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Islam und Schirk

Januar 27, 2008

شرك

Schirk, Beigesellung.

Schirk,

Phobie und Doktrin

Dinge zu verehren ermöglicht

etwas über Dinge zu lernen

Seitenblick unerwünscht:

Zieloptik schafft Tunnelblick

Ein Essay von Jacques Auvergne

Schirk heißt Beigesellung und bezeichnet ein Lebensgefühl der Sorge mancher islamisch geprägter Menschen, neben dem einen Gott Allah einem anderen Ding Verehrung zukommen zu lassen. Ursprünglich war die Abkehr aus dem altarabischen Polytheismus gemeint, die Mohammed mit seinem heute weltbekannten politischen Konzept des Islams zunächst für die arabischen Stämme durchsetzte. Ich glaube wahrzunehmen, dass ein falsches oder auch konsequentes Verständnis von Schirk sowohl in den demokratiegefährdenden islamischen Radikalismus führen kann als es auch ein unbefangenes Lernen und Nachdenken über sich und die Welt nachhaltig zu verhindern vermag.

Ein Muslim sagt mir heute, dass er die Demokratie niemals aus vollem Herzen respektieren könne, da er sonst einen Gegenstand neben Allah stellen würde, was islamisch verboten sei. „Die Demokratie ehren, wäre Schirk betreiben?“, frage ich. Er bejaht, sichtlich zufrieden, verstanden worden zu sein.

Damit kommt aber ein Problem auf Europa zu. Bislang hatte ich gedacht, dass es eher die phantasierte „ideale, perfekte“ Gesellschaft des Kalifats sei, die ein gefährliches Ironisieren der parlamentarischen Demokratie, der Pressefreiheit und der säkularen Demokratie nach sich ziehen würde, von den aus doch wohl mehreren Gründen entstandenen ärgerlichen islamischen Parallelgesellschaften Europas einmal abgesehen.

Nun aber diese Art von Motivation: dezidierte Gesetzestreue gliche schon fast einem Götzendienst. Können Muslime von (nichtmuslimischen) Menschen gemachte Gesetze aus Überzeugung achten? Oder werden sie jeden demokratischen Prozess als letztlich gotteslästerlich zu betrachten verführbar sein? Wir dürfen vermuten, dass diese Erpressbarkeit eines jedes muslimischen Menschen längst von Radikalen und im großen Stil ausgenutzt wird, um gegen das Menschenwerk Demokratie „immun zu machen.“ Dem aber darf eine Demokratie nicht unwidersprochen zusehen.

Ein wo auch immer schuldhaft geduldeter Schirk macht dem othodoxen oder islamistischen Muslim höllische Angst. Zugleich ist das Fürwahrhalten der Konzeption Schirk dem orthodoxen wie islamistischen Muslim vorgeschrieben. Wo aber finden sich Strukturen, an denen sich diese Phobie und Doktrin auswirkt?

Der Koranlehrer schlägt das Kind. Schreie und Ängste. Körperliche und psychische Schädigungen werden lebenslange Folge sein. Das geschieht nicht irgendwo in Pakistan, sondern mitten in Europa und müsste eigentlich zur Anzeige gebracht werden. Es wird sich in uns bekannten Fällen von prügelkulturellen Hinterhofschulen oder arabisch orientierten Sprachfördervereinen allerdings wohl noch niemand gefunden haben, der diese Praxis zur Anzeige gebracht hätte. Wir wissen diesbezüglich auch von der Unzufriedenheit türkischer Väter, die jedoch aus erklärlichen Gründen nicht den Weg zu Jugendamt oder Polizei gefunden haben. Es gibt also Prügel zum Arabischlernen oder auch zum Koranlernen.

