الشريعة
aš-šarīʿa
Allahs Gesetz
Deutsch, postsäkular, stammeskulturell
Zum neuen Buch des Falaturi-Preisträgers und Kulturanthropologen Werner Schiffauer »Nach dem Islamismus: Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş« (Suhrkamp, Berlin 2010). Wie eine erregende und herrschaftliche Ex-Wissenschaft dem revolutionären Islam zuarbeitet. Von Jacques Auvergne
Droht jedem Staat der Europäischen Union, in der Bundesrepublik Deutschland begleitet vom frohgestimmten Wissenschaftsrat (WR) und vom lässigen Journalisten Jörg Lau, ein Zerfall der Gemeinschaft der Staatsbürger in ein Gefüge ethnoreligiöser Kollektive? Ein Zerfall der Solidargemeinschaft in Glaubensnationen (Einzahl milla, türk. millet), die dem Einzelnen, genauer gesagt dem Ex-Individuum, den Lebenslauf recht genau vorzeichnen werden?
Will sich der Träger des nach dem schiitischen Polit-Theologen Abdoldjavad Falaturi (1926–1996, Dissertation 1965 in Bonn über die Kantische Ethik) benannten Toleranzpreises Werner Schiffauer, im preisvergebenden Vorstand sitzt Muslimbruder Ibrahim el-Zayat, 2002 erhielt Murad Wilfried Hofmann diesen Preis, der Forderung des Oberhauptes der Anglikanischen Kirche Rowan Williams beziehungsweise derjenigen des Schweizer Sozialanthropologen Christian Giordano anschließen, Allahs Gesetz doch endlich zu legalisieren, zunächst im Familienrecht?
Fordert auch der 1951 in Lichtenfels im oberfränkischen Bayern geborene und sich der mittlerweile ethisch auf den Hund gekommenen politischen Linken zurechnende Professor für Kulturanthropologie, der an der Europa-Universität Viadrina zu Frankfurt an der Oder lehrt, ganz im Einklang mit Mustafa Cerić ein Europa, das von einem religionsverschiedenen Recht gekennzeichnet ist? Und wie „tolerant“, „progressiv“ oder „links“ ist es eigentlich, dem Kind oder Jugendlichen ein auf Frauendeklassierung beruhendes Wohlverhalten anzudressieren, das seine Seele, vielleicht, vor den authentisch islamischen Höllenflammen rettet?
Dass eine jede islamische Geistlichkeit eine Art von separatistisch durchgesetzter Staatlichkeit verwaltet und dass der Islam im Namen der Seelenrettung eine legalisierte allahzentrische Gerichtsbarkeit fordert, ist Annette Schavan (BRD), Jörg Lau (DIE ZEIT) und Thomas May (WR) ja vielleicht noch gar nicht klar. Eine andere Scharia aber gibt es nicht und wird es nicht geben. Die entgrenzt fremdenfreundlichen Gutmenschen schweigen zum differenziert diskriminierenden islamischen Recht, kolportieren das eher faktenferne „Der Islam kennt keine Kleriker“ und schwärmen, vollends wirklichkeitsblind, vom angeblich egalitären und frauenfreundlichen „eigentlichen“ Islam.
In der Gesetzesreligion des Islam hat al-qāḍī, der Kadi, der religionspolitische Richter, sehr wohl eine klerikale Funktion, denn die Scharia, die Fatwas oder die im Namen Allahs gesprochenen Gerichtsurteile zu verweigern zieht im Diesseits (ad-dunyā) die soziale Ächtung nach sich, was je nach Glaubenspraxis zum islamrechtlich einwandfreien Apostatenmord führen mag, und verhindert im Jenseits (al-āḫira) den Eintritt ins Paradies. Gelehrige islamische Urteilsfindung allein garantiere den tagtäglich und stündlich herabtropfenden Segen der Gottheit, nur vorläufig darf der einzelne Muslim „im Exil“, in Nordamerika oder Europa, ohne eine solche Islamische Ordnung (niẓām islāmī, etwa als die Einführung der Scharia in Pakistan 1977) leben.
In allahzentrischer Erstarrung oder Verspannung, in einer dem Weltgericht nachgeordneten Depression oder Ekstase und in der Ichauslöschung (at-taǧarrud) der „Stellvertreterschaft“ hält eine den Hidschab (ḥiǧāb, hier der textile Aspekt der Geschlechtersegregation) tragende Muslima, ein fleißig arbeitender saudischer oder iranischer Henker oder hält ein im islamkonformen Familienrecht funktionierender britischer Schariagerichtshof wie das »Islamic Sharia Council« (34 Francis Road, Leyton, London) den Bestand der Schöpfung aufrecht, jedenfalls heiligen oder bekunden die kadigehorsamen Rechthandelnden die durch Allahgott geduldete Gegenwart der erhabenen umma und die zur Reue (at-tauba), Mahnung und Umkehr dienende großzügige Duldung der restlichen, sittlich minderwertigen Menschheit.
Das Kratzen der Schreibfeder beim Erstellen einer fatwā, eines islamischen Ehevertrages, oder eines schariakonformen Gerichtsurteils ist sehr wohl eine Art Sakrament. Den Nichtmuslimen aber gilt es, zum Zwecke der Islambewerbung (ad-daʿa) zu erzählen, der Islam würde keinen Klerus benötigen und keine Sakramente kennen. Jeder Rutenhieb eines Religionspolizisten ist Sakrament, heilssicherndes Handeln, jedes fraueninterne Bespitzeln auf islamisch korrektes Verhalten, jedes männliche Verprügeln der Ehefrau (solange es sich auf 4:34 beruft). Jeder Muslim ist ein kleiner Kalif, zum Gehorchen und Herrschen nach Maßgabe der ḥisba befugt, ja, insofern, und nur insofern, gibt es im Islam keinen Klerus! Eine klerusartige Rolle spielen Ayatollah, Hodschatoleslam, Scheich, Großmufti, Mufti, Imam, Familienoberhaupt, Ehemann und großer Bruder, deren Führungsrecht der einzelne Muslim nur dadurch umgehen kann, dass er unbezweifelbar in höherem Maße „islamisch korrekt“ handelt als sie. Folgerichtig gibt es „im Islam“ nur eine legitime Weise der Äußerung von politischer Kritik, die heilige Empörung, das anklagende in die Luft Heben des Buches, und recht eigentlich gibt es nur ein (richtiges, nützliches) Buch. Demnächst, hofft der WR, wird solches im deutschen Uni-Hörsaal gelehrt und praktiziert, eine islamwissenschaftliche Herangehensweise dürfte dann dysfunktional sein (lebensgefährlich).
Dass der WR im Juli 2010 Ägyptens Religionsminister Mahmoud Zakzouk, Irans einstigen Präsidenten Mohammad Chātami und den ECFR-Scheich Mustafa Cerić nach Köln einlud, zeigt uns, dass die Schariatisierung des Familienrechts (und als nächstes des Erbrechts) unmittelbar vor der Türe steht. Diesen drei, die Seelen der Pflichtbewussten rettenden und die Seelen der Pflichtvergessenen verdammenden Gegendemokraten, diesen drei global agierenden Herrschern wollten am 13. und 14. Juli 2010 Bundesregierung und Wissenschaftsrat stolz die Pläne zum Aufbau einer schariabasierten Islamischen Theologie (Etikettenschwindel Islamische Studien) an unseren Universitäten präsentieren. Allein die Bereitschaft, mit dem Schariaminister der Azhar, dem schiitischen Steinigungsfreund und dem Europavertreter des obersten Scheichs der Muslimbrüder zu debattieren bleibt ein Skandal.
Ein prominenter Schariatheoretiker und angeblicher Sufi aus Yogyakarta, Java, Indonesien, Professor Amin Abdullah, der Rektor der Staatlichen Islamischen Universität Sunan Kalijaga, der laut WR ein islamisches Denken einer angeblich einst vorhandenen und später verloren gegangenen „radikalen Vieldeutigkeit“ wiederbeleben möchte, weilte mit Allahs Vorzeigepädagogin Lamya Kaddor („Die Aufklärung ist nicht auf den Islam übertragbar“), dem Erlangener Juristen Mathias Rohe („Auch das islamische Recht ist Recht“), dem Schweizer Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (über Pierre Vogel: „Gefährlich ist er allenfalls, wie ein evangelikaler Prediger aus Amerika gefährlich ist“) und der Kölner Fundamentalistin Rabeya Müller (IPD / ZIF, GMSG, CIG, RfP / WCRP, hält sich selbst für eine „liberale, europäische Muslimin“) ebenfalls im Juli 2010 im Kölner MediaPark. Der für seine Wertebeliebigkeit und für sein Schariaverständnis unbeliebte oder beliebte deutsche Journalist Jörg Lau hatte die Rolle eines Moderators. Versöhnlich mittendrin: Werner Schiffauer.
Schiffauer:
9. Als ich 1999 meine Studie zum Kalifatsstaat des Cemaleddin Kaplan (Schiffauer 2000) abgeschlossen hatte, blieb ein Gefühl der Ratlosigkeit.
Bei Werner Schiffauer bleiben Fragen offen, bei Allāh nicht.
Beim Publikum Verwirrung und Ratlosigkeit (al-ḥaira) zu produzieren, wie es der Islamversteher, geschickt monopolistische Islamberichterstatter und islambezogene Nichtinformierer Jörg Lau vorbildlich leistet, begleitet eine jede Islamisierung, damit dem Taumelnden die repressive Scharia als rettendes, Orientierung bietendes Kristallgitter erscheint. Zeitgleich zu öffentlichen Hasspredigten, Kopftuchkrieg, Belästigungsterror gegen unverschleierte Frauen und wuchernde Kriminalität gilt es, mit einem „kontroversen“ TV und einer „verständnisvollen“ Presse das Auditorium verlegen bis ratlos zu machen (ḥayara), denn nur die Entformung des bislang Verlässlichen macht Allahs geregelte Diskriminierung attraktiv und schafft auch für die islamgöttliche, in ihrer Normierung dem Menschen unnachvollziehbare Willkür Akzeptanz.
9. Es war schon seinerzeit klar, dass die überwiegende Mehrzahl der Muslime in Deutschland den radikalislamistischen Kurs von Cemaleddin Kaplan falsch fand. Die Ablehnung war jedoch eher empfunden als argumentativ begründet. … Was hätte man innerislamisch der Suggestivkraft des Radikalislamismus mit seiner Zweiteilung der Welt in Gut und Böse entgegensetzen können?
Der die Welt spaltende Dualismus ist nichts Suggestives und alles andere als ein Verrat am Koran oder eine falsch verstandene Scharia, sondern etwas sehr Islamisches. Die so genannten Muslime fühlen sich unbehaglich, können aber nicht zugeben, dass das von Koran und Hadithen (aḥādīṯ, Sg. ḥadīṯ) angeordnete Menschenbild und Gesellschaftsbild vormodern geblieben ist und, heutzutage, gegenmodern sein muss.
Seit Generationen musste der in Kalifat, Sultanat, Volksislam oder Sufi-Bruderschaft (ṭarīqa, Pl. ṭuruq) organisierte Islam die anrückende Moderne namens Renaissance, Aufklärung, Psychoanalyse und Totalitarismuskritik gottgetreu abwehren. Dabei ist er nicht ohne Erfolg gewesen und fährt standhaft fort, die Moderne gegenkulturell bis separatistisch anzugreifen (ǧihād) oder schmollend zu verweigern (hiǧra, wenn Kölns prominenteste Ex-Muslima, vom Generalsekretär des Wissenschaftsrates Thomay May gebeten und angekündigt, ans Saalmikrophon tritt und zu reden beginnt und alle Islamisten, darunter viele IGMG-Führer, aufstehen und wie auf ein unhörbares Kommando den Saal verlassen, kopieren sie die hiǧra des Jahres 622 und wissen, dass sie wiederkommen werden).
Zwischen Malaysia und Marokko gibt die örtliche Herrschaft aus islampolitischen Führern, klerikalen Paradieswächtern und gewaltbereiten Sittenpolizisten Außenstehenden verwirrend erscheinende Parolen aus, wie die dem Bereich des Eurozentrismus oder des kufr (Unglaubens), des Kolonialismus oder der ǧāhilīya (Barbarei) zuzurechnende Moderne auszugrenzen oder zu vermeiden ist. Dabei kooperieren Kalifatsaktivisten und muslimische Dialogbetreiber weltweit augenzwinkernd miteinander, Hassprediger und Nadelstreifenislamisten wirken arbeitsteilig beim großen Ziel zusammen, die universellen Menschenrechte den für das Paradies zu rettenden Angehörigen der Spezies Muslim, den mit einem Sonderrecht auszustattenden Muslimstaatsbürgern, zu verhindern, namentlich die Gleichberechtigung der Frau.
Schiffauer kann oder will nicht sehen, dass es der IGMG nicht um Religion, sondern um ein gesondertes Recht geht, um eine legalisierte Scharia im Familienrecht und Erbrecht, damit Islam als Deklassierung der Frau politisch realisiert werden kann. Die Millî Görüş unterscheidet sich hierbei von der in Pakistan, Indien und Bangladesch beheimateten, durch al-Maudūdī gegründeten und europäisch etwa in Großbritannien im Umfeld der Deobandi wirksamen Jamaat-e Islami (JI) oder von der aus Ägypten stammenden und längst global agierenden Muslimbruderschaft (MB) nur in Details.
Alle drei, die längst eine einzige, gewaltige islamische Bewegung bilden, wollen den „freiwillig“ durchgesetzten Schleier über dem Leib der paradiesbestimmten Frau, fordern das verstaatlichte islamische Eherecht einschließlich Vielweiberei und Verstoßung (aṭ-ṭalāq) und kämpfen juristisch um ein Dutzend Sonderrechte, damit sie das Zusammenleben mit den unreinen Dhimmis und Harbis in bestimmten Aspekten künftig legal verweigern dürfen.
Die neue Apartheid betrifft nicht zuletzt das Boykottieren des Schwimm- und Sportunterrichts und der Klassenfahrten, letztlich (und „ein wenig“ bereits damit) geht es dabei um einen Ausstieg aus der noch geltenden Schulpflicht. Eine durchgesetzte Islamische Grundschule, betrieben in oder an der Islamischen Föderation Berlin (IFB) als dem veritablen Berliner Landesverband der IGMG, kann ebenso als Sieg verbucht werden wie eine jede staatlich angestellte Lehrerin mit Kopftuch.
Hidschab meint eben beides, den textilen Ganzkörperschleier und die bedarfsweise gewaltsam durchgesetzte Abschottung der muslimischen Frau aus dem männlich kontrollierten öffentlichen Raum. Die kurzfristig und mit einer Burka den öffentlichen Raum betretende Frau ist als optisch entmenschtes bis dämonisiertes, sozial ausgelöschtes bis sexuell funktionalisiertes Wesen (Ayaan Hirsi Ali: zoontjesfabriek, Söhnchenfabrik) ein wandelnder Werbeträger des heilssichernden Männerrechts.
9, 10. Etwas später – Ende 1999, Anfang 2000 – hörte ich aus den Kreisen der Islamischen Gemeinde Milli Görüş (IGMG) neue Töne. Damals war Mehmet Sabri Erbakan, der Neffe des Begründers der Milli-Görüş-Bewegung, Necmettin Erbakan, zum Vorsitzenden der IGMG gewählt worden. … Anstatt den Westen zu verteufeln, entwickelte er Perspektiven für Muslime im Westen.
Die Islamische Gemeinschaft (nicht: „Gemeinde“) Milli Görüş möchte nicht länger als verfassungsfeindlich bis extremistisch („islamistisch“) eingestuft und bezeichnet werden und muss sich also irgendwie als modern und demokratietauglich darstellen. Schiffauers „Ethnographie“ hat dabei die Rolle, die Streichung aus den Verfassungschutzberichten zu erreichen (was nicht geschehen möge).
Entgegen allem egalitären Gerede ist Islam, auch muslimintern, eine äußerst elitäre und gewalttätig hierarchisierende Praxis, die auf Tochtertausch und kontrollierter Blutsverwandtschaft gründet und damit in höchstem Maße dynastisch ist.
„Muslime im Westen“ ist eine typische Sprachfigur von Tariq Ramadan, dem Sohn des aus Ägypten nach Genf geflohenen Muslimbruders Said Ramadan. Merkwürdigerweise ist noch nie ist etwas von einer bedrohten Hoffnung für die Shintoisten im Westen zu vernehmen gewesen, nie hat ein spiritueller Chinese in Deutschland über Unterdrückung gejammert und gerufen: Gebt den Taoisten im Westen eine Chance. Jemand, der nicht auf gegenkulturelle und gegenmoderne Wagenburgen und Ghettos, auf Sezession (erobertes Territorium, islamisch befreite Zonen) oder auf Rechtsspaltung zielt, wird von Allahs Glaubensvolk „im Westen“ vermutlich gar nicht reden können. Die Islamlobby betreibt ein politisches Gejammer.
Sich an die Macht jammern.
Was für ein geheimnisvoller Zauberer muss Mehmet Sabri Erbakan doch sein, um für Deutschlands Türken „Perspektiven“ (Schiffauer) zu „entwickeln“. Ist Erbakans Tun (Visitenkarte womöglich: Gesellschaft für Perspektivenentwicklung) eine lukrative Geschäftsidee, wann ist der Börsengang?
10. Dies ist umso interessanter, als sich die Milli-Görüş-Gemeinde zwar schon immer von Kaplan distanziert, andererseits aber nur hinsichtlich der Strategie zur Errichtung eines islamischen Staates unterschieden hatte. Kaplan hatte für eine Revolution optiert; die Milli Görüş dagegen für den parlamentarischen Weg. Das eigentliche Ziel war dasselbe. Nun kamen zum ersten Mal neue Töne. Kein islamischer Staat mehr, sondern die Entwicklung eines Islam in einem nichtislamischen Kontext.
Ist Schiffauer Musiklehrer, dass er zum zweiten Mal von „neuen Tönen“ berichtet?
Die alte IGMG ist auch laut Schiffauer also eine Kalifatsbewegung gewesen, die den Parlamentarismus nutzen wollte, um ihn durch eine Imamherrschaft oder durch ein allahkratisches Schura-Konzept zu überwinden.
Der Islamist, Kalifatsfreund und deutsche Ex-Botschafter Murad Wilfried Hofmann (Sägefisch 144) sinnierte bereits über einen Fiqh für den umgekehrten Dhimmi-Status der Muslime („Muslim dhimmi“, in: Islamic Intellectualism (2005); „a Fiqh for Muslim Dhimmi (!)“, aus: Hofmann: »Muslims as Co-Citizens in The West«, in: The American Journal of Islamic Social Sciences, Vol. 14, 1997) im mehrheitlich nichtmuslimischen Staat, bei kippenden Mehrheitsverhältnissen ergibt sich halt die Original-Dhimmitude. Hofmann („Im Sommer lebe ich in der Türkei, im Winter in Deutschland“), der in den Siebziger Jahren eine türkische Frau heiratete, genießt bei der IGMG hohes Ansehen.
Schiffauers „die Entwicklung eines Islam in einem nichtislamischen Kontext“ sollten wir erkennen als: Die religiös begründete Rechtsverschiedenheit zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, das sehr herabgesetzte Heiratsalter für die weiblichen Ehepartner (Kindbräute), die Polygynie, die in Schule und Arbeitsleben erlaubte weibliche Verschleierung.
Parlamente, die derlei Rechtsspaltung „tolerant“ ermöglichen (Stichwort Interkulturelle Öffnung der Verwaltung: „Es war immer Ziel der Stadt Herne, das gemeinsame Miteinander zwischen den unterschiedlichen Kulturen zu fördern … Verankerung von „Interkultureller Orientierung“ als eine Haltung innerhalb der gesamten Mitarbeiterschaft; die Forderung nach einer „kultursensiblen Sprache“ der versuchsweisen Mediengleichschalterin Aygül Özkan vom 23.07.2010, die SPD-Politikerin Daniela Behrens richtigerweise zum empörten Ausruf „Das ist Zensur … Medien können nur über das berichten, was auch passiert“ bewogen hat), sind dann der gewünschte Schiffauersche „nichtislamische Kontext“. Bei mangelnder Rücksichtnahme auf die muslimischen Andersartigkeiten und Empfindsamkeiten ist man leider gezwungen, zum bekennenden Kalifatsmodell zurückzukehren, dessen muss sich der gottlose „Kontext“ immer wieder erinnern. Die niedersächsische Integrationsministerin will, dass alle Journalisten und Medienprofis am 16.08.2010 in Hannover eine »Mediencharta für Niedersachsen« unterzeichnen, ein islamischer Revolutionär könnte dazu anerkennend nicken.
Der Anthropologe raunt von einem „nichtislamischen Kontext“, wo aber bitte ist denn der islamische europäische Strukturzusammenhang („Kontext“), eher bei Said Ramadan oder eher bei Nadeem Elyas, eher bei Borgfeldt (ECFR) oder bei Hofmann? Benötigt Europa künftig zwei Gewebe des Kontaktes, zwei Flechtwerke von Kontext, was die emotionale, kulturelle und juristische Segretation der Nichtmuslime von den Muslimen bedeuten würde und aus schariatischer Sicht auch bedeuten soll? Derlei Aufspaltung der Europäer oder deutschen Staatsbürger in Muslime und Nichtmuslime ist nicht hinzunehmen, „Kontext“ ist AEMR und Grundgesetz, und zwar für alle und jeden. One Law For All, das gilt auch für Atheisten … und sogar für Frauen.
So „neu“ ist es gar nicht, was den eingewanderten edlen Wilden das Herz schwer macht und bei edition suhrkamp durch den Mund des postmodernen Feldforschers „tönt“, denn das sinngemäße: „Wir feinfühligen und schreckhaften Muslime sollen doch keine Angst davor haben, nicht in den Himmel zu kommen, hm? Gebt uns ein Dutzend islamisierte Paragraphen, definiert ein paar Grundgesetzartikel schariakonform um!“ kennen wir von nahezu allen organisierten Straßenbauern des Way to Allah, ob man den Deobandi, Muslimbrüdern oder Wahhabiten nahe steht, den misogynen und endogamen Ahmadi, den missionierenden Tablighi oder den von Mystik redenden Schariafreunden der Naqshbandi, ob man sich dem Umfeld des reisetüchtigen Abu Hamza (Pierre Vogel) zuzählt oder eben der festungsgleichen IGMG, es sind immer dieselben Forderungen.
Weder die in Südasien verankerte JI noch die bis heute oft aus Ägypten stammenden Muslimbrüder unterscheiden sich hier wesentlich und noch nicht einmal VIKZ und DİTİB: Islamisches Familienrecht mit Zweitfrau und Verstoßung legalisieren, abgesenktes weibliches Heiratsalter, wobei selbst die etwa muslimisch-griechische Kindbraut (Griechenlands Türken dürfen das islamische Sonderrecht anwenden, die familienrechtliche Scharia) wie zufällig akzeptiert wird, Durchsetzung des textilen Hidschab in Arbeitswelt und Stadtöffentlichkeit, zunächst als französisches und deutsches Lehrerinnenkopftuch, daneben auch als belgischer und französischer Niqab (Gesichtsschleier), gelebte Frauensegregierung in Turnhalle und Schwimmbad als Merkmal der „Differenz“, „Scham“ und „Religion“.
Wir finden beim nüchternen Blick auf den Realislam, den authentischen Islam alles andere als die von Herrn Schiffauer auf Seite neun und ebenso auf Seite zehn behaupteten „neuen Töne“, eher schon die echte Scharia, wie sie der im Jahre 1111 verstorbene Machttheoretiker al-Ġazālī beschreibt und fordert. Deutschland hat zum Glück auch muslimische Säkulare wie Basam Tibi oder Necla Kelek, gründlich arbeitende iranischstämmige Wissenschaftler und aus der Türkei eingewanderte bewusste Demokraten. Deutschland beherbergt mutige Ex-Muslime wie Sven Kalisch (in seiner Tätigkeit als Dozent für islamische Theologie wurde er durch Mouhanad Khorchide ersetzt, der seit dem 20.07.2010 als Professor in Münster arbeitet und ab Herbst 2010 Islamische Religionslehrer ausbilden soll, Kalisch lehrt künftig »Geistesgeschichte im Vorderen Orient in nachantiker Zeit«), Barino oder Mina Ahadi, die sich von Schariafreunden wie der IGMG oder Werner Schiffauer doch wohl eher nicht angemessen vertreten fühlen und die ihre Interessen sicherlich gerne persönlich vertreten.
Will die deutsche Ethnologie und Kulturanthropologie, dass Deutschlands so genannte Muslime in allen Fragen zu Seelsorge und Wohlverhalten den Vordenkern und Befehlsgebern aus Stamm oder Islamverband hinterher trotten? Soll die muslimische deutsche Tochter der Zukunft ihren Vater als walī, Vormund und Heiratsvormund, akzeptieren lernen, fordern Schiffauer und IGMG die Legalisierung des Wali Mudschbir (walī muǧbir), des Triple Talaq?
10. Die als konservativ eingeschätzte Milli-Görüş-Gemeinde war somit die erste unter den ethnisch-religiösen Gemeinden von Arbeitsmigranten, die ihren Anhängern eine Brücke nach Europa baute.
Anthropologen sind erstaunlich offen, wie der die teilweise Einführung der Scharia fordernde Schweizer Professor Christian Giordano uns zeigt, doch dynamische Abschottung als Brückenbau zu bezeichnen ist surreal.
Unklar bleibt, ob die „Einschätzung“ eine Fehleinschätzung gewesen war, wer hier hauptsächlich einschätzte (der Verfassungsschutz? Die Bevölkerung? Die Ex-Muslime oder Islamkritiker?) und welche IGMG-Epoche betrachtet wurde und (besonders) „konservativ“ war, die von Necmettin oder die von Mehmet Sabri oder (irgendwie) beide. Alles nicht so wichtig, „konservativ“ klingt harmlos genug, um die hehren heutigen Deutschen, die sich, nach 1945 hehr geblieben, gerne als Fremdenfeinde ertappen lassen, lustbereitend zu beschämen, und die Hauptsache ist doch: Endlich raus mit der IGMG aus dem Verfassungsschutzbericht.
10. Anders als eine von außen und unter Druck zustande gekommene Entwicklung es vermocht hätte, versprach ein derartiger, von innen getragener Prozess Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit.
Argument war gestern, jetzt kommt al-islām.
Ein paar im persönlichen Briefwechsel notierte oder telefonisch geäußerte Worte sollen ein erfreulicher Vorgang sein, ein in die richtige (welche eigentlich?) Richtung verlaufender „Prozess“? Schiffauer orakelt uns etwas von Wandel durch Einsicht, von der Verlässlichkeit der Dauer und von „Brücke nach Europa“. Nanu, unsere Gastarbeiter waren doch längst hier, dann erst kam die Satellitenschüssel und brachte al-Qaradawis „Sharia and Life“ ins deutschtürkische Wohnzimmer?!
Was genau ist überhaupt gesagt worden? Und selbst wenn die fragliche, selbst nach Schiffauer lange Jahre auf ein Kalifat zielende Organisation inzwischen beteuert haben sollte: „Wir sind jetzt freiheitlich demokratisch und wollen die (negative) Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung der Frau“, soll jemand derlei Akustik als hergestellte „Glaubwürdigkeit“ einordnen?
Und: Ist Erwartung und Grenzsetzung seitens des Rechtsstaats denn immer so vergebens und kontraproduktiv, dass man staatlicherseits auf einen „Druck“ für alle Zeit verzichten soll?
10. Die grundsätzliche Neuorientierung, die Mehmet Sabri Erbakan einleitete, wurde vor allem von den Gymnasiasten, Studenten und Akademikern begeistert aufgenommen. Mehmet Sabri Erbakan hatte eine Vision formuliert …
Wohin hat er sich neu orientiert? Und: Wo ist die Vision? Schamane Schiffauer zaubert.
10, 11. Für diese in Deutschland aufgewachsenen und sozialisierten Muslime war Deutschland, beziehungsweise Europa, zur Heimat geworden, und sie wollten hier leben – mit ihrem Glauben. Was sie brauchten, war aber nicht nur eine Vision, sondern ebenso sehr eine Mission. Sie brauchten vor allem eine Antwort auf die Frage, was sie als Muslime auf Dauer in Europa zu suchen hätten.
Ich bin zwar hier geboren, weiß aber nicht, was ich hier soll. Allah sei Dank habe einen IGMG-Führer, den ich fragen kann.
11. Wie konnten sie es vor sich rechtfertigen, dass sie sich an den Fleischtöpfen der Ungläubigen und der Feinde des Islam labten, während der Rest der Welt im Chaos versank? Gerade hier gelang es Mehmet Sabri Erbakan, entscheidende Denkanstöße zu geben.
Naja, das Denken muss vielleicht angestoßen werden, wenn Zehntausende junger Deutschtürken wirklich so einen manichäischen und dschihadistischen Unsinn denken. Dass das orthodoxe islamische Menschenbild und Gesellschaftsmodell für das im Maghreb und Orient in der Tat vorhandene „Chaos“ ursächlich sein könnte, will manch ein führender IGMG-Aktivist vielleicht nicht so gerne hören, man merke: Der Islam ist makellos, alles Böse kommt von außen.
Was aber „gelang“ ihm, was sprach der rechtgeleitete Emir „gerade hier“:
11. Er zeigte ihnen, wie man für die Sache des Islam innerhalb Europas mehr tun konnte als in der islamischen Welt. Man konnte als Mittler zwischen den Welten, als Botschafter des Islam auftreten. Man konnte den Islam in den Heimatländern ideell und materiell unterstützen. Und man konnte in Europa Missionsarbeit betreiben.
Ekstatisch aus der Wäsche gucken, das Feuer des Glaubens flackert in den Herzen. Schade, dass Erbakan und Schiffauer die AEMR vergessen haben, aber Allāh setzt schließlich Prioritäten.
Mittler sein heißt Islambeschwichtiger sein, je erfolgreicher die Vermittlung, desto mehr durchgesetzte Scharia.
Das Phlegma der entgegen der früheren Absichten in Deutschland gebliebenen Gastarbeiter, der verhinderten Rückkehrer, konnte überwunden werden und Führer Mehmet Sabri ruft nun zur Landnahme.
Hisba ganz im Hier und Jetzt: Dem Reich der Gottlosigkeit Allahs Licht bringen, Europa zivilisieren. Geldsammlungen für die weltweite Islamisierung verantwortlich durchführen, immer strengere Kopftücher durchsetzen. Unser Leben hat einen Sinn bekommen, endlich sind wir wieder wer. Die Islamische Revolution der eigenen Seele, das äußere Kalifat gibt`s irgendwann wie von selbst dazu, inschallah.
11. Die Intellektuellen der zweiten Migrantengeneration entwickelten diese Perspektive nach dem Rücktritt Mehmet Erbakans in den Jahren nach 2000ff. weiter. … Daraus entstand eine spezifische postislamistische Perspektive.
Das Schiffauersche postislamistisch soll suggerieren: demokratiefreundlich, plausibel begründet wird es nicht.
Islamisch und freiheitlich demokratisch … mit dem für jede Muslima geltenden Verbot, einen Nichtmuslim zu heiraten, mit dem Postislamismus der Kopftuchpflicht (Hidschab) und der islam-spirituellen weiblichen Gehorsamspflicht.
Islamische Demokratiefähigkeit … mit potentieller Vielweiberei, mit dem in Korantreue ersehnten halben Erbe für die Frau und mit den einstweilig ausgesetzten (Tariq Ramadan) Körperstrafen (Hani Ramadan).
12. Für den klassischen Islamismus ist die Idee zentral, dass ein wahrhaft islamisches Leben nur in einem islamischen Staat möglich ist. Er zielte auf eine Islamisierung des Islam.
Ḥasan al-Bannā und Ayatollah Chomeini haben nichts mit dem eigentlichen, wesengemäß apolitischen und herrschaftsfreien Islam zu tun?
Das ist Unsinn, nur der tief nachempfundene und heute angestrengt nachkonstruierte medinensische Staat gilt als die letztlich einzig sittliche Seinsweise und als ausreichende Erfüllung der muʿamalāt (zwischenmenschlichen Verpflichtungen; ihr Gegenteil: ʿibadāt, Pflichten gegenüber Allahgott), jedes Sultanat oder sogar Kalifat hat sich überprüfbar erfolgreich in Richtung auf das Referenzmodell der Medinarepublik zu transformieren. Jeder Muslim ist ein Miniaturkalif, ein Stellvertreter Mohammeds oder auch Allahs, und nur als „kleiner Kalif“ (ḫalīfa, Verantwortungsträger im Sinne der Scharia) hat sein Dasein einen Sinn.
Die ḥisba als die Pflicht, „das Gute zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten“ läuft auf das Kalifat (ḫilāfa) hinaus. Eine Geistlichkeit, die sagt, der Parlamentarismus der autonomen Individuen oder der säkulare, durch volle Meinungs- und Religionsfreiheit gekennzeichnete Staat seien für die Errettung der Seele ausreichend, hat es im Islam bislang noch nicht gegeben und ist von der MB, JI oder IGMG auch nicht zu erwarten.
Wie im militärpolitischen Kapitel der Scharia jeder Waffenstillstand (al-hudna) der Maßgabe der Vorläufigkeit zu unterliegen hat droht uns, fallen wir Säkularen auf die angebliche Demokratiefreundlichkeit der Scharia und ihrer Parteigänger herein, jederzeit ein neues Rechtsgutachten, das die demokratische Seinsweise für nichtig (bāṭil, bâtıl) erklärt, das heißt für heilsverhindernd. Necmettin Erbakan nennt den – echt islamischen – Dualismus zwischen den beiden Territorien von Licht und Finsternis bâtıl düzen, „nichtige“, nichtislamisierte Staatlichkeit und, als ihr Gegenteil, ADİL DÜZEN, allahkratische Seinsweise.
Wahrheitswidrig erklärt Werner Schiffauer das Kalifat zum islamischen Betriebsunfall, sein: „eine Islamisierung des Islam“ ist ungefähr so sinnig wie ein: Lasst uns den laxen Mohammed rechtleiten, oder: Bruder, unser vergesslicher Allāh braucht wieder Nachhilfe.
22. Die Führungspositionen der IGMG wurden ab den neunziger Jahren zunehmend mit Personen besetzt, die habituell und emotional von den beiden, nach der klassischen IGMG-Ideologie unvereinbaren Welten geprägt waren – nämlich dem Westen und dem Islam. … Sie fanden dafür die Formel des Rechts auf Differenz.
Fromme Imame haben auch keine IGMG-Ideologie zu verbreiten, sondern eine Scharia-Ideologie.
Ethnologe Schiffauer behält, ganz im Stile von Quṭb, al-Maudūdī oder Tariq Ramadan, den gegenmodernen, antisozialen und korankonformen Dualismus von Region der Dämonie und Anstandsbereich bei (dār al-ḥarb, „Haus des Krieges“, dār al-islām, Tugendland). Die Begegnung von Licht und Finsternis klärt sich am Tage der Auferstehung ohne weiteres, und wenn Schiffauer, von „der Westen“ spricht, suhlt sich der islamsensible Kirchenfunktionär in der Schuld der Kreuzzüge und Scheiterhaufen, erquickt sich der linke Antiimperialist am Labsal der revolutionären Systemüberwindung und hört der machtgeile Muslimbruder von al-kufr, Unglauben, ḥizbu š-šaiṭān, Partei Satans oder weiß er von der ǧāhilīya, der Epoche beziehungsweise Politik der „unwissenden“ barbarischen Islamwidrigkeit.
Selbstverständlich sind aus (neo)islamistischer Sicht die jungen Muslime auch vom Westen „geprägt“ (Schiffauer), nämlich durch die AEMR verunreinigt. Im Namen der Religionsfreiheit und Multikultur lässt Antiimp Schiffauer diese so ganz „Anderen, Andersartigen“ zum makellosen Islam zurückfinden und aus dem Irrgarten islamrechtlich zweifelhaften bis nichtigen (bāṭil, bâtıl) universellen Menschenrechten heraus finden. Gelingendes Leben ist al-maʿād, Rückkehr zu Allāh, vgl. Zād al-Maʿād, Buchtitel des Ibn Qaiyim al-Ǧauziya (1292-1350; sein schariarechtliches Werk zum heilssichernden islamischen Kulturrassismus ist das Aḥkāmu Ahli ḏ-Ḏimma, „Rechtsbestimmungen zum Umgang mit den Schutzbefohlenen“ (ahkam ahl al-dhimma)).
„Recht auf Differenz“ (IGMG, Werner Schiffauer) bedeutet Recht auf Diskriminierung. Recht auf Differenz heißt Recht auf Rechtsungleichheit, Recht auf Ungleichbehandlung der Frau. Jörg Lau versteht das ja vielleicht nicht. Schiffauer aber versteht das und billigt es, wieder erinnern wir uns an Professor Christian Giordano aus Freiburg / Schweiz, der ebenfalls ein Völkerkundler ist. Die Rückkehr der Stämme.
Gründliche Ethnologen oder Soziologen können sich mit Stammesreligion oder Fundamentalismus befassen, ohne nach der Legalisierung der Blutrache zu verlangen oder den Teufels- und Geisterglauben in den staatlichen Religionsunterricht „integrieren“ zu wollen.
24. Mit Gramsci (1932/1996) kann man die postislamistische Generation als »organische Intellektuelle« charakterisieren. … Der Beriff wurde von postkolonialen Theoretikern auf Intellektuelle aus dem Migrantenmilieu bezogen (Rodriguez 1996), die als Träger einer »widerständigen Praxis« identifiziert wurden.
Gehört auch unser toleranter Ethnologe zu denen, die Osama bin Laden mit Robin Hood verwechseln?
Problematisch genug, dass es den predigenden Revolutionären wie Pierre Vogel recht erfolgreich gelingt, sich mit dem Charisma des Gegenkulturellen, mit dem Charme des Rebellischen zu umgeben. Verteidigt Schiffauer einen antikolonialistischen Befreiungskampf gegen jene schier unzumutbar schwere Bürde, welche das Grundgesetz den so genannten Migranten, gemeint sind die muslimischen Politreligiösen, auferlegt?
Warum aber gesteht der „linke“ Wissenschaftler dann den aus dem Orient immigrierten Teilen der europäischen Ex-Muslime eine solche „widerständige Praxis“ nicht zu, sondern ausschließlich den dominanzkulturell ausgerichteten deutschen Islamisten? Möchte Schiffauer vorbauen und auch morgen auf der Seite der Sieger befindlich sein? Mit Steinigungsfreund Chatami, Schariaminister Zakzouk und ECFR-Scheich Cerić in einer Kölner Tagung zu arbeiten (sie konnten oder sollten letztlich nicht nach Köln kommen), bereitete Schiffauer keine schlaflosen Nächte.
29, 30. Es ist das postislamistische Lager, in dem die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Westen, der Demokratie, dem Säkularismus, dem Rechtsstaat, dem Multikulturalismus am intensivsten geführt wird. Während die weltablehnenden Strömungen der Gesellschaft den Rücken zukehren, die »liberalen« Muslime sie im Großen und Ganzen akzeptieren, wie sie ist, und die revolutionären sie grundsätzlich umgestalten wollen, bringen sich die Postislamisten in sie ein.
Die Wortwahl vom „sich einbringen“ mag die Parteigänger der Multikultur an selige Achtundsechziger-Zeiten erinnern. Die gewaltbereiten erwähnten korantreuen Revolutionäre, deren islamofaschistischen Staatsentwurf Schiffauer leider verschweigt, diskutieren (angeblich) nicht, Schiffauers Postislamisten hingegen, die den Staat, etwas später, zwar möglicherweise ebenso stürzen wollen und werden, bieten den freiheitlichen Demokraten die spannende Diskussion an. Der Kulturanthropologe ist beglückt und die Postmodernen haben Gelegenheit, ein paar Stunden lang rituelle Fremdenfreundlichkeit öffentlichkeitswirksam zu praktizieren.
Vom Rechtsstaat wird gar nichts übrig bleiben oder das Grundgesetz wird für die nach Maßgabe der Dhimma (aḏ-ḏimma) zerteilte Bevölkerung verschiedenartig abgestuft außer Kraft gesetzt, sobald wir anfangen zu tolerieren, dass sich die „Postislamisten“, die selbstverständlich nach wie vor echte Islamisten sind und welche Scharia und Kalifat nur vorläufig beziehungsweise vorgeblich zurückgestellt haben, „sich einbringen“, wie Schiffauer es nennt.
32. Drittens kommt es zu einer Durchdringung von religiösem Gedankengut und »Welt«: Dies bedeutet, dass Staat, Gesellschaft, Wirtschaft nicht mehr als feindliche Sphären wahrgenommen werden müssen, sondern in die Sphäre der Religion hereingenommen werden können, die sich damit ausdifferenziert.
Die als Religion getarnte gefräßige politische Ideologie soll also Staatlichkeit, Menschheit und Ökonomie schlucken, dann werde alles bunter, übersichtlicher und demokratischer. Was für ein Unsinn, jedes Fressen ist ein Vereinheitlichungsvorgang und „Durchdringung“ heißt Entdemokratisierung, Schariatisierung. Schiffauer lässt zu, dass das islamische Jenseits politisch wird, der Ethnologe fördert den Aufbau der (zunächst parallelgesellschaftlichen) Allahkratie.
Für Allāh sind Staatlichkeit und Frömmigkeit noch nie getrennt gewesen.
32. Die Entwicklung religiösen Denkens erfolgt wie die von anderen Denksystemen … in revolutionären und postrevolutionären Phasen.
Und was, wenn die heute nach Schiffauer wenig überzeugend als „postrevolutionär“ (das mag heißen als demokratietauglich und menschenrechtsverträglich) etikettierte Millî Görüş morgen wieder revolutionär sein will und „spirituell“ nach der Gottesherrschaft verlangt?
Der säkulare Rechtsstaat hat in seiner Politik, die sich an alle Staatsbürger richtet und die nicht der Seelenrettung oder der islamischen weiblichen Keuschheit dient, die demokratische Reife oder Unreife der augenblicklichen IGMG-Führer primär nicht zu berücksichtigen, sondern die Herren und gegebenenfalls auch Damen bedarfsweise in den jährlich aktualisierten Verfassungsschutzberichten zu erwähnen.
Die Gewalttaten, die von der JI oder der Muslimbruderschaft ausgingen, verharmlost Schiffauer als „revolutionäre Phase“. Der Professor von der Europa-Universität Viadrina verbucht damit die Aufrufe zum Hass auf das Nichtislamische und die Nichtmuslime, zur Zwangsverschleierung der Frau, zum Einschüchtern der säkularen Muslime oder Ex-Muslime wie etwa der mutigen Taslima Nasreen und die gelegentlichen Auftragsmorde, denen auch Farag Fauda zum Opfer fiel, unter „Denksystem“, „religiöses Denken“ und „Religion“.
Dass der MB zahllose Terrorgruppen wie die permanent einschüchternde und mordende Frauenverschleierungs-, Kinderwehrsport- und Kalifatsbewegung HAMAS entsprossen sind, dass der politische Islam zwischen Bangladesch und Ägypten, zwischen Pakistan und Israel für viele Morde verantwortlich ist, ist Herrn Schiffauer bei der Suche nach der Essenz des Postislamistischen nicht so wichtig. Der sehr freiheitliche Staat Israel hat auch bei den Schiffauerschen phantastischen „Postislamisten“ kein Existenzrecht.
Herr Schiffauer hat einfach nicht gründlich genug hingesehen, wenn er ein friedliches Phantom einer postislamistischen Gegenwart bekundet. Der Ex-Wissenschaftler übersieht das kriegstreiberische Phänomen einer seitens der Islamlobby erwünschten postisraelischen Zukunft, was uns auch die logistische, finanzielle und ideelle Unterstützung erklärlich macht, die 2010 durch den ehemaligen IHH-Vorsitzenden (die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH) ist 2010 vom Bundesinnenminister Thomas de Maizière verboten worden) und hochrangigen Hamburger IGMG-Aktivisten Mustafa Yoldas der terrorismusfreundlichen Gaza-Flotille zuteil geworden ist.
„Nach dem Islamismus“ (Schiffauer) ist vor dem Dschihad.
36, 37. Der Gebetsraum einer Ladenmoschee in Kreuzberg. … In diesen Raum, der eine ganz säkulare Geschichte zum Klingen bringt, wurden die sakralen Elemente eingefügt, die den Kern der islamischen Lehre bergen.
Die Deklassierung der Frau und das Beherrschen der Nichtmuslime sind der „Kern der islamischen Lehre“. Einen anderen authentisch-islamischen bzw. islamoffiziellen „Kern“ gibt es nicht. Der in seinen misogynen und kulturrassistischen Untersuchungsgegenstand verliebte Forscher Werner Schiffauer fühlt sich von derartigen Flötentönen angezogen. Vom sozialistischen Sponti zum Quasi-Pascha, nicht mehr WG, nun zur Moschee.
37. Gebetsnische … [als das] Zentrum jeder Moschee … . Wo aber in römischer Zeit die Statue eines Gottes stand, in christlicher ein Heiligenbild oder eine Marienstatue, steht in der Moschee – nichts!
Islamisieren heißt Saubermachen, die dreidimensionalen Fetische älterer Kulte gilt es zu beseitigen, zur Moral mahnende leere Nischen sind herzustellen. Etwa im mittleren Afghanistan, unweit von Bamiyān. Die Stadt liegt im dem Herzen des Siedlungsgebiets der ein Fünftel der Afghanen umfassenden, leider immer wieder diskriminierten, in ihrer Abstammung turk-mongolischen und religiös islamisch-schiitischen Hazāra, die um 1895 Opfer von Pogromen wurden und damals zu Tausenden versklavt wurden. Bamiyān also.
Viele Jahrhunderte lang lenkten dort Buddhastatuen den Sinnsucher vom Wesentlichen ab, dann machte es endlich bumm und der postmoderne und postsäkulare Ex-Logiker erlebt die ergreifende Leere einer absoluten Nische: Werner Schiffauer erblickt – „nichts!“
Latifa berichtet 2001 aus Kabul: »Radio Scharia verkündet, dass in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Mullah Omar, der die Zerstörung aller vorislamischen Statuen angeordnet hat, die Buddhas von Bamyan gesprengt würden. … [der Sprecher von Mullah Omar erklärt dazu] „Afghanistan kann diese Götzenbilder nicht dulden, diese Statuen haben keinerlei religiöse Bedeutung für den Islam. Wir zertrümmern lediglich Steine.“«
(aus: Latifa, mit Chékéba Hachemi: Das verbotene Gesicht. Mein Leben unter den Taliban, München 2001, Seite 208, ins Deutsche von Theresia Levgrün nach: »Visage volé«, Paris 2001)
37. „Wenn man einmal verstanden hat, dass alles letztendlich eines ist, hat man den Islam verstanden.“
Auch Nationalsozialismus oder Maoismus gaben sinngemäß diese, alles weitere Denken überflüssig machende Parole aus, alles im eigenen, angeblich optimal kultivierten Staat sei ästhetisch und harmonisch aufeinander bezogen, alles sei eins.
37. Der Gedanke des einen, ungeteilten Gottes ist mit dem Gedanken der einen, ungeteilten Gemeinde verbunden.
Die aufgrund ihres Mangels an Religion in Erregung abzuspaltende niederrangige Menschenklasse der Frauen lediglich hinter einem Vorhang zu drapieren ist sehr schlecht, sie hinter einem Holzgitter anzuordnen etwas besser, sie in einen kleinen, dick ummauerten Nebensaal zu verfrachten ist sehr gut, und Lautsprecher und Flachbildschirm bringen ihnen die Stimme der selbstredend maskulinen Rechtleitung zu Gehör oder auch nicht.
Verweigerer der Scharia und islamgesetzliche Müßiggänger gehören nicht zur umma, sondern sind (ungeteilt) tatkräftig zu diskriminieren. Ein Gott, eine Gemeinde … ein Volk, ein Reich, ein Führer.
38. die gemeinsame und ungeteilte Ausrichtung auf Gott … . Die Vorstellung dieser Ordnung umfasst das Richtige – also den Bereich von Moral, Sitte etc. – und das Gerechte – die gesellschaftliche Ordnung. Die Aufgabe des Muslims ist es, für diese Ordnung einzutreten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger besagt die Formel, dass man ein scharia-konformes Leben führen soll. … Nur über die Bindung an Gott kann der Mensch in der Welt verantwortlich handeln, nur in der Erfüllung der innerweltlichen Aufgabe wird der Mensch Gott gerecht.
Irgendwann, vielleicht rasch kippt die politisierte Tugend in den islamischen Überwachungsstaat. Wie nebenbei ruft Schiffauer im Namen der Religionsfreiheit nach der grundrechtswidrigen Scharia und verharmlost die allahzentrische Ordnung, das Kalifat.
52. Der wichtigste Aspekt für die Entfaltung des Islam in Deutschland war jedoch, dass es sich um eine von Laien getragene Bewegung handelte.
Said Ramadan (1926-1995, wirkte vor allem von Genf aus), Yusuf Zeynel Abidin (1939-1986, Irak und Deutschland), Necmettin Erbakan (İstanbul und Aachen), Mohammad Chātami (* 1943, Iran und BRD, ab 1978 Direktor des schiitischen Islamischen Zentrums Hamburg), Muhammad Siddiq Borgfeldt (Lützelbach / Odenwald, ECFR, ZMD, MJD), Ibrahim el-Zayat (* 1968) oder Benjamin Idriz (Penzberg) sind keine Laien, sondern große oder kleine religionspolitische Führer, deren Rechtleitung (al-hidāya) und deren Vorstellung von der Scharia offen zu widersprechen das Heil der Seele gefährdet und die Gesundheit ja vielleicht gleich mit und die sich praktischerweise in ihrer Deutung von Religion (ad-dīn) oder Religiosität (ad-diyāna) allenfalls im Detail unterscheiden.
Den genannten Muhammad Siddiq / Wolfgang Borgfeldt, der einen Sitz im ZMD-Vorstand hat und alles andere als ein religiös ungebildeter Laie ist, dürfen wir nach dem Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2007 zitieren: „Muslim sein (werden) bedeutet auch, Gott als einzige Quelle aller Gesetze anzuerkennen. Auch die von 90 % der Bevölkerung gewählte Regierung hat nie das Recht, auch nicht mit absoluter oder Zweidrittelmehrheit, etwas zu verbieten, was Gott erlaubt hat beziehungsweise etwas zu erlauben, was Gott verboten hat. Jeder Herrscher, jede Regierung, jeder Einzelne ist immer nur ausführende Gewalt, denn Gesetze zu geben steht allein Gott zu.“
Schiffauer:
82. In der Diaspora begann man ebenfalls, die umma, die islamische Weltgemeinschaft, neu zu entdecken … In gewissem Sinn war sie von Anfang an präsenter als im Heimatland. … Vor allem Migranten, die der Muslimbruderschaft nahestanden, hatten Gebetsstätten eingerichtet, die erste Anlaufstellen für türkische Muslime darstellten.
Die neue europäische Landnahme. Said Ramadan, der Vater von Hani (schreit „religiös“ nach der Einführung der Steinigung) und Tariq (flüstert politisch nach der Aussetzung ebendieser Steinigung), gründete das erste deutsche »IZ« (Islamische Zentrum) in München mit (IZM, Eröffnung 1973), das, gemeinsam mit den Zentren Genf und Aachen, den Aufbau eines Europa überziehenden Netzes von MB-treuen Stützpunkten ermöglichte.
Die Türken haben den Arabern doch wohl eher getreu nachzufolgen, Mekka liegt schließlich nicht in Anatolien.
82, 83. Für Yusuf Abidin, den ersten Vorsitzenden der Milli Görüş, sprach nicht zuletzt, dass er neben der deutschen Sprache Türkisch und Arabisch beherrschte und Verbindungen zur Muslimbruderschaft hatte.
Wir erinnern uns: Der aus dem Irak stammende Arzt Yusuf Zeynel Abidin, Vater von Emel Abidin-Algan genannt Emel Zeynelabidin (IFB; Islamische Grundschule Berlin, wo Deutschlands bekannteste Kopftuchklägerin Fereshta Ludin eine Anstellung fand), war Europarepräsentant der Muslimbruderschaft.
Neben und nach der geradezu dynastischen Verwandtschaft der Familien Erbakan und el-Zayat ist Dr. Abidin die zweitwichtigste alte Verbindungsstelle zwischen Millî Görüş und MB, mittlerweile allerdings, bei aller innerislamischen türkischen Festungsmentalität, durch die türkischerseits akzeptierte seelsorgerliche Hoheit des ECFR-Chefs Yūsuf al-Qaraḍāwī erneuert oder vertieft.
Gegenmoderne Islamideologen wie die bei der IGMG hoch verehrten Herren Iqbāl oder Hamidullah (Sägefisch 167) schaffen der ursprünglich türkischsprachigen Millî Görüş eine gefühlte Verbindung mit dem pakistanischen Islam (JI / Darul Uloom usw.) und fordern oder begründen den kulturellen Austausch innerhalb der führenden Hanafiten zwischen Bosnien (Cerić, auch ECFR) und Bangladesch (auch JI). Die OIC (Organisation der Islamischen Konferenz), die mit Ekmeleddin İhsanoğlu seit 2005 erstmals einen türkischstämmigen Generalsekretär hat, sieht sich berechtigt, als supranationale Organisation in 57 Staaten der Erde „den Islam“ zu vertreten und ordnet nebenbei die islamische Außenpolitik gegenüber der UNO, über deren Menschenrechtsausschuss man Islamkritik mit Rassismus gleichsetzen und dann beides verbieten möchte.
Den koranisch begründeten und begründbaren muslimisch-innerfamiliären „Rassismus“ gegen die muslimische Frau, der in Femoziden kulminiert (allein nach 1990 gab es Monate oder Jahre der organisierten Frauenvernichtung in Ländern wie Afghanistan, Irak, Somalia, Sudan) und den kulturellen Rassismus der Dhimmitude gegen alle Nichtmuslime (Mohammeds Medinastaat, al-Andalus, der türkische Völkermord an den assyrischen Christen und Armeniern durchaus auch als ein Dschihad) möchte man seitens der OIC allerdings nicht verbieten, Allahgott denkt eben „differenziert“. Verhindert wissen möchte man eher schon das Erinnern an den Armenozid, das im nach der EU-Vollmitgliedschaft strebenden Kleinasien als eine „Beleidigung des Türkentums“ gilt (das Erinnern wohlgemerkt, nicht das Ermorden).
Der zum Herrschen (Unterwerfen) befugte Muslim ist rasch beleidigt, insbesondere angesichts von „falschem Wissen“.
Realislamisch „beleidigt“ manches oder das meiste Wissen die umma, nicht zuletzt das islambezogene Wissen der Ungläubigen (der umsichtige Schiffauer geht insofern kein Risiko ein). Aber auch aus Natur- und Geisteswissenschaften droht dem Propheten Schmach, denn jede oder jede zweite Tatsache lästert die Gottheit.
Misstraue dem Augenschein, Muslim, du kannst, zumal als Kind oder Ehefrau, schließlich nicht entscheiden, welches Faktum du gerade vor dir hast. Frage also deinen Vater, Ehemann, Imam, Mufti oder Scheich. Antwort wirst du erhalten, sinnlich (ḥissī) orientalisch und islamisch egalitär, inschallah mit der durch die Luft heransausenden Rute, aber dafür ganz „auf Augenhöhe“. Der besonders fromme (ʿābid, nāsik) und gottesfürchtige (taqīy) Muslim beweist Gehorsam (ṭāʿa), Fügsamkeit (salāsa), Respekt (waqār), Gottvertrauen (tawakkul) und Tugend (faḍīla) – und fragt gar nicht erst.
Schließlich geht es darum, die Wahrheit der Dinge zu erkennen (dark ḥaqāʾiq al-umūr) und endlich ganz laut zu sagen, dass der Islam eine „im Kern friedliche Religion“ ist, wie Hans-Gert Pöttering und Horst Köhler aufschluchzten. Sinngemäß jubelt Werner Schiffauer mit, geistes- bis geisterkundig:
237. Eine strenge Recht-Leitung kann und muss in einer neuen Situation zu neuen Antworten führen. Die mechanische Übertragung von Rechtspraxen aus einem Kontext in einen anderen ist damit ausgeschlossen. Sie würde gerade dem Geist widersprechen, in dem die Offenbarung erlassen wurde.
Eine „gesamtgesellschaftliche“ Rechtsverdopplung bzw. ein weibliches muslimisches halbiertes Recht ist aus Sicht von freiheitlichen Demokraten unerwünscht.
248. Alle … sind sich darin einig, dass an der Absolutheit der Offenbarung festgehalten werden muss und lehnen deshalb eine historisch-kritische Koraninterpretation ab. Letztendlich wird die Scharia – also das Gesetz, das auf Koran und Sunna … zurückgeht – als transzendentaler Bund Gottes mit seiner Gemeinde begriffen. Während die Scharia überzeitlich sei, stelle der fiqh, die Rechtsauslegung, den Versuch dar, die Scharia hier und heute zu verstehen. Es gehe um das Bemühen, ein Ergebnis zu finden, »das tatsächlich mit dem Willen Gottes übereinstimmt« – was, wenn es tatsächlich gelinge, von Gott doppelt belohnt werde.
Der fiqh dient eher nicht irgendeinem Verständnis und ist schon gar kein „Versuch“, sondern die einzig heilsrettende Rechtssprechung und damit die Übersetzung des Befehls der Gottheit in die Alltagssprache und Alltagssituation. Der oberflächlich gesehen an das britische Case Law erinnernde zu beurteilende „Einzelfall“ des keinem männlichen Muslim Rechtssicherheit bietenden und verlässlich frauendiskriminierenden Schariagerichts dient der Vermeidung der Höllenstrafe. Der Kadi oder Mufti ist Teil jener Macht, welche die Menschheit der Selektion in Paradiesbestimmte und Höllenbewohner unterwirft. Letztendlich handelt, mit oder ohne Steinigung, einzig die allmächtige Gottheit, eine andere Ursache gibt es schließlich nicht.
Menschheitsgeschichtlich gehörte und gehört es zum Ausstieg aus der Barbarei, dass Priester und Richter zwei wirklich völlig verschiedene Berufe sind (Gewaltenteilung). Der kulturell vormoderne Realislam, der Islam von Scharia und Fiqh aber verschmilzt Rechtssprechung mit praktiziertem Gotteslob, ähnlich, wie er im Bereich der arg getrübten islamischen Naturerkenntnis Wahrheit mit Gotterkenntnis vermischt und beim Kreationismus Marke Harun Yahya (Adnan Oktar) landet. Das islamkonforme gerichtliche Urteil dehnt sich im „spannenden“, ungewiss bleibenden Raum zwischen Stoßgebet und Gottesurteil, Tugendstreben und Abschreckung, die schariabasierte Gerichtsverhandlung über einen Familienzwist oder Handtaschenraub wird zur, himmlischen Segen herab rufenden, Abwehr des Bösen, zum exorzistischen Akt. Der Delinquent ist einem Orakel und Gottesurteil ausgesetzt, das Auditorium spürt Schicksalsschwere und murmelt ergriffen: Wahrlich, dieser Haschischhändler oder Autodieb kommt wohl nicht in den Himmel, also ab mit ihm in den Kerker.
Genug der Schiffauer-Zitate.
Eine islamsensible europäische Rechtsspaltung beträfe zunächst das Familienrecht beziehungsweise das Personenstands- und Eherecht. Deutschland würde damit dem die Religionsfreiheit und Pressefreiheit verweigernden Vorbild Indonesien, Indiens und Ägyptens folgen. Der Wissenschaftsrat (WR), mit dem Werner Schiffauer leider zusammenarbeiten darf, hat mit der islamdominanten und kulturrassistischen Rechtsspaltung, wie sie zwischen Jakarta, Teheran und Kairo die universellen Menschenrechte unterdrückt, offensichtlich kein Problem, sonst hätte man hochrangige islamische Autoritäten aus diesen wenig demokratischen Ländern nicht im Juli 2010 nach Köln in den MediaPark eingeladen, um mit ihnen über flächendeckend organisierte Seelsorge und Kindererziehung zu reden.
Säkulare Staatsbürger, einerlei ob religiös, ex-religiös oder atheistisch empfindend, werden für die Rechtseinheitlichkeit zu kämpfen haben und gegen die im Namen der Religionsfreiheit betriebene Rechtsspaltung. Dass der WR mit dubiosen Kulten namens bekenntnisorientierte Wissenschaft oder bekenntnisorientierte Religionswissenschaft die Erosion des Wissenschaftsbegriffs betreibt, die öffentliche Schule ja vielleicht einer pädagogisch stets vormodern gebliebenen Koranschule anähneln möchte und die deutsche Universität einer Madrasa (türk. medrese) wäre ein Skandal für sich, doch steht mit einer Schüler- und Studentengeneration, die in stark empfundener Furcht vor der Hölle aufzuwachsen beginnt, und einen Islam ohne Angst vor dem Teufel und dem Höllenfeuer gibt es nicht, noch mehr auf dem Spiel, nämlich die Tradierung, die Kontinuität unserer Staatsordnung. Islamische Konsequenz (al-Maudūdī, Necmettin Erbakan, Chātami) benötigt keinen Rechtsstaat mehr, im Milieu des Wohlverhaltens nach Koran und Sunna wird das Refugium freien Denkens zum Standortnachteil, Störfaktor und Hassobjekt.
Die kulturelle Reproduktion der säkularen Solidargemeinschaft und unserer auf die universellen Menschenrechte bezogenen Offenen Gesellschaft wäre ausgebremst oder ausgehebelt, denn Allahs Gesetz macht die historisch kritische Methode überflüssig und den gründlich arbeitenden Pädagogen oder Journalisten, sei es in Jakarta, Teheran oder Kairo, arbeitslos, wenn es ihn nicht bedroht oder tötet. Denn (sehr viel) anders als der kulissenbunte Dialog-Islam ist der reale Islam ein gewaltiges Kartell der Erpressung, in dem freie Forschung, freie Meinung oder auch lediglich freie Kunst nicht möglich sind, sondern in welchem der frauenfeindliche und gewalttätige Kulturrassismus der Scharia sowie die „auf Zeit und Raum bezogene“ Günstlings- und Vetternwirtschaft bestimmen, was gottesfürchtige Vernunft, allahbewusste Pädagogik und islamsensible Kunst sind. Es ist nicht einzusehen, warum der Wissenschaftsrat eine solche repressive Politik und antirationale Lebensweise unterstützt und den Dialog mit dem Umfeld der türkischsprachigen Millî-Görüş-Bewegung (hierzulande IGMG), der urdusprachigen Jamaat-e Islami (JI) und der arabischsprachigen Muslim Brotherhood (MB) sucht.
Wir brauchen keine universitäre Theologie der Blutrache, wir brauchen keine gymnasiale vorsokratische Atomlehre mit Bekenntnischarakter, wir brauchen im staatlichen Grundschulunterricht keine bekenntnisgebundene Lehre des Dschihad oder des Nationalsozialismus.
Wir haben die an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) orientierte Verfassung zu verteidigen und durchzusetzen, Allahs Erleuchteten auf deutschem Boden sind die ungeschmälerten Bürgerpflichten und Bürgerrechte sehr wohl zuzumuten. Die von Werner Schiffauer (2010) untersuchte, demokratiegefährdend schariatreue Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) will eine andere Republik, ob in der Türkei oder in der BRD.
Ein korankonformes oder ein mit den Hadithen kompatibles Familienrecht einzuführen wäre der organisierte Verfassungsbruch und damit letztlich ein Staatsstreich. Der WR druckst also einstweilen noch ein wenig herum und lässt den 2010 als Gastredner in Köln weilenden Mathias Rohe („In Deutschland wenden wir jeden Tag die Scharia an“) das islamische Recht verharmlosen. Wer Allahs Gesetz, die Scharia, und Allahgottes sakrale Jurisprudenz, den Fiqh, mit Bekenntnischarakter lehren und erlernen lassen will, arbeitet, ob wissentlich oder versehentlich, auf einen Putsch hin und befördert die europäische Islamische Revolution. Das müssen wir verhindern, denn Polygamie, Burka oder Steinigung sind kein Way of Life, nach Hitlerismus und Stalinismus gilt es für uns, auch für die Muslime unter uns, einen europäischen, dem gottesfürchtigen (taqīy) Vorbild eines Chomeinī, Maudūdī, al-Ġazālī oder Mohammed folgenden Staatsterrorismus zu verhindern und einen anderen organisierten Islam gibt es leider nicht.
Beten oder nicht beten ist Privatsache, denn anders als in Pakistan oder im Sudan besteht in Europa Religionsfreiheit. Jeder darf an einen Engel glauben, hat seinen geliebten unsichtbaren Gabriel oder Ǧibraʾīl aber keineswegs zu verstaatlichen. Allāh ist belanglos, die politische Belanglosigkeit der Götter allerdings ist von Belang. Hätten Peter Strohschneider, Thomas May oder Annette Barkhaus vom Wissenschaftsrat am 13. und 14. Juli 2010 den Mut finden können, den ausländischen oder inländischen Damen und Herren Islamfunktionären ein zivilcouragiertes »Unter uns Weltbürgern, die Scharia ist hierzulande illegal« zu sagen? Und, wenn sie sich nicht trauen, was eigentlich fürchten sie, den Zorn der Gottheit am yaumu l-qiyāma, am Tage der Auferstehung, den eher irdischen Verlust von Pfründen in $ und € oder körperliche Angriffe durch ekstatische Statthalter Mohammeds? Sorge oder Angst zuzugeben ist keine Schande, man sollte es allerdings beizeiten und relativ öffentlich tun, um nicht erpressbar zu werden und um trotz des „ewigen und unverhandelbaren“ Shariah Law (aš-šarīʿa) als Politiker, Manager oder Wissenschaftler fachgerecht arbeiten zu können.
Und der „nichtislamische Kontext“ (Schiffauer, Seite 10)?
Vorbehaltlose Islambejahung (islamisches Umweltverändern) verlangt auch von den so genannten Nichtmuslimen einen übergriffigen Toleranzbegriff, eine gefräßige Toleranz. Folgerichtig lösten drei Phasen der Islamverherrlichung einander ab, die »kollegiale« (1985), die »messianische« (1995) und die (vor der persönlichen Konvertierung letztmögliche) »symbiotische« Phase (um 2005).
Noch fast der AEMR verhaftet, antirassistisch gemeint hieß es »kollegial«: Sei Muslim, sei mein Partner, hallo muslimischer Kollege! Im Umfeld der Kirchentage und des Bezness hieß es »messianisch«: Sei mein muslimischer Engel, liebe mich, was ja sonst keiner macht! Von der Wirtschaftskrise ahnend hieß es in der Islamisierungsphase der »Symbiose«: Sei für mich authentisch, fühle für mich, lasse mich mein Glück erleben. Es ging und geht um den Einstieg in ein geheiligt neofeudales (Wissenschaftsrat: „postsäkulares“) Denken und Tun, kollegial in Jugendverbandsarbeit und Sozialpädagogik: Sei für mich frauenhassend (Abkehr vom Gleichheitsfeminismus), messianisch in Kirche und Partei: Sei für mich gegendemokratisch (Muslimbruderschaft als Befreiungstheologie), symbiotisch bald nach 9/11: Töte für mich (Free Gaza 2010).
Ein einst links bis spaßkulturell zu verortender, nun schariafreundlicher (reaktionärer) Professor für Kulturanthropologie wie Werner Schiffauer ist dem Kartell aus Islamlobbyisten, Kirchenfunktionären und Konzernführern hoch willkommen, um dem Volk die Entwerdung der Solidargemeinschaft und Rechtseinheitlichkeit erklärlich zu machen.
Es wird für uns Säkulare, ob religiös oder atheistisch, nicht leicht werden, zu verhindern, dass die revolutionär und separatistisch orientierte Milli Görüş künftig einen Staat im Staate bildet und die konfessionell begründete Rechtsverschiedenheit nach indonesischem oder ägyptischem Vorbild durchsetzt – recht bald oder bereits jetzt in der Türkei, etwas später in Deutschland.
Jacques Auvergne
selbstlob im fall schenuda kopte Says: Oktober 20, 2022 um 7:11 am die muslime finden sich in ihrem religionsgewühle nicht…