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Aus der pädagogischen Praxis

Oktober 1, 2007

MigrantInnen und selbstgewählte Fremdheit

Zur Bildungsverweigerung muslimischer Familien.

Für ca 1 Jahr habe ich SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund in deren elterlichen Wohnung Nachhilfeunterricht gegeben.

So weiß ich, dass in einigen muslimischen Familien definitiv außer dem Koran und den Schulbüchern der schulpflichtigen Kinder kein Buch zu finden war. Sogar Lexika und (Fremd)Wörterbücher suchte man dort vergebens, keine Märchenbücher, Gute-Nacht-Geschichten oder Leselöwen-Bücher, geschweige denn Malbücher. Keine Puppen. Nicht einmal eine Fernsehzeitung lag auf dem Couchtisch.

Schulbücher dienen in diesen traditionell muslimisch denkenden und handelnden Familien wirklich nur zur körperlichen Ertüchtigung, man muss die schweren Dinger schließlich hin- und herschleppen. Zuhause werden diese Lehrbücher garantiert nur aufgeschlagen, um mit halbem Herzen zu versuchen, Hausaufgaben zu erledigen. Solange man Bock dazu hat.

Selbständiges Nachschlagen, um Fragen zu klären oder Neues zu entdecken kommt gewiss in solchen Familien nicht vor. Auch der oftmals vorhandene Computer mit Zugang zum World Wide Web ist sicherlich nur den männlichen Familienmitgliedern frei zugänglich und dient nicht der wünschenswerten Vertiefung und Erweiterung von bildungsrelevantem Wissen.

Das ist aber in der Regel auch nicht nötig, weil viele LehrerInnen aufgegeben haben, gegen Fatalismus, Ignoranz, Respektlosigkeit Doppelzüngigkeit und Borniertheit der Erziehungsberechtigten anzukämpfen, wenn diese denn mal zum Gesprächstermin erscheinen.

Hilft dieser oft provozierende Verhaltenskodex muslimischer Eltern nicht, spielt man ‘armes kleines Opfer‘, radebrecht in gebrochenem Deutsch (obwohl man Jahrzehnte seines Lebens hier verbracht hat oder gar hier geboren wurde) von sprachlicher Diskriminierung und kann ziemlich sicher sein, dass der Sohn trotz mangelhafter Leistungen in Deutsch und Englisch selbst ohne Ausgleichsfach in die siebte Klasse versetzt wird (wenn auch auf Probe).

Dies ist besonders ungewöhnlich, da der Schüler in der Orientierungsstufe (Klasse 5 und 6) das Schuljahr mit solchen Noten nicht einmal hätte wiederholen dürfen und normalerweise die Schulform hätte wechseln müssen. Dieser Aufwand elterlicherseits wäre für eine Tochter wohl gar nicht erst betrieben worden.

Die bewusst und selbst gewählte Fremdheit, das eifrige Abschotten gegen Einflüsse der Außenwelt grenzt einerseits andere wissentlich aus und isoliert sich selbst andererseits. Mittlerweile dürfen die Kinder oft genug auch nicht SpielkameradInnen aus Familien gleicher Herkunft besuchen bzw einladen, der gesamte Alltag findet, zu mal für die weiblichen Familienmitglieder, hauptsächlich zu Hause statt.

Diese Gewohnheiten begünstigen die Parallelgesellschaft, zementieren und fördern Einstellungen, Denkweisen und Handlungsmuster der kulturellen Vormoderne, wie Zwangsheirat, Jungfräulichkeitskult und Ehrenmord.

Wer es wagt, aus diesem Familiengefängnis auszubrechen, verliert voraussichtlich die Nestwärme und Anerkennung der Familie, kann auf kein unterstützendes Netzwerk innerhalb der Umma hoffen, wird behandelt wie eine Aussätzige und manchmal sogar mit dem Tode bedroht.

Bildung verleiht die Flügel, sich aus diesen patriarchalen Weltbildern zu befreien….

Juliana Zeedijk