Jetzt hat die Sache auch ein makaber Gutes: Die Liebe zu Gott wird sinnlich nämlich schmerzlich klar, denn allein aus Angst vor dem prügelnden Hodscha darf kein kleiner Muslim etwas lernen: Angst dem Allah beizugesellen oder den Lehrer dem Allah beizugesellen wäre Schirk. Neben einem islamisch stets unvermeidlichen Stockholm-Syndrom wird für den Jungen die Einzigartigkeit und Allgewalt eines ebenso grausamen wie beglückenden Gottes verinnerlicht: Der Lehrer prügelt nicht aus sadistischem Selbstzweck, denn dem Sadismus zu huldigen wäre ein Schirk. Ich als Koranschüler leugne meine Angst, denn einen Götzen der Angst dem Allah beizugesellen wäre ein Schirk. Mancher auch muslimische Leser wird jetzt Hemmungen verspüren, dieser Logik zu folgen. Vielleicht ist unsere örtliche Koranschule ja eine seltene Ausnahme.

Ayaan Hirsi Ali wurden als Kind durch den islamischen Koranlehrer der Schädel vielfach gebrochen.

Schlagen scheint also recht üblich zu sein und ohne Frage islamisch erlaubt, wenn dies aus Liebe zu Allah geschieht. Europa kannte bis vor wenigen Jahrzehnten Ähnliches: In allen Epochen war der prügelnde Lehrer gewissermaßen selbstverständlich.

Prügelte die altrömische Schule weniger als die islamische? Dann wäre für die alten Araber der (manichäische) Monotheismus um den Preis der vermehrten Kindesmisshandlung erkauft worden. Gewiss, „erzieherische“ Grausamkeiten gab es auch im Polytheismus. Doch für den eifersüchtigen Einen Gott gibt es ein paar Faustschläge mehr.

Entscheidend ist, dass die Brutalität nicht auf einen profanen Zweck hinzielt, denn jeder Zweck neben Allah? Richtig, wäre Beigesellung. Prügeln für die gute Sache indes ist erlaubt und auch gleich eine Tagesdosis an Dschihad, an frommem Eifer.

Auch unter Hijab-, ja sogar Niqabträgerinnen finde ich in diesen Tagen Ansichten wieder, die meine These zu untermauern scheinen, dass jedes Objekt, dass in bedrohlich dichte Nähe der auf den unnahbaren Allah eingestellten Zieloptik gelangt, als Schirk gefürchtet ist. So darf keine Niqabi sagen, sie trüge den Tschador mit Gesichtsschleier aus Selbstzweck oder Eitelkeit oder Stolz oder Ästhetik, das alles wäre jeweils Götzendienst. Sie trägt ihn, wer es denn glauben mag, aus Liebe zu Allah. Wenig originell eigentlich. Tausend Burkaträgerinnen murmeln aus ihrem schwarzen Stoffgefängnis: „Ich trage meinen Niqab aus Liebe zu Allah!“ Synchron. Maschinenartig. Nun ja, der Platz im Paradies wird nicht verschenkt, ohne Fleiß keinen Preis. Soll doch die langhaarige Nachbarin in der Hölle brutzeln.

An die Hölle glauben die Niqabis! Die meisten Muslime gleich mit. Jedenfalls sind sie zu unbeholfen, den Albtraum von der Hölle in das Reich des Inneren, des Psychischen zu verbannen. Aus den uralten und zutiefst menschlichen Bildern des Unheimlichen, die als „Dämon“, „böser Geist“, „Hölle“ und „Teufel“ zu Wort kommen mögen und mit dieser Sprache ja gerade ausgetauscht, mitgeteilt, und „geheilt“, das heißt integriert werden können, sie bleiben im orthodoxen Islam wie im Islamismus abgespaltene Teile mit eigener „Macht.“

Teufel Iblis? Geist Djinn? Die Engel? Alles koranisch verbürgt, aber bitte gar kein Vergleich zu Allah. Es kann nur einen geben! Schließlich mache ich doch keinen Schirk. Sondern Eingottglauben, Tauhîd.

Tauhîd ist die unblockierte Perspektive. Befreit von Nebensächlichkeiten.

