Posts Tagged ‘Mord aus falsch verstandener Ehre’

Antwort an Gedankenverbrecher

Februar 26, 2008

Ein „Gedankenverbrecher“

zu Koran und Ehrenmord.

Er erhielt zwei Antworten

Ehrenmorde gab es in Deutschland schon seit Jahr und Tag…nur der Begriff dafür ist anders …bei uns heißt das Familiendrama und das gibt es bei uns an Weihnachten und anderen feierlichen Tagen …

Den Koran lesen? Ihr solltet mal der größten Lüge der Menschheit auf die Schliche kommen … täglich beim Datum mal drauf achten, und 2008 Jahre zurückrechnen. Da fängt die Lüge doch schon an… es gibt unter den Muslimen wie auch bei den Christen Individuen, die es Faustdick hinter den Ohren haben: Also sollte man den Islam nicht mit allen Menschen die diese Glaubenskultur leben in einen Sack stecken … mal an die eigene Nase packen.

Die Kirche ist eine der reichsten Institutionen, ja man könnte sagen ein Netzwerk des Reichtums und ein Land weiter verhungern Menschen, wie kann das sein?!?!?!

… man gibt Ihnen einen GOTT und man gibt Ihnen ein BUCH, und man kann sie hin und her manipulieren, bis hin zum Glaubenskrieg, welcher unschwer zu erkennen seit geraumer Zeit unter dem Vorwand 9/11 & Propaganda anhält …

gedankenverbrecher

Antwort an Gedankenverbrecher

von Jacques Auvergne

Hallo Gedankenverbrecher,

das ist ja erst einmal eine These über die sich diskutieren lässt: Wie weit gibt es ’sozio-strukturelle Entsprechungen’ des europäischen “Familiendramas” mit dem orientalischen “Ehrenmord”? Einige Parallelen sind gegeben: Männergewalt gegen Frauen, oder: Die Frau als Besitz des Mannes misszuverstehen. Da wird dir wohl jeder Recht geben.

Auch mit Kritik am so genannten Christentum oder vielmehr an der Kirche rennst du bei mir und bei vielen anderen offene Türen ein.

Grundsätzlich jedoch, und da nimmst du womöglich zu sehr die Rolle des verschnupften Einzelgängers ein der seine Hände in eitler Unschuld wäscht, grundsätzlich gibt es kein Machtvakuum. Auch kein ”religiöses”.

Zugleich ist der Mensch ein religiöses Wesen, der postmoderne Götterspötter betet halt die Aktienkurse an oder verehrt seine gelebte oder lediglich erwünschte Sexualität oder seinen blechernen Fetisch Auto.

Ja, leider ist Religion immer wieder von den jeweiligen Machthabern, von Schamanen- oder Priestercliquen wie auch von Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder missbraucht worden, seit Jahrtausenden. Insofern ist deine Nennung von “2008″ ebenso richtig wie überflüssig. Jeder Papua-Stamm gebraucht und missbraucht in diesem Sinne Religion, die alten Griechen und Germanen taten dieses, künftige Religionen werden ihren Auftrag des Seelenführens missbrauchen, mehr oder weniger. Und auf dieses Maß der missbräuchlichen Gewalt wie auf seine Minimierung kommt es an. Religionskritik beziehungsweise Fundamentalismuskritik wird der Menschheit stets eine Notwendigkeit sein. Ablassgegner Martin Luther war Religionskritiker, Hexenprozesskritiker Graf Spee von Langenfeld desgleichen. (Sakrale oder säkulare) ‘Kastensysteme’, (sakrale) Klassensysteme mit “Menschen verschiedener Wertigkeit” müssen wir abbauen.

Der Islam teilt Menschen in Klassen, seine Konzeptionen sind Dhimma (sozial), Dar al-Islam bzw. Dar al-Harb (territorial), sein Kerker ist die angeblich von Gott Allah gestiftete Scharia (politisch). Diesen Islam, es geht hier nicht um die Spiritualität muslimischer Individuen wie Irshad Manji oder Bassam Tibi, diesen – kollektivistischen, demokatiezerstörenden – Islam braucht die Welt allerdings nicht zu dulden (dulden, lateinisch = tolerieren).

