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Susanne Brauer: Knabenbeschneidungen auch aus religiösen Gründen zulassen

Juli 4, 2020

Mutilations génitales humaines (MGH : MGF ou MGM)

HGM, human genital mutilation (i. e. FGM, or MGM)

Genitalverstümmelung (FGM oder MGM)

Fragen und Forderungen an die Philosophin und Ethikerin Dr. Susanne Brauer

Von Gabi Schmidt und Edward von Roy am 4. Juli 2020

Sehr geehrte Frau Dr. Brauer,

Sie denken (FAZ 01.07.2020) über die religiös motivierte Amputation der kindlichen Penisvorhaut nach: „Der Eingriff einer Knabenbeschneidung ist (…) irreversibel“, und Sie kommen nach einiger Abwägung zum Schluss, dass die Zirkumzision straffrei bleiben soll: „scheint es mir sehr wichtig zu sein, Knabenbeschneidungen auch aus religiösen Gründen zuzulassen“.

Die staatliche Erlaubnis dazu, wer hier wem etwas vom Körper abschneiden darf, könne dabei gerne trendy sein und wunschgeleitet, ich zitiere Sie: „Medizin in den Dienst von gesellschaftlichen Trends und persönlichen Wünschen [stell[en]“. Gemeint ist von Ihnen leider nicht der Kindeswunsch, sondern das Begehren der Eltern, das kindliche Genital operativ umzugestalten, hin auf eine tradierte, religiös vorgegebene körperliche Norm, religiöse Körpernormierung. Das Kollektiv verfügt über das Genital, versehrt es irreversibel. Warum kritisieren Sie den kulturell vormodernen und anti-individuellen Gruppendruck zum Beschnittensein nicht?

Sie sagen: „wenn aus religiöser Überzeugung heraus Eingriffe an Kindern durchgeführt werden sollen, die medizinisch nicht erforderlich sind … Die Kernfrage ist, wie weit die Autonomie der Eltern, über das Kind zu entscheiden, gehen darf“. Wie stehen Sie zur Ansicht von Marlene Rupprecht vom 19. Juli 2012 („Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht schon 1968 festgestellt hat, dass Kinder Grundrechtsträger sind, und zwar ohne Einschränkung; man hat das nicht am Alter festgemacht.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/189), hat das Kind aus Ihrer Sicht über seinen Körper denn gar nicht zu entscheiden?

Sie sollten sich zeitnah klarmachen, dass es ethisch akzeptable, elterlich angeordnete irreversible Operationen gar nicht geben kann. Auch ein Anführen von Genital Autonomy oder Gillick-Kompetenz kann nicht überzeugen, denn das Beispiel der südafrikanischen Xhosa zeigt, dass auch 15 oder 16 Jahre alte Jungen dem in ihrer Community herrschenden Gruppendruck zum Beschnittensein nicht ausweichen können. Die lebenslangen Folgen der FGM oder MGM auf Sexualität und Partnerschaft vermag, völlig altersgemäß, ein Minderjähriger nicht abzuschätzen. Fordern Sie daher mit uns: Ob Mädchen oder Junge, keine Beschneidung unter achtzehn Jahren.

Sie wissen nicht oder verschweigen, dass das Präputium (penile Vorhaut) der sensibelste Teil des Penis ist, keineswegs mit der klitoralen Vorhaut vergleichbar, sondern mit der Klitoris selbst. 70 bis 80 Prozent der zur sexuellen Lustempfindung fähigen Nervenendigungen und Tastkörperchen (der Typen Ruffini, Vater-Pacini, Merkel und Meissner) des Penis gehen dem männlichen Kind und späteren Mann bei jeder sogenannten Beschneidung für immer verloren (Fine-touch pressure thresholds in the adult penis. Sorrells ML, Snyder JL, Reiss MD, Eden C, Milos MF, Wilcox N, Van Howe RS. 2006.), eben und nur weil die gottesfürchtigen oder traditionsbewussten Erwachsenen das so wollen, stärker sind und die Schere oder das Skalpell in der Hand haben.

Die männliche Beschneidung beeinträchtigt Sexualität und Partnerschaft irreversibel, negativ und stark (Male circumcision and sexual function in men and women: a survey-based, cross-sectional study in Denmark. Morten Frisch Morten Lindholm Morten Grønbæk. 2011.). Ihnen, Susanne Brauer, kann klar sein, dass jede Zirkumzision einer FGM Typ II der WHO-Klassifikation entspricht. Jetzt aber müssten Sie, im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter, eine gleichstark versehrende Form der FGM ebenfalls bejahen und deren Straffreiheit fordern, sofern Sie die Jungen gegenüber den Mädchen nicht herabwürdigend diskriminieren wollen, rechtloser stellen wollen. Wie erst wollen Sie einer in der Schweiz erhobenen Forderung nach Straffreistellung einer religiös begründeten FGM Typ Ia Klitorisvorhautamputation oder einer FGM Typ IV entgegentreten, einer FGM-Form also, die geringer invasiv ist als eine männliche Beschneidung?

Sie sprechen über die USA: „Der Eingriff einer Knabenbeschneidung ist zwar irreversibel, aber zum Beispiel in den Vereinigten Staaten sehr weit verbreitet, wo dafür medizinisch-hygienische Gründe angeführt werden“. Sie sollten wissen und öffentlich sagen, dass es eine starke amerikanische Gegenbewegung zum Routinebeschneiden gibt, die nicht zuletzt von Ärzten mitgetragen wird, um hier nur die Doctors Opposing Circumcision (D.O.C.) zu nennen.

Eltern haben dafür zu sorgen, dass das Kind körperlich und seelisch heil bleibt, dass es alle seine Potentiale schützen und entwickeln kann. Dazu gehören selbstverständlich auch die sexuellen Potentiale. Vulva und Penis sind kein Familieneigentum oder Stammesbesitz. Allein das zur Genitaloperation unumgängliche Entblößen eines Kindes vor Erwachsenen ist Erniedrigung, Entwürdigung und sexueller Kindesmissbrauch.

Die Mädchenbeschneidung, die weibliche Genitalverstümmelung und ebenso die Jungenbeschneidung, die männliche Genitalverstümmelung sind eine schwere Menschenrechtsverletzung und ein massiver Eingriff, der nicht selten den Tod und häufig lebenslange Schmerzen und psychologische Traumata nach sich ziehen. FGM wie MGM halten einen menschenfeindlichen Kreislauf der Gewalt in Gang, der, Generation um Generation, das Weiterverstümmeln schier fordert. Jedermann, zumal jeder Ethiker oder gar Medinzinethiker hat diesen sinnlosen Kreislauf des Verstümmeltwerdens und Verstümmelns nach Kräften zu beenden, nicht irgendwann, sondern heute.

Die Grund- und Freiheitsrechte des Individuums betreffend hat das jeweilige staatliche Gesetz zwischen Frau und Mann, zwischen Mädchen und Junge nicht zu differenzieren. Religionsfreiheit hat verfassungsimmanente Grenzen, die Hautoberfläche des Gegenübers ist eine solche Grenze.

Erstmals in der Geschichte der USA begann im April 2017 ein Strafprozess nach 18 USC 116 (female genital mutilation, FGM). In Detroit, Michigan, waren Dr. Nagarwala sowie die Eheleute Attar angezeigt worden, drei Angehörige der schiitischen Dawudi Bohra, denen FGM religiöse Pflicht ist. Zum Islam der Sunniten. Im islamischen Recht der Schafiiten gilt die männliche wie weibliche Beschneidung als wâdschib (farD), religiös verpflichtend. Die anderen sunnitischen Rechtsschulen bejahen die weibliche Beschneidung, den Malikiten gilt sie als sunna (unbedingt nachzuahmen), Hanafiten wie vielen Hanbaliten als makrumâ (ehrenwert), die übrigen Hanbaliten bewerten sie als religiöse Pflicht.

Sehr geehrte Frau Dr. Brauer, bekennen Sie sich zum Beibehalten der WHO-Kategorisierung weiblicher Genitalverstümmelung, welche FGM definiert als Typ I, II, III, IV? Kämpfen Sie mit uns gegen jeden Versuch der Straffreistellung der Chatna (chitan al-inath, sunat perempuan), auch der milden Sunna? Jede Form von FGM (I, II, III, IV) gehört verboten, überall auf der Welt, auch in Ihrem Heimatland Schweiz.

Mit freundlichen Grüßen

Gabi Schmidt, Sozialpädagogin, und Edward von Roy, Diplom-Sozialpädagoge (FH)

Q u e l l e n

Die Medizinethik der abgeschnittenenen Körperteile: Schweizerin kämpft für religiöse Genitalverstümmelung

Dr. Susanne Brauer, Ph.D., Jahrgang 1973, ist Philosophin und Ethikern. Bei der kirchlich unterstützten Paulus Akademie („Forum für Religion, Ethik, Gesellschaft, Politik und Kultur“) leitete sie von 2011 bis 2019 den Fachbereich Bioethik, Medizin und Life Sciences. Seit September 2019 ist sie Programmleiterin der „Alten Anatomie – Forum für Medizin & Gesellschaft“, die vom Zürcher Universitätsspital, von der Universität Zürich und der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) getragen wird.

Während Dr. Brauer offen lässt, ob sie in Bezug auf die allgemeine Möglichkeit zur medizinisch nicht erforderlichen, nur um diese geht es hier, Operation am kindlichen Genital noch zwischen Mädchen und Junge differenzieren möchte, fordert die amputationsfreudige Medizinethikerin (FAZ, 01.07.2020) Straffreiheit bei religiös motivierten sogenannten Beschneidungen.

