften gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft zu dokumentieren. Dies galt auch für die Anhängerinnen dieser Weltreligion, die als Studentinnen in die BRD kamen oder als Flüchtlinge und Asylbewerberinnen Zuflucht vor Verfolgung und Tyrannei suchten. Auch ist uns nicht bekannt, dass zu dieser Zeit die laïzistische Haltung des türkischen Staates kritisiert wurde.

Die hier ansässigen muslimischen Menschen lebten wie die südeuropäischen Gastarbeiter so unauffällig, dass zu Zeiten wirtschaftlicher Blüte und Vollbeschäftigung die bundesdeutsche Politik der Lebenslage dieser Mitmenschen keine Aufmerksamkeit widmete. Obschon selbst während der etwa Mitte der 80er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise und deren desintegrierenden Folgen längst nicht mehr mit einer Rückkehr dieser Bevölkerungsgruppe in ihre Heimat zu rechnen war, ignorierte die damalige Bundesregierung gleichermaßen den aufkommenden Unmut der Mehrheitsgesellschaft wie die sich verschlechternde Lebenslage der nicht europäischstämmigen (kleinasiatischen) Migrantinnen.

Viel zu spät bemühten sich beispielsweise Migrationsbeauftragte oder Fachausschüsse um eine erfolgreiche Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe. Vor allem die in vielfältigen Bereichen des Alltags, besonders aber bei der Arbeitsplatzsuche exkludierenden Folgen mangelnder Sprachkompetenz (zunehmend auch in der Muttersprache) wurde lange Zeit nicht beachtet. Zwar haben wir mittlerweile Politikerinnen mit Migrationshintergrund sowie Ausländerbeiräte. Viele von uns haben türkische Kolleginnen, marokkanische Kommilitoninnen und albanische Nachbarinnen. Doch ist es bisher nur in Ausnahmefällen gelungen, die aus islamisch geprägten Kulturen stammenden Familien wirklich in unsere offene Gesellschaft zu integrieren.

Ein deutlicher Beleg für diese These lässt sich am Beispiel der schlechten sprachlichen und sozialen Integration der zweiten und der dritten Generation türkischer Mitbürgerinnen festmachen, die eher Hauptschulabschluss oder auch gar keinen Schulabschluss erlangen. Diese zahlenmäßig große Gruppe lebt nicht selten in fast ausschließlich türkischen Straßenzügen, versorgt sich mit allen Artikeln des täglichen Lebens in den Geschäften ihrer Landsleute und konsumiert dank Satellitenfernsehen Information wie Unterhaltung in türkischer Sprache. Gerade für Frauen und Kinder bleibt die deutsche Sprache zunehmend Terra incognita. Auch trägt die erst seit wenigen Jahren wahrnehmbare Angst der Musliminnen vor Assimilation gewollt oder ungewollt zu einer Ghettoisierung bei, da wirklich tragfähige soziale Bindungen nur zu Landsleuten bestehen. Gespräche mit Deutschen werden auf ein Mindestmaß reduziert, offener Gedankenaustausch gar ist sehr selten.

Die halbherzig betriebene Integrationspolitik führte dazu, dass ein besonders hoher prozentualer Anteil der Migrantinnen und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund arbeitslos war und ist. Die beiden zuletzt geborenen Generationen stehen zudem vor dem Dilemma, von uns als Ausländerinnen gesehen und behandelt zu werden, während sie im Herkunftsland als ’Deutschländerinnen’ gelten. Es sollte uns daher eigentlich nicht überraschen, dass besonders für die dritte Generation einer Migrationswelle angesichts derartig verschlechterter Lebensbedingungen die Frage nach der eigenen Identität immens wichtig wird.

Derart durch düstere Zukunftsaussichten und tiefe Identitätskrisen verunsichert ist es nicht verwunderlich, dass es nach der Islamischen Revolution, Iran 1979, zu einer (vermeintlich) Gemeinschaft stiftenden Fundamentalisierung und Islamisierung insbesondere der unter 40jährigen Musliminnen überall in den Industriestaaten Europa gekommen ist. So ist zu beobachten, dass die Kopftuch tragenden Frauen, viele von ihnen hier geboren, im Straßenbild immer häufiger werden. Die Tatsache, dass nicht selten junge Musliminnen streng verhüllt mit Tuch und langem Mantel das Haus verlassen, während ihre Mütter in der Kleiderfrage die westliche Variante bevorzugen, ist ein unfreiwilliges Ergebnis derartig verfehlter Integrationspolitik und der gesamtgesellschaftlichen Kultur des Wegschauens.

