دُنْيا
al‑dunyā,
das niedere Dieseits
Derwisch Ban Ki‑moon
Wie islamsensible Politiker
seelische Läuterung üben
Jacques Auvergne
Die im Jahre 2009 für die fundamentalistisch orientierte Mehrheit der Muslime auf der Welt leider noch immer ungebrochenen Kerkermauern von Scharia (scharī‘a) und Fiqh befestigen die Verweigerung von Säkularität mit einigem Erfolg. Um ein womöglich gewünschtes autonomes Denken des Orients für neun Jahrhunderte der Herrschaft der islamischen Theologen zu unterwerfen und um sogar in unseren Tagen die Forderung nach universellen Menschenrechten als Gotteslästerung anzusehen hat es eines soliden und geheiligten machtpolitischen Baugrundes bedurft. Machtpolitisch bereits insofern, als dass es im Unterwerfungskult namens Islam auf Plausibilität noch niemals angekommen ist. Schließlich war und ist zwischen Kuala Lumpur, Karatschi und Khartum, zwischen Teheran, Ankara und Agadir stets derjenige im Recht, der nachhaltig herrscht und zeigt sich am irdisch Unterjochten der vorweggenommene islamisch gerechte Schmerz des Aufenthalts in der Hölle, eine Qual, die man als ordnungspolitisch aktiver Schariafreund den Gegner Allahs bereits im Diesseits schon mal ein wenig schmecken lassen darf.
Nur exzellent (ihsan) eingehaltener Islam unterscheidet den Menschen vom Tier und ermuntert, alltagsorientiert und flexibel, den Gottesfürchtigen dazu, sich im heißen Bemühen um den Glauben dem erfolgreicheren Heerführer unterzuordnen oder dem radikaleren von zwei bundesdeutschen Islamfunktionären. Ganz entsprechend galt es für den Muslim in Gaza‑Stadt, sich sehr rasch von der Fatah zur Hamas zu orientieren, um auf der das Paradies verheißend richtigen, nämlich siegreichen Seite zu stehen, in jenen Tagen des Jahres 2007, da die Verräter am reinen Glauben (iman) aus den Häusern getrieben und auf jeder Straße getötet wurden.
Der eine Integration hinein in die unteilbare Weltzivilisation der einen Menschheit bis heute verhindernde Kulturrassismus von Scharia und Fiqh benötigte im Hochmittelalter, um über ein weiteres knappes Jahrtausend zu bestehen, einen die Allahkratie („allahcracy“, Abu Bakar Bashir) fixierenden Sprachcode der Dogmatik. Diese Ideologie islamischen Denkens zielte darauf hin, jedes autonome Philosophieren, wie es innerhalb der griechischen Kultur bereits im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert bestand und seit Renaissance und Aufklärung wieder und nachhaltig erreicht werden konnte, an die Sklavenketten der Wohlverhaltensdressur (sunna) zu legen. Fessel und Kerker der frauenentrechtenden und den dhimmī sakramentgleich hassenden sunna und Scharia dann als soziale Gerechtigkeit schönzulügen nennt der Islam tasawwuf (Sufismus) und darf der jordanische Prinz el‑Hassan bin Talal, Mitglied im Club of Rome und 1999-2007 dessen Präsident, unwidersprochen als Mystik, Weisheit und Spiritualität bewerben.
In seiner Dankesrede zur Entgegennahme des Abraham-Geiger-Preises 2008 erwähnt Prinz el‑Hassan bin Talal den am europäischen Imamat (Kalifat) bauenden Großmufti Mustafa Cerić lobend und meint beiläufig, Europa verdanke die Renaissance dem Orient sprich Islam („Re-Orienting the Renaissance“) nicht weniger als der griechisch-römischen Antike. Im Stil gewisser, die dhimma begünstigender abrahamitischer Foren versteckt sich el‑Hassan bin Talal politisch korrekt hinter Lessings Ringparabel, wobei dem Hörer möglicherweise verloren geht, dass von unterschiedlich stark säkularen Muslimen nicht die Rede ist und Animisten, Hindus, Ex‑Muslime, Bahá‚í oder Atheisten bereits gar nicht mehr vorkommen: „Als Muslime, Juden und Christen unterliegen wir dem gemeinsamen Erbe des spirituellen Dienstes unter ein und demselben Gott“.