In Bezug auf die Jungen geht es der heutigen Schweizerin – geboren 1973 in Köln, Studium der Philosophie und Germanistik in Wuppertal, Münster und Chicago – folglich um das Weiterbestehen der leider zurzeit weltweit gegebenen Straffreiheit der Zirkumzision (d. i. MGM, männliche Genitalverstümmelung). Dass das schweizerische oder deutsche Gesetz Männer und Frauen, Jungen und Mädchen heute nicht und schon gar nicht auf Dauer unterschiedlich behandeln kann, ist Frau Brauer klar.

So aber kann der Staat eine beispielsweise eindeutig geringer invasive Form der weiblichen Beschneidung (d. i. FGM, weibliche Genitalverstümmelung) auf Dauer nicht verbieten. Der Eindruck drängt sich auf, dass die diesjährige Buchherausgeberin einer künftig legalen islamischen FGM (female genital mutilation, weibliche Genitalverstümmelung) den Weg ebnen will, sicherlich ausgenommen bleibt für den Islam wie für Frau Brauer lediglich FGM Typ III.

Brauers Buch (Glaube und Rituale im medizinischen Kontext) erscheint in diesen Tagen (2020) im TVZ Theologischer Verlag Zürich. Die FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung informiert:

FAZ: Frau Brauer, Sie sind Philosophin und beschäftigen sich mit dem Thema Religion und Medizin. Ist das ein Spannungsfeld, das zu Konflikten führt?
Brauer: Nicht unbedingt, aber es kommt vor. Zum Beispiel, wenn aus religiöser Überzeugung heraus Eingriffe an Kindern durchgeführt werden sollen, die medizinisch nicht erforderlich sind, oder wenn Maßnahmen verweigert werden, die aber medizinisch notwendig sind. (…)
FAZ: Besonders heikel werden solche Konflikte immer, wenn es um Kinder geht. Vor ein paar Jahren bewertete das Kölner Landgericht die Beschneidung eines Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung. Wie haben Sie die Diskussion erlebt?
Brauer: Bei uns in der Schweiz war das auch ein Thema. Die Kernfrage ist, wie weit die Autonomie der Eltern, über das Kind zu entscheiden, gehen darf und wo das Kindeswohl dieser Entscheidungsfreiheit eine Grenze setzt. Der Eingriff einer Knabenbeschneidung ist zwar irreversibel, aber zum Beispiel in den Vereinigten Staaten sehr weit verbreitet, wo dafür medizinisch-hygienische Gründe angeführt werden. Da die medizinischen Folgen für vertretbar gehalten werden, ist auch nichts daran auszusetzen, dass sich die Medizin in den Dienst von gesellschaftlichen Trends und persönlichen Wünschen stellt. Vor diesem Hintergrund scheint es mir sehr wichtig zu sein, Knabenbeschneidungen auch aus religiösen Gründen zuzulassen.
(„Die Religion kann eine Falle sein“. Von Julia Lauer. FAZ, aktualisiert, 01.07.2020.)

Die religionsrechtliche und religionspolitische Aktivistin Susanne Brauer kann wissen, dass im Islam Jungen wie Mädchen beschnitten, sprich genital verstümmelt werden, das Islamische Recht (Scharia; Fiqh) etwa der Schafiiten (sunnitisch) oder der Dawudi Bohra (schiitisch) bewertet die Chatna bzw. den Chitan al-inath als wadschib, als religiös zwingend verpflichtend. Überall dort (und vielleicht auch bei den Hanbaliten) wird in Sachen Beschneidungszwang gar nicht unterschieden, ob das Kind männlich oder weiblich ist. Keine der vier sunnitischen Madhahib (Sg. Madhhab, Rechtsschule) verbietet die Mädchenbeschneidung, sehr im Gegenteil gilt diese Tat als religiös vorzuziehen (Hanafiten), im Sinne der Sunna vorbildlich (oft unter Hanbaliten) oder makruma, islamisch ehrenwert (Malikiten).

Überall wo der schafiitische Islam dominiert, anders gesagt, wo die schafiitische Rechtsschule vorgibt, was Islamische Lebensführung und Rechtsfindung bedeuten, in Südostasien, in den Kurdenlanden (Kurdistan), im Nordosten Afrikas, am Roten Meer beispielsweise in Saudi-Arabien (al-Hedschas, Asirgebirge, Küstenstreifen Tihama) und selbst im Nordkaukasus in Dagestan, seit 1991 eine russische Republik, ist die FGM stark verbreitet. Beispiele.

Dagestan 2016, Ismail Berdijew (Исмаил Бердиев) freut sich über die beschnittenen Frauen, welche allein den allgemeinen Anstand garantieren. Der Mufti lobt, wie weitgehend erfolgreich die islamische Klitorisamputation das feminine Verlangen bändigt, wie beinahe sicher der fromme Chitan al-inath (FGM nach Koran und Sunna) die weibliche Begierde im Sinne des gelingenden Zusammenlebens insbesondere zwischen Frauen und Männern zähmt. Berdijew: „Alle Frauen müssen beschnitten werden, damit es auf der Welt keine sündige Wollust mehr gibt.“[him]

Somalia (Provisional Constitution, 1. August 2012) hat in Artikel 15 (4) nicht difiniert, was genau unter „Beschneidung“ gemeint ist, es geht um die weibliche, aber volltönend circumcision verboten.[dcv]

Somaliland hat per Fatwa, also selbstverständlich schariakompatibel, 2018 mitnichten die – jede – weibliche Genitalverstümmelung verboten, sondern nur bzw. vor allem deren Typ III, die Infibulation (pharaonische Beschneidung).[ipb]

Sudan. Artikel 141 der Anlage (amendment) zum Strafgesetzbuch verbietet FGM seit Jahren jedenfalls beinahe. Im April 2020 freut man sich beim UNICEF über den Kampf gegen FGM im Sudan. Hingegen sieht man nicht oder aber man billigt, dass im Sudan nur jene Formen von FGM als strafbar gelten, die zu vollständigem oder teilweisem Funktionsverlust führen (leading to the full or partial loss of its functions). Solange das Mädchen später als Frau ein Kind bekommen kann, besteht aber vielleicht gar kein solcher „loss of functions“ und wir befürchten, dass die Politiker in Khartoum in einem Nichtvorhandensein oder nur noch teilweisen Vorhandensein einer Klitoris keinen „Funktionsverlust“ sehen.[sud]

FGM und Islam.

Hadith.

Eines Tages begegnete Mohammed der zum Islam konvertierten muqaṭṭiʿatu l-buẓūr (amputatrice di clitoridi, coupeuse de clitoris, cutter of clitorises), der Frauenbeschneiderin Umm ʿAṭiyya. Die Gottgehorsame befragte den Propheten nach der religiösen Rechtmäßigkeit ihrer täglichen Arbeit und Allahs Sprecher stellte fest:

أشمِّي ولا تنهَكي
ašimmī wa-lā tanhakī
[Cut] slightly and do not overdo it
[Schneide] leicht und übertreibe nicht

Oder Mohammed verkündete den Willen des Himmels so:

اختفضن ولا تنهكن
iḫtafiḍna wa-lā tanhikna
Cut [slightly] without exaggeration
Schneide [leicht] und ohne Übertreibung

Die zur schafiitischen Pflicht zur Mädchenbeschneidung (FGM) schweigende Philosophin und Ethikern Susanne Brauer ist nicht die erste prominente kirchennahe Schweizerin bzw. Schweizer Kirchenfunktionärin, die sich für die rechtliche Integration der religiösen Mädchenbeschneidung sprich der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) stark macht.

Die Autoritäten und Sprecher des echten unteilbaren 1400 Jahre alten Islam, von MUI (Majelis Ulama Indonesia) und JAKIM (Jabatan Kemajuan Islam Malaysia) bis zum Kairoer Al-Azhar greifen, wenn sie denn müssen, zu einem Trick und lügen die FGM aus dem Islam heraus, behaupten, die islamische weibliche Beschneidung sei keine Verstümmelung. Weil unter Nichtmuslimen, zumal in Kirchennähe oder / und im pädagogischen Bereich, ein merkwürdiges heißes Verlangen besteht, den Islam frauenfreundlich und überhaupt menchenfreundlich sowie reformierbar und seit jeher demokratietauglich zu nennen, wird der Unsinn in Europa gierig aufgegriffen, heiß geglaubt und Jahr für Jahr energisch nachgequatscht und, bei Begegnung mit Fakten, wutschnaubend wiederholt.

Wer wie geboten am Schutz und Erhalt der Klassifikation zur FGM (Typ I, II, III, IV) interessiert ist, fällt auf das Geschwätz nicht herein, dass etwa lautet „Im Jahr 2006 hat Azhar die FGM verboten“.

Am Donnerstag haben in Kairo Ärzte und Ulema, islamische Gelehrte, jegliche Form der Genitalverstümmelung an Frauen als schädlich und unislamisch deklariert. Die Erklärung folgte der Konferenz mit dem Titel «Verbot der Verstümmelung des weiblichen Körpers durch Beschneidung» an der Azhar-Universität, der wichtigsten Institution der Sunniten. Die Initiative war von Rüdiger Nehberg, einem deutschen Menschenrechtler, der sich seit Jahren für ein Verbot der Genitalverstümmelung stark macht, gekommen. Nehberg weiss, dass ohne die Unterstützung der Ulema die Genitalverstümmelung nicht ausgerottet werden kann.
(Wird die Genitalverstümmelung je aufhören? NZZ Neue Zürcher Zeitung 24.11.2006.)
https://www.nzz.ch/articleEOTFW-1.78062

Auch die NZZ (Quelle ber. (d. i. Kristina Bergmann, Anm.) Kairo, 23. November 2006) bastelt sich einen menschenfreundlichen Islam, weist andererseits auf einen muslimisch einflussreichen Fiesling hin.