Besonders betroffen macht uns allerdings die Beobachtung, dass seit etwa 2004 bereits sehr junge Mädchen nur noch mit der streng gebundenen Variante des Kopftuchs, welche Nacken, Hals und Dekolletee bedeckt und nur noch das Gesichtsoval frei lässt, aus dem Haus ihrer Familie heraus gehen. Selbst Zehnjährige mit Hidschab, wir meinen damit die Haube, die, aus einem Stück Stoff genäht Haare, Schultern und Oberkörper vollkommen einhüllt, erscheinen im westdeutschen Stadtbild. Dazu tragen sie nicht selten den oben bereits erwähnten, vor wenigen Jahren eigens entworfenen knöchellangen grauen oder schwarzen Mantel.

Dieses streng islamistische Outfit ist, wie wir meinen, für kleine Mädchen, die auch noch spielen und herumtoben sollten, unpraktisch und bewegungsfeindlich. Auch erwachsenen Frauen können mit diesem kaftanähnlichen Gewand ‚keine großen Schritte‘ machen. Zudem behindern diese Formen des Kopftuchs zweifellos Hör- wie Sehsinn der Trägerinnen und schränken das (Um-)Weltwahrnehmen der Mädchen und Frauen nicht unerheblich ein, besonders wenn auch der Blick züchtig gesenkt werden muss. Diese Kleidungsgewohnheiten erhöhen nicht nur die Unfallgefahren im Straßenverkehr (eingeschränktes Blickfeld), nein, jeder einigermaßen aufmerksame Mensch wird bestätigen dass Körpersprache und Auftreten sowie Denk- und Lebensgewohnheiten beeinflusst werden.

Schon diese oben beschriebenen Alltagsszenen deuten an, dass es bei der bevorstehenden Entscheidung des Landtages von Nordrhein-Westfalen um weit mehr geht als um die rechtliche Gewichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität einerseits und das Diskriminierungsverbot eines nach Meinung der Anhängerinnen religiös zu interpretierenden Symbols einer monotheistischen Weltreligion andererseits. Hier steht wesentlich mehr als die Klärung dieser Streitfrage zur Entscheidung an!

Wie viele Politikerinnen und Bürgerinnen in der BRD sind wir der Meinung, dass Kleidungsstücke wie Hidschab und Türban (dazu gehören nach unserer Ansicht auch Kippa, Sikh-Turban oder Frömmler-Strickmütze der Islamisten) keine religiös zu interpretierenden Insignien sind, die unter das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 GG fallen. Diese Ansicht lässt sich wie folgt begründen:

Nach wie vor sehen weltweit viele Musliminnen das Tragen des Kopftuchs nicht als religiöse Pflicht an. So schreibt Prof. Bassam Tibi in seinem Buch Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland, dass er viele afrikanische und südostasiatische Gebiete islamischer Bevölkerung bereist habe, in denen Frauen mehrheitlich nicht Kopftuch tragen.

Auch in Europa und in der BRD ist die Gruppe derjenigen Muslimas, die sich nicht mit islamistischen Kleidungsvorschriften identifiziert, deren Mitglieder sich gleichwohl als gläubige Musliminnen bezeichnen, recht groß. Selbst im Koran wird man nach einem ausdrücklichen Kopftuchgebot vergeblich suchen (und nur im Hadith fündig), eher findet man dort Textstellen, die besagen, dass die Frauen keine auffällige Kleidung tragen sollten. Das Kopftuch selbst wird nicht erwähnt; Ralph Ghadban (Das Kopftuch in Koran und Sunna) hingegen weist auf die islamische Überlieferung hin. Wie aber kann es dann sein, dass gerade unter den jungen Muslimas der Anteil derjenigen, die zwar ihr Haar unter einem fundamentalistisch streng gebundenen Kopftuch verbergen, ansonsten aber bewusst erotische und den Körper in Szene setzende, hautenge Kleidung bevorzugen, so sehr groß ist (klappernde Stöckelschuhe, Top mit transparenter Spitze an Taille und Oberarm, Rock mit langen Seitenschlitzen)? Religiöse Motive scheinen diese Anhängerinnen des vermeintlich einzig wahren Glaubens wohl nicht gerade umzutreiben.