Muss ich befürchten, dass der Prinz von Jordanien den Gott der Herren al‑Ghazālī und ibn Taymiyya meint? Solcherlei Einschmuggeln der Scharia in den (jüdisch-islamischen oder) christlich-islamischen Dialog bezeichnete Gudrun Eussner in Bezug auf den weggelassenen Vornamen Ghazi eines anderen jordanischen Prinzen sehr treffend als „sie bemächtigen sich des Gottesbegriffes, um ihn Allah‑konform zu verbiegen“. Jener bei Eussner genannte jordanische Prinz bin Talal ist als Nummer 65 gemeinsam mit dem für die nachdemokratische „Post-Postmoderne“ werbenden deutschen radikalislamischen Konvertiten Murad Hofmann (Nr. 83), dem klerikalen Maskottchen der Islamisierung Europas Mustafa Cerić (Nr. 84) und dem Schatten Allahs auf Erden höchstselbst, dem Rufer nach hidschāb und antiisraelischem Selbstmordanschlag Yūsuf al‑Qaradāwi (Nr. 95) auf der Liste der „Fellows“ der „Royal Aal al‑Beyt Institute for Islamic Thought“ zu finden.
Sollte es etwa eine islamische Glaubensspaltung im jordanischen Königshaus geben, in dem Islamreformer nun hörbar fordern, dass Nichtmuslime nicht länger in den Flammen der dschahannam schmerzlich verbrennen? Natürlich nicht, der Spruch mit dem „Dienst … unter ein und demselben Gott“ des Organisators von „Interfaith Dialogue“ und „Interreligious Dialogue“ ist meisterliches Dialoggeflunker, Islamwerbung vom Feinsten, königlich haschemitische taqiyya und da’wa.
Der am 19. Juli 2007 Taiwan betreffend bezeichnend undemokratisch agierende UNO-Generalsekretär Ban Ki‑moon beliebte sich am 24. Juni desselben Jahres in entgrenzter Toleranz und offensichtlicher Unkenntnis über die Scharia als Schüler des islamischen Lehrers Rumi zu bezeichnen. Rumi meint den bekannten islamischen Mystiker Mawlānā Dschalāl ad‑Dīn ar‑Rūmī (türkisch Mevlānā Cemaleddin‑i Rumi). Die der UN nahe stehende, ursprünglich türkisch-spanische Allianz der Zivilisationen, die sich nach ihrem eigenem Verständnis der Verständigung zwischen „dem Westen“ (dār al‑harb?) und „der islamischen Welt“ (dār al‑islam?) einsetzt, ernannte den mystischen Muslim ar‑Rumi ganz offiziell zum Vorbild an Humanismus und Spiritualität.
Die Vereinten Nationen begingen den achthundertsten Geburtstag von Rumi feierlich und (islamisch) spirituell: „Die Botschaft des Mawlana Rumi spiegelt sich wider in der UN‑Charta und in den Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen, diesem Erbe müssen wir entgegen leben“ oder „Wir, die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, müssen den Geist des Rumi um Hilfe anrufen (herbeiflehen, englisch: we … must invoke) in unserem gemeinsamen Bestreben, die Herausforderungen von heute zu bewältigen.“ Mit dem ganz im klassisch islamischen Stile des vom dhimmī die dschizya entgegen Nehmenden, müden Kommentar geschmückt: „In geziemender Anerkennung (wörtlich Tribut: tribute) gedachten die UN … im Beisein von Ban Ki‑moon und Sheykh Khalifa dem nahmhaften Poeten Maulana Rumi“, . Sheykha Khalifa meint Haya Raschid Al Chalifa, die Juristin ist Präsidentin der 61. Uno‑Generalversammlung und Angehörige des Herrscherhauses von Bahrein.