Auch hierzulande, von Großbritannien nicht zu reden, üben sich die in Bezug auf den Islam selbstverschuldet unfrei gewordene Presse und die, eine in Jahrhunderten mühselig errungene Aufklärung verratende, aktuell amtierende deutsche Politikerkaste im proislamischen, sprich auf die Installation von immer mehr Schariagesetzen zielenden Kontrastprogramm, das da lautet: Guter Islam, böser Islamismus. Guter Islam, fieser Wahhabismus. Guter Islam, schlimmer Salafismus. Guter Islam, böse Muslimbruderschaft. Guter Islam, schrecklicher Scheich Yusuf al-Qaradawi.

Da erhob sich Mushira Khattab, die Vorsitzende des ägyptischen Council for Motherhood, und sprach ein Machtwort: «Muslimische Familien brauchen eine klare Anweisung, ob sie ihre Töchter beschneiden lassen sollen oder nicht. Von den Ärzten haben wir sie längst. Ich rufe alle einflussreichen Ulema auf, sich deutlich gegen die Genitalverstümmelung auszusprechen. Wenn ihr das nicht tut, verpassen wir abermals die Chance, uns von mittelalterlichen, sehr schädlichen Bräuchen zu trennen.»
Die geforderte Anweisung hat Khattab nun bekommen.

NZZ-Autorin Kristina Bergmann kann wissen, dass Mushira Khattab den ihrerseits erwünschten Wohlverhaltensbefehl („Anweisung“) nicht erhalten und der Muslimbruderscheich Yusuf al-Qaradawi seine Religion keineswegs falsch verstanden hat. Nicht Scheich al-Qaradawi, der Islam ist das Problem. Kein Islam ohne FGM.

Am 18.01.2018 referierte eine gewisse Christina Aus der Au („Meint Gott es gut mit mir?“) bei der Paulus Akademie.[dpa] Auch im Dezember desselben Jahres war die Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich dort wieder zu Gast.[wzg]

Christina Aus der Au Heymann (* 1966 in Luzern) ist eine schweizerische evangelisch-reformierte Theologin und Philosophin. Die Dozentin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel ist Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich. Prof. Dr. Aus der Au gehört dem Vorstand des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags an und war Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Berlin und Wittenberg im Jahr des 500. Reformationsjubiläums 2017.

Bei einer Podiumsdiskussion des Deutschen Evangelischen Kirchentags im Festsaal des Roten Rathauses (Offene Gesellschaft – Wo sind die Grenzen der Toleranz) am 27. Mai 2017 warb Aus der Au sinngemäß dafür, die Beschneidung des Geschlechtsorgans eines muslimischen Mädchens zu tolerieren und diese FGM besser durch einen ausgebildeten Arzt durchführen zu lassen als durch einen Laien im Hinterhof.[lih]

Sozialpädagogen erstatteten Strafanzeige.[wes]

Christliches Medienmagazin pro:

Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au verteidigte die Entscheidung, Großscheich al-Tayyeb auf den Kirchentag eingeladen zu haben. „Ja, er vertritt Positionen, wo wir zusammenzucken“, sagte sie. Aber es sei wichtig, miteinander zu sprechen und sich kennenzulernen. Dann könne es auch eine Annäherung geben. „Ich will nichts schönreden, aber es gibt kleine Schritte.“
Für Menschen, die die Menschenrechte verletzen, dürfe es keine Toleranz geben, sagte Aus der Au. Doch in der konkreten Begegnung etwa mit Muslimen gebe es in der Hinsicht nicht nur schwarz und weiß. Wenn beispielsweise eine Muslima hierzulande mit ihrer Tochter zum Frauenarzt komme, um aus religiöser Tradition heraus deren Schamlippen zu beschneiden, sei das gegen die Menschenrechte. Doch weigerte sich der Arzt, das zu tun, würden sie möglicherweise zu einem „Kurpfuscher“ gehen, der die Gesundheit der jungen Frau gefährde. Deshalb könnte der Arzt den Eingriff gegen seine eigentliche Überzeugung vornehmen und dann gemeinsam mit Betroffenen etwas gegen diese religiöse Praxis unternehmen.
Die Kirchentagspräsidentin warb dafür, immer im Gespräch zu bleiben. „Ausschluss ist die Ultima Ratio.“ Es gelte, im Dialog das gegenseitige Zuhören einzuüben, sowie davon auszugehen, vom anderen etwas lernen zu können. (pro) Von: jst

Am 14.06.2017 und am 31.05.2017 erstatteten zwei Sozialarbeiter Strafanzeige gegen Christina Aus der Au.[wes]

Edward von Roy

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Q u e l l e n

[dpa]

Klicke, um auf 180118_Referat_fragw%C3%BCrdig_Christina_aus_der_Au.pdf zuzugreifen

[ida]

Klicke, um auf E_18_09_Religionsfriede.pdf zuzugreifen

[lih] Schmidt-Salomon kritisiert Auftritt al-Tayyebs (Christliches Medienmagazin pro, 28.05.2017. Der humanistische Philosoph Michael Schmidt-Salomon hat in einer Diskussionsrunde kritisiert, dass Großscheich Ahmad al-Tayyeb auf dem Kirchentag aufgetreten ist. Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au verteidigte dessen Kommen.)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/2017/05/28/schmidt-salomon-kritisiert-auftritt-al-tayyebs/
[wes] 31.05.2017
Strafanzeige wegen Billigung bzw. Bewerbung der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) und wegen Aufruf an Ärzte zur Durchführung der FGM gegen Prof. Dr. Christina Aus der Au, Theologin, Frauenfeld (TG), Schweiz
(Von Edward von Roy, mitzeichend: Gabi Schmidt.)
https://schariagegner.wordpress.com/2017/05/31/werbung-fuer-fgm-auf-dem-kirchentag/
14.06.2017
Strafanzeige wegen Billigung bzw. Bewerbung der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) und wegen Aufruf an Ärzte zur Durchführung der FGM gegen Prof. Dr. Christina Aus der Au, Theologin, Frauenfeld (TG), Schweiz
(Ergänzung zur Strafanzeige vom 31.05.2017. Von Gabi Schmidt, mitzeichnend: Edward von Roy.)
https://schariagegner.wordpress.com/2017/06/14/ist-fgm-nun-evangelisch/
[him] Sehr schafiitisch, sehr viel FGM: Dagestan
Govorit Moskva
15.08.2016
Russian Muslim official defends female circumcision after researchers discover its practice in Dagestan
[…] “As far as I know,” Berdiev explained on air, “it’s done to calm a woman’s zeal somewhat. There’s absolutely no health problem here.”
Berdiev was responding to a new report by the organization “Russian Justice Initiative,” which found that female circumcision is practiced in the certain areas of Dagestan, one of Russia’s predominantly Muslim republics in the North Caucasus. Russian Justice Initiative found cases in remote villages where girls under the age of three (and sometimes as old as 11) were circumcised. […]
https://meduza.io/en/news/2016/08/15/russian-muslim-official-defends-female-circumcision-after-researchers-discover-its-practice-in-dagestan?utm_source=t.co&utm_medium=share_twitter&utm_campaign=share

BBC
18 August 2016
Russia furore over FGM in mainly Muslim Dagestan
[…] ‚Less debauchery‘
Mr Berdiyev, the mufti of the North Caucasus, had said earlier that FGM was practised in some villages in Dagestan and that it was necessary to curb women’s sexuality.
„It would be very good if this were applied to all women,“ the Islamic cleric said, adding, „It doesn’t stop women giving birth and there would be less debauchery.“ […]
RJI said the subject was taboo in the mainly Muslim republic, home to many different ethnic groups, the largest of which are the Avars. FGM was largely ignored by Muslim community leaders, RJI said.
A senior mufti in Russia’s Spiritual Administration of Muslims, Rushan Abbyasov, called FGM „alien to Islamic theology“.
[Na, mit einem ernsten und treuen Blick gelogen? Nein, erst sobald man FGM Typ I bzw. Typ IV nicht mehr als der FGM zugehörig definiert, könnte die Behauptung, die FGM sei unislamisch, stimmen. Ruschan Rafikowitsch Abbjassow ist stellvertretender Vorsitzender des Rates der Muftis von Russland (Sowet muftijew Rossii) sowie Direktor der internationalen Abteilung dieses Muftirates. Abbjassow (Abbyasov) lehrt an der im Jahr 1999 gegründeten Islamischen Universität Moskau.]
He said there was no clear Muslim instruction about FGM and no evidence that it „tames desire“ [das Verlangen bändigt, die Begierde zähmt]. […]

http://www.bbc.com/news/world-europe-37115746

Kleine Zeitung (Österreich)
18.08.2016.
Empörung über Aufruf von Mufti zur Genitalverstümmelung
[…] Der Mufti von Dagestan, Ismail Berdijew, verteidigte in einem Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur Interfax die Praxis der Genitalverstümmelung, „um die weibliche Sexualität zu verringern“.
Er hob am Mittwoch hervor: „Alle Frauen müssen beschnitten werden, damit es auf der Welt keine Schwelgerei mehr gibt.“ […]
Der Mufti, der an der Spitze des Zentrums zur Koordinierung der Muslime im nördlichen Kaukasus steht, äußerte sich am Tag nach der Veröffentlichung eines Berichts über Beschneidungen in Russland. Diesem Bericht einer Nichtregierungsorganisation zufolge wurden in Russland in den vergangenen Jahren tausende Frauen beschnitten, vor allem in Dagestan. […]
http://www.kleinezeitung.at/international/5071040/Russland_Emporung-uber-Aufruf-von-Mufti-zur-Genitalverstummelung