Unter Berücksichtigung solcher Beobachtungen und angesichts der Tatsache, dass sich selbst aus dem heiligen Buch der Muslime eine religiös begründete Verpflichtung jeder muslimischen Frau zum Tragen des Kopftuches nicht ableiten lässt, kann dieses ‚Stück Stoff‘ nicht als ein ‚eindeutig religiöses Symbol‘ interpretiert werden.

Im Konsens mit vielen Bürgerinnen und Politikerinnen in NRW und auch mit Blick auf die Bundesländer, in denen schon eine Entscheidung zum Kopftuch getroffen wurde, sind wir vielmehr der Ansicht, dass mit dem ‚Kleidungskodex der islamischen Renaissance‘ auch Haltungen einhergehen, die nicht schützenswert ist. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich bei ihrer Meinungsbildung keineswegs darauf zu beschränken, dass allein die Möglichkeit, dass ein Tragen des Kopftuches religiös begründet sein könnte, ausreicht, um eine verfassungsrechtlich nicht tragbare Beteiligung von kopftuchtragenden Lehrerinnen in staatlichen Schulen im Falle eines Kopftuchverbots abzuleiten.

Wir halten es für unverzichtbar, angesichts der Grundrechte der Kopftuchgegnerinnen wie auch der in dieser Frage Unentschiedenen abzuklären, für welche Strömungen (Politislam sprich Schariagesetz-Lobby; Traum vom erneuerten Kalifat), Lebenspraxen (Gewalt in der Erziehung, Zwangsverheiratung) und Geisteshaltungen (Verachtung von Andersgläubigen, Verbot der Apostasie bei Todesdrohung) das Symbol Kopftuch, das Prinzip Kopftuch eben auch gesehen werden kann. Sieht man sich im Straßenbild um, informiert sich oder spricht mit Vertreterinnen der beiden Meinungsfraktionen, spricht vieles dafür, dass ’dieses Stückchen Stoff’ für verschiedene Haltungen und Ansichten in Anspruch genommen werden kann. Doch sicherlich nicht für die Emanzipation der Frau.

Die demonstrative Unterwerfung unter eine Kleidungsvorschrift, die den äußerlich von Weitem erkennbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern zementiert, als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Gleichberechtigung zu werten hält nicht nur Frau Dr. Lale Akgün, MdB und langjährige Islambeauftragte der SPD Bundestagsfraktion für grotesk. Wer die Weiterentwicklung der Gleichberechtigung und Gleichstellung als wesentliches Ziel der Mitgliedsstaaten des Europarates anerkennt, kann eine solche Verunglimpfung und Verachtung der Frauen Iran, Afghanistan, Saudi Arabien und Algerien, die das Kopftuch eben nicht freiwillig gewählt haben, nur als zynisch ansehen.

Frauen, die behaupten, ohne Kopftuch würden sie sich nackt fühlen, geht es nicht alleine um Schutz. Nein, unausgesprochen unterteilen sie gleichzeitig ihre Geschlechtsgenossinnen in die Gruppe der Ehrenhaften und die der Unreinen, egal ob die Betroffenen Muslimas sind oder gar so genannte Ungläubige. Das Kopftuch, einschließlich der damit einhergehenden ‚Software‘, ist somit Symbol für die Spaltung der halben Menschheit in Sittsame, Tugendhafte sowie in verachtenswerte Sünderinnen. Die zunehmende Gewohnheit dieser Musliminnen, Männern prinzipiell nicht mehr die Hand zu geben (prominente Vertreterin: Fereshta Ludin), zielt in die gleiche Richtung: sie manifestiert für alle Umstehenden sichtbar der minderwertigere Stellung der Frau, die grundsätzlich als unrein gilt. Dieses (deutsche, europäische) Begrüßungs- und Verabschiedungsritual ist streng gläubigen Muslimas außerdem untersagt, weil selbst dieser harmlose Hautkontakt sexualisiert wird und Mädchen und Frauen unterstellt, wie eine Hure Männer zu verführen. Eine unserer Meinung nach kompromittierende Unterstellung.