Zum Abbau von Scharia-Islam (”vom Gott gemachtes” Recht) und Fiqh-Islam (menschliche Rechtssprechung) brauchen wir Leute wie uns beide. Du solltest einmal das Buch von Professor Bassam Tibi lesen: “Der Islam und Deutschland – Muslime in Deutschland”. Oder Ex-Muslimin Mina Ahadi zuhören.

Religion missbrauchte die Gläubigen? Die ‘unsichtbaren Religionen’ Maoismus und Stalinismus taten dieses allerdings in womöglich noch höherem Ausmaß und ihr Tugendterror stand denen von (Robespierre oder) Calvin oder den Taliban in Nichts nach.

“Die das Beste wollen, werden das Gute verhindern” sagte einmal ein weiser Mensch. Insofern: Sei nicht ‘perfekt atheistisch’. Christen mögen sagen: Erkenne deine Schuld” (und minimiere sie, ergänzen wir wohl beide).

Dass Bush mythologische Begrifflichkeiten wie “das Böse” in die Politik eingebracht hat ist sachlich richtig, bedauernswert und keine Meisterleistung der kulturellen Moderne: Ein Politiker in einem säkularen Staat darf von ‘unangemessen’ oder ‘nachteilig’ sprechen oder nötigenfalls von ’schlecht’, nicht jedoch von “böse”. Angesichts der Kreationisten und Evangelikalen könnte einem angst und bange werden. Kreationismus im Islam gibt es allerdings auch: Harun Yahya und sein antidarwinistischer ”Atlas der Schöpfung”.

Lesetipp: Alice Schwarzer: Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz.

Ein alter griechischer Philosoph soll aus der Stadt verbannt worden sein, weil er behauptet habe, die Sonne sei nichts als eine glühende Scheibe aus Metall und etwas größer als die Halbinsel Peloponnes. Die polytheistischen Priester Athens hatten plötzlich Sorge, überflüssig zu werden und sie intrigierten gegen den frühen Wissenschaftler. Tja, man erhält sich halt seine Klientel. Es gibt kein Machtvakuum.

Mische mit! Auch islamkritisch versteht sich, jedenfalls mit einem kantigen Profil, zu dem du dich bekennst. Gegenwärtig finde bei dir zu wenig Bekenntnis und zu viel Hass auf jede Struktur. Das sollte sich ändern. Dann lege auch den ebenso provokanten wie bezeichnend aalglatten Spitznamen ‘Gedankenverbrecher’ ab, der wohl nicht viel anderes als die persönlich recht risikolose Lust an verbalisiertem Zerstören bezeichnet.

Ayaan Hirsi Ali oder Robert Redeker verstecken sich … nicht vor den nervenden amerikanischen Neokons, sondern vor den unsere Toleranz einfordernden Freunden von Kalifat und Scharia.

Jacques Auvergne

Antwort an Gedankenverbrecher

von Ümmühan Karagözlü

Hallo, Gedankenverbrecher,

mir ist neu, dass es in Deutschland jemals einen Mord aus falsch verstandener Ehre gegeben haben soll. Wo bitte ist in Deutschland jemals eine Frau oder Mann ermordet worden, weil sie / er gegen Regeln der christlichen Religion oder Wertehierarchie der kulturellen Vormoderne verstoßen hat, es sei denn sie / er käme aus muslimischem Sozialisationshintergrund oder habe vor der Zeit der französischen Revolution gelebt. (Hexenverbrennung)

Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem eine Frau umgebracht wurde, weil sie als Frau es gewagt hat, ohne Kopftuch das Haus zu verlassen und es vorzog, selber ihre Freunde auszusuchen. Hier wird keine junge allein erziehende Mutter mit dem Tode bedroht, die eine selbst gewählte Berufsausbildung abschließt, die Gesellenprüfung  besteht und sich auch ökonomisch auf eigene Füße stellt.

https://schariagegner.wordpress.com/2007/11/26/fur-ein-selbst-bestimmtes-leben-%e2%80%93-nicht-erst-im-paradies/

Häusliche Gewalt, meist gegen Frauen und Kinder, da auch wieder vor allem gegen Mädchen, hat es tatsächlich schon immer gegeben, zu jeder Zeit, in allen Gesellschaften, auch an christlichen Feiertagen.