Tough prison sentences ‚will not end FGM in Dagestan‘
(Moscow-based journalist Marina Akhmedova says criminalisation will drive practice underground in North Caucasus)
[…] Responding to a draft bill introduced by MP Maria Maksakova-Igenbergs last week that called for the criminalisation of FGM, with sentences of up to 10 years, Akhmedova said such strict measures would only be seen as religious persecution and could drive the practice underground.
Speaking to the Guardian, she said: “It is really difficult to help these women as they don’t consider themselves victims. First you need to persuade them that they are victims. Targeting them will only drive them to do this in secret. If religious leaders say it is right for a girl to undergo circumcision, people will do it.”
She suggested that Russia needed to adopt an “accurate and moderate” approach and work with religious leaders as well as doctors and teachers to persuade them to abandon FGM. […]
[ „Die Schafe scheren, nicht die Frauen!“ ]
Maria Baronova, an opposition activist, responded to the report by standing outside Moscow’s main mosque with a sign saying “cut sheep not women”.
Akhmedova said Baronova’s protest amounted to an “incitement of ethnic hatred”. […]
(Von: Hajra Rahim und Rachel Horner | the guardian 23.08.2016)
https://www.theguardian.com/society/2016/aug/23/tough-prison-sentences-will-not-end-fgm-in-dagestan

Russia orders inquiry into claims of FGM in Dagestan
(Human rights groups allege female genital mutilation has been carried out on tens of thousands of girls in North Caucasus)
Russia has launched an investigation into claims that tens of thousands of girls in remote mountain areas, some as young as three months’ old, have been forced to undergo female genital mutilation. […]
[ „Offensichtlich glauben die Leute, keine Klitoris zu haben würde das Mädchen unmittelbar dazu bringen, kein Interesse an Sex und damit keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr zu haben, sie demzufolge mittelbar davor schützen, einem Ehrenmord zum Opfer zu fallen. Schließlich billigen die Dorfbewohner diese Morde an derartigen Mädchen.“ ]
“I believe parents use circumcision as a way of protection from honour killings. They believe if a woman doesn’t have a clitoris she won’t be interested in sex and won’t have it before marriage. The villages support killings of such girls.”
(Von: Rachel Horner | the guardian 05.11.2016)
https://www.theguardian.com/society/2016/nov/05/russia-orders-inquiry-into-claims-of-fgm-in-dagestan
Girls as young as 3 undergoing genital mutilation in remote villages in Dagestan, Russia
(RT)
„According to Islam, it’s necessary to cut. If the girl hasn’t been cut, she can’t be considered a Muslim.“
Local gynecologist Hadijat Ajubova also sees nothing wrong with the procedure, saying it “doesn’t harm women’s health.”
[ Dagestan. Erwachsene Frauen berichten, wie ihnen als Kind mit Werkzeug, das dem Scheren der Wolle der Lämmer dient, mit Gerät der Schafschur das Genital beschnitten wurde. ]
Journalist and investigator Marina Ahmedova […] went on to share accounts of adult women who had their genitals cut as children with devices used to cut lamb’s wool.
https://www.rt.com/news/357033-female-genital-mutilation-dagestan/

[dcv] Somalia
1. Legal framework – Female Genital Mutilation/Cutting (FGM/C) in Somalia
The 2012 Provisional Constitution of Somalia [Article 15 (4)] states that ‘female circumcision is a cruel and degrading customary practice, and is tantamount to torture. The circumcision of girls is prohibited’.
The law prohibits FGM/C but does not offer clarification on what constitutes circumcision.

Klicke, um auf 2019_07_23_EASO_COI_QUERY_Somalia_FGM_Q19.pdf zuzugreifen

The Federal Republic of Somalia Provisional Constitution
Adopted August 1, 2012. Mogadishu

Klicke, um auf Somalia-Constitution2012.pdf zuzugreifen

[ipb] Somaliland
Das Land am Horn von Afrika weist eine der höchsten Beschneidungsquoten weltweit auf: „98 Prozent aller Mädchen und Frauen in Somaliland sind beschnitten“, sagt Mustefa Adow, Programmdirektor der SOS-Kinderdörfer in Somalia und Somaliland. (…) Bereits im Februar hatten die religiösen Führer Somalilands ein Edikt erlassen, das die beiden schlimmsten Formen weiblicher Genitalverstümmelung verbietet. Mustefa Adow betont: „Das Edikt hat zwar keine rechtliche Durchsetzungskraft, aber das Wort der Geistlichen zählt viel!“ Dennoch gehe die Erklärung nicht weit genug: „Jede Form von FGM ist eine Verletzung der Menschenrechte. Man kann nicht die eine Form von Gewalt ablehnen und die andere zulassen.“
(Somaliland stellt weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe. BR 30.03.2018.)
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/somaliland-stellt-weibliche-genitalverstuemmelung-unter-strafe,QnlUnIs

Authorities in the self-declared republic of Somaliland have issued a religious fatwa banning the practice of female genital mutilation and vowed to punish violators.
The fatwa by the Ministry of Religious Affairs allows FGM victims to receive compensation. It does not say whether the compensation will be paid the government or by violators of the ban.
It’s forbidden to perform any circumcision that is contrary to the religion [Wie zum Al-Azhar (2006) bitte auch diesen Fatwa genau lesen: Soweit es nicht „gegen die Religion“ (contrary to the religion) ist, muss oder soll oder darf das Mädchen sehr wohl „beschnitten“ d. i. genital verstümmelt werden] which involves cutting and sewing up, like the pharaoh circumcision,“ the ministry’s fatwa reads. „Any girl who suffers from pharaoh circumcision will be eligible for compensation depending the extent of the wound and the violation caused. Any one proven to be performing the practice will receive punishment depending on the extent of the violation.“
(Somaliland Fatwa Forbids FGM. VOA 06.02.2018.)
https://www.voanews.com/africa/somaliland-fatwa-forbids-fgm

[sud] Khartoum – UNICEF welcomes the landmark move by the transitional government to criminalize female genital mutilation/cutting (FGM/C) in Sudan.
The amendment to the Criminal Law Article 141 was endorsed by both the Sovereign and Ministerial Councils on 22 April. (…)
Article 141 of the amendment to the Criminal Act
Article 141 Female Genital Mutilation
(1) There shall be deemed to commit the offence of female genital mutilation whoever, removed, mutilated the female genitalia by cutting, mutilating or modifying any natural part of it leading to the full or partial loss of its functions, whether it is inside a hospital, health center, dispensary or clinic or other places.
(2) Whoever commits the crime of female genital mutilation shall be punished with 3 years imprisonment and a fine or closing the premises.
(Sudan enters new era for girl rights with criminalization of FGM. unicef 29 April 2020.)
https://www.unicef.org/sudan/press-releases/sudan-enters-new-era-girl-rights-criminalization-fgm The amendment to the Criminal Law Article 141

Recently, Sudan has made a landmark move by amending its Criminal Code and penalizing the archaic practice of Female Genital Mutilation (FGM) making it punishable by three years of imprisonment. The law states that whoever “removed, mutilated the female genitalia by cutting, mutilating or modifying any natural part of it leading to the full or partial loss of its functions” will be sent to jail for 3 years and can also be liable to pay fine.
(Outlawing the practice of ‘Female Genital Mutilation’ in Sudan – An advanced step towards preaching Health as Human Rights. By Sahajveer Baweja. The Law Blog (India), 20.05.2020.)
Outlawing the practice of ‘Female Genital Mutilation’ in Sudan- An advanced step towards preaching Health as Human Rights

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Kinderrechte ins Grundgesetz

Juni 15, 2008

Nilüfer,

persisch-türkisch:

„Der Lotos, die Seerose“

Bericht aus unserem Leserkreis. Über den Alltag in Deutschlands Jugendämtern und die selbst verschuldete Unmündigkeit Sozialer Arbeit. Alle Namen wurden von der Redaktion des Blogs Schariagegner geändert

Es ist merkwürdig, wie fern ein Unglück ist, wenn es uns nicht selbst betrifft. John Steinbeck

Nilüfer

Marion Laurenburg: An einem Donnerstag im Januar, es war der letzte in den Weihnachtsferien, betraten mein Kollege und ich schon morgens um 8:30 das Gemeindezentrum einer der beiden deutschen Großkirchen und schlossen den Jugendraum auf. Wie in der unterrichtsfreien Zeit üblich, wollten wir uns mit einigen der von uns betreuten Kinder zum gemeinsamen Frühstück treffen, um anschließend zu einem der beliebten, erlebnisreichen Ausflüge zu starten. Ein Besuch in einem Naturkundemuseum stand diesmal auf dem Programm.

Gegen 10:30 zogen wir, 5 Kinder, mein Kollege und ich gut gelaunt und gesättigt, mit ausreichendem Proviant, den Fahrkarten, Handy und Notfallset ausgestattet, zur Bushaltestelle. Alles war gut organisiert, die öffentlichen Verkehrsmittel waren pünktlich, keinem wurde schlecht und wir kamen erwartungsvoll und guter Stimmung am Zielort an. Dort im ökologischen Erlebnisgarten hatten die acht- bis zehnjährigen SchülerInnen dann genügend Zeit und Gelegenheit, mit den eigens vorbereiteten physikalischen Versuchsanordnungen zu experimentieren, es gab die Gelegenheit mit Wasserexperimenten herumzumatschen, Hebelgesetze auszuprobieren, optische Täuschungen wurden präsentiert, besonders hat die Mädchen und Jungen beeindruckt, wie untrainiert und verkümmert ihre Sinneswahrnehmungen waren, vor allem beim Geruchs- und Geschmacksinn zeigte sich, typisch für Großstadtkinder, Entwicklungspotential. Die Kinder hatten an dieser ungewohnten Form des selbst gesteuerten, experimentellen Lernens viel Freude, die Veranstalter haben aber auch dafür gesorgt, dass genügend Raum für das Herumtoben, Lachen, Krakeelen, Essen und Trinken blieb.