Die konstitutionelle Monarchie Bahrein hat eine Millionen Einwohner, der Islam ist Staatsreligion und weil Nichtmuslime im Land leben, gibt eine Rechtsspaltung für die religiös definierten Menschenklassen: Muslime unterliegen der Scharia, Hindus und Christen einem abgeänderten britischen Staatsbürgerrecht. Universelle Menschenrechte oder Frauenrechte sehen anders aus. Ein Herr Muhammad Sudqi Ayyash schrieb die Nationalhymne Bahrains von 1971, in der ganz selbstbewusst die frauenentwürdigende Scharia gepriesen wird. In der Regierung von Bahrein saßen zeitweise mit der al‑Qaida sympathisierende „Förderer islamistischen Terrors“ (Ulfkotte bei Bundeszentrale für politische Bildung).
Die Allianz der Zivilisationen (AoC) schweigt allerdings zu den grausamen (zunächst etwa frauenrechtlichen und familienrechtlichen) Folgen der Scharia, die mit den allgemeinen Menschenrechten und dem deutschen Grundgesetz täglich kollidiert. Soll uns der entrückte Derwisch (von persisch dar, „Tür“ sowie persisch darwīsch „heimatloser Vagabund“; Islam) mit seinem mystischen Drehtanz, soll uns die Poesie des Sufismus (wohl von arabisch suf, „Schurwolle“; auch Islam) die politischen Islamisierungsabsichten von türkischer AKP, Europäischem Fatwa‑Rat, OIC‑Staaten und Muslimbruderschaft verdecken?
Sicherlich, an dem Punkt, wo du nicht mehr weiterdenken darfst, jedoch vorgeben musst, aus freiem Willen zu handeln (Koran 2:256 es gibt keinen Zwang im Glauben) beginnt die islamische Mystik. Die kein Problem damit hat, einen Teil der Menschheit schicksalshaft (qadar, türkisch kismet) als für das Höllenfeuer bestimmt zu wissen, das hat seinen Sinn. Denn 2:256, „kein Zwang im Glauben“, dürfen wir Nichtmuslime und Muslime deterministisch lesen als: Es steht geschrieben, man kann nichts machen, im Jenseits (al‑āchida) kommen die einen ins Paradies. Die anderen führt Allah in auf Erden (dunyā) in die Irre sprich jenseitig in die Hölle, man vergleiche im Koran den unmittelbar nachfolgenden Vers 2:257, „aus der Finsternis ins Licht“.
Islamische Mystik ist besser bekannt als Sufismus (sūfiyya) oder tasawwuf, türkisch tasavvuf. Dem Sufi geht es darum, was Herrn Ban Ki‑moon wenig interessiert, das Selbstbewusstsein derart radikal auszulöschen, die schmerzenden Fesseln der ekelerregenden Welt so sehr zu leugnen, dass noch der größte irdische Zwang glückhaft als Schönheit der Gottesgewissheit erfahren wird. Arabisch heißt das tadscharrud (tajarrud) und meint wörtlich „Abstreifung des Ich“, eine Haltung, an der auch ein vielleicht wenig mystischer Selbstmordattentäter wie Mohammed Atta nicht vorbeikommt. Aus dem Testament des Terroristen Atta: „An meinem Grab sollen keine unreinen Wesen stehen, Frauen und Tiere, und vor allem nicht die unreinsten aller Wesen, schwangere Frauen!“ Dabei ist tadscharrud eine Vokabel, die auch, völlig achtenswert, beim Ritual des Umkleidens auf dem haddsch verwendet wird, der islamischen Pilgerfahrt. Der Sufi jedoch meint mit tazahhud (bzw. az-zuhd, Adjektiv zāhid), was Zurückweisen des Weltlichen, Askese bedeutet oder eben mit tadscharrud die vollständige Selbstverleugnung, das totale Auslöschen der eigenen Sinnesfreude, Handlungsabsicht und Individualität.