Menschen zu töten, aus welchen Motiven auch immer ist immer, ist ein fürchterliches Verbrechen, das als solches geahndet werden muss, doch ist es in der kulturellen Moderne nicht üblich, Morde aus falsch verstandener Ehre zu verteidigen und für moralisch vertretbar zu halten. Das pflegen orthodoxe Muslime jedoch sogar vor laufender Kamera zu tun(s. Linkliste, „Ehren?Mord“: Reaktionen muslimischer Schüler und in der gleichen Rubrik „Die Familie konnte nicht anders handeln“).

Gerade wenn man den Islam und die Muslime nicht in einen Topf werfen soll, ist es ratsam, Koran, Scharia und Sunna zu lesen, damit man sich ein Urteil bilden kann dass möglichst fair und objektiv ist. Auf meinem Blog

https://schariagegner.wordpress.com/

findest du unter Netzwerk Schariagegner empfehlenswerte Internetadressen und Bücher.

Warum soll es für aufgeklärte, (selbst)kritische Menschen nicht möglich sein, sich selbst eine Meinung zu Religionen zu bilden und bedenkliche Inhalte, die gegen universelle Menschenrechte verstoßen, (die gibt es auch im Hinduismus, Christentum und Naturreligionen, vielleicht sogar in allen Religionen) kritisieren? Dazu sollte man  allerdings die einschlägigen Regelwerke kennen. Lesen bildet.

Wer die Regelwerke des Islams kennt weiß, dass es nur einen Islam geben kann, wer das nicht glauben will, lese die einschlägige Literatur, die Konzept und Philosophie beschreibt. Alle abweichenden Interpretationen sind Gotteslästerung, sogenannte MuslimInnen, die den Leitlinien aus Koran Scharia und Sunna nicht folgen, (z.B. Sunniten, Schiiten, Ismailiten, Aleviten und Sufis) sind nach Scharia-Recht ApostatInnen und des Todes würdig.

Um den wegen ihres Glaubens und auch Nichtglaubens (ExmuslimInnen)  Verfolgten beizustehen und somit den universellen Menschenrechten weltweit Gültigkeit zu verschaffen und sie zu unterstützen, sie zu unterstützen, universellen Menschenrechten weltweit Gültigkeit zu verschaffen,  ist es unbedingt notwendig, zwischen Islam und MuslimInnen zu unterscheiden und auch deren Einzigartigkeit, Recht auf Selbstverwirklichung und Religionsfreiheit, auch negative Religionsfreiheit, zu respektieren und einzufordern.

Während ich den Islam und seine sogenannten heiligen Schriften und Regeln als Gleichheitsfeministin grundsätzlich kritisieren muss, halte ich es tatsächlich für wichtig, MuslimInnen ’nicht in einen Sack zu stecken’. Das gleiche gilt aus meiner Sicht auch für Gutmenschen, die nicht alle KulturrelativistInnen und EurozentrikerInnen sind, sondern manchmal leider leichtgläubig und einfach uninformiert.

https://schariagegner.wordpress.com/2007/11/09/integrationspoker-von-glucksspielern-und-taktierern/

Ümmühan Karagözlü

https://schariagegner.wordpress.com/

Der Ehrenmord von Mönchengladbach

November 29, 2007

Islamische Männer- und Frauenrollen.

Mord aus gekränkter Ehre? März 2007

Rukiye und Derya

Leben am Niederrhein

Ganz ungern besprochen:

ein rheinischer Doppelmord

Von Jacques Auvergne

Mehrere Fälle von islamisch-patriarchalischem so genanntem ’Ehrenmord’ sind uns wohl allen gut im Gedächtnis geblieben, vor allen Dingen der ’Ehrenmord’ an der kurdischen Berlinerin Hatun Sürücü, zu dem Ümmühan Karagözlü vom Netzwerk Schariagegner in den nächsten Tagen noch ein paar Zeilen schreiben wird. Doch ist über einen Ehrenmord bislang nicht so viel zu erfahren gewesen, nämlich über den Mönchengladbacher Doppelmord vom 09. März 2007. An diesem Tag erschoss Erol Peşter seine seit vier Jahren um Trennung bemühte Ex‑Ehefrau Rukiye und die gemeinsame Tochter Derya vor den Augen der zwei anderen gemeinsamen Kinder.