Nach einigen Stunden saßen wir dann auch nach einem spannenden, lehrreichen und spaßigen Ausflug glücklich und zufrieden, jedoch ziemlich erschöpft im Bus und freuten uns, bald wieder zu Hause zu sein. Wir kamen auch pünktlich an der Zielhaltestelle an. Auf dem kurzen Fußweg zum Gemeindezentrum, wo wir unseren Ausflug ausklingen lassen wollten, kamen wir an einer Döner-Grillstube vorbei. Nilüfer Yilmaz, ein zehnjähriges türkisches Mädchen aus unserer Gruppe, sah durch das große Fenster des Ladens und bat mich, schnell hineinzuspringen zu dürfen, um einen der Mitarbeiter dort zu begrüßen. „Das ist mein Onkel, äääh, nicht Onkel, äääh, ich weiß nicht mehr wie das auf Deutsch heißt.“ Ich hatte Nilüfer und auch den Rest der Familie schon öfter dort essen sehen, manchmal sprach man im Vorbeigehen miteinander. Es schienen also Freunde oder sogar Verwandte der Familie zu sein, die dort arbeiteten. Ich sagte darum zu und versprach, mit den anderen draußen zu warten.

Es waren keine anderen Gäste da, niemand versperrte mir das Blickfeld und so konnte ich im Hauseingang durch das Fenster bis in den hintersten Winkel der Imbissstube sehen, wo ein kräftiger, nicht sehr großer Südländer, der deutlich älter als das Mädchen war, etwa 35 – 40 Jahre alt, die Schülerin begrüßte. Als ich beobachtete, wie der Mann die Zehnjährige viel zu innig und intim umarmte, ihr dabei über den Rücken streichelte, Nilüfer jedoch stocksteif die bemerkenswert einseitigen Zärtlichkeiten über sich ergehen ließ, wurde ich misstrauisch und unruhig. Ich weiß noch, dass ich laut fragte: „Was geht denn da ab? Was ist da los?“, weil man derart erotisch seine wesentlich jüngere Verwandte oder die Kinder der Nachbarn oder der Freunde nicht begrüßt.

Bevor mein Kollege sehen konnte, was mich so beunruhigte, ließ der Mann die Schülerin auch wieder los. Um mir einen genaueren Eindruck zu verschaffen, betrat ich, ohne Rücksprache mit meinem Kollegen zu halten, der mit der Beaufsichtigung der anderen vier Kinder beschäftigt war, den Laden. Wahrscheinlich war mir meine Empörung anzusehen, denn kaum dass ich die Imbissstube betreten hatte, drängte ein weiterer Mitarbeiter des Ladens sich zwischen das Mädchen und mich. Dabei hatte er ein scharfes Dönermesser, mit dem er gerade noch Fleisch geschnitten hatte, in der Hand .und streckte den Arm seitlich weit aus, einem Schlagbaum an einem alten Grenzübergang nicht unähnlich. Diese unmissverständliche Geste, unterstrichen durch seinen hasserfüllten Blick, waren eindeutig, ich sollte es nicht wagen einen Schritt näher zu kommen. Um das Mädchen nicht zu gefährden und dem Kind eine Chance zu geben, möglichst unkompliziert und sicher aus der Situation herauszukommen, fragte ich Nilüfer, ob sie mit uns zum Gemeindezentrum kommen oder lieber bleiben wolle. Sie sagte, sie wolle bleiben. So verließ ich den Dönerverkauf, um mit den anderen ins Gemeindezentrum zurückzukehren und die Gruppe zu verabschieden. Anschließend besprach ich mit meinem Kollegen die Erlebnisse im Schnellrestaurant und klärte das weitere Vorgehen ab.

Josef Eppelmann: Auch meine Kollegin war der Ansicht, dass wir zumindest in Betracht ziehen mussten, dass hier von einem seit längerem andauernden sexuellen Missbrauch auszugehen sei, der vielleicht sogar den Eltern Yilmaz bekannt war. Da wir keine ausreichenden Beweise für das Vorliegen einer solchen Straftat hatten, beschlossen meine Kollegin und ich, weder die Eltern noch die Behörden zu informieren. Wir wollten das Kind weiter beobachten und Kontakt zu Fachleuten einer Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch von Kindern aufnehmen und dort um Unterstützung bitten. Das veranlassten wir auch umgehend. Nochmals unseren Dank für die kompetente, einfühlsame Begleitung und Beratung, die uns bis heute von großem professionellem und persönlichem Nutzen ist.

Nilüfer war das mittlere von drei Kindern der Familie Yilmaz und würde bald elf Jahre alt werden. Sie besuchte die letzte Klasse einer kleinen deutschen Grundschule. Einige der SchülerInnen dort nutzten in den nahe gelegenen Gemeinderäumen ein Förderangebot mit Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe und Freispiel, das durchaus multikulturell besetzt war. Auch Nilüfers zwölfeinhalbjähriger Bruder Serkan, in der Erprobungsstufe der Realschule, kam wie sie selbst eine zeitlang 3-4 mal wöchentlich ins Gemeindezentrum, bis er, abwechselnd mit seiner zweiten Schwester Serpil, dem fünfjährigen Nesthäkchen der Yilmaz, gute drei Monate lang von meiner berufserfahrenen Kollegin Einzelunterricht bekam. Zweimal wöchentlich und für jeweils drei Stunden war sie in dieser Zeit Gast bei der Familie, wir kannten die Lebensverhältnisse also recht gut. Es handelte sich bei den Yilmaz nicht unbedingt um eine streng gläubige, aber sehr traditionelle und bildungsferne Familie, es gab außer dem Koran und den Schulbüchern der Kinder keinen Lesestoff, nicht einmal eine Fernsehzeitung lag auf dem Couchtisch.

Das Tochter-Eltern-Verhältnis, auch das der übrigen Kinder, war von Respekt und Angst vor Strafe geprägt. Einmal konnte meine Kollegin, die im gleichen Raum war, nicht verhindern, dass Nilüfer von der Mutter wegen einer Nichtigkeit eine knallende Ohrfeige bekam, so dass die Finger im Gesicht minutenlang abgemalt waren. Dem Kind standen die Tränen in den Augen, doch sie wagte nicht zu weinen.

Ein paar Wochen später erschien das Mädchen mit einem zu einem Dreieck gefalteten klitzekleinen und mohnroten Nickituch auf der Straße, das am Hinterkopf zusammen gebunden wurde und reichlich albern aussah, jedoch die hübschen dunkelbraunen und schulterlangen Haare rücklings noch weit herausschauen ließ. Das war ihre Art mit der mütterlichen Anweisung umzugehen, künftig außerhalb des Hauses ein Kopftuch zu tragen.

Laurenburg: Kurz nach dem Jahreswechsel aber war das Haar der Zehnjährigen immer ganz bedeckt. Den Gruppenregeln entsprechend, zog sie beim Betreten des Jugendraums das Kopftuch aus, um es beim Verlassen wieder umzubinden. Weil sie das des Öfteren vergaß, gab es dann zu Hause Ärger. Wie es in ähnlich patriarchalisch strukturierten Milieus üblich ist, hatte die Grundschülerin kein eigenes Taschengeld. Für jedes Kaugummi, jedes Heft, jeden Bleistift musste sie ihren Bruder um Erlaubnis fragen. Ein zwölfjähriger Bengel, der die Macht hatte zu entscheiden, ob er dem Bitten seiner zwei Jahre jüngeren Schwester gnädig nachgibt oder ihr despotisch verbietet etwas zu kaufen, man stelle sich vor, wie das den Charakter des heranwachsenden Machos prägt.

Zuhause war das Mädchen es gewohnt, hinter ihrem Bruder herzuräumen. So musste sie beispielsweise den Platz, an dem Serkan saß und den er nie ordentlich verließ, abwischen, Kleidung, die er überall verstreute, musste sie in den Schrank räumen. Wenn die Geschwister gemeinsam nach der Schule nach hause gingen, trug die Zehnjährige seinen Schulranzen zusätzlich zu dem ihren. Sie trug dann halt zwei Tornister, der einen Kopf größere Bruder hatte die Hände frei. Bereits mit zehn Jahren musste das Mädchen neben den Hausaufgaben Mutter Yilmaz im Haushalt helfen und oft auf die jüngere Schwester aufpassen. Während ihr Bruder seine freie Zeit einteilte, wie es ihm gefiel, er sich verabredete mit wem er wollte, stand das seiner Schwester nicht zu. Wie Frau Karagözlü bestätigen wird, ist das in traditionellen türkischen Familien keine Seltenheit.

Wie gewohnt kam Nilüfer Yilmaz drei bis vier mal in der Woche zur Lernförderung, auch an dem Freizeitangebot für Mädchen hatte sie viel Freude. Verschiedentlich fiel uns während des Nachhilfeunterrichts beim Wiederholen des Lernstoffs die nicht altersgemäße Umgangsweise und Ausdrucksweise in Zusammenhang mit Lehrinhalten des Aufklärungsunterrichts auf. Während sich die etwa gleichaltrigen anderen SchülerInnen verlegen kichernd und herumdrucksend mit dem Thema auseinandersetzten, meinte Nilüfer kalt: „Ich weiß wie ein Penis aussieht.“ Manchmal erwähnte sie wie beiläufig, dass sie in dieser Nacht bei ihrer Tante Nilgün, Frau Yilmaz Schwägerin übernachten würde, auf meine Nachfrage, ob sie sich darauf freue, wich sie mir immer aus oder wechselte das Thema. Bald bemerkten wir, wie das Mädchen zunehmend stiller wurde, kaum noch redete, auch nicht mit den anderen Kindern. Anfang März beobachteten wir, dass Nilüfer Aksen, eine ein Jahr jüngere türkische Schulkameradin aus der Gruppe, Tochter eines Imams, zur Seite zog und ihr zuraunte, dass sie ihr ein Geheimnis verraten müsse.