Selbstverständlich sah das auch ar‑Rumi in dieser Strenge, einer extrem dualistischen, manichäischen Weise des Lebens- und Weltgefühls. Vor dem aus pädagogischen Gründen vielleicht ähnlich deutlich gewarnt werden muss wie vor dem Licht-Finsternis-Dualismus der apokalyptischen Terror‑Sekte Ōmu Shinrikyō oder vor der auf Verteufelung der Außenwelt und sekteninterne Geschlechtertrennung setzenden Vereinigungskirche genannten Mun‑Sekte, zu der Aussteiger Oliver v. Hammerstein („Ich war ein Munie“) oder Aussteigerin Xenia (Pseudonym) eindrucksvoll berichten. Europa und Deutschland brauchen offensiv werbende, staatlich geförderte und dabei sehr säkulare (also nichtkirchliche) Sektenberatungsstellen und Sektenaussteigerprogramme für die Opfer von Scharia‑Islam und Fiqh‑Islam, gerade auch in Bezug auf destruktive Kulte wie Ahmadimyya, Salafiyya und Milli Görüş.
Die nichtmuslimischen, kalkuliert fremdenfreundlichen bis gelangweilt fremdenfreundlichen Europäer interpretieren (die Scharia und damit auch) den Sufismus als rosaroten Kitsch‑Islam, als Bambi‑Islam und laden ein paar pittoresk wirbelnde Derwische zum Kirchentag, während der über die Dhimmis feixende Hamas-Sympathisant himmlisch auf seiner Oud klimpert (‚ūd, arabische Kurzhalslaute). Manche Konvertiten halten den Sufismus für süßen Honig und bleiben dann am Fliegenfänger der Scharia hängen. Der Sufismus hatte nämlich gar nicht vor, die Nichtmuslime und Muslime von der totalitären Pflichtenlehre der Scharia zu entbinden.
Man mag darüber streiten, ob es in der Gesetzesreligion Islam mit ihrem Militärkult und Herrschaftskult sowie ihrer sexualmagisch und frauenentwürdigend ausgerichteten Wohlverhaltenskontrolle angesichts der vorrangigen Rolle des fiqh (islamische Jurisprudenz) gegenüber dem ‚ilm al‑kalām (islamische Theologie) überhaupt so etwas wie Theologie und Theologen gibt. Zumal sich der anfallsweise brutale und gelegentlich lügende Allahgott, glaubt man seinen Klerikern, dagegen verwahrt, Eigenschaften zu haben. Nach anderer Meinung gibt es im Islam allerdings gar keinen Klerus, was insofern stimmen mag, als dass nicht dein menschlicher Vorbeter oder dschihadistischer Befehlsgeber, sondern deine Gehorsamspflicht ihm gegenüber deinen Weg ins Paradies ermöglicht oder verhindert. Etwa dann, wenn der dschihād (im Auftrag von Gott Allāh geheiligt menschenmordend) nicht nur einfach ausgerufen ist, sondern vom islamischen Staat ausgerufen ist als „(jihad) nafir ‚am“. Das alles mit dem Nebelschleier der vorgeschriebenen Zwanglosigkeit (Koran 2:256) verhüllt, was zumindest die einfältigeren oder weniger informierten der dialogbereiten Dhimmis mit Zustimmung von Deutscher Islamkonferenz (DIK), Integrationsministern und den beiden Großkirchen so gerne glauben möchten. Die Produzenten der Fatwen (fatāwā, Einzahl fatwā) als Menschen brauchst du als Muslim nicht höllisch ernst zu nehmen, das mag sein, ihre Rechtleitungen nicht einzuhalten oder sogar hörbar in Frage zu stellen indes könnte dir den Weg ins Paradies sehr wohl verbauen. So wird ja vielleicht der Europäische Fatwa‑Rat (mit seinen vielen Scheichs und Muftis) sehr wohl zum Klerus und, für den muslimischen Endverbraucher, der befehlsgebende Kalif im Schlafzimmer zum Wächter an der Paradiestür für die ihm gegenüber auch sexuell zum absoluten Gehorsam verpflichtete muslimische Ehefrau.
Die Dogmatik des Scharia‑Islam der letzten neunhundert Jahre jedenfalls hat kein Theologe so sehr bestimmt wie Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al‑Ghazālī (1058-1111). Dem Philosophiestudenten und nachmaligen Religionspolitiker al‑Ghazālī ist es gelungen, auch als Mystiker zu gelten. Um 1080 nach Christus nahm al‑Ghazālī sein Studium im heute als Neyshabur (Iran) bekannten Nischapur auf.