Heutzutage darf mit dem ehrbar anmutenden Tauhîd allerdings eine Terrorgruppe unangefochten firmieren: Die von dem Jordanier Abu Musab al‑Zarqawi mitgegründete al‑Tawhid, die auf der Terrorliste der EU steht und in Israel ihren Hauptfeind sieht, allerdings auch in Deutschland schon einmal einen vereitelten Anschlag durchzuführen beabsichtigte. Tawhid heißt Einheit, Einheitlichkeit: Eintracht der Gläubigen wie auch, in bewusster Abgrenzung zum trinitarischen Christentum, Einheit Gottes. Warum aber stellen islamische Mehrheiten der Terrorgruppe die Legitimation der Verwendung dieses Begriffes Tauhîd nicht laut hörbar in Frage? Einheitlichkeit, Einssein, Eintracht, Einheit: Vielleicht sollen beide Seiten des Wortes, die brillante und die brisante, uns Nichtmuslime oder auch Muslime ein wenig provozieren. Politreligiös aktive Muslime werden stets bemüht sein, Totalität und Totalitarismus jeder mehr als symbolischen Tauhîd-Begrifflichkeit zu vernebeln. Sie werden von der „Liebe zu Allah“ sprechen. Solcherlei Gottesliebe wird säkular denkende Menschen rasch zu „Ungläubigen“ werden lassen.

Monotheismus. Es liegt auch eine Frömmigkeit in der Konstruktion einer allen Dingen gemeinsamen Sinnquelle, eines welterhaltenden göttlichen Prinzips. Dem Manichäismus und mit ihm dem Islam gelang die Herstellung eines universellen Gottesbildes allerdings nur bei erheblichen Folgekosten.

Von al‑Uzza und al‑Lat, vom altarabischen Baumkult und vom Verehren heiliger Steine galt es aus Sicht von Mohammed sich abzukehren, sich zu befreien.

Diese Befreiung oder auch erst die Perversion derselben: Ist sie eine der Quellen der seit Jahrhunderten geradezu folkloristischen islamischen Bildungsverweigerung? Vielleicht war es ja so, dass man um das Jahr Tausend in Bagdad gesunder als in Brüssel lebte, in Kairo länger als in Köln (nur Christ durfte man nicht sein, erst recht kein Jude, schon gar kein Heide und am besten auch keine Frau). Doch dann blockierte irgendetwas die islamische Gelehrsamkeit, in Epochen, in der Europa mit Renaissance, Barock und Aufklärung allmählich wissenschaftliches Denken entwickelte. Kepler und Galilei freilich lebten sozusagen zu früh, doch gerade Menschen wie sie waren es, die für Europa den Weg aus der Theokratie in die Demokratie gangbar machten.

Dem Islam fehlt Pantheismus. Islamische Mystiker, die die Fähigkeit besitzen, Gott im Bereich des Träumerischen zu verorten und zugleich Gottes Schöpfung als geheiligt zu empfinden (Natur, Heiden und Frauen eingeschlossen) wurden und werden von den manichäischen Politreligiösen verfolgt.

Hans Jonas betont in seinem Buch ‚Prinzip Leben’, dass der Animismus keinesfalls als gänzlich abgelegt betrachtet werden dürfe. Damit nähert er sich deutlich einem Spinoza, Goethe oder Hesse an. Pantheismus und Animismus. Beseelte Objekte. Wenn das nicht jede Menge Schirk ist.

Mit Animismus meine ich nicht Obskurantismus oder eine, wiederum fesselnde, Magie. Nicht so sehr die blauen Steine und roten Korallen der türkischen Folklore und schon gar nicht den „bösen Blick“ oder die mindestens im türkischen Islam so verbreitete Auffassung, jede Krankheit als vorweggenommene Strafe Allahs zu sehen, bei entsprechender Verachtung jedes Kranken und Behinderten. Mit Animismus meine ich eher Naturromantik: Wertschätzung der Gegenstände und der Welt als von den Göttern oder von Gott geliebt.

Denn es liebt, es „vergöttert“ jedes Kind seine Puppe und manch Erwachsener sein Auto oder seinen Gartenteich. Denn wir nehmen „Souvenirs“, Erinnerungen aus dem Urlaub mit: Einen schönen Stein oder eine Vogelfeder, die wir ganz ähnlich „beseelen“, wie manch ein Schöpfergeist den aus Lehm gefertigten Figuren und nachmaligen ersten Menschen Leben eingehaucht hat. Muslimische Kinder haben hier ein gewaltiges Defizit! Deshalb lernen sie derzeit schlechter als die Kinder aller anderen Religionen.