Während Nilüfer im Allgemeinen weiterhin sehr still war und den anderen Kindern und uns auswich, hielten die beiden Mädchen jetzt engen Kontakt. Ständig hatten sie in den Pausen oder auf dem Weg nach Hause geheimnisvoll zu tuscheln. Irgendetwas Besonderes schien bevorzustehen, worauf sich Nilüfer zu freuen schien. Da die beiden türkisch sprachen, verstanden wir kein Wort. Als ich nachfragte, was denn los sei, dass sie so aufregt sei, erzählte sie, dass in ihrer Familie ein großes, fünftägiges Fest kurz bevor stehe. „Ich weiß nicht wie das auf Deutsch heißt, ich trage dann ein wunderschönes Kleid. Es gibt leckeres Essen, wir feiern und es kommen meine Großeltern, auch Verwandte aus der Türkei.“

Ich wunderte mich, dass Nilüfer weiterhin samstags zur Mädchengruppe kam, obwohl sie sich für eine Sport AG in der Schule angemeldet und mehrmals mitgeteilt hatte, dass sie bald nicht mehr kommen würde. Offensichtlich gefiel es ihr besser, zu basteln und zu klönen als beim Training zu schwitzen. Natürlich freute ich mich darüber, zumal ich hoffte, beim ungezwungenem Spielen und Spaßhaben eher das Vertrauen des für ihr Alter viel zu nachdenklich, ernst und traurig wirkenden Mädchens zu gewinnen. Das gelang mir jedoch nicht in dem gewünschten Maße. Dann begann Aksen unbegründet immer seltener zu erscheinen. Auf Anfrage meinte sie verlegen „Ich übe jetzt mit meinem großen Bruder“. Der Bruder aber, das wussten wir alle, würde sich nie mit seiner kleinen Schwester abgeben. Das wäre unter seiner Würde gewesen. Dann verabschiedete sich Aksen endgültig aus der Gruppe. Darüber war Nilüfer sehr traurig, sie zog sich noch mehr zurück und begann sich auch körperlich zu verändern.

Die Schülerin entwickelte einen sehr großen Appetit und stopfte wahllos Lebensmittel und Süßigkeiten in sich hinein, nie verzichtete sie, wenn sie von den anderen Gruppenmitgliedern Schokoriegel oder ähnliches Zuckergebäck angeboten bekam. Oft gab es deswegen mit dem Bruder Ärger, der sie wegen ihrer Esslust hänselte. Serkan hatte auf sein blechernes Federmäppchen mehrfach „şişlik“ geschrieben, was etwa „Anschwellung, Geschwulst, Schwellung“ bedeuten kann. Nilüfer wurde zunehmend trauriger, sonderte sich von den anderen mehr und mehr ab, wenn sie auch immer wieder meine Nähe suchte, war sie meistens sehr allein. Das Mädchen wurde rundlicher. Manchmal wurde ihr schlecht. Na klar, so was kommt von so was, dachte ich und bat das Kind wenigstens, nicht soviel Süßigkeiten zu essen.

Eines warmen Frühlingsnachmittags stand Nilüfer schon vor der Eingangstür des Gemeindezentrums und wartete auf uns. Mir fiel an diesem wunderschönen Tag besonders auf, wie still und bedrückt sie auf der Mauer saß. Früher wäre sie uns entgegengelaufen und hätte laut gerufen: „Ich bin die Erste, ich bin die Schnellste.“ An diesem Dienstag reichte es nur für ein gleichgültiges „Hallo.“ Als ich das zehnjährige Mädchen, das nun vor der Haustüre stand, von der Seite kommend ansah, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Wie eine kleine Kugel wölbte sich ihr Bauch vor. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

Eppelmann: Wir schlossen auf und gingen hinein. Das Mädchen folgte uns mit hängenden Schultern, gesenktem Kopf, setzte sich an ihren Platz und begann mit ihren Hausaufgaben. Wieder fiel uns auf, dass die Schülerin, wie in letzter Zeit immer wieder, dafür sorgte, allein am Tisch zu sitzen. War das nicht möglich, ließ sie nur Mädchen neben sich sitzen und platzierte die Schultasche zwischen sich und die Nachbarschülerinnen. Darauf von meiner Kollegin angesprochen, meinte die Zehnjährige: „Ich kann mich dann besser konzentrieren.“ Auffällig, wie die Schülerin sich von den anderen Kindern absonderte. Einmal war es dann einem etwa gleichaltrigen Jungen doch gelungen, sie zu einem Tischtennisspiel zu überreden, da habe ich die Zehnjährige nach langem wieder lachen hören. Es war erschütternd, wie das Kind sich veränderte.

Laurenburg: Wenn Nilüfer früher in den Pausen im ganzen Haus, in dem sie sich gut auskannte, überall herum sprang, ging sie jetzt nicht einen Schritt ohne Begleitung. Sogar zur Toilette wollte sie nicht allein gehen, ich musste ihr dann versprechen, vor der Türe zu warten, bis sie herauskam. Wenig später bat ich Nilüfer nach dem Unterricht noch zu bleiben. Ich erklärte ihr unter vier Augen, dass mir aufgefallen sei, wie sie sich in kurzer Zeit verändert habe und fragte sie, ob sie sich krank fühle. Sie schüttelte den Kopf und meinte, es ginge ihr gut. Da die Schülerin mir dabei mit den Blicken auswich, fragte ich, ob es zu hause ein Problem gäbe. Sie schüttelte nur traurig den Kopf. Meine nächste Frage war, ob denn etwas in der Schule passiert sei. Da begann sie zu weinen und erzählte mir, dass Aksen, die Tochter des Imams, mit der sie im Gemeindezentrum und wohl auch in den Schulpausen sehr oft zusammen gewesen war, nicht mehr mit ihr reden und spielen wolle und sogar anderen muslimischen Mädchen verboten habe, sich mit Nilüfer zu unterhalten und oder zu beschäftigen.

Sie berichtete, dass Aksen sich so ekelhaft benehme seit sie nicht mehr zur Nachhilfegruppe ins Gemeindezentrum kam. Da es an dieser Grundschule, wie an vielen anderen auch, leider üblich ist, dass muslimische Kinder den deutschen MitschülerInnen außerhalb der Unterrichtsveranstaltungen aus dem Weg gehen, blieb Aksens ehemalige beste Freundin in den Pausen und auf dem Weg zur Schule immer allein. Eine Begründung habe die Tochter des Imams nicht geben wollen oder können. Die Klassenlehrerin habe Nilüfer auch schon um Hilfe gebeten, die habe sie aber ohne sie anzuhören mit der Begründung weggeschickt, sie habe im Moment keine Zeit. Später habe die Schülerin nicht mehr gewagt die Lehrerin anzusprechen. Ich versuchte die Zehnjährige zu trösten, bestätigte ihr, dass Aksen sich sehr gemein verhalten und mich auch enttäuscht habe und bot ihr an, in dem Streit zu vermitteln. Nilüfer nahm mein Angebot dankend an.

Eppelmann: In diesen Tagen sprach mich meine Kollegin an: „Sag mal, fällt dir was an dem Mädchen auf?“ Auch ich hatte bemerkt, dass Nilüfer einen merkwürdig spitz nach vorne gewölbten Bauch hatte und in der seitlichen Silhouette recht schwanger aussah. Was wir natürlich tagelang nicht fassen wollten. Gemeinsam mit der Beratungsstelle erarbeiteten wir ein Konzept, um Nilüfer zu helfen. Es war bereits Mitte April und der Bauch des Mädchens wurde immer dicker. Meine Kollegin sprach unabhängig voneinander zwei im Gemeindehaus tätige Frauen an, die das Mädchen gut kannten. Als erstes die Gärtnerin: „Hast du dir Nilüfer schon mal von der Seite angeschaut?“, auch diese antwortete: „Das Kind ist schwanger. Ist es schon vierzehn oder erst dreizehn?“ „Nein, Nilüfer ist zehn!“ „Das gibt es nicht. Ja, das Kind ist schwanger, ich als Großmutter kann das beurteilen. Die Art wie sie geht, wie sie sich bückt, wie sie den Bauch schützt, sie bewegt sich wie eine Schwangere, das ist anthropologisch, das tun werdende Mütter auf der ganzen Welt so, solche Mädchen kenne ich aus meiner Zeit in Brasilien. Weiß der Pastor schon Bescheid?“

Eine zweite im Gemeindezentrum beschäftigte Mittfünfzigerin, Frohnatur, selbst Mutter von vier Kindern und Oma von drei Enkelkindern, wurde von der Nachhilfelehrerin, die auch Mutter ist, mit einem „Kommst du mal eben mit runter?“ unter einem Vorwand in den Jugendraum begleitet, wo sie sich einige Minuten lang im mit fünf Kindern bevölkerten Zimmer aufhielt, darunter auch Nilüfer. Die Kinder hatten gerade Pause. Sie plauderte wie üblich unterhaltsam über das Wetter und über ihre Enkelkinder und verließ den Raum kurze Zeit darauf. Etwa zwei Stunden später trafen sich die Erwachsenen auf der Terrasse. Diese zweite Mitarbeiterin der Gemeinde sprach die Nachhilfelehrerin direkt an: „Ich weiß, warum du mich wirklich herunter gelockt hast. Die ist schwanger, ne?“ „Ja. Im vierten Schuljahr!“ „Ist sie mehrmals sitzengeblieben? Hat sie mehrfach wiederholt?“ „Nein. Das Mädchen ist zehn Jahre alt.“ „Das kann doch wohl nicht wahr sein. Und was machst du jetzt?“ „Ich werde das Jugendamt einschalten. Und den Pastor informieren. Das wird diesmal kein angenehmes Gespräch, aber da muss ich wohl durch.“

Noch zum Pastor. Drei Frauen, die als Mütter oder sogar Großmütter eine Glaubwürdigkeit haben, die eigene Körpererfahrung und Lebenserfahrung auf ein knapp elfjähriges Mädchen zu beziehen, hielten Nilüfer über Wochen hinweg für schwanger. Leider waren zwei dieser Mitwisserinnen, die das Kind persönlich kannten und über zehn Wochen besorgt die körperliche Veränderung des Mädchens registrierten, gewissermaßen beim Pastor angestellt, jedenfalls bei der Kirche in Diensten. Diese beiden nahm sich Hochwürden besonders „seelsorgerlich“ vor und verpflichtete sie durch eine Dienstanweisung, über den Fall nie mehr zu sprechen, das heißt, künftig nicht mehr zu sagen, das Mädchen sei persönlich als schwanger eingeschätzt worden.