Die Behörden, Beratungsstellen, Verbände, Kirchen und Parteien der Stadt und der Region bemühten sich um Stillschweigen. Die Schaufensterveranstaltung Integration indes wird eifrig gepflegt

Mönchengladbach‑Rheydt 2007, Ortsteil Bonnenbroich, Frankenstraße 8. Die vergessene westdeutsche Großstadt ist durch demographischen Wandel, den katastrophalen Niedergang der Textilindustrie und eine unverstandene Zuwanderung gekennzeichnet.

Die Gruppe armseliger Mietskasernen in der Merowingerstraße, Salierstraße und Frankenstraße wird im Volksmund auch Papageienviertel genannt, doch weiß längst niemand mehr, ob es den papageienbunten Balkonverkleidungen liegt oder an der ethnisch bunt gemischten Zusammensetzung der Bewohner. Russlanddeutsche, Somalier, Kurden, Senegalesen und ärmliche Ureinwohner leben in ihren untereinander ebenso scharf abgegrenzten Milieus wie auch der gesamte Komplex in Richtung der alten aussterbenden Dorfkerne von Bonnenbroich‑Geneicken oder gar zum mittelständischen, reichen Viertel Hardterbroich‑Volksgarten bei aller räumlichen Nähe sozial abgekoppelt ist.

Eineinhalb Kilometer nur, doch vermutlich geht monatelang kein Mensch jemals den Weg von Volksgarten zum Papageienviertel.

In diesen Tagen im November 2007 lief in der Großstadt Mönchengladbach der Prozess gegen den Ehrenmörder Erol Peşter an und einige Zeitungen berichteten kurz, im Wesentlichen aber soll der Ehrenmord sogar im Mönchengladbach‑Rheydt des Jahres 2007 selbst unbemerkt geblieben sein, so gut sind die Alteingesessenen ganz offensichtlich in der hohen Kunst des Wegsehens und Schweigens eingeübt.

Erol Peşter wurde zwangsverheiratet, seine Frau Rukiye freilich ebenso. Man musste also zusammenleben, so, wie es die türkischstämmige muslimische Großfamilie so arrangiert hatte, zumal, wie in Zwangsheiratskreisen üblich, viel Geld geflossen sein wird. Erol Peşter indes misshandelte und vergewaltigte seine Frau ebenso wie seine Cousine über viele Jahre hinweg.

Für den 09. März 2007, war die Gerichtsverhandlung zum Sorgerecht für die drei Kinder anberaumt. Einen Tag also nach dem Weltfrauentag. Der als Misshandler und Vergewaltiger polizeilich gesuchte und in die benachbarten Niederlande geflüchtete Erol Peşter betrat seelenruhig und zum Schrecken von der Ex‑Ehefrau und ihrer Anwältin Gülsen Celebi den Gerichtssaal. Zwei Stunden später und drei Kilometer entfernt erschoss er Frau und Tochter, richtete beide kaltblütig und sorgsam geplant hin. Zwei Stunden oder 3.000 Jahre, drei Kilometer oder 3.000? In Nordrhein‑Westfalens Einwandererghettos herrscht eine andere Zeitrechnung, doch das hat die Mönchengladbacher Justiz im März 2007 übersehen.

November 2007. In Handschellen wird der glatzköpfig rasierte Erol Peşter in den Saal des polizeilich gesicherten Landgerichts geführt. Alle Besucher mussten durch zwei Ausweiskontrollen. Die Schwester der ermordeten Rukiye stellt sich diesen Minuten mit Entschiedenheit und Zivilcourage, sie, schwarzer Hosenanzug und hochgesteckte blonde Haare, nimmt die verspiegelte Brille ab und zeigt dem Mörder ihrer Schwester mutig ihr Gesicht. Zeigt damit also auch ihrem Schwager ihr Gesicht.

Der Schwager als der Mörder, der ehrenmordende Schwager. In der Türkei, in der nahezu täglich ein Ehrenmord geschieht, nun wirklich nichts Ungewöhnliches. Für Westeuropäer jedoch etwas irritierend.