Ohne eine kindliche oder jugendgemäße Natur- und Objektliebe kann es kein angstfreies Lernen geben. Diese Hinwendung zum Diesseits, diese Bejahung des Lebens und der Welt jedoch scheint für viele Muslime immer noch eine Bedrohung zu sein, weil sie einer „Beigesellung“ entspräche.

Dinge zu verehren macht neugierig, über sie etwas zu lernen. Doch der Untersuchungsgegenstand könnte Allahs Ruhm schmälern.

Und damit ein Stück Schirk sein.

Jacques Auvergne

Die neue al-Qaida

Dezember 28, 2007


Erzählgegenstand

Terrorismus

Zwischen Nebelwerferei

und Selbstvermarktung:

Wie bringt die Demokratie

den womöglich korantreuen

Terror zur Sprache?

Jacques Auvergne

Selten habe ich ein so nervtötendes Buch gelesen wie das 2006 erschienene „Die neue al-Qaida“ von Yassin Musharbash. Der Autor bringt mich zur Verzweiflung und zwar nach folgendem Muster: Grundsätzlich sei, so Musharbash, noch nicht einmal klar, ob sich hinter dem Begriff des heiligen Krieges überhaupt bewaffneter Kampf verberge. Denn viele Muslime in aller Welt würden unter dieser immer wieder einmal erhobenen Verdächtigung seitens der Nichtmuslime „erheblich leiden“. Da ist ja etwas dran, wie wir alle wissen, Dschihad geht auch ohne Mord und bedeutet sakraler Eifer, fromme Anstrengung. Dass dieser frommen Angestrengtheit seit 1.400 Jahren Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind, das gehört offensichtlich zum Standard‑Repertoire islamischen Umweltveränderns und wird vom Autor weder beschrieben noch bestritten. Was das Nervtötende bereits mit verursacht.

Sicherlich, das Arabische könnte für „Krieg“ die Worte Ghazw, Qital und vor allem Harb verwenden. Wenn es also darum ginge, geborene Ungläubige oder gewordene Ungläubige oder deren unterstützerisches oder indifferentes oder zufällig beteiligtes soziales Umfeld zu köpfen oder in die Luft zu sprengen, ließe sich die theologische Geometrie einer Dâr al‑Harb bemühen, die Kultur des Harb. Dschihad tut es aber auch, die Vokabel meine ich. Ja, das dem Gott Allah wohlgefällige Wort. Die sakrale Vokabel. Entlastet doch auch viel besser.

Wir Demokraten, die Muslime unter uns eingeschlossen, wir hätten nun gar nichts dagegen, wenn sich eine Auffassung eines individuellen und spirituellen Islams durchsetzen oder überhaupt erst einmal verbreiten könnte. Nicht, dass nämlich bald gesagt wird, das Blog Sägefisch würde verunsicherte junge Männer in den Terrorismus drängen. Doch wer den Konformitätsdruck des Orients kennt, der weiß allerdings, dass es nur den Unbestechlichsten Individuen gelingen kann, irgendetwas an Milieu- und Alltagskritik zu äußern oder gar an Worten der Kritik an Regierung und Geistlichkeit. Es gibt diese Einzelnen, doch die leben auch in Kanada oder Finnland gesunder und länger denn in Beirut oder Kairo. Oder sie schrauben, und mittlerweile selbst in Kanada oder Finnland, ihr Klingelschild von der Haustüre ab, weil sie ihre aufmüpfige Gesinnung wohl vor ihren Mitmuslimen nicht verbergen können. Und letztere sind bekanntlich rasch beleidigt.

Denn das muss einmal gesagt sei: Islam ist Kultur des Einschüchterns. Musharbash kann sich zu diesem Satz leider nicht durchringen, jedoch ist sein Buch genau an jenen Stellen am ehesten lesenswert, in denen die repressive Sozialisation nahezu jedes Muslims weltweit, die permanente Überwachung und die geistig‑seelische Enge des Islams angedeutet wird, ob mit oder ohne Auswandererschicksal.