Das Verhüllen der Haare kann also auch als Symbol für die Diskriminierung aller Menschen (also der muslimischen Männer) gesehen werden, die nicht bereit sind, sich dieser Frauen verachtenden Bekleidungsethik zu unterwerfen. Während eine große Gruppe von ‚Ungläubigen‘ Religionsfreiheit und das Recht zur freien Meinungsäußerung, d.h. auch Kritik an den religiösen Weltanschauungen, als demokratische Tugend (bekannte Persönlichkeiten erachtet (bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Prof. Bassam Tibi, der Dalai Lama, Hans Jonas und Willigis Jäger gehören dazu), droht Schriftstellerinnen und künstlerischen Freigeistern wie Sir Salman Rushdie die Todes Fatwa. Für eine solche Geisteshaltung, für die das Kopftuch eben auch stehen kann, religiöse Toleranz einzufordern, halten wir für eine dreiste Provokation.

Wir alle wissen um die lebenslang prägende Beispielfunktion jeder Kindergärtnerin und Lehrerin, vor allem in Grundschulklassen. Daher müssen wir damit rechnen, dass nicht nur auf muslimische Kinder und Schülerinnen einer neben den Eltern und später der Peergroup so wichtigen Identifikationsfigur vorbehaltlos nacheifern. Eine Art textilen Ausweis der Reinheit und Rechtgläubigkeit (dazu gehören auch das islamische maskuline Gebetskäppchen und die jüdische Kippa) tragende Islamistinnen hätten dann in staatlichen Institutionen wesentlichen Anteil an der Interpretationshoheit ‚wahrer Religion‘. Sie würden jungen Muslimas verdeutlichen, wie sich ehrbare Mädchen und Frauen nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber kleiden und zu verhalten hätten. Damit würden wir ausgerechnet Fundamentalistinnen einen so wesentlichen Bereich wie die Deutung des (Um )Welt- und Menschenbildes in demokratischen Erziehungs- und Bildungsräumen überlassen.

Die gesunde, selbst bestimmte Entwicklung von Töchtern und Söhnen zu gesellschaftskritischen und demokratischen Persönlichkeiten, die ein auf dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz §) fußendes Frauenbild bejahen, sollte uns sehr am Herzen liegen. Nicht nur wir Pädagoginnen sollten uns verpflichtet wissen, jeder diesem Erziehungs- und Bildungsauftrag zuwiderlaufenden Entwicklung entschieden entgegenzutreten. Die seit wenigen Jahren von Islamisten propagierte Abmeldung vom Sport- und Schwimmunterricht sowie das Verbot an Klassenfahrten teilzunehmen, verhindert ein wesentliches Erziehungsziel: die gelingende Integration in die Klassengemeinschaft.

Der Gewissenskonflikt, dem junge Musliminnen, die ihre nicht verhüllten Mütter und Schwestern verachten müssten ausgesetzt sind, dürfte niemanden kalt lassen, schon gar nicht Abgeordnete einer demokratischen Landesregierung. Solch vorgeblich religiöse Kleidungs- und damit einhergehende Verhaltensvorschriften und Einstellungen sorgen für die Instrumentalisierung unserer Schulhöfe, Lehrerzimmer und Klassenräume durch die hart agitierende Minderheit der Fundamentalistinnen und verstoßen gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Beides kann nicht im Interesse der Landespolitik sein und sollte durch ein entsprechendes Gesetz verhindert werden.

Das Verbot von Kopftuch und anderen aufdringlichen Symbolen sollte sich jedoch keinesfalls auf staatliche Erziehungs- und Bildungseinrichtungen beschränken, sondern auch im Gerichtssaal Anwendung finden. Dies halten z.B. für eine verfassungskonforme Verteidigung und Urteilsfindung für unumgänglich. Wir hätten Zweifel, dass ein Gebetskappe oder Turban tragender Anwalt beziehungsweise eine streng verhüllte Richterin aufgrund ihrer schon äußerlich sichtbaren fundamentalistisch religiösen Wertehierarchie zu einem Vergewaltigungsopfer oder zu einem homosexuellen Verdächtigen mit der gebotenen Objektivität Stellung nehmen kann.

Ümmühan Karagözlü

Diese Abhandlung wird von einer Autorin verfasst. Sie beschreibt und reflektiert insbesondere Lebenslage und Perspektiven von Frauen mit und ohne Migrantionshintergrund in der BRD. Zur besseren Lesbarkeit des Textes verwendet die Autorin generell die weibliche Sprachform (geschrieben: Sozialpädagoginnen, Bürgerinnen etc.), Männer sind ganz selbstverständlich mit gemeint.