Offenes Haar, solch eine Frau hat womöglich ein eigenes Bankkonto und eine selbst bestimmte Sexualität. Schwarzer Hosenanzug, so könnte eine Karrierefrau gekleidet sein, die einer Arbeit nachgehen darf oder gar beruflich erfolgreicher ist als mancher Mann. Die anderen Frauen im Publikum indes tragen fromme lange Mäntel und fromme strenge Kopftücher. Der Islam spielt für sie also eine Rolle. Mantel und Kopftuch, womöglich sind diese Frauen traditionellen oder islamistischen Milieus zugehörig, die auf eine Berufstätigkeit oder sexuelle Selbstbestimmung ihrer Töchter und Frauen keinen großen Wert legen.

Und Erol Peşter gehörte wohl solch einem Milieu ebenso an wie er es zu verewigen trachtete, jedenfalls erschoss er seine trennungswillige Frau in den Stunden nach der Sorgerechts‑Verhandlung des Familiengerichts, das zu betreten der polizeilich Gesuchte die Dreistheit hatte. Dann fuhr Erol Peşter zu dem ärmlichen Mönchengladbacher Mietshaus, der Wohnung seiner Ex‑Frau und wartete auf ihr Erscheinen.

In den letzten fünfzehn Monaten hat er oftmals an dieser Stelle auf sie gelauert, um sie einzuschüchtern. Das war Polizei und Jugendamt bekannt. Viele Nächte des Jahres 2006 verbrachte der Ex‑Ehemann im Auto vor dem Haus. Er konnte sich wohl mit dem auch mit der Scharia kaum in Übereinstimmung zu bringenden Trennungswunsch Rukiyes nicht abfinden, er fürchtete soziale Ächtung in seinem ebenso traditionalistischen wie fundamentalistischen Milieu. Oder mag im Vordergrund gestanden haben, dass er die Frau als Eigentum betrachtet? Es mag auch sein, dass Peşter sein Tun koranisch legitimiert hätte. Peşter schweigt dazu. Vielleicht hält er das deutsche Gericht für wenig zuständig. Die türkische Wagenburg Familie ist nicht säkular, nicht zu verstaatlichen. Das Gefängnis Familie ist Ehrensache.

Peşter schweigt zur Demokratie. Haben wir Demokraten ihm überhaupt erklärt, wie er hier in Deutschland leben kann, leben soll?

März 2007. Der Mann wartet vor dem Haus, die Pistole unter der Jacke. Und richtig, da kam sie, seine Ex‑Ehefrau. Sein Besitz. Die Verhinderin seiner wiederherzustellenden muslimisch‑machistischen Ehre.

November 2007. Der 39jährige Erol Peşter blickt nur selten zu seinen Verwandten hinüber. Er ist des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes angeklagt.

März 2007. Denn Erol Peşter hätte seinen damals zwölfjährigen Sohn Orkan ebenfalls erfolgreich getötet, wäre der Junge nicht in Todesfurcht und im Zickzack hinter geparkte Autos springend vor seinem Vater geflohen, weshalb der Schuss Orkan nicht traf. Peşter also schoss zuerst auf seine 38jährige Ex‑Frau Rukiye und soll, wie Augenzeugen berichten, einen Fuß auf die am Boden Liegende gesetzt haben und Rukiye noch zwei Mal in den Kopf geschossen haben. Mit einem Mobiltelephon versuchte die achtzehnjährige Tochter Derya die Polizei anzurufen. Die Ziffern 1, 1 und 0 konnte Derya noch tippen. 110, das wäre die deutsche Polizei gewesen. Da aber schoss der 39jährige dann auch auf seine Tochter, die allerdings noch ein paar Minuten lebte. Der neunjährigen Tochter gelang es, sich im Hausflur zu verstecken. Peşter flüchtete vom Tatort und Polizei und Notarzt kamen rasch, jedoch starb die achtzehnjährige Derya im Rettungshubschrauber auf dem Weg in die Notaufnahme. Eine Stunde nach der Tat stellte sich Peşter in 15 km Entfernung bei der Polzei der Stadt Viersen.

Der Mörder Peşter selbst sagt, er habe die Tat aus Wut begangen, weil „keine Einigung erzielt worden war“, worüber auch immer, und weil er „die Kinder nicht der Frau überlassen“ wollte“, so jedenfalls konnte uns die Staatsanwaltschaft am 29.10.2007 erklären, die neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld eine zusätzliche Sicherungsverwahrung anstrebt.