Noch etwas zum subjektiven „erheblichen Leiden“. Das hat der Autor entweder noch nicht durchschaut oder er lässt uns an seiner Einsicht nicht teilhaben: Denn das ist islamische soziale Lebenskunst, sich als „erheblich leidend“ zu inszenieren. Das ist der Jahrhunderte alte islamische Psychoterror der Umma gegen alle Nichtmuslime, immer mit dem Angebot verbunden, sich doch gerne genau so dreist zu verhalten oder am besten gleich zum höherwertigen Islam zu konvertieren.

Ähnlich wie katholische, heutzutage demokratiegemäß glücklicherweise eher individualistisch orientierte Milieus Schuldgefühle nach innen hin erwecken, innerhalb des Kreises der katholischen Gläubigen, so tut es der zornig fiebernde und notorisch kollektivistische Islam, nur eben nach außen. Ist ja auch viel günstiger, „die Anderen“ zu beschuldigen: Die Amerikaner oder Kapitalisten, die Juden oder Kreuzzügler, die Atheisten oder Abweichler. Mit dem Finger auf den Anderen zeigen und publikumswirksam zu jammern, das ist das beschämenswerte soziale Mobbing hinter der „edlen und spirituellen“ Kulturtechnik des Takfir. Und dass Takfir als das für ungläubig erklären tödlich sein kann, das ist zu Musharbash dann doch vorgedrungen.

Sicherlich gilt es für die kulturelle Moderne, ihr Möglichstes zu tun, um die „eher indifferente“ muslimische Masse nicht in die Arme der „sehr radikalen“ Muslime zu treiben. So scheint das der fraglos demokratiefreundliche Autor ebenfalls zu sehen. Und hat damit bereits wieder übersehen, dass es im Islam eine indifferente Masse noch nie gegeben hat, denn Islam ist ja geradezu das fiebrige Credo der heiligen Gewaltbereitschaft: Islam ist das Prinzip der sakralen Militanz.

Islamische Kindererziehung ohne Hass auf die Juden und Christen und natürlich auch auf die Frauen hat es seit 1.400 Jahren noch gar nicht in einem nennenswerten Umfang gegeben, wenn ich auch hoffe, dass sich das in möglichst naher Zukunft einmal ändern möge. Der Islam und seine Mädchen- und Jungenerziehung ist das Problem, nicht die jeweils herum lungernde Horde militanter junger Männer, die sich dann „überraschenderweise“ dazu entschließt, einen Ungläubigen zu finden und sakral zu opfern.

Das allerdings bringt uns als die „anderen“ in sowohl rhetorische wie moralische Schwierigkeiten, letztlich seit 1.400 Jahren. Und an dieser Stelle ist dem Autor deutlich zu widersprechen, auch wenn dieses Blog nun auch in Gefahr läuft, von böswilligeren oder dummeren Menschen bezichtigt zu werden, die Propaganda der Terrornetzwerke zu verwenden beziehungsweise zu unterstützen. Doch genau in Bezug auf das Thema der „rätselhaften“ Herkunft des Dschihadismus widerspricht sich der Autor an mehreren Stellen seines Buches letztlich selbst. Insofern trägt Musharbash zur Lösung der globalen Krise Islam dann doch noch einigermaßen nützlich mit bei.

Vielleicht allzu misstrauische Menschen werden Musharbash allerdings bereits fast Taqiyya unterstellen müssen, sakrale Lüge. Wenn dieses in seinem Fall auch wohl ein Täuschen aus Gründen des hilflosen Nachplapperns sowie der verschüchterten Schmerzleugnung ist und nicht aus Gründen des absichtsvollen Verschleierns der Korantreue jeglichen Dschihads, so ist doch gleichwohl die vom Autor eingenommene Position nicht nur schwer erträglich, sondern für die kulturelle Moderne auch noch brandgefährlich.