Nischapur war zu Ghazālīs Zeiten gerade zum neuen Herrschaftszentrum der turkstämmigen Oğuzen geworden, die sich mit ihrer Dynastie der Seldschuken an die Übernahme der angehenden Weltreligion Islam gewöhnen wollten. In den folgenden Jahrhunderten gelang es den Seldschuken das bis dahin christlich geprägte Kleinasien (Türkei) zu erobern und das 1453 eroberte Konstantinopel bis zum 3. März 1924 als Sitz des Kalifats zu etablieren. Ghazālī konnte den Aufstieg der neben Arabertum und Persertum für ein Jahrtausend dritten großen Sprach- und Subkultur des nahöstlichen Islam in Muße beobachten.
Zum Zwecke der Legitimierung irdischer Vormacht gründete der türkische Sultan islamische Hochschulen (Konzept der Nizāmīya), Lehrzentren, die sich mit dem ascharitischen Gelehrten al‑Dschuwaynī intensiv mit der empört abgelehnten griechischen Philosophie befassten. Mit anderen gottesfürchtigen Gelehrten zog al‑Ghazālī in den Jahren 1085 bis 1090 allerdings erst einmal in den Krieg und wohnte der Eroberung des heutigen Iran und Irak bei. Islam ist, mag dem Theologen in dieser Zeit aufgegangen sein, die Seinsweise der Durchsetzungsfähigkeit. Ab Sommer 1091 übernahm al‑Ghazālī einen Lehrstuhl an der Nizāmīya in Bagdad und lernte heimlich das elegante Segeln auf den Wogen der miteinander rangelnden islamischen Herrschaftskulte namens Fatimiden (in Kairo, unterstützt von den feindlichen Schiiten), Aschariten (vom Türkentum beziehungsweise Sultan favorisiert) und Hanbaliten (traditionalistische Volksmassen mit dem Segen des Kalifen).
Nischapur aber blieb jene nordostiranischen Stadt an der Seidenstraße, in welcher zeitgleich der Universalgelehrte und Poet Omār Khayyām Mathematik und Astronomie lehrte und in der zwei Jahrhunderte später während des Mongolensturmes der islamische Mystiker Fariduddin Attar (Faridō d‑Dīn ‚Attār) leben sollte, Autor der Vogelgespräche (Mantiq ut‑tair).
Den berühmten Attar sollte der heutzutage von Islambeschönigern und Schariaduldern aus Kirche und UNO unkritisch verehrte Rumi genannt „Maulānā Rūmī“ (türkisch Mevlana Rumi) besuchen. Manche Islamwissenschaftler werden nicht müde zu betonen, dass die unter Fundamentalismus und Patriarchalismus leidende Menschheit den Islam in seiner heutigen Gestalt dem im Jahre 1111 verstorbenen Theokraten al‑Ghazālī verdankt, der die griechischen Philosophen studierte, um sie radikalislamisch zu widerlegen, um ihr humanisierendes sprich säkularisierendes Potential für die Muslime nachhaltig unzugänglich zu halten. Studieren, um zu zerstören. Die Islamisierung der Wissenschaft.
Dem Sufismus geht es darum, die nafs (Seele) aus der niederen, nichtigen dunyā (Verworfenheit des Diesseits) in die letztgültige Realität der āchira zu führen. Die āchira, englische Schreibweise akhirah, ist Gegenteil und Gegenspieler von dunyā, das Jenseits des prüfenden Gottesgerichts. Von irdischem Tand wie Islamkritik und Gleichberechtigung hat sich deine Seele auf dem Weg zu Allāh freilich zu enthalten, näheres mag man unseren europäischen Politikern auf dem Forum Allianz der Zivilisationen erklären.