„Ich habe den beiden die dienstliche Anweisung gegeben, über den Fall Nilüfer nicht mehr zu reden, mit niemanden“, so der Pastor telefonisch zu uns. Dieses Vorgehen könnte man als Beeinflussung von Zeugen beschreiben. Die beiden Frauen waren und sind von dem Pastor existenziell abhängig. Hochwürden drängte mithin zwei Frauen zu verschweigen jemals ein schwangeres Kind gesehen zu haben. Wir haben damit zwei Ansprechpartnerinnen weniger, die beiden Frauen jedenfalls haben wir bis heute nicht mehr auf den Sachverhalt angesprochen. Einmal im Quartal sieht man sich, dem Thema Nilüfer weichen wir jedoch alle aus.

Laurenburg: Auch in den folgenden Wochen war der Geistliche eifrig bemüht, jegliche Spuren, die auf einen Bezug des Mädchens zum Gemeindezentrum hätten hinweisen können, zu verwischen. Mehrfach lief er zwischen Jugendamt, Kirche und Grundschule hin und her, um begierig alle die Informationen aufzunehmen und weiter zu geben, die halfen, das Gemeindezentrum ins rechte Licht zu rücken. Dabei scheute er nicht davor zurück, das zehnjährige Opfer als notorische Lügnerin darzustellen, weil er „aus verlässlicher Quelle“ gehört habe, dass die Schülerin öfter flunkert. Eine in dieser Entwicklungsphase selbst unter unproblematischen Lebensumständen gar nicht so seltene Verhaltensweise.

Eppelmann: Die anderen Grundschülerinnen und Grundschüler merkten, altersgemäß naiv und verträumt, glücklicherweise absolut gar nichts, Schwangerschaft eines Kindes ist für sie offensichtlich und Gott sei Dank nicht Teil ihrer Lebenswelt. Eine vierzehnjährige Jugendliche jedoch sprach meine Kollegin an: „Sag mal, ist die Nilüfer schwanger, die sieht aus wie meine Mutter, als mein Bruder unterwegs war?“ „Das scheint so zu sein, auch mir ist der Bauch aufgefallen.“ „Die ist doch viel zu jung. Was machst du jetzt, wie wird es mit ihr weitergehen?“ „Ich werde das Jugendamt einschalten müssen. Bitte sprich mit niemandem aus der Kindergruppe darüber.“ „Ok, klar.“

Laurenburg: An einem Samstag, die Mädchengruppenstunde war beendet, es war alles aufgeräumt und gespült und die Kinder wollten nach Hause gehen, kam eines der Mädchen auf eine dumme Idee. Sie wollte sich über Nilüfers Ängstlichkeit lustig machen und meinte aufgeregt: „Da in der Ecke steht ein Mann.“ Im nächsten Moment starrte Nilüfer mich mit weit aufgerissenen Augen und Mund an, kreidebleich, nicht fähig sich zu rühren oder einen Ton von sich zu geben. Nur weil ich den Arm um sie legte und ihr versicherte, dass die Türe abgeschlossen war und es doch niemandem möglich ist durch die verschlossene Tür zu gehen, gelang es mir das Mädchen zu beruhigen.

Weitere Tage vergingen. Nilüfers Bauch wurde immer dicker. Wildfremde Leute auf der Straße blieben stehen und guckten uns hinterher, wenn wir mit dem Mädchen über den Marktplatz gingen. Das Kind zeigte inzwischen verwahrloste Züge, fleckige Kleidung, oft kam sie schon viel zu früh zur Gruppenstunde oder zur Nachhilfe, obwohl sie damit rechnen musste, dass die Eingangstür abgeschlossen war. Wenn die Gärtnerin gerade da war durfte die Schülerin ihr helfen.

Nilüfers Klassenlehrerin konnte die Verhaltensänderung und den zunehmend dickeren Spitzbauch der Viertklässlerin nicht übersehen haben. Die Pädagogin, deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, ihren SchülerInnen Ansprechpartnerin und Beraterin in den vier Jahren einer sehr wichtigen Lebensphase zu sein, die prägend für die Einstellung zum lebenslangen Lernen ist und auch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung beeinflusst, sprach weder mit dem Mädchen noch mit dessen Eltern. Sie stand kurz vor ihrer Pensionierung, nach diesem vierten Schuljahr würde sie keine eigene Klasse mehr übernehmen und sich auf den wohlverdienten Ruhestand vorbereiten. Jetzt, kurz vor dem Ende ihrer beruflichen Karriere, wollte sie keinen Skandal. Sie wird die Sommerferien sehnlichst herbeigewünscht haben. Dann wäre sie das Problem los gewesen, da Nilüfer im nächsten Schuljahr eine weiterführende Schule besuchen würde. Übrigens hätte ihr eigentlich auffallen müssen, dass die Schülerin am Stichtag an keiner solchen Bildungseinrichtung in der näheren Umgebung angemeldet war. Ihr ist es als Einzelperson gelungen, das übrige Kollegium der Grundschule, dass uns größtenteils nicht einmal persönlich kannte, genau wie den Pastor davon zu überzeugen, der Familie sei durch unser „unprofessionelles“ Vorgehen schwerstes Unrecht zugefügt worden. Hauptvorwurf war, vor dem Einschalten der Behörden die Familie nicht zu dem Sachverhalt gehört zu haben. Genau das aber hielt nicht nur der Polizist für gefährlich und einer erfolgreichen Klärung der Sachverhalte im Sinne des Kindeswohls für hinderlich.

Eppelmann: Wahrscheinlich war die Klassenlehrerin völlig überfordert. Welcher Kollegin hätte sie sich anvertrauen können? So etwas, Kindesmissbrauch und mutmaßliche Schwangerschaft einer Zehnjährigen ist an deutschen Schulen einfach nicht vorgesehen, das kommt nicht vor. Sicherlich hätte sie sich an eine einschlägige Beratungsstelle wenden können, doch dazu fehlte ihr wohl der Mut. Aufschlussreich, dass Deutschlands angeblich so qualifizierte Pädagoginnen angesichts des auch hierzulande praktizierten muslimischen Traditionalismus mit seinen Verhaltensweisen aus der kulturellen Vormoderne ganz offensichtlich nicht mehr handlungsfähig sind. An eine urdeutsche Familie hätte man sich wahrscheinlich heran getraut, auch an eine italienische oder spanische. Bei den muslimischen MigrantInnen oder bei Roma-Clans jedoch wechseln deutsche Behörden panisch die Blickrichtung wenn es um bronzezeitliche Bräuche wie Kinderverlobung und Kinderheirat[1] geht. Wie viele Mädchen wie Ghulam[2] wird es in Europas Parallelgesellschaften geben? Auch das ist eine Form der Diskriminierung, auch diese Kinder haben Menschenrechte.

Laurenburg: Eines Tages kam Nilüfer besonders niedergeschlagen in die Mädchengruppe. Als ich hörte, wie sie zu einer Schülerin sagte, dass sie sich aus dem Fenster stürzen wolle, übertrug ich meiner Vertreterin die Gruppenleitung und zog das Mädchen aus der Gruppe, um in einem anderen Raum unter vier Augen mit ihr zu reden. Ich sagte ihr, dass man, wenn man aus dem Fenster springt, sich sehr schmerzhaft, folgenschwer oder sogar tödlich verletzen kann und schon sehr traurig und verzweifelt sein muss, um das Risiko einzugehen, sich beim Sturz andauernde Schäden zuzufügen oder gar umzubringen. Ob sie mir nicht sagen wolle, was sie bedrückt, damit wir gemeinsam eine andere Lösung finden. Da begann sie zu weinen, und sagte, dass sie bald nicht mehr kommen werde, auch nicht zur Hausaufgabenbetreuung und darüber traurig sei. Ich versuchte sie damit zu trösten, dass wir sie dann vermissen würden, dass sie uns jeder Zeit besuchen könne und sie uns auch bei zufälligen Begegnungen ansprechen dürfe. Für alle Fälle hätte sie ja auch meine Telefonnummer. Auf meine Frage, ob noch andere Dinge sie bedrücken, schwieg sie. Ich versicherte ihr, dass ich verstanden hätte, dass es manchmal sein kann, dass einem das Herz schwer ist, aber man darüber in dem Moment nicht sprechen kann. Sie könne mich jederzeit ansprechen, wenn ihr danach sei, zu reden. Wir gingen dann zurück in die Gruppe und setzten unsere Töpferarbeiten fort. Nilüfer formte aus Ton einen Pilz, eine Schlange und ein Herz, in dem die Initialen ihres Namens eingeritzt waren.

Als die Schülerin etwa eine Woche später mit einer wenn auch nicht sehr tiefen Schnittwunde am Handgelenk erschien, beschlossen wir das Jugendamt einzuschalten. Die KollegInnen hatten jedoch Feierabend, eine Rufnummer für Notfälle außerhalb der Dienstzeiten gab es nicht. Daher riefen wir bei der Polizei an. Der Beamte an der Zentrale des Polizeipräsidiums vermittelte uns an die zuständige Dienststelle. Der berufserfahrene Hauptkommissar, selber Vater, nahm den geschilderten Sachverhalt auf und riet uns dringend, nichts mehr in dieser Angelegenheit zu unternehmen, um uns und das Kind nicht zu gefährden. Er teilte uns mit, dass von dem Verdacht des Kindesmissbrauchs auszugehen sei, den die Eltern zumindest dulden. Wenn die auch nur eine schwache Ahnung hätten, dass gegen sie ermittelt wird, würde Nilüfer auf Nimmerwiedersehen in der Türkei verschwinden und deutsche Behörden hätten keine Möglichkeiten einzugreifen und das Kind zu schützen. In den nächsten Tagen würde ein Beamter uns zu dem Sachverhalt vernehmen und das Jugendamt würde sich bei uns melden. Das geschah denn auch.