Rechtsanwältin Gülsen Celebi nennt die Tat einen „Mord aus falsch verstandener Ehre“: Erol Peşter, so Celebi weiter: „nahm die Scheidung und den Streit ums Sorgerecht sehr persönlich und fühlte sich aufgrund seiner traditionell geprägten Moral- und Ehrvorstellungen (…) und des Verhaltens seiner Frau verletzt und gedemütigt“.

Die Auslöschung der, so ließe sich sagen, ebenso antitürkischen wie antiislamischen Familie, war sie die letzte Möglichkeit, Erol Peşters Ehrbegriff beziehungsweise Gottesbegriff zu retten?

Allah dient eben nicht der Selbstverwirklichung sinnsuchender westeuropäischer Wohlstandsgören. Allah ist der Gott des Gefängnisses Familie.

Im Jahre 2003 wollte sich Rukiye von ihrem Mann endgültig trennen, was ihr aber nicht gelang: ihr Ex‑Ehemann zwang sie mit Gewalt dazu, mit ihm zusammenzuleben. Erst fünfzehn Monate vor dem Mord konnte sie ihn vor die Türe setzen, woraufhin Erol regelmäßig im Auto vor der Haustür übernachtete, was dem ebenso elenden wie dicht bevölkerten Häuserblock unmöglich entgangen sein kann. Erol bedrohte und schlug seine Ex‑Frau, die mehrfach in ein Frauenhaus flüchten musste. Der Psychoterror wurde also vom Straßenviertel des Mönchengladbacher ’Papageienviertels’ gedeckt, aus welchen Hoffnungen oder Ängsten auch immer. Obschon ja jede Beratungsstelle und Behörde längst Bescheid wusste.

Wir Demokratinnen und Demokraten können die Demokratie halt straßenzugweise nicht durchsetzen. Da wird sich wohl etwas ändern müssen.

Rainer Pohlen und Gerd Meister, die beiden Verteidiger des ’ehrbaren Mörders’, verweisen auf den chronisch angeschlagenen seelischen Gesundheitszustand des Mandanten, der zeitweilig in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und im Jahre 2000 einen Suizidversuch begangen habe. Dass sich Peşter über viele Wochen oder sogar wenige Monate hinweg vor dem Haus lauernd im Auto aufgehalten habe, möchten Pohlen und Meister als Indiz seelischer Überforderung oder sogar als Anzeichen einer Neurose verstanden wissen. Im Übrigen sei die Tat selbst im Affekt begangen worden. Doch einer psychologisch‑medizinischen Begutachtung in seiner Haftzeit hat sich der ’ängstliche’ Wohnungsbewacher und Todesschütze seit acht Monaten erfolgreich verweigert.

Auch ein Geständnis legte der 39jährige bislang nicht ab. Lothar Beckers, der Vorsitzender Richter, empfiehlt Peşter beides zu überdenken, gerade auch um seinen Kindern eine Aussage vor Gericht zu ersparen.

Der in den Niederlanden gemeldete Peşter war seit dem 15. Februar polizeilich gesucht worden, seit drei Wochen vor der Tat also. Warum er in den Stunden vor dem Doppelmord vom 9. März nicht festgenommen wurde, namentlich in der einstündigen Gerichtsverhandlung, das ist offensichtlich auf ein Versagen von Justiz und Polizei zurückzuführen. Die türkischen Zeitungen verhöhnten dementsprechend auch die tapsige deutsche Justiz, ohne freilich eigene Mitverantwortung zu bekennen am immer noch oder schon wieder tonangebenden Ehrenmordmilieu des kleinasiatischen Islams, sei er nun kurdisch oder türkisch, dörflich oder AKP‑nah.

In der Türkei kommen vermutlich 25 Ehrenmorde pro Monat vor, es findet also nahezu jeden Tag ein ’Ehrenmord’ irgendwo in dem 70 Millionen Bewohner zählenden riesigen Land mit seiner rasant wachsenden Bevölkerung statt. Die deutschen Touristen werden davon nicht viel mitbekommen, interessieren sich aber auch eher für Sonne, Strand und blauen Himmel an der türkischen Südküste.

Die ehtnischen Spannungen zwischen Kurden und Türken sind nicht bewältigt. Die regierende AKP benutzt die Vokabel Demokratie womöglich nur, um einen Gottesstaat auszurufen. Grund genug, so findet jedenfalls der SPD‑Politiker Günter Verheugen, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. Verheugen wohnt auch nicht im Papageienviertel.

Deutschland 2007. Durchaus im Sinne des aus der Psychologie bekannten Just‑World‑Prinzips also befinden die oberflächlich empörten Politiker und Medien nun: „dieser Mord in Mönchengladbach hätte verhindert werden können“. Auch Nordrhein‑Westfalens Justizministerin Roswitha Müller‑Piepenkötter schließt sich dieser ebenso unumgänglichen wie wohlfeilen Dosis an Zerknirschtheit an.

Wir islamkritischen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die wir täglich in und mit Familien aller Einwanderermilieus zu tun haben sind da zwar mindestens ebenso zweckoptimistisch, doch teilweise zu etwas mehr Mühsal bereit. Und zum Eingeständnis, schmerzlich festzustellen, dass inzwischen wohl zehntausende türkisch‑muslimische Familien in Deutschland leben, in denen die Moral des anatolischen Dorfes gilt, nicht die der demokratischen und modernen Emanzipation, in denen die Werber für Scharia und Kalifat erfolgreich sind, nicht diejenigen der säkularen Demokratie.

Es tickt eine Zeitbombe, die mit der Polarität ’hier der Eurozentriker, da der edle Wilde. Hier das kapitalistische Schuldigwerden, da der geheimnisvolle Orient’ nun wahrlich nicht zu erfolgreich bewältigen sein wird.

Doch, erfolgreich im Sinne von Milli Görüş und Muslimbruderschaft.

Europas und Deutschlands Demokratinnen und Demokraten haben auch gar nicht erst geworben. Professor Bassam Tibi wagte es, die Europäer aufzufordern, von sich selbst ebenso wie von den Einwandernden das Bekenntnis zur säkularen und demokratischen Leitkultur zu einfordern. Tibi jedoch brachte die Gutmenschen aus der Kinder- und Enkelgeneration der Achtundsechziger mit dem Begriff Leitkultur derartig aus der Fassung, dass sie ihn einfach totschwiegen.

Vielleicht haben wir uns geschämt, für die Demokratie und damit gegen den vormodernen Scharia‑Islam zu werben. Die Kolonialzeit, Hitler, allemal Grund genug für eine geheuchelte Bescheidenheit, hinter der sich wohl nicht viel Anderes als Gleichgültigkeit versteckte. Grenzen überwindend, multikulturell. Für alles offen war man längst nicht mehr ganz dicht. Da kam der eine oder andere Wolf im Schafspelz gerade recht, der uns die Möglichkeit bot, im warmen masochistischen Schlamm der europäischen Schuld zu baden. Ach, was fühlt man sich gut, wenn man fremdenfreundlich Buße tut. Und, schwuppdiwupp, durfte die Islamische Föderation an Berliner Schulen Religionsunterricht erteilen.

Es gibt kein Machtvakuum. Wir haben es der faschistischen Muslimbruderschaft bei der Erosion Europas so leicht gemacht, dass sie es bis haute kaum fassen kann. Europa franst aus. Da kommt es auf die Mitgliedschaft der Türkei auch nicht mehr an.

Jetzt reden wir uns ein, dass auch der Doppelmord von Mönchengladbach nur ein Einzelfall gewesen sei. Ob das falsch ist, können wir eigentlich nur herausfinden, wenn wir die europäische Außengrenze in das Quellgebiet von Tigris und Euphrat hinein verschieben.

Erol und Rukiye Peşter wurden von ihren beiden Großfamilien verheiratet als Rukiye 15 Jahre alt war. Im Südosten der Türkei werden immer noch zwei Drittel aller Ehen abgesprochen, der Wille eines Menschen, wen er oder sie heiraten will oder ob er oder sie überhaupt heiraten will, zählt da nicht viel. Und wir in Europa, nicht in Moskau oder Minsk, wir in Westeuropa, die wir das persönliche Glück gehabt haben, halbwegs selbstbestimmt aufzuwachsen, haben wir den Einwanderern aus dem Geltungsbereich von Shari’a und Dhimma nichts anderes zu sagen als ’Der Intelligente passt sich an’? Ein Salman Rushdie musste nach London flüchten, kein Günther Grass nach Teheran.