Ein politisch korrektes (islamisches) Kleidungslabel schreibt denn auch auf seinem himmlisch-weißen Kapuzenpulli das Motto: „dunya – for a limited period only“ (entworfen wurde es von dem aus Bangladesh stammenden Briten Rūh al‑’Alam), was wir als „Eitles Diesseits – rasch wird es verlöschen“ übersetzen sollten. Die erklärtermaßen islamisch (nämlich an Rumi) ausgerichtete Allianz der Zivilisationen kann den in ihrem Titel verwendeten Plural („civilizations“) aus der Sicht des Sufismus eigentlich nicht ernst meinen, da es für Muslime nur eine Zivilisation gibt, diejenige des Scharia‑Islam. So verhöhnen sich die Vereinten Nationen entweder selbst als etwas Eitles, Nichtiges oder sie geben sich und ihren Unterorganisationen wie dem UN‑Menschenrechtsrat die schicksalshafte Bedeutung der Bühne kosmischer Entmischung hin in das Jenseits der āchira (akhirah), welches endgültig die Hölle vom Paradies abspalten wird.
Der Sufismus bejaht die Scharia und befördert, gespielt absichtslos, den Aufbau des Kalifats. Mit seinem Verweigern von gleichen Rechten für Frauen und für Nichtmuslime kann ein Mystiker Rumi kein Vorbild für Weltbürgerlichkeit, Völkerverständigung und Internationalität sein. Betreibt Rumi-Verehrer und UN-Generalsekretär Ban Ki‑moon das Läutern der nafs von den Verunreinigungen der dunyā? Verneigte sich der Besucher des Forums Allianz der Zivilisationen Barack Obama im April 2009 vor der Weltverachtung des kulturrassistischen Sufismus?
Zu unserer Seelenreinigung veröffentlicht die Allianz der Zivilisationen (AoC) auf unaor.org eine im Januar 2008 in Madrid entstandene Resolution von Jugendleitern (statement by youth leaders) zum islamkritischen Film „Fitna“ des Niederländers Geert Wilders. Wie nicht anders zu erwarten lehnt man den sehenswerten Film ab und druckst anschließend etwas herum, weil man doch selbstverständlich das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht einschränken wolle. Dann aber ziehen die youth leaders des AoC eine rechtlich unverbindliche Parallele zwischen dem Film Fitna und dem Handeln von „Menschen mit vielen verrückten und extremen“ Ideen, jenem „potentiell schädlichen“ Denken, gegen das es gelte, eine Umgebung des Widerstands zu errichten, in der es rasch und wirksam ausgeschaltet wird.
Erstunterzeichner der Resolution ist Khalid al‑Jufeiri aus Katar (Qatar), der als Jugendfunktionär auf dem World Economic Forum (WEF) in Scharm el‑Scheich (2008) gerne weiße Kleidung trug („Youth Message to World Leaders“) und sich auf die Teilnahme am WEF in Davos 2009 freute. Katar ist eine islamische Gesellschaft (Theokratie) ohne Gotteslästerungen wie Parlamente oder Parteien, der Führer der Gläubigen (Emir) ist zugleich Staatsoberhaupt und der Islam ist Staatsreligion.
Ist das bereits Sufismus, wenn alles tolerant miteinander verschmilzt? US‑Präsident Barack Obama verbeugt sich vor dem Kalifat und der Scharia: „Der Islam hat in den vergangenen Jahrhunderten viel getan, um die Welt besser zu machen“. Ja, es muss Sufismus ein, wenn der aus Katar stammende „islamische Staatsbürger“ (muslim citizen, islamic citizenship) Khalid al‑Jufeiri uns zum islamsensiblen Meinungsäußern aufruft und dabei mit Billigung der Allianz der Zivilisationen gegen Islamkritiker Geert Wilders hetzt.
Die Allianz der Zivilisationen entstand als türkisch-spanisches Gemeinschaftswerk und explizit als Reaktion des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero auf die Terroranschläge von Madrid am 11. März 2004. Und wie verhält sich der folgsame dhimmī Zapatero, der seinen Wahlsieg möglicherweise den Madrider Zuganschlägen verdankt, im folgenden halben Jahrzehnt? Statt die Scharia als menschenrechtswidrig anzuprangern, bereitet der spanische Ministerpräsident dem Aufnahmegesuch ausgerechnet jenes Staates Türkei eine feierliche Bühne, in dem der Islam de facto bereits Staatsreligion ist und lässt Jugendvertreter al‑Jufeiri nicht etwa das frauenentwürdigende Kalifat dessen katarischer Heimat kritisieren, sondern einen zivilcouragierten niederländischen Kurzfilm. Was unser Verständnis übersteigt, muss Mystik sein.
Schariafreund Recep Tayyip Erdoğan hält sein UN‑Projekt Allianz der Zivilisationen für eine gute Idee, spezifizierte im Januar 2008 jedoch, dass sie ihren praktischen Wert nur unter Beweis stellen könne, sofern die EU die Türkei als Vollmitglied aufnehme.
Islamversteher Zapatero ist übrigens kein gelernter Sufi, sondern Jurist mit dem Schwerpunkt Verfassungsrecht. Ausgerechnet. Und Zapatero kann dem Vorschlag Erdoğans schlecht widersprechen, ist er doch von den Vereinten Nationen persönlich und gemeinsam mit eben dem türkischen Ministerpräsidenten erst dann zum Mitinitiator der Allianz der Zivilisationen (AoC) ernannt worden, als beide, Erdoğan und Zapatero, diesen Vorschlag dem UN‑Generalsekretär am 21. September 2004 bereits unterbreitet hatten.
Im Vorstand der Allianz der Zivilisationen hat fast so etwas wie ein unfehlbarer und zauberkräftiger schiitischer Ayatollah seinen Sitz, ein „Hodschatoleslam val Moslemin“ immerhin, der iranische Theologe und ehemalige Staatspräsident Mohammad Chātamī. Mit so viel geistlichem Beistand kann ja nichts mehr schief gehen in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union. Chātamīs im Jahr 2000 in Weimar geäußerten Satz:
“Die Menschen aus dem Orient und Okzident können trotz der Parallelität ihrer Kulturen verschiedene Geschöpfe sein, die einander ergänzen und sich im tiefen Bewusstsein mit ihrer angestammten Heimat verbunden fühlen. West und Ost sind nicht nur geographische Gebiete, sie sind auch Weltanschauungen und Seinsweisen.“
… dürfen wir durchaus und ganz im Sinne des bosnischen Großmuftis Mustafa Cerić als Aufruf für ein an der Scharia orientiertes Sonderrecht für alle europäischen, australischen und nordamerikanischen Muslime lesen. Mit mäßiger taqiyya versteht es der Hodschatoleslam Chātamī, Europas besonders verbissenen Fremdenfreunden als Islamreformer zu gelten:
“Diese Lösung kann einerseits den Islam aus dem Engpass der versteinerten und rückwärtsgewandten Ansichten befreien und andererseits den wahren Islam vor Eigensinnigkeiten und Isolationssucht schützen. Reformen im Iran sind Bestrebungen nach Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie im Einklang mit der Religion.“
Einst setzte Religionspolitiker Abū Hāmid al‑Ghazālī für den sunnitischen Islam die Theologisierung des autonomen Denkens der immerhin eineinhalb Jahrtausende älteren griechischen Philosophie vollständig durch. Sie wird sich in der Islamisierung der bislang an Aufklärungshumanismus und allgemeinen Menschenrechten ausgerichteten Politik Europas erfüllen können.
Zunächst könnte das in einem bereits durch Erzbischof Rowan Williams, Lordrichter Nicholas Phillips und Rechtsprofessor Christian Giordano („Rechtspluralismus“) geforderten islamischen Personenstands- und Familienrecht geschehen. Einer Rechtsspaltung, die durch die leider in ganz Europa von Kirchen und Parteien betriebene Forderung nach Toleranz gegenüber dem islamischen Kopftuch oder Lehrerinnenkopftuch befördert wird und die sich mit Sinnsprüchen von „diversity“ oder „all different – all equal“ heranschleicht. Eine Rechtsspaltung, die wir Bürgerinnen und Bürger mit aller Kraft verhindern müssen.
Unsere die gottgefällige Entrückung anstrebenden Politiker in Vereinten Nationen und Europäischer Union begeben sich auf den zeitlosen Pfad des sūfi. Versunken und ganz langsam beginnt der Derwisch zu tanzen.
Jacques Auvergne
Sabine Dittmar ist Parlamentarische Staatssekretärin für Gesundheit "Im Anschluss an die Regierungsbefragung folgte am Mittwoch, 29. März 2023, die Fragestunde.…