Zuerst meldete sich die Polizei und bestellte mich zwei Tage später aufs Präsidium. Auch das Jugendamt vereinbarte noch in der gleichen Woche einen Termin mit meinem Kollegen und mir. Die Kollegin im Jugendamt führte das Gespräch mit maschineller Routine. Im Wesentlichen ließ sie uns schildern was wir beobachtet hatten, stellte wenige Fragen und hielt das Gehörte schriftlich fest. Zum Schluss ermahnte sie uns dringend, uns fortan in der Angelegenheit absolut zurückzuhalten, sie würde alles Notwendige selbst in die Hand nehmen. Nach dem Gespräch fühlten wir uns zwar wie gerädert, waren aber auch erleichtert, eine weitere kompetente Mitstreiterin gefunden zu haben. Das sollte sich jedoch als absoluter Irrtum herausstellen.

Eppelmann: Für uns waren diese Wochen im Mai und Juni fast unerträglich, doch hielten wir uns an den dringenden Rat des Polizeibeamten und verrichteten Business as usual. Ohne die Unterstützung der Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch wäre uns das nicht gelungen. Nilüfer kam zunächst weiterhin dreimal in der Woche zur Hausaufgabenbetreuung und samstags auch in die Mädchengruppe. Das Ende des Schuljahrs und die Sommerferien rückten näher. Die Kinder freuten sich auf den Urlaub, nur das zehnjährige türkische Mädchen nicht. Sie meinte einmal zu mir, dass sie sogar lieber täglich ins Gemeindezentrum kommen, Hausaufgaben machen und für Klassenarbeiten üben würde, als mit ihren Eltern in die Türkei zu fahren.

Im Gespräch mit den anderen Kindern, die wissen wollten, welche Schule Nilüfer denn im nächsten Schuljahr besuchen würde, stellte sich eines Tages heraus, dass die Eltern die Zehnjährige offensichtlich bei keiner Schule angemeldet hatten. Die Schülerin war auch nicht wie die anderen bei den diversen Informationsveranstaltungen gewesen, um sich mit ihrer Mutter einige Schulen anzusehen oder sich gar bei einer bestimmten anzumelden. Die Zehnjährige meinte auf meine erstaunte Frage, dass sie auch keinen Bescheid einer Schule bekommen habe, der sie als künftige Schülerin begrüßt. Die Mutter habe auf ihre Frage gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen, es sei alles in Ordnung.

Da das Prozedere des in Deutschland üblichen Schulwechsels den Yilmaz durch ihren Sohn Serkan bekannt sein musste, ihr Sohn besuchte bereits die 6. Klasse in der Realschule, machte diese Nachricht meine Kollegin und mich stutzig. Für die fast Elfjährige bestand doch Schulpflicht. Sollte Nilüfer nicht in Deutschland bleiben, drohte dem Kind der unfreiwillige Umzug in die Türkei? Wir beschlossen, Anfang der Woche beim Jugendamt vorzusprechen, einmal um diese Information an die Sozialpädagogin weiterzugeben, aber auch um uns nach dem Sachstand zu erkundigen. Was wir damals nicht wussten, das dies Nilüfers letzter Tag in der Gruppe sein würde. Sie sollte nicht einmal mehr die Gelegenheit bekommen, sich von den anderen SchülerInnen zu verabschieden.

Laurenburg: An dem Morgen, an dem ich in der Sprechstunde der Sozialpädagogin beim Jugendamt vorsprechen wollte, begegnete mir Nilüfer auf dem Weg zur Schule, sie war bereits einige Minuten zu spät. Trotzdem beeilte sie sich nicht, sondern schlich mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern wie ein geprügelter Hund in Richtung Schule. Sie hatte mich nicht gesehen und war daher einigermaßen überrascht als ich sie ansprach. Ich fragte sie, wo sie denn in den letzten Tagen gewesen sei. Sie begann verzweifelt zu weinen und teilte mir mit, nicht mehr kommen zu dürfen. Sie drückte mich noch einmal und rannte dann weinend zur Schule.

Die Sachbearbeiterin beim Jugendamt war angeblich gerade auf dem Weg zu einem Außentermin und räumte mir („Sie haben zwei Minuten!“) trotz regulärer Sprechzeit mit eisigem Blick nur einen ganz kurzen Wortwechsel ein. Ins Zimmer bat sie mich nicht. Nun ja, dann eben auf der Treppe. „Wie geht es Nilüfer, wissen Sie etwas Neues?“ „Dem Kind geht es gut Ich habe mit den Eltern gesprochen. Dabei musste ich ihnen sagen, wer den ungeheuerlichen Verdacht in die Welt gebracht hat. Sie brauchen sich also nicht zu wundern, wenn sich die Familie zurückzieht und den Kontakt abbricht. Die Mutter war entsetzt und tief enttäuscht, wie Sie, die Sie ja in der Familie aufgenommen worden seien wie eine liebe Verwandte, so etwas überhaupt denken können! Auch die Klassenlehrerin hält ihre Reaktion auch für total überzogen.“ – „Wissen Sie, dass Nilüfer noch nicht auf einer weiterführenden Schule angemeldet ist?“, wollte ich wissen. Diese Frage überhörte die Sachbearbeiterin. Ich fragte: „Ist das Mädchen schwanger?“ – „Sie war beim Arzt. Das ist alles, was ich Ihnen dazu sage. Halten Sie sich jetzt raus.“ Damit war das Gespräch für die Beamtin beendet. Die Diplom-Sozialpädagogin machte auf dem Absatz kehrt, ließ mich grußlos auf dem Treppenabsatz stehen und verschwand nach draußen. Ich war wie vom Donner gerührt. So viel Kaltschnäuzigkeit ist mir im Leben selten begegnet.

Eppelmann: Die Arbeitswelt deutscher Jugendämter bezeichnet derartige Hochnäsigkeit und extreme Distanziertheit den Klienten gegenüber leider als „Professionalität“. Entlastend muss allerdings hinzugefügt werden, dass in Deutschland ein äußerst restriktiv auszulegender Schutz von Sozialdaten (SGB I § 35), der unter Umständen sogar die Ermittlungsarbeit der Polizei behindert[3], eine niederschwellige und bürgernahe Vorgehensweise, die sehr wohl Datenschutz da berücksichtigt, wo öffentliche Interessen nicht verletzt werden, unmöglich macht. Gerade wegen dieser Gesetzesnorm hätte die Sachbearbeiterin unseren Namen weder preisgeben müssen noch dürfen.

Auch hätte sie, schon um sich juristisch abzusichern, Nilüfer eigentlich zu einem Amtsarzt einbestellen sollen. Stattdessen durfte die Familie einen Doktor ihrer Wahl konsultieren. Möglicherweise war sie dem schauspielerischen Talent, der Vernebelungstaktik und dem patriarchalischem Bollwerk traditioneller türkischer Wagenburgen, die alles daran setzen, nichts aus der familiären Innenwelt der muslimischen ParaIlelgesellschaft nach außen dringen zu lassen, nicht gewachsen. Für diese Clans gelten universelle Menschenrechte nur vor der Haustüre.

Laurenburg: Sicherlich wurden zunächst laut zeternd wüste Drohungen ausgestoßen, um dann nicht mehr zu leugnende, offensichtliche Missstände, viel Süßholz raspelnd, beschwichtigend zu verharmlosen. Funktionieren Vernebelung und Taqiyya nicht wie gewünscht, greift man zu einer neuen List. Jetzt wird der beanstandete Sachverhalt mit der kulturellen oder religiösen Besonderheit begründet. Ist das Gegenüber dann immer noch nicht überzeugt, die Unschuld vom Lande vor sich zu haben, die über jeden Zweifel erhaben ist und die Rechtschaffenheit in Person, dann knickt jeder gutmenschelnde Kritiker und Zweifler spätestens dann ein, wenn man behauptet, armes Unschuldslamm einer fürchterlichen islamophoben Hetze und diskriminierenden Verleumdungskampagne geworden zu sein.

Wir organisierten einen Termin in der Beratungsstelle für ein Supervisionsgespräch mit allen in den Fall Involvierten. Der Pastor kam in der Tat zur Beratungsstelle. Die Stimmung war eisig Er war allein gekommen, anders als von uns gewünscht. Die von uns angeregte Einladung der Klassenlehrerin, der Mitarbeiterin vom Jugendamt und eines Mitglieds des Presbyteriums hatte er mit den Worten „Das halte ich für keine gute Idee“ einfach verhindert.

Auffällig war, dass der Geistliche während des gesamten Gesprächs nur als Briefträger von Botschaften der Schule und des Jugendamtes fungierte, deren persönliche Anwesenheit er aber erfolgreich verhindert hat. Wieder wies der Priester auf das schwere Unrecht hin, dass der Familie Yilmaz durch die Anschuldigungen widerfahren sei. Die Nachfrage der Psychologin, was der Familie und dem Mädchen außer der Unannehmlichkeit der ärztlichen Untersuchung durch die Einschaltung der Behörden denn Schlimmes passiert sei, konnte der Geistliche nicht beantworten. Meinem Kollegen und mir prophezeite die Psychologin nach dem Gespräch eine gegen uns gerichtete Stimmungsmache aller betroffenen Institutionen im Stadtviertel. Sie sollte Recht behalten.

Eppelmann: Wir sind uns aufgrund von Berichten Dritter, die das Kind jahrelang gekannt hatten, ziemlich sicher, dass Nilüfer nach einem langen Sommerurlaub in der Türkei jetzt wieder in Deutschland lebt.