Sicherlich hat es, wie etwa Prof. Bassam Tibi in seinen Büchern betont, bereits vor mehr als einem Jahrhundert im Islam ernsthafte Versuche der Theoriebildung zu m Begriff der Säkularität, der Weltlichkeit gegeben. Und man mag hoffen, dass die nächste oder wenigstens übernächste junge Generation zwischen Casablanca und Jakarta an jene hoffnungsvollen Versuche anknüpfen möge und nicht an die vormodernen und menschenverachtenden Philosophien von al‑Qaida. Musharbash indessen benennt noch nicht einmal das Alter der Wurzeln der immerhin bereits 1928 entstandenen Muslimbruderschaft, sondern weist dem amerikanischen Einmarsch in den Irak jede Schuld am damit sozusagen postmodernen Dschihadismus zu.

Wobei der Autor darin Recht hat, dass die Anwesenheit der Amerikaner in Bagdad von den Netzwerken des Terrors propagandistisch „günstig verwendet“ werden konnte, vielleicht so, wie im Jahre 1098 die Appelle zur Befreiung des symbolischen „Heiligen Grabes“ wirken konnten. Religion motiviert.

Sakrale Bedarfsweckung. Der Christ Calvin etwa ließ um 1550 etliche Ketzer auf dem Marktplatz der frommen Stadt Genf verbrennen. Wie denn überhaupt die Theokraten aller Länder einander ähnlicher sind, als ihnen lieb ist. Der spanische Katholizismus der Barockzeit vernichtete die Religionen Südamerikas – wäre nun Europa in der Rolle der einstigen aussterbenden Indiokultur? Mit theokratischem Wettrüsten aber oder mit Formen von Rassenhass hätte die Moderne sich selbst verraten und beides ist ebenso kollektivistisch wie der Islam, christlicher Fundamentalismus und Nationalismus, jedenfalls nicht Teil der kulturellen Moderne. Deutlich wird damit, dass der säkulare Staat jeden Einwanderer als Individuum packen muss, nicht als Teil irgendeines Kollektivs. Insofern ist jeder Dialog der Bundesrepublik mit islamischen Gemeinschaften für beide Seiten ein riesiges Missverständnis. Ob in wohl frühestens hundert Jahren eine starke islamische Gemeinschaft die Demokratieverträglichkeit einer der beiden heutigen großen deutschen Kirchen haben wird, das muss sich erst zeigen.

Den so genannten Dschihadismus gänzlich in unsere Jahre zu verlegen halte ich für alles andere als zweckdienlich. Statt dem nebligen Wort Dschihadismus sollten wir also das Wort Dschihad bevorzugen. Denn es ist eine jede dschihadistische oder besser gesagt dschihadische Theologie viel zu koranisch, viel zu schariatreu.

Der theokratische Umsturz in Teheran 1979 ist kein islamischer Betriebsunfall sondern koranisch logisch. Auch wenn, wie Musharbash schreibt, das moderne Werkzeug ganzer Containerladungen von in Frankreich produzierten Propaganda‑Tonbändern den Einzug des Ayatollah vorbereiten half.

Musharbash nennt die Nähe der Dschihadisten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts zur mittelalterlichen islamischen Orthodoxie indirekt sehr wohl. Etwa an der Stelle, an der der Autor den Mörder des schariakritischen ägyptischen Präsidenten Anwar as‑Sadat zu Wort kommen lässt, der zu seinem verachtenswerten Tun vom 6. Oktober 1981 wenig später erklärte: „Ich habe den Pharao getötet!“

Pharao. Rom. Die Juden. Genau in einem solchen Denken nämlich zeigt sich islamisches Geschichtsbewusstsein. Zwar krankes Geschichtsbewusstsein, das mag ja sein, aber echt islamisches und zugleich echt terroristisches Geschichtsbewusstsein. Den „Westen“ anzugreifen, wir sollten vielleicht besser sagen: Die Städte der Nichtmuslime oder die kulturelle Moderne anzugreifen, das genau ist aus Sicht der „motivierten“ Dschihadkrieger Allahs Auftrag der „Zivilisierung der barbarischen al‑Dschâhiliyya“, der vorislamischen Zeit der frevlerischen Unwissenheit. Ob as‑Sadat oder Bush, ob Parlamente oder Päpste: Nichts als „Pharao“, Rückständigkeit und Unterentwickeltheit oder aber schuldhaftes Verhöhnen des vielfach vermuteten Gottes Allah.

Islamische Logik könnte so klingen: „Sträube dich nicht. Öffne dich. Du Demokrat oder auch Christ, deine Lebensform ist ein vorislamisches Fossil, ein Dinosaurier, und des baldmöglichen Aussterbens im Lichte Allahs wert. Nur Muslime sind von Allah bejahte Menschen. Du magst auch endlich die Schönheiten des Islams bekennen, wie Allah es für dich schließlich von Anfang an vorgesehen hat. Oder aber dein letztlich wertloser Körper wird schmerzvoll gerichtet, in der jenseitigen Hölle oder zusätzlich von Allahs Helfern hier im Diesseits, ebenfalls ganz im Sinne der Unausweichlichkeit. Sträubt euch nicht, Europäer, öffnet euch der Islamisierung! Denn Islam heißt Frieden“.

Erhellend, wenn Musharbash etwa ein selbst geführtes Gespräch mit einem einfachen Taxifahrer schildert oder uns berichten kann, wie ein terrorkritischer Londoner Geistlicher von seinen eigenen Radikalen zum relativen Widerrufen getrieben wird. Letzteres sollte man eigentlich rent‑a‑fatwa nennen dürfen: schnitze du dir als Terrorist deinen passablen Theologen. Von den Londoner Hasspredigern sagt der Autor leider nichts.

Erfreulich und irritierend überraschend, wie der Autor (198) dann doch zum sicherlich richtigen Schluss kommt, dass „keine Gehirnwäsche notwendig ist“, um sich als Dschihadist in den Irak aufzumachen und dort massenhaft Menschen zu ermorden. Warum kennzeichnet Musharbash dieses Tun aber nicht als das, was es ist, nämlich als krisenhaft islamisch?

Insgesamt trennt der Autor bei seiner Analyse der Lebensläufe der Terroristen beziehungsweise Dschihadkrieger psychisch‑subjektive Begründungen zu wenig von den sattsam bekannten machterpicht geheuchelten oder auch sozial erpressten Alibis. Über die Verantwortung der gewalttätigen islamischen Kindererziehung an der weltweiten islamistischen Gewalt hat Musharbash, Sohn einer Deutschen und eines Jordaniers, wohl noch nie nachgedacht. Auch das über viele Jahrhunderte praktizierte Grauen von dem alle Frauen versklavenden Religionsgesetz der Scharia sowie von einem in Europa immer noch kaum bekannten, geradezu rassistischen Kasten‑System namens Dhimma oder Dhimmitude übersieht der bikulturelle Autor ebenso großzügig wie die eineinhalb Jahrtausende alte theologische Plausibilität islamischer Kriegsführung.

Einer gottgefälligen Kriegskunst, die wir eurozentrischen Demokraten vielleicht völlig zu Unrecht als „Terrorismus“ wahrnehmen? In diesem Sinne wäre auch der Titel einer im Übrigen ausgesprochen lesenswerten Broschüre des nordrhein‑westfälischen Innenministeriums blanker Unsinn von und für Dhimmis: „Islamismus – Missbrauch einer Religion“, wo es wesentlich treffender hätte heißen müssen und Irshad Manji und Bassam Tibi und ein paar meiner muslimischen Freunde mir verzeihen mögen: „Islamismus – Gebrauch einer Religion“. Nicht Missbrauch, sondern Gebrauch. Anwendung. Umsetzung. Ausführung.

Sprache. Man rede doch also bitte von edler islamischer Kriegskunst – nicht von Terror. Wir Europäer sollten diesbezüglich bereits sprachlich wesentlich kultursensibler werden, das jedenfalls legt uns al‑Qaida ganz wohlwollend ans Herz.

Jacques Auvergne