Allein in Berlin wurden im Namen der ’verletzten Ehre’ zwischen November 2004 und März 2005 sechs Mädchen ermordet. Viele Europäerinnen und Europäer irritiert dabei auch die Frage, ob eine derartige Grausamkeit aus dem Islam an sich resultiert, aus dessen dörflicher Rückständigkeit oder aus seiner extremistischen Variante. Die wegweisenden Antworten auf diese Frage finden zu helfen, dazu haben couragierte Frauen wie Necla Kelek, Seyran Ateş oder Serap Çileli viel beigetragen. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, zwischen Traditionalismus, Islamismus und Islam nicht zu unterscheiden. Die Scharia hat auch niemand je in Frage gestellt, und der Hauptbestandteil der Scharia ist gerade das Ehestandsrecht. Allerdings ist es auch sinnvoll zu sagen, dass die Scharia dem Koran nicht Unrecht tut.

Ebenfalls ist es wohl richtig, dass die althergebrachte frauenverachtende Scharia mit Erol Peşters Mönchengladbacher Doppelmord ganz gut harmoniert. Traditioneller Islam heißt Frauenunterdrückung, Islamismus heißt das Selbe – und zwischen beidem bleibt derzeit leider kaum Spielraum. Jedenfalls sitzen den enigen demokratiebejahenden Muslimas und Muslimen die Hinterwäldler nicht weniger im Nacken als die Kalifatsfreunde aus dem politischen Islam.

Dass es einmal hoffnungsvolle Modernisierungen des Islams gegeben hat, beispielsweise mit der eine Demokratie theoretisch ermöglichenden konzeptionellen Trennung von Din und Daula, Religion und Staat durch den Theoretiker Abd al‑Raziq und seinen Lehrer Mohammad Abduh, die dann von der islamofaschistischen Bewegung der Muslimbruderschaft um ihren theokratischen Vordenker Sayyid Qutb überrollt wurden soll nicht vergessen sein.

Doch heute erinnere man sich an den Integrationsgipfel, zu dem die Bundesregierung am 12. Juli 2007 eingeladen hat und an die Begründung für die Absage der türkischen Islamverbände in buchstäblich letzter Minute? Diskriminierung, Diskriminierung, so schimpften die Ferngebliebenen. Der Grund: Die Bundesrepublik wollte das Nachzugsalter für Ehefrauen heraufsetzen.

Einstweilen ist die Religion der Muslime sakraler Machismus. Ob in Anatolien oder in der AKP, ob hinterwäldlerisch oder islamverbandlich organisiert: Islam ist heiliger Frauenhass. Ayaan Hirsi Ali dokumentierte das mit ihrem Film Submission, woraufhin es Regisseur Theo van Gogh leider für übertrieben hielt, sich innerhalb seiner niederländischen Heimat zu verstecken. Auf offener Straße wurde Querkopf van Gogh von einem in Holland aufgewachsenen fanatisch religiösen Marokkaner hingerichtet, sorgsam vorbereitet und mit einem koranisch inspirierten Bekennerschreiben bedacht.

Zurück nach Mönchengladbach: zwischen den Familien von Rukiye und Erol, so ist inzwischen bekannt geworden, gibt es seit Generationen immer neue Gewalttätigkeiten, gleichwohl werden immer wieder untereinander Verheiratungen beschlossen. Eine geopferte Tochter verändert die Höhe der nächsten paar Brautgelder, mehr steht nicht auf dem Spiel.

Islam sind 1,5 Milliarden Menschen. Islam kann recht Vieles sein. Doch auch die Ehe von Rukiye und Erol ist ein echtes Stück Islam. Erol der türkische Muslim ist genau so Opfer einer Zwangsverheiratung wie Rukiye, die allerdings sich aus ihrem scharia‑konformen Sklavinnendasein befreien wollte.

Für den in diesen Wochen auf seine Verurteilung wartenden Ehrenmörder Erol Peşter war es offenbar nicht attraktiv, den Weg in einen gleichberechtigten Umgang mit dem anderen Geschlecht und in eine Sexualität jenseits des Vergewaltigens zu beschreiten.

Zur Pistole jedoch konnte er greifen.

Jacques